© Franz Nahrada 1992
Der Begriff des "Global Village", geprägt von Marshall Mc Luhan, ist
speziell in der Medienszene zum geflügelten Wort geworden. Ob es um
die Auswirkung des weltweiten CNN-Empfangs oder um neue
Telekommunikationstechniken wie GSM und ISDN geht, die Metapher vom
globalen Dorf ist fast unvermeidbar geworden und gehört zum
Repertoire all jener, die sich in der Wachstumsbranche
Telekommunikation um Marktanteile bemühen.
Vom globalen Dorf sind wir freilich in der Realität noch Lichtjahre
entfernt; und nichts könnte das besser zur Anschauung bringen als die
Tendenzen zu Abschottung und Chauvinismus, die in einer Zeit der
weltweiten Vernetzung und der technischen Machbarkeit fast aller
Utopien wie ein gespenstischer Anachronismus auftauchen - und doch
allgemeine, reale und präsente Ängste ausdrücken.
Die Entwicklung der Technologie hat offensichtlich nicht Schritt
gehalten mit ihrer sozialen Implementation - es existieren kaum
Lebensmodelle, in die die Errungenschaften der Technologie sinnvoll
eingebaut werden könnten. Stattdessen ist eine tiefgehende und
unaufhaltsame Zerstörung aller herkömmlichen Lebensbereiche im
Gange, die ohne jene konkreten Utopien nur als Bedrohung empfunden
werden kann. Kurzfristige Begeisterung über all jenes, was nun
technisch machbar wird, vermag den globalen Pessimismus nicht zu
verdrängen, der der Aufforderung folgt, sich "die Zukunft"
vorzustellen.
Es ist freilich nicht einzusehen, warum nicht der Versuch unternommen
werden sollte, die neuen technischen Möglichkeiten der Kommunikation
und Information mit den fundamentalen menschlichen
Lebensbedürfnissen zusammenzudenken und so überhaupt erst den Weg
zu schaffen für eine Alternative, die diesen Namen verdient.
Dieses Anliegen, auf der Basis der antizipierten technischen
Umwälzungen menschenwürdige Lebensmodelle zu er - finden und ihrer
Realisierung näher zu bringen, vetreten auch die Proponenten des
"Global Village Projects" oder ganz genau "GLOBALLY INTEGRATED VILLAGE
ENVIRONMENT" (GIVE) Projekts aus Wien.
Als außeruniversitäre Forschungseinrichtung im Rahmen des "Zentrums
für soziale Innovation" ist das Ziel ihrer Arbeit der Einstieg in ein
Modell des Lebens, Arbeitens und Kommunizierens im 21. Jahrhundert
über die heute verfügbaren Errungenschaften der Technologie. Die
"Bootstrap" - Strategie der Wiedergewinnung von Zukunft, die sie dabei
verfolgen, ist recht einfach: man kann an jedem Punkt beginnen und es
werden sich bei näherer Betrachtung Zusammenhänge auftun, die
schließlich zu einem Netzwerk miteinander kompatibler Elemente eines
humanen Lebens führen.
Einer dieser dynamischen Kernpunkte ist das "village" im "global
village": das durchaus urbane Leben inmitten der ländlichen Natur, in
einer intakten Umwelt - nicht als exklusiver Rückzugsraum für eine
Minderheit mit Verkehrsinfarkt am Wochenende, sondern als breiter
Lebensraum der Mehrheit mit völlig neuen Rollenverteilungen und
Kommunikationsstrukturen. Keine "Verstädterung" des Landes, sondern
ein den neuen technischen Gegebenheiten angepaßtes harmonisches
Raumgefüge, in dem sich das menschliche Bedürfnis nach Rückzug,
Individualität und dem Reichtum der Natur voll Entfalten kann. Eine
Zusammenführung des Besten zweier Welten - der Wirtlichkeit und Ruhe
des Landes mit der kulturellen und kommunikativen Dynamik der Stadt -
zwischen denen wir heute noch vielfach heimatlos hin- und herpendeln.
Einen solchen Lebensraum zu konstruieren, zu testen und zu verbessern
und sich mit dem gesamten Komplex der dabei auftretenden Probleme zu
beschäftigen, einen Showcase zu schaffen, der dem Anspruch eines
verallgemeinerbaren Lebensmodells ebenso gerecht werden wie er Appetit
auf eine menschlichere Zukunft machen soll. ist die Aufgabe des Global
Village /GIVE Projekts.
Dabei sollen Verbindungen hergestellt, Partnerschaften gestiftet und
Allianzen ermöglicht werden, die sonst vielleicht nie
zustandegekommen wären. Organisationen von heute können durch die
Beteiligung an einem solchen Projekt die Sensibilität für
Veränderungen von morgen entfalten.
Was große Forschungsabteilungen und Universitäten nie zuwege
bringen, (weil sie sich an starre Vorgaben halten müssen und nicht
imstande sind, flexibel mit den Teilbereichen zu spielen, bis sich aus
der Stimmigkeit ihrer Zusammenhänge die Struktur eines neuen Ganzen
ergibt), das könnte mit ungleich geringerem Aufwand kleinen
"bootstrap - communities" gelingen, wenn Sie die richtigen Partner und
die richtige Aufgabe finden.