© Franz Nahrada
A. Das negative Geschaeft:
Waehrend die achziger Jahre im Zeichen der kasinokapitalistischen
Euphorie standen, das Geldversprechen eines universellen Zugangs zum
gesellschaftlichen Reichtum , haben die Neunziger ein Revival der
ernsthaften Versuche gebracht, sich den zerstoererischen Auswirkungen
der Globalisierung zu entziehen; eine erste dumpfe Ahnung bricht auf,
dass die One World der globalen Marktwirtschaft gerade in ihrem
schrankenlosen Expansionsdrang die Bedingungen ihres Funktionierens
nicht zeitweise, sondern auf Dauer untergraebt und letztlich zerstoert.
Daher erleben wir ein eben noch schier unglaubliches Aufbluehen von
LETS-Systemen, lokalen Abkopplungsversuchen vom globalen Mass der Werte
und theoretischem Interesse an alternativen Systemen des Austauschs.
Stillgelegte Fabriken, hohe Arbeitslosigkeit, Warenberge auf Halde: das
ist die immergleiche Realitaet der kapitalistischen Krise, diese reale
Absurditaet, dass alle Elemente des stofflichen Reichtums in Uebermass
vorhanden sind, aber nicht aktiviert werden koennen, wenn nicht nach
betriebswirtschaftlichen Kriterien lohnend aus Geld mehr Geld gemacht
werden kann. Wo das Leben aller Menschen vom Geld abhaengig geworden
ist, fuer dessen Vermehrung man sich daher auf die eine oder andere Art
nuetzlich zu machen hat - dafuer gibt es bekanntlich die Freiheit -
wird nur sehr selten die Frage nach dem Warum und Wozu des Geldsystems
gestellt. Dafuer aber umso oefter die Frage nach den Schuldigen, die
ihr Geld statt in die Produktion in die Spekulation stecken. Als
Erklaerung fuer die Krise wird angeboten, dass der Selbstlauf der
Spekulation dem Geldbesitzer zu einem falschen Gebrauch seiner
Zahlungsfaehigkeit fuehrt: der Zins geraet ins Visier als Perversion
der an sich notwendigen und guten Austauschfunktion des Geldes, der es
in den abseitigen Teufelskreis einer Simulationsmaschine zieht.
Zinsloses Geld in der einen oder anderen Form erscheint als Loesung,
deren Realisation allerdings immer am boesen Willen und an der
Uneinsichtigkeit der Maechtigen scheitere.
Vielleicht verhaelt sich die Sache aber auch genau umgekehrt:
vielleicht ist es sehr sachgerecht, wenn die Geldbesitzer einerseits
mit der Produktion so verfahren, als waere der Markt unbeschraenkt
aufnahmefaehig, und auf der anderen Seite sie dann auch mitunter
bleiben lassen. Mehr als das: vielleicht ist das Aufblaehen der
Simulationsmaschine die einzige Art und Weise, ueberhaupt noch den
schlapp gewordenen Produktionskarren von der Stelle zu ziehen. Dafuer
sprechen ein paar Argumente, die keineswegs neu, aber dafuer umso
gruendlicher verdraengt sind:
1. Wenn jede Form stofflichen Reichtums in einer identischen Qualitaet
gemessen wird, die sich darin ausdrueckt, dass alles seinen Geldpreis
hat, dann ist das das genaue Gegenteil einer proportionalen Aufteilung
der gesellschaftlichen Produktion nach stofflichen oder sonstigen
Gesichtspunkten. Weil diese gerade nicht stattfindet, muss jedes
Produkt zusaetzlich zu seinen wirklichen Eigenschaften so tun, als ob
es eine Proportion haette. Denn arbeitsteilig verlaeuft die Produktion
schon, wir sind nicht bei Robinson.
2. Die Proportionen stehen aber nicht fest, koennen auch nicht
feststehen, weil sie sich erst post festum, im Austauschprozess
erweisen. Was aber feststeht, das ist schon ein ziemlicher
Abstraktionsprozess: unabhaengig von der Qualitaet und dem Ziel der
Produktion wird das Produkt jene Proportion zu verkoerpern suchen.
3. Weil die Produkte aber verschieden sind, geling ihnen das
Kunststueck nur durch Aussonderung einer Geld-Ware. Jedes Produkt wird
produziert, um Geld-Ware zu verkoerpern. Damit tritt es aber in ein
seltsam schizophrenes Verhaeltnis zu sich selbst. Denn wenn es sich vom
Standpunkt des Geld-Ware-Seins betrachtet (als "Wert"), dann kommt es
nicht mehr auf die stofflichen oder sonstigen Qualitaeten an, sondern
um die Leistung, Wert zu verkoerpern und sich als solcher zu
realisieren. Umgekehrt ist dann jede sinnliche oder stoffliche
Qualitaet nur Mittel zum Zweck der Wertproduktion.
4. Die Geschichte der Arbeit ist eine Geschichte der Verwandlung aller
Taetigkeit in Wertproduktion. Wer zu spaet auf den Markt kommt, den
bestraft die Geschichte. Die Produktion des Werts ist der Kampf um ihn.
In diesem Kampf ist zunaechst einmal nicht ausgemacht, ob das Produkt
sich ueberhaupt auf dem Markt gegen Geld tauscht; es ist dann kein
Wert, nichts. Es kommt also darauf an, der Konkurrenz zuvorzukommen.
Beschleunigung ist der erste Imperativ, Ausdehnung der Produktion der
zweite. Das beste Mitel dazu ist Geld, denn nur so lassen sich die
sachlichen Produktionsvoraussetzungen schlagkraeftiger gestalten. Daher
muessen alle vorgaengigen Proportionen, soferne sie noch bestanden
haben, mit der Zeit aufgeloest werden, denn jeder Produzent muss
versuchen, seine ueberproportionale Produktion als Mittel ihrer
Aufrechterhaltung einzusetzen.
5. Die Fortsetzung der Geschichte steht in einem Buch, das heute so out
ist wie es frueher in war. Sein Autor wird theoretisch behandelt wie
ein toter Hund, obwohl er oder vielleicht weil er von einer "absoluten
Schranke des warenproduzierenden Systems" sprach. Er beschreibt die
Methoden der effektiven Produktion, die Trennung von Geldbesitzern und
Arbeitkraftbesitzern, die Verlaengerung des Arbeitstages, die
Intensivierung der Arbeit, die Manufaktur, die Maschinerie und grosse
Industrie. Er beschreibt die Rolle des produktiven Auseinandertretens
und Zusammenwirkens verschiedener Formen des Kapitals, des
Kaufmannskapitals und des zinstragenden Kapitals. Er beschreibt die
Rolle der Aktiengesellschaften und des Kredits und des fiktiven
Kapitals, und wenn ihm mehr Zeit geblieben waere sein Werk planmaessig
weiterzufuehren, haette er auch ueber die Rolle der Staatsverschuldung,
der Inflation, der Krisen usw. in der gleichen Ausfuehrlichkeit
geschrieben, obwohl er das allgemeine Resultat und die Quintessenz
seiner Analyse des Geldsystems schon kannte und ihm daher schon vor
mehr als hundert Jahren den unausweichlichen Zusammenbruch prophezeite:
Die simple Tatsache, dass fuer Geld, das heisst als Wert produziert
wird, fuehrt zu einer hoechst paradoxen Konsequenz: die Produzenten
vermindern naemlich durch ihre gemeinsame Aktion bestaendig den Wert
ihrer Produkte. Sie schrauben die Eintrittsschwelle fuer die Quelle
allen Zugangs zum Reichtum bestaendig hoeher. Sie lassen alle
Springquellen des gesellschaftlichen Reichtums bedenkenlos fliessen,
verheeren alle gewachsenen und geschlossenen Kreislaeufe, steigern
durch den Einsatz von Wissenschaft und Technik die Produktivkraft der
gesellschaftlichen Arbeit ins Unermessliche - um festzustellen, dass
immer weniger Produzenten ueberhaupt in der Lage sind, noch "Wert" zu
produzieren, und dass die Aufrechterhaltung des Status quo lediglich
durch eine immer bedenkenlosere Inanspruchnahme seiner fiktiven Formen,
Spekulation und Staatskredit, moeglich gewesen ist:
"Wollte der Staat heute alle notwendig gewordenen Kosten fuer seine
Taetigkeit reell durch Steuern finanzieren, so muesste er die
Marktwirtschaft ruinieren und dadurch seine eigene Basis zerstoeren...
Es hat keinen Sinn mehr, gegen den Staat den Markt anzurufen und gegen
den Markt den Staat. Staatsversagen und Marktversagen werden identisch,
weil die gesellschaftliche Reproduktionsform der Moderne, die Ware und
das Geld, ihre Funktions- und Integrationsfaehigkeit von Grund auf
eingebuesst hat" (Robert Kurz)
B. das positive Geschaeft
Die Epoche der globalen Marktwirtschaft hat nicht nur die
Leistungsfaehigkeit der gesellschaftlichen Produktion enorm gesteigert,
sondern vor allem ein globales, hochdifferenziertes Aggregat der
Zusammenarbeit entstehen lassen, das Wissen und die Kombination von
Naturprozessen zur ersten Produktivkraft gemacht und die Rolle der
menschlichen Plackerei enorm reduziert hat. Es ist ein enormer
zivilisatorischer Fortschritt, wenn als Resultat dieses Prozesses die
Pipelines der Kommunikations- und Verkehrsnetze die ganze Welt
umspannen, auch wenn sie fuer das irre Unterfangen einer globalen
Gesamtfabrik nach betriebswirtschaftlich rentablen Kriterien errichtet
wurden.
Tatsache ist, dass die Teilhabe an rentabler Produktion in dieser
globalen Gesamtfabrik einen immer geringeren Prozentsatz der
Weltbevoelkerung direkt betrifft; der Rest der Menschheit stoert
eigentlich nur, weil er weder als Produzent noch als Konsument in
dieser Gesamtfabrik, der "planetaren Arbeitsmaschine", vorkommt.
Die Distinktion zwischen funktionalen und nichtfunktionalen Teilen der
Weltbevoelkerung wird freilich vom Konkurrenzprozess selbst
vorgenommen. Niemand ist per se Gewinner oder Verlierer, auch wenn
unterschiedliche Voraussetzungen sich perpetuieren. Die Staaten, die
sich die ganze Welt als Anlagesphaere ihres Kapitals erschlossen haben,
sind in die Globalisierungsfalle gegangen und erleben, dass das
Aufrechterhalten von homogenen Binnenstandards des Lebens nicht mehr
moeglich sind, wenn die Arbeitskraft ein global verfuegbares Gut wird,
das zudem zunehmend von Mikroelektronik und Biotechnologie substituiert
wird. Sie stehen vor der Wahl, entweder den Anspruch auf soziale
Mindeststandards aufzugeben oder aber die Unterstellung, dass die
Infrastruktur einer Gesellschaft auf der Basis einer rein
marktwirtschaftlichen Steuer- und Verschuldungslogik, also auf Basis
des Geldes, erhalten werden kann.
Genau deswegen finden heute gesellschaftskritische Gedanken am ehesten
ihr Publikum dort, wo gesellschaftliche Infrastrukturaufgaben erfuellt,
aber nicht mehr finanziert werden koennen: in den Planungsabteilungen
der Kommunen und Ministerien, die erleben, wie Kompetenzen und Aufgaben
zunehmend und unterfinanziert auf immer weiter unten liegende
Hierarchieebenen abgeschoben werden.
Will man ernsthaft, dass elementare soziele Versorgungsfunktionen
aufrechterhalten und sogar ausgebaut werden koennen, und kann man sich
nicht mehr auf das Allheilmittel einer wirtschaftlichen
Standortkonkurrenz verlassen, dann geraten zwei Dinge ins Blickfeld,
die frei verfuegbar und zugaenglich sind, wenn politische
Rahmenbedingungen geschaffen werden: einerseits lokale Ressourcen, die
betriebswirtschaftlich nicht mehr oder nur sehr einseitig nutzbar sind,
und andererseits der enorm gestigene Reichtum an globalem Wissen und
Kommunikationsmitteln, die die Effizienz des Ressourceneinsatzes
dramatisch zu erhoehen vermoegen.
Wenn man nicht wie der ansonsten sehr sachlich argumentierende Robert
Kurz zu dem drastischen Schluss kommt, es habe keinen Sinn, ueber
einzelne Reformen ueberhaupt noch zu diskutieren "solange dies nicht in
einer Perspektive der radikalen Abschaffung der modernen Ware und ihres
Weltsystems geschieht" (Der Kollaps der Modernisierung, p.270), dann
erscheint die Perspektive einer dualen Wirtschaft als durchaus logisch;
ein neuer sozialer Sektor, der sich nicht auf Geld, sondern auf lokale
Ressourcen und Zugang zu globaler Information stuetzt, kann durchaus
fuer eine laengere historische Epoche mit der schrumpfenden
Marktwirtschaft koexistieren; die "globalen Doerfer" und die "globalen
Staedte" koennen ein Synergieverhaeltnis eingehen, das beiden Seiten
eine neue Perspektive weist. Freilich fuehrt dahin ein langer und
dorniger Weg; wo Eigenarbeit auf Gemeinschaftsebene noch immer mit
Schwarzarbeit gleichgesetzt wird, ist er noch nicht einmal ansatzweise
beschritten. Subsistenz als bewusst gewaehlte lokale Lebensform, in die
man hinein- und auch wieder herauskann, vielleicht in einem
Wechselprozess zwischen globaler und lokaler Lebenswelt, wird in einem
Generationen dauernden Prozess vielleicht auf groessere
Vernetzungszusammenhaenge uebergreifen, vielleicht auch viel schneller.
Ohne Experimente, bei denen wir sehr schnell "beyond money" gehen
muessen, wird es jedenfalls nicht abgehen - und damit ist auch schon
alles ueber das Beste ausgesagt, was wir derzeit tun koennen.