Todesstrafe; untertänigst...
© by Fritz Herrmann
Des geheimen Hof- & Kriegsrates Johann Wolfgang Goethens gar nicht so geheimes Berufsleben
1
Die Kinder, die Kinder !... und die Nichtkinder erst !
Ruhig, Poesie! verdammter Gaul, brichst uns im Novembernebel noch den Hals !
Ruhig! Das Ufer lang ! Beide sind wir doch müd, schwitzen vor Ungeduld.
Die alten Weiden so grau ...
Sind ja gleich zuhaus. Nein, nicht Stadtwohnung, Gartenhaus !
Die Nichtkinder ! Allerhöchster Herrschaft ihre genau so wie die der Plebejer. Kindermachen hopp hopp hopp, aber hernach!... das Mägdlein, wenns ihm den Kittel vorn hinaufzieht! Numero eins these schwangere Französin des Prinzen. Numero zwei diese schwangere Engländerin des Prinzen. Und drittens... ach, du nacktes deutsches Elend
Mein Kindsmörderinnen-Akt. Unsere Kindsmörderin in unserem Zuchthaus.
Ich seh, wie sich das lebensvolle Geschöpf.. zum Küssen, sagt man mir! wie es sich in der Zelle den Nacken befingert.
Arme Angstpisserin, dass ich dir doch in deinen Fieberträumen tröstlich erschiene ! Dass du meine Zusage hörtest: Kein Schwert !... so wahr ich Jurist bin und Mensch.
Ruhig, Poesie ! Frommer Schimmel, meiner Dichtkunst zu Ehren vom Herzog auf Poesie getauft. Anders als weiss können sie sichs gar nicht vorstellen.
Brr!... Die Sonne ist unter. Deine Hafergier ! Und während der Husar dich striegelt zuhause... ich sauer noch am Aktenstriegeln. So hats für dich die Ordnung, was?
Halbe Meile noch. Vorsicht in der Dämmerung, Schlaglöcher !... Der Wegebau in unserem Liliputland! Und auch für diese Löcher bin ich zuständig. Ob Behübschung von Dreckstrassen, ob elegante Retouche bei sehr fatalem Nachwuchs... nichts, wofür der Geheimrat nicht zuständig wäre !
Vorsicht, Zweige !
Poesie, wohlkastrierter Schimmelmann !... hast du dir schon einmal mein Dasein überlegt ! Scheissig. Schon vierunddreissig, heisse Geheimrat, Minister gar, und hinter meinem Rücken hör ichs: Poet im Speck! Hätschelhans, dem blast das Glück in den Nacken !... Aber Kinder hat er keine. Frau keine.
Frau, nun ja Aber wieder auch nicht. Ganz und gar nicht.
Denn die Baronin! Meine Baronin ! lhre ätherische Liebe... dass sie mich auf Distanz hält, und wie! Engelhaftesten Entsagungsblicks ! Mir sogar, grad wenn ich anschwelle in paradiesischer lch-bin-dein-Wonne... mir öfter weigernd das Du! sich wegbiegt, zärtlich, vor nachdrücklicherem Kusse!
Mir... Ich sags, klags dir in die Mähne, Poesie ! mir nur schmelzende Seele ist, strahlend.
Im Tagebuch für sie als Geheimzeichen der kleine Kreis: Sonne!
Und erlitt doch schon sieben Geburten ! Sieben Kinderchen. Vom wackeren Baron brav ehelich hineingetan ins kreisrunde Sonnen-0... und aus dem heraus. Sieben !
Obs mich schmerzt ?
Mhm.. A ! was gehts mich an ? Meine Reine! Meine Meinigste !
Ihre Sittlichkeit, ihre Sitte ! lhr Einfluss bei Hof, ihr Intrigen-Savoir ! lhre Untiefenkenntnis ! Die Baronin hält mich oben wie ein Korkwams.
Oben, wahrlich, hoch oben bin ich! Gegen aristokrätzigen Widerstand. Favorit im Staatsrat, erster Dichter des Herzogs. So jung er ist, Geschmack hat er. Manchmal.
Erster Kurier. Mich abreiten für dies, für das. Wir zwei, gelt ! Stets unter Dampf !
Auch sowas wie Kriegsminister... Unbehagen beim Rekrutenausheben, Soldatenvermieten... Präsidiere der Finanzkammer, versuche das ersoffene Bergwerk Ilmenau wieder hinzukriegen. Und die Strassen, deren Reparatur das Bauemvolk obstinat, dilatorisch... Sie verweigerns einfach !
Nicht zu vergessen meines jungen Serenissimi Familiendreck, aus dem wir ihn heut herausgeritten. Seines Bruders Konstantin zwei schwangere Liebchen ! Gleich zwei !
Bring das mit Prinz Konstantin in Ordnung! Jung Serenissimus schnippte mit den Fingem, und ich... heut mittags, nachdem ich hingesprengt zu Madame Darsaincourt ...
Referiers ihm morgen, noch vor der Sitzung.
Dass ich zu Numero uno also sagte: Madame !
Euer Durchlaucht, wenn ich mir erlaube dies Weibchen Milch und Blut! und unter Männern, Eures Herrn Bruders auf seiner Kavalierstour stattgehabte juvenile Erhitzung... ich, als ich die Frau sah, mein Organismus fühlte es dem Prinzen nach, verstands ! und...
Nein, verschweigs! Geheimrätlicher !
lch bedeutete also, Euer Durchlaucht, der Darsaincourt: Quant à votre fils nature ! Der Herzog proponiert lhre Rückreise nach Paris und derohalben, Madame, zu Ihrer Disposition Tausend! Und seien Sie zweitens versichert, Ihr bei uns so vortrefflich aufgehobenes, jetzt schon allseits geliebtes und inskünftig von mir persönlich observiertes Söhnchen... Ihr Mutterherz kann sich beruhigt entfernen! Staatskarriere, Hofdienst ! D'accord?
Sie nahms gefasst, Euer Durchlaucht, und ich entfernte mich.
Mhm, in Wahrheit... wie sie weinte, lächelte ! Süss. Trotz... trotz aufsteigender Gespanntheit verbot ich mirs, dass sie mir an die Reiterbrust sinke.
Hauptsache, das fährt gutwillig ab. Den Buben stecken wir zu den Forsteleven.
Und dem Herzog ausserdem...
Zweitens, ihm vorgeschlagen... Prinz Konstantin und seine Zweite, die Engländerin, wie wir das weiter behandeln.
Mhm, wie eigentlich?
Einerlei! Sowie, unbedingt heut noch, drittens, Nachtarbeit, Diktierarbeit. Die Kindsmörderin ! Besagtes Votum, das ich nach des Herzogs Befehl und als letzter Votant nach den zwei blutwütigen Herren Kollegen ! das ich abfassen soll gegen die Delinquentin.
Ah, wartet! Nicht gegen! Für! Für!... Hätt beinah Lust, sie vorher zu besichtigen.
Arme Haut, 's Köpfchen schon abgeschlagen wähnend. Keine Idee noch vom nahenden Retter !
Denn als Humanist... Menschlichkeitsplauderer ! wie Serenissimus mich oft anzuspassen beliebt ...
Die Unselige!
Und klug begründen mein rettendes Für !
Diese zwei Todesstrafen-Eiferer! Alte Aktenfurzer... wie geschwind sie ihre schrecklichen Schriftsätze dem Herzog unters Gesicht schmeichelten !
Und nach der Sitzung, morgen?
Übliches. Rekrutenbeschaffimg fürs Ausland, fiir den grossen Preussen... hundsföttisch aber für den von mir doch adorierten.... oh schon als Kind bewundert' ich diesen einzigen Friedrich !
Mhm mhm. Menschenklauberei auf den Dörfern, und immer dann die Mütter und... Erinnere dich an die Protestation einer Braut, mein Unteroffizier stosst sie die Treppe hinunter... popolo basso, Rohling ! Habs hübsch gezeichnet.
Zeichne viel die letzten Jahre. Ohne Genie, mag sein. Weiss, ich vergeude mich. Paar gute Gedichte bloss.
Welch böses Wort wieherst du mir ? Versteh nichts, du !
Wozu auch ? Hör bei euresgleichen immer weniger hin. Pferd, Rekrut, Diener, Köchin euer kiimmerlich Gesprochenes, Alltags-Erbrochenes vorbei an meinem höheren Menschen.
Meines Ohrs Affizierung entzieht sich zunehmend Unwichtigem. Vertaube speziellst.
Teile mich euch bloss mit, ordne an, klartönend, in einer von Befehlen durchschallten Welt.
Hoch oben... Directeur des plaisirs, Maskenziige, sommers mein nächtliches Singspiel im Naturtheater. Meine Möchtegern-Schauspieler waren zum Auspfeifen ! der Rittmeister vergass sein Stichwort... Dann aber das Schlusstableau ! Unsere Bauern, versteckt in den Büschen und auf meinen halblauten Zuruf mit hunderten Fackeln das Flussufer illuminierend... Poetische Fron ! Und das Vivat ihrer Kinderchen !
Niedliche Brut ! Liess ihnen zum Lohn frische Semmeln reichen !
Hoch oben !
Habs kommod, Poesie, brauch in futuro, mich zu erhalten überm Gemeinen, gar nimmer mein früheres Dichten, mein sublimeres, Ruhm bringendes.
Und brauchtest, dich zu befriedigen, sonst nichts ? Nichts ? Sag ! Nur Kommodität ?
Unehrliche Antwort am Tage ! Nachts, wenn du herumdruckst... o weh !
Müsstest mehr deinen Tränen vertrauen !
Wie konnt ich mich so hineinreiten ?
Blödmann, spöttischer Geiferer, Schnauber ! Bist du der Hippogryph des Aufklärers Nicolai ?
Die Peitsche seinen Rezensionen !
Dein tanzender Rücken... Vertreibst mir alle besseren Rhythmen, lässest meinen Hintem jeden Hexametergedanken zerstossen !
Grad dass du ihn eins zwei ! zum Blankvers anregst !
A j a, a j a ! bewirke, Poesie, dass ich mein Tassodrama... das bisher ich in Prosa bloss skizzieret
Eins zwei ! Eins zwei !
... dass meiner Backen Auf und Ab dem Text ins metrische Geleis verhelfe !
Eins zwei, eins zwei... o Tasso, mir so qual-, so wahlverwandt ! Gelobt doch unverstanden zu Ferrara anno soundso... Der du Poeta laureatus, leidend durch hohe Lieb und höfische Niedertracht auf mich hast warnend vorgespukt !
Eins zwei, eins zwei ach ! sieh auf deinen Schicksalszwilling, welcher Etcetera pp.
Da wären wir !
Husar!
s ist recht so ! Erst mir behilflich, dann dem Tiere !
Heran die Helfer ! Hieher ! Alle ! und Silentium ! Tut lautlos eure Pflicht! Leuchtet !
Habt ihr mirs Gartenhaus auch tüchtig durchgeheizt ? Mit Buchenscheitern... oder ?
Nehm einer doch den Mantelsack !
Merket, des Mannes schönste Feier ist die Tat ! Regt euch, Kinder, bewegt euch ! Seht mich an, wie ich dampfe !
2.
Ha, in überhitzter Stube zu dampfen, zu stampfen, zu mampfen... Spüre dich, Erdgeborener !
Muss freilich, wenn ich allein speise, an mich halten. Kein Beispiel nehmen an meinem Herrn. Frisst wie ein Schwein... pardon ! Naja, lernts noch, ist erst sechsundzwanzig.
Was... ? He, diese Klarinetten !
Philipp !
Philipp !
Herr Philipp Seidel !
Sag, im Garten die Klarinettisten... ?
Wie, ich sie bestellt ? Mag sein. Solche Ausstaffierung schien mir passend, waren doch die Baronin und zwei Hoffräuleins angesagt zur Visite. So halb und halb. Schickte sie mir denn in der Zwischenzeit kein erklärendes Zettelchen ?
Bleib, Philipp ! Hilf dem Geheimrat sich ausschälen, den Heissgerittnen lüstets nach einem Bad im Flusse !
Was, Jahreszeit !
Enge Stiefel... Vorsicht, he ! musst mir, wenn ich im Urzustande, nicht auf den Zeh treten.
Sag, der Baronin Fritzchen, kams nicht herunter aus der Stadt ? lch stellte dem Kinde doch Pfeffernüsse in Aussicht... und eine frische Semmel.
Die Klarinettisten ? Egal. Solln meinetwegen vorm Fenster weiter der Improvisation pflegen.
... aber nicht troppo rumoroso! Philipp, sag ihnen, ihre Darbietung möchte bescheidener ausfallen, empfindsamer, harmonierend mit des Herbstes Laubfall. Und später, nach meinem Bade auf dem Tische der Akt, unsere Hausübung! Kindsmörderin ! vergiss nicht, heut noch... Und während ich dir dann den betreffenden Aufsatz abdiktiere, sollen heraussen die Musici zur Anregung, gefühlvoll ! Klar?
Den Taler gibst du erst nachher.
Und... die Kindsmörderin, den Aufsatz, der Form nach... weisst du, ich dachte mirs nicht als ein fürchterlich gemessenes Votum im Kurialstil. Mag keine Paragraphos aufmarschieren lassen. Mehr so ein Hinausvoltigieren aus dem Juristentrott, poetisch !
Bin sicher, der Herzog... Ich kenne, grad in dieser Frage, sein gutes Herz ! Und meine Maxime, dass im verführten gefallenen Weibe die aufzurichtende, mit bessernder Strafe wieder auf den Weg zu bringende Schwester zu sehen sei ...
Schwester... Sag, in der Tat nichts von der Baronin, auch nichts von ihrem Söhnchen ? Versprach die edle Frau mir doch auf einem ersten Zettelchen, heut vormittags, die Zueignung eines weiteren und dass der Knab es apportiere.
Mhm, Philipp, den Akt zur Seite ! und Papier, Kuvert ! Ich schreib ihr
Der Husar solls sofort... ruf ihn !
Ruf ihn schon !
Und nach meinem Badespass, der kleine Götze halte mir warme Tücher bereit... he !
Hört mich nimmer.
Und... oh ! hier von der Wand, wies auf den nackten Menschen herniederstrahlt !
Komm, komm! Lass dich herunternehmen, du flattemd Band von der Baronin Busen !
Seidiges Band ! Liebeduftend !
Und schlängle, winde dich mir im Schreiben um die Hand wie dem Hebräer sein Gebetsriemelchen.
Mein Engel, nach aufreibendem Ritte in politicis lass mich Dir von meinem Garten aus einen guten Abend hinaufsagen und mich in Deine Arme sehnen. Und Du, ich bitte Dich, sags mir herunter ins Tal, dass Du mich liebst, nach mir verlangst. Denn ich selber, Liebste, fühl im Augenblicke ...
... nach mir verlangst. Denn ich selber, Liebste, fühl im Augenblicke... Fühl...
0 alter Adam, niederträchtigst ! schickst mir in diesem Augenblicke durchpulst mich pfui! erniedrigst mich durch das gemeinste aller Signale des Aufruhrs...
Welche unförmlicher Gedanke, die Himmlische so zu begehren !
Fieber? Glühend in- und auswendig und ohne ohne ! Ach, ungestillt in alle Ewigkeit !
Ihre zärtlichen Schwüre !
Fühlt sie meine Qualen nicht ?
0 Aphrodite, wie dampf ich, lösch ich den Brand !
Herabstimmung !
>s muss sich finden. Zunächst den Brief.
.. nach mir verlangst, Denn ich selber, Liebste, fühl im Augenblicke... Ja, man fühlt nichts. Adieu.
So. Aber... Eine liebenswürdigere Koda doch !
Jedennoch, Beste, schenkst du mir Hoffnung, Dich heute noch zu sehen? 's wär mir auch dringlich, weil ich ein wenig Deines Rates in jener Dir bekannten hochnotpeinlichen Causa bedarf. Der Herzog wünscht Position. Und nicht dass ich diese innerlich nicht selbst schon bezogen, doch wars mir nicht unlieb, mich mit meiner einzigst Geliebten in dem einen und anderen heiklen Moralpunkt eins zu wissen. Heut abend also! Und ewig Dein ...
Nicht übel ausbalanciert !
Kuvert... Und... ei, ich lache ! Noch allerliebst verfesselt durch meiner Göttin Band !
Behutsam das Verschlungne aufgeküsst.
Verzeih !... musst wieder rauf, bis zum nächsten Zettelchen, an den profanen Nagel.
Philipp !
Der Husar, er warte bei der Baronin auf Antwort !
Via! Und...
Ah, der kleine Götze ! Paulchen mit meinem Mantel. Meinst wohl, 's wär ungesund und zu verwegen, dass ich ungekleidet zum Ufer liefe ?
Raus mit uns !
Du nur frisch voran ! Der Nebel ist verflogen.
Die Fackel zwei Schritt vor mir ! Genau zwei Schritt !
Nein, Kleiner, die Fackel stets auswärts gedreht !
Erquicklich das Gras, á peu près winterliche Sensationen für meine ofenheissen Sohlen.
Hübsch kaltes Paradies heraussen, wo die herbsüssen Mispeln... hier, schmeck an dieser ! wie ihnen der heutige Frost schon nützlich gewesen.
Du biegst ab ? Zum Wehr doch !... Was, weil du dort den Ratten, die allzufrech manövrieren, endlich einige Fallen gestellt ? Na wenn schon ! Mut ! Immer zum gewohnten Badeplatze !
Musst mir sorgsam leuchten, damit ich keinem Tellereisen aufs offne Maul stolpre !
Denn ein des Geheimrats in der Rattenfalle zerschmetterter Knöchel, das fehlte noch. Man bedenke das Amüsement der Residenz !
Ratten. Hofratten. Wasserratten.
Possierlich, sag ich dir. Dabei ungemein schädlich. Schon der ältere Älianos erwähnt sie. lhre Riesenzahl... infolge ständiger Konkupiszenz! Denen quiekt ständig Lieb im Leibe.
Arglose Liederlichkeit allen Rattenvolks !
Gleichviel...
Denn ob zutiefst unschuldig oder nicht ...
Wie... wie belieben Euer Durchlaucht einzuwerfen? Dass wir solch Gelichter nach Abwägung aller Umstände schon aus Staatsräson, wie ich im Votum meiner Herren Kollegen ?
Nein! untertänigst nicht anzuraten ! Wie, Durchlaucht, könnt ich je auf Tod erkennen ?
Äh... was? Nichts, Paulchen ! Die Ratten !
Unter den Erlen Halt ! Am besten iibrigens, weisst du das? dass sie den Brotköder dann am liebsten annehmen, wenn du ihn in süsse Milch getunkt.
Während ich... Ah, meinen Fuss, sieh, unläddiert... noch ! Die Fussspitze ins Wasser
Paulchen, Pferdejunge, Livree-Karrierist... Schon ganz geschickt im Mantelabnehmen !
Und wo die warmen Tücher ?
So lauf zurück ! Eile !
Und ich...
Die Phantasien des alten Adam ersäuft, freilich nicht zu weit ab von den hilfreichen Wurzelknorren des Ufers.
Mit diesem Sprunge !
Hu !
Ja ! Erschaudre, Selbstquäler !
Aber lobpreise auch, umgriffen bis zum Kinn vom andem Elemente, die wohltätige Folge des Schocks ! Kneift er uns doch allemal die tierischeren Safte ab.
Und bis hieher durchs Rauschen des Wehrs die linde Musik.
Wunderliche Idylle. Und du, Mond, Nachtfreund ! Entziehst dich dreifach... Triefhaar, Geäst, Gewölk... dem Aufschauenden.
Doch sieh ! auf dem Hügel meiner Sonne Haus... Seh ichs?
Ja. Beinah. lrgendwo hinten links meine Stadtwohnung, und rechts die Silhouette ihres Hauses. Undeutlich. Wohl kaum das ersehnte Lichtlein, die Kerze Hoffnung, ihre Aviso-Kerze, ihre Er-ist-weg-, ihre Du-kannst-kommen-Kerze.
A j a j a j a, wenn mich friert, seh ich schlecht.
Bist du es, Paulchen ?
Mir die Hand gereicht !
Wär jetzt fast über die Wurzeln... und auf etwas Weiches. Was?
Eine Falle! Schon zusammengeklappt. Bin auf die Hingerichtete... äh ! Kleineres Tier, Weibchen oder Kind.
Ein einziges Laken bloss ? Na, gib !
Gut... Ha, neuer Adam !
Lauf vor ins Gartenhaus, vergiss die Ratte nicht ! Leg sie mir aufs Schneidebrett !
3.
Der Kindsmörderin-Akt ? Kann warten, dies Vomitiv nehm ich später ein.
Mein Dolch hingegen, wie er sich mir gleich in die Hand drängt ! Mich hinweist aufs Schneidebrett.
Mhm, der Dolch. so kostbar er mir ist...
Verteufelte Gabe des Herzogs. Denn damals, nach einer besonders erfolgreichen Hetze... Elf Sauen hatte er erlegt, und hemach erst ! als er zu meinem Verdruss im Heustadel, wo wir nächtigten, eine keineswegs spröde Dorfschöne unverzüglich zu besiegen begann... Ach in der Finsternis jene unedelsten Geräusche ! stundenlang und direkt neben mir! und ohne meines Hüstelns und Räusperns zu achten... Worauf er dann am Morgen, die bisher Ungesehene hatte sich auf seinen Wink schon entfernt... übrigens, als ich ihr nachblickte, abscheulich: Elefantenwaden !... Er aber stiess mich vertraulich an und schenkte mir das Ding.
Ehre. Demütigung. Immerhin, kanns gebrauchen und nicht nur fürs Zerlegen von Ratten.
Beruhigst mich, Ratte ! härtest mich ab gegen noch üblere Fratzen in Natur und Gesellschaft.
Durch Haar und Haut, Gedärm, Geripp, wenn ich mich mit der Klinge durchfinde... lch anatomiere gern, 's macht unfühlig fürs Widerwärtige. Lehrreich ists obendrein.
Beginnend also, die Spitze eingesenkt, den Schnitt vom After bauchwärts...
Und oh, an der Wand das mir so liebe Busenband bewegt sich, fächelt, wallt auf, einverständig zu meiner Führung des Instruments! Als höbe sich ihre Brust darunter.
Ein Zeichen !... Nein, korrigiere dich ! Bloss die heisse Luft vom Pyramidenofen her. Aufwind, Auftrieb !
Und nimmer aber flattert mir ihr ersehntes Zettelchen zu !
Bisschen Kot weggequetscht... Was fiir eine fremde Welt, die ich, mich ihrer zu erwehren und mir meine Rolle zu sichem, unaufhörlich prüfe, zergliedere, verarbeite !
Wies aufquillt auf dem Schneidebrett !
Und sich selber am sichersten einbringen, wo ?
Der Mantsch antwortet dir mitnichten.
Des Herzogs launenhafte Kameraderie. Meiner Geliebten nie gekannter Leib... Wie es mich schon erregte, als sie, im vorigen Sommer... als sie sich schmerzhaft verknöchelte und es mir beim tröstenden Abgreifen des Schadens gelang, die hinreissende Schlankheit ihrer Fesseln auszuspionieren !
Und hier. Wen, was malträtier ich ?
Als ich noch sehr jung war, hab ichs immer mit einem lebendigen Menschen probiert. Mit mir. Nur probiert. Ansatzweise. lch war nicht glücklicher als heute, wahrhaftig nicht, und einen wohlgeschliffenen Dolch, ich besass auch damals einen... den legt ich mir zum Bett, und nachts, wenn ich mich auf Ehre und Gewissen über den Tod befragen wollte, griff ich ihn mir und senkte sorgsam ...
Philipp, ja ?
Vom Husaren... ? Ah, zeig !
Rücks in den Lichtschein! Welche Farbe ? Rosa ? Wenn ja, signalisierts eine Einladung... Ists rosa ?
Hei !
Legs nur ja ins Saubere !
Und mir sofort... danke ! merktest meine Worte und den Brauch... das Becken, die Finger zu reinigen.
Auch ein Bürstchen sowie das feine Rosenwasser ! Denn wäre doch unschicklich, das siehst du doch ein, Philipp, wie ?... So lache!... wäre barbarisch, wenn meiner empfangenden Hände Duft nicht mit des Billettchens Couleur korrespondierte.
Das Rattenbrett... Hab mich heut ausstudiert, räume die Wissenschaft weg, eh sie zu riechen beginnt !
Klinge hernach wieder gut einfetten !
Und für die Reste mache der Bursche draussen einen Platz aus, wo der Fuchs sich zu bedienen weiss.
Die Klarinettisten aber... bevor ich jetzt in die Stadt, zur Baronin gehe, sag ihnen, es dauerte mich, ihr Spiel sei mir nutzlos gewesen. Während des Sezierens hört ich sie kaum. Warum standen sie nicht näher beim Haus ? Streite dich aber nicht mit ihnen, stell ihnen ein kleines Douceur in Aussicht. Und sie sollen später, sobald ich zurück bin... Wann ? Nun je nachdem ich verabschiedet bin und rechtzeitig zur Erledigung unsrer kindsmörderlichen Postarbeit.
Hier, das Waschbecken, nimms mit !
Und ich endlich in Ruhe...
Das Zettelchen.
Gebenedeite Schriftzüge. Fragt mich denn keiner, ob ich nicht der Glücklichste bin ?
Himmlisch knisternde Botschaft.
Oho ! Rosa dächt ich mir kürzer.
Teufel auch, keine frohe Verkündigung ! und... warum warum tut sie das immer wieder ? Per Sie !
Bester Herr Geheimerat...
Geheimerat und per Sie !
Mein Wille heut abends werde, wie Sie ersehen, durchaus rosa, aber...
Aber ! Befremdliches sei vorgefallen Befremdliches ! und daher leiste sie, und zwar im Palais Wittum
... ganz in Ihrem Interesse, teuerster Herr Geheimerat
Teuerster Herr Geheimerat ! In meinem Interesse leistet sie heute dem Herzog und der Herzogin Gesellschaft
... um dort das Schlimmste abzuwenden.
Basilisken-Intrige ? Na.
... bedrohliche Zeitung, die mir soeben mitgeteilt worden von der Ihnen und mir so affektionierten Herzoginmutter, welchselbe in fliegender Eile...
Fliegend, ei ei.. - Mütterlicher Papagei Anna Amalia !
... wonach die Allerhöchste Person in einem Anfiug übelster Laune sich über Sie , Herr Geheimerat, ungnädig geäussert...
Wem gegenüber ? Schreibt sie nicht. Und was ilberhaupt sollte meinen Herzog... aha ! wieso ?
... und scheint Serenissimus in der morgigen Sitzung des Geheimen Conseils die, wie Sies in Ihrem Zettelchen an mich genannt, hochnotpeinliche Causa zu einer Kabinettsfrage machen zu wollen. Er werde, sagt unsere Herzoginmutter, auf Einhelligkeit des Urteils bestehen.
Und wenn ich quer stimme? Ach, Engel, du sitzest einem Hundegerücht auf ? Der letztlich hochdenkende Junge, mich schassen, weil ich meinem humanem Dämon gehorche ? tut er nicht Nein, nie! Oder ?
lch sorge mich aufs Äusserste, teurer Freund ! Begebe mich daher raschest ins Palais, um im Verein mit Herzogin und Herzoginmutter unserem Herrn Ihre einmalige Gestalt als Schriftsteller und Staatsdiener emeut aufs günstigste vorzustellen sowie ihn auch in der Sache selbst zu beruhigen ...
Und meint, es wäre politisch, wenn auch ich, wie zufällig, ins Palais Wittum... sollte dorten auftauchen, um die mich verteidigende Drei-Damen- Fraktion zu stärken.
Den Herzog umwedeln wie ein Hund !
Und es sei keine Frage aha !
... für mich ausser Frage, dass dies von lhnen abzufassende geheime rätliche Votum der Moral nicht entraten wird, wodurch auch der dem Lande zu wünschende staatsräsonable Effekt, die Abschreckung des Volkes...
0h Engel der sieben Geburten !... Erzengel, unerbittlich wie meine zwei Mitvotanten !
Und letztlich sollte es, erlauben Sie mir den Hinweis, Herr Geheimerat, lhrer Gutmütigkeit nicht verstattet sein, Ihre hier bei uns vor acht Jahren gefundene Heimat und die eigne, mir unendlich teure Person aufs Spiel zu setzen für die Rettung einer Unwürdigen.
Mhm, mhm mhm. Und fleht sogar...
... flehe ich zu Gott, dass der uns alle so disgustierende Fall rasch aus der Welt geschafft werde.
Und ...
Mit warmem Händedrucke...
Mit Schwert, aber ohne Kuss. Schwester, Schwester !
Und ich glaubs nicht, auch wenn du s von Anna Amalia weisst. Denn warum, falls ich partout nicht auf Tod erkenne... warum sollte der Herzog mich wegschelten, wegtun, abtun ?
Nein !
Des Mannes schönste Feier... Die Tat ! Die Tat !... will heissen die gute, deren bedenkliche Folgen für den Mann selbst, will er vor sich bestehen, er nie bedenken dar£
Sag ich ihm directement ! oben im Palais... in ihrem Beisein!
Oder besser erst ihr selbst, falls ich sie doch noch zu Haus...
Philipp ! Die Stiefel !
4.
Ich bin der Lächerlichste. So vor ihrem Haus ...
Nutzlos. Stiehl dich fort aus dem Mondschatten des Ahorns ! lhr Zettelchen sagte, sie gehe gleich ins Palais. Was verweilst du vor ihrem Hause, starrst ja doch keine Kerze hinein ins obere Stockwerk.
Sonne im Palais Wittum. Und du geh manierlich weiter !
Wohin?
Ins Gemütliche meiner Stadtwohnung Nein. Der Akt liegt im Gartenhaus.
Oder doch ins Palais, den Herzog anwedeln ?
Hauptsache, du gehst.
Denn das fehlte noch, man erkennte dich hier und He, stellt euch vor ! gestern der Geheimrat als Fenstersteher in seiner eigenen Gasse, aber nicht vorm eigenen Stadthaus, sondem na ? Haha wollte sicher den Baron erpassen !
Sähen mich als Monstrum, als Satyr. Lachten, als ob bös Abenteuerliches zu finden wäre in ... so schrieb ichs einmal schon ... bös Abenteuerliches zu finden wäre in solch sanftem Zuge, der Mensch zu Mensch hinzieht. Unser bürgerliches Leben, unsere falschen VerhäItnisse, das sind die Abenteuer, das sind die Ungeheuer !
Diese Meute ! Acht Jahre schon wind ich mich da durch, ziehe meine Seele ein wie ein andrer den Bauch.
Vertrautes kotiges Nest! Die Schritte hallen nicht, wo das Pflaster fehlt. Dorfmorast und Hofstadtprätension. Abbröckelndes Wehrgemäuer, auf kleinem Raum hälts das Gedräng von Hütte und Schlösschen, Misthaufen und Palais. Heringsverhältnisse, wo die Herzen ...
Ach Mond, Mitwandere ! leuchtet du je ihre Herzen aus ? Nicht einmal dies Winkelgässchen lässt dich einfallen bis herunter zu Unrat und Spülicht.
Und auf freiem Platze ah, prächtig ! Sieh...!
Natur als Kunst !
Überall des Mondes Spiegelbild ! In den Pfützen, im Abwasserteich, und mag der auch zehnmal stinken . Golden versickerndes Rinnsal !
Glitzernde Dreckresidenz.
Wie fügsam ich sie durchtrotte... Bin mein eigener Schimmel Poesie. Gute Haferstation. Und ? Wär ich denn irgendwo anders zuhause ? Längst nicht einmal mehr in meiner Geburtsstadt.
Meine Weltrolle. Acht Jahre mich hier tüchtig gemacht, mich equipiert mit Erfahrungen, die kein deutscher Dichter sonst hat. Vom Herzog die einmalige Bürde lohnender Obliegenheiten aufgeladen, von ihr lieblich hineingeleitet in mir vordem entfernteste Gefühle und Zustände.
Und das jetzt lassen ? Das Land, wo du alle Glückseligkeit gefunden hast, die ein Sterblicher sich erträumt, wo du zwischen Behagen und Missbehagen in ewig klingender Existenz schwebst, wo... wo sie mir doch ist! Sie ! Meine Sinne gehören ihr so zu eigen, dass nichts in mich ein kann ohne aufzustrahlen in ihrem Lichte.
Sogar die garstigsten Menschen, sogar die Elendshöhlen dort !
Sie, deren Zauber mir alle Erbärmlichkeiten durchsonnt !
Ob ich... dass etwa mein Gemüt auf idealische Weise krank worden sei ?
Pfeif aufs Gesundsein !
Jetzt aber die harte Probe. Humanität ! Für wen eigentlich zeigst du Charakter? Für eine aus dem Volk ? Mach dir nichts vor, dich selbst, dein Selbst rettest du! Denn was dir eingebildet an Höherem, Reinem... bewahr es, lass nicht zu, dass hartes Muss es dir aus der Brust schwärze.
Gut. Aber wie... ? Indem du wie sonst vorm Herzog Kreuz hohl machst, Seele einziehst ?
Wie bin ich dunkel über mich.
Zum Heulen.
Verlornes Hundchen, weltverlaufnes, welche Fährte nimmst du auf ?
Schon lang vor Verlassenheit keine nassen Augen gehabt...
herumdrucksend, noch dazu hier, zum Henker !
wo du am eigenen Haus dich vorbeidrückst !
Das eigene Stadthaus.
Anatomiere dich, deine Tränen könnten auch Sehnsuchtstränen sein. Eigen... da drin, was in deinem Haus wär es dir denn ? Hausgerät, Dienstbot ? Irgendwas, das dich fühlte ? Ein Weib, und zutulicher Leib... Nichts was du wirklich besässest.
Und sie ? Ach die schlanke Baronin... Meines Gedankens Arm, die Sonne umfassend, immer kehrt er leer zur Brust mir zurück.
Die uns irdische Geschöpfe doch einzig beruhigende Greifbarkeit des Besitzes !
Nichts davon, nichts.
Und du weisst, beneideter Erfolgssammler, was allein deine Armut verschuldet. Schlaue Selbstigkeit. Schon als Student ! Liebeltest herum, flüchtetest dich aber stets rechtzeitig vor Verlobungstoast, Heiratsverspruch, Ehelasso.
Dir ja keinen Karriere Ballast eingehandelt im Weltspiel !
Gesunde Liebesfreuden ? Wie du sie doch zu surrogieren gelernt ! Einerseits, platonisch, du besingst sie... der Hof rühmt deine tiefgefühlten Hochzeitscarmen... und andererseits, na ja... unrühmlichst. Selbstigst. Scheissig.
Ist dir wehmutsvoll träumig. Ach wartete auf dich doch im Haus imitten toter Habe ein dir eigentümliches Frauchen ! Ein Schatz, der dir die Nacht zur schönen Hälfte des Lebens macht. Die Kinderchen zumal ! So einem Äffchen... aus geliebtem Busen quillt ihm Milch zu, und du reichst ihm eine frische Semmel... Vertan, versäumt !
Deine Tränen, fühllos lässt Nacht sie dem Allerärmsten, Heimatlosen entstürzen.
Mhm, da vorn ? Zu blöd ! Pfeifchen geführet, Trommel gerühret ! Soldatischer Rumor, Umzug auf Serenissimi Anordnung wohl.
Flink seitab ins noch Dunklere, damit der Fähnleinführer... a ! noch kotiger.
Verschaffte dem Korporal ein schweinsmässiges Gaudium, säh er seinen Kriegsminister sich eine Sehnsucht aus den Augen wischen.
Des Herzogs Illusionen ! Heerführer im Ausland möcht er werden, offeriert sich allenthalben. Sechsundzwanzig und noch keine Schlacht geschlagen, dieser... dieser... !
Nein! den Tadel hinaufwärts... Hast dir doch kläglich verboten, gewisse Dinge zu denken. Jeder beurteile den eigenen Stand.
Dennoch freilich, mein Herzog... Kindisches Quinquelieren, Einübung des ganzen Landes in sein Generalisches.
Mich tiefer ins Mausloch drücken! Beschämend.
Müsst vor ihn hin, ihm alle autokratische Hundsfötterei zuschand reden. Menschlichkeit ! Mannhaft auftreten, lutherisch. Kann nicht anders, Sire !
Ihn erziehen oder selber versumpfen, das ist hier die Hamletfrage.
Auf des Dolches Schneide. Will er den Freund verstossen? Weh dem, der von grober Herren Gunst sich ins Freie locken lässt, ohne den Rücken gedeckt zu haben.
Hab ich nicht, hab ich nicht! Und er weiss natürlich, wie ich zum Kindsmord stehe, weiss es seit meinem denkwürdigen Vortrage, als ...
Ah, dort ! Die illuminierte Fensterreihe, dort wars ! Das Tafelrundenzimmer !... Und jetzt solltest du dich nicht auf den Zufall ausreden! Misstraue dir, zumindest mindest aber deinen Füssen, die dich auf eine bessere Strasse dirigiert und genau vors Wittum-Palais gebracht, das du doch meiden wolltest.
Salviere dich... obgleich sie im Leuchtersaal grad am herrlichsten leuchten mag.
Lichte Lockung! Fort und nicht zurückgeblickt !
Das Tafelrundenzimmer. Dort las ich ihnen damals vor, was ich zur Tragik des Kindsmords denke... dachte.
Jugenddrama, fragmentarisch, kaum gefeilt, doch... dies schmeichl ich mir! mit ästhetisch einwandfreier Katastrophe. Wahnsinn der schuldlos schuldgen Kreatur, shakespearig ! Ha, wie ich das Mägdlein an Ophelia mass ! und es... con gusto, ohne grobe Vorzeigung des Henkers liess ichs zugrunde gehn. Fein herzzerreibend !
Die Tränen der Hoffräuleins, und auch er Er ! Meine Augen nahmens verstohlen wahr, während sie übers Geschriebene liefen ! Auch er war damals erst neunzehn ! auch er drängte feuchteste Empfindung schon bald nicht mehr zurück. Und wie mir dann die Herzogin huldvoll ihr gesticktes Mouchoir lieh, weil auch ich, beim doch sehr angreifenden Vortrage, mich zwischendurch ausschnauben gemusst...
An jenem Abend geriet Autokratie zur schönen Tränenrepublik, und ich Zur letzten Szene gebot ich allen, auch dem sanft zerfliessenden jugendlichen Herrscherpaar, durch Handaufheben Einhalt, damit ihnen in der eintretenden lautlosen Stille des todgeweihten Mädchens nächtliches Gestammel vom verlorenen Jungfemkranz bis zum Schwertstreich, der ihr den Kopf absetzen wird, damit ihnen das schneidend in die Phantasie fahre.
Ach, ich bin so jung, so jung, und war schön und bin ein armes junges Mädchen... Tag ! Es wird Tag ! Der letzte Tag !
Und
Mein Kränzchen! Hörst du, die Bürger schlüpfen nur über die Gassen ! Hörst du ? Kein lautes Wort. Die Glocke ruft ! Krack, das Stäbchen bricht ! Es zuckt in jedem Nacken die Schärfe, die nach meinem zuckt !
Ha, und wies ihnen hineinfuhr! Auch ihm zuckte es, er duckte den feisten Bubennacken. Damals wähnt ich, ich hätt ihn fürs Reine, Hohe gewonnen.
Und stapfe nun... Wo bin ich ?
Noch kotiger. Drecklabyrinth, noch dazu in Nachbarschaft des Palais ! Stinkig zum Übergeben. Unmenschlich dunkel, obgleich so nah den heiter flammenden Wachsstöcken der Tafelrunde.
Nase, deut es mir !
Blut, gefallenes Fleisch... die Freibänke !
Plebejerviertel. Hinten das Waisenhaus !
Und zwei Schritt weiter, du zauderst doch nicht ?
In der Zuchthausgasse !
Stinkt. Stinkt.
Den Klopfring am Tor ertasten und mal ein bisschen dagegen... Donnert ja noch lauter als der Gestank widerlich ist.
0h der diesfalls gesunde Instinkt meiner Füsse ! Bevor ich im Gartenhaus die Rettungsaktion angehe, schriftlich, sind sies einfach praktisch angegangen. Lassen am Orte Kraft einatmen zur Tat.
Einatmen, na ja.
Des Mannes schönste Feier Die gute Tat !
Heda ! Na endlich ! he, sperr er auf ! Murrt da drinne herum... Erkennt Er mich nicht durchs Guckloch ? Versteht er nicht deutsch ?
Kerl! dir komm ich exotisch... Porco dio! Maledizione ! Ouvrez la porte, fa presto vite, vite! Ne verstandewuh pas ? Aufgesperrt, aber rapidamente ! Forza ! Entrée libre dem Conseiller intime unseres Serenissimi regentis !
Na also, warum nicht gleich ?
Nah genug die rauchende Funzel meinem Gesichte ?
Na na na schon gut, erspar Er sich seine Bücklinge. Aber... eine tüchtige Lampe ?... Die vor Seiner Kerkermeisterstube, die nehm ich derweile.
Nein, keine Inspektion, verzieh Er sich in Sein Kabäuschen ! Bin willens, die vom Schmied ins Eisen geschlagene Kindsmörderin zu inquirieren.
Dort die Treppe hinab? Gut.
Find das Verlies allein. Brauch Seine Schlüssel nicht. Auch Ihn nicht mehr.
So... Und nun...
Menschenbesichtigung !
Mit aufgereckter schwanker Lampe die Schatten vor mir herzutreiben... hinunterzutreiben die glitschigen Holzstufen.
Den Ärmel nicht schinden am löchrigen Gemäuer.
Krötengeheg, Rattenrevier.
Vor acht Jahren bist du angekonimen, dich in Szene zu setzen. Peitschenknall und Frohsinn.
Zur Kindsmörderin. Armes Ungeheuer, an dem, bevor es das Entsetzliche begangen, die falschen Verhältnisse sich so mörderlich ausgewirkt !
Kindsmord. Und dich selbst holt er ein, realiter, nachdem du deine zierliche Kunstfigur längst ad acta gelegt. Ad acta. Solltest dem Herzog darlegen, dass... wenn er dir den verfluchten Aktenkram ...
Könnts neu und zu Ende dichten !
Und auch sie, das liebliche Kunstfigürchen, nicht richten. Retten !
Ah, vorn ! das Eisengestäng !
Jetzt leichter deine Schritte, Monsieur ! liebenswüirdiger dein Auftreten, damit die Ärmste... Polternde Annäherung verstöre sie nicht noch mehr, wenn sie schlaflos, jeden Unbekannten anbangend mit hohlem Aug, das doch den Himmel einst gesehn in einem unseres Geschlechts ...
Das Jabot... zurechtgezupft !
Mhm, wo ?
Drinne rührt sich nichts. Seh auch kaum... Zebralichtmuster bloss im Menschenkäfig.
Schärfer gespäht ! Der Unratkübel. Von schimmelig aufglänzender Wand die Kette herab ins faulige Stroh. Und dort... oh !
Horch ! aus dem Winkel der Verzweiflung Stöhnen.
Nein schnarcht ! Schnarcht !
Schnarcht, dass das Stroh rauscht !
Wartet nicht grade hold auf Menschenfreund und Gnadenbringer. Doch gemach diese ungefüge Lampe ! nachgeleuchtet durch die Stube dem Geschnaub und Gerassel !
Voyons !
Lumpichter Kittel. Und darunter... a j a, mags aber so gar nicht sehen. Plumpe Füss, aufgeschwollne Adern noch von der Schwangerschaft. Kindsfüss... unsaubere.
Verschnarcherin meiner Visite !
Dreht sich jetzt.
Zottelhaar verdeckt beinah... ah ! verleidet jede Lust des Schauens... Breitestes Nasloch, klaffende Schnarchlippen !
Und als ob aus ihrem innern auch der Gestank des Kübels käme.
Sag, wie schwindelst du dir die Gnadenwürdigkeit dieses alle deine Sinne abstossenden Geschöpfes vor ?
Gesetzt, du rettest sie ? In welch eklig neues Elend hinein?
Dich... nur weils eine aus dem Volke ist ?... dich verpoetisieren am unpassenden Objekte ?
Volk und Volk. Das Volk in der Idee... ! Mystische Volkheit ! rein, wahr, unschuldig, aller Neigung und Pflege wert. Volk hingegen als vulgäres Einzelexemplar ...
Aus deiner Humanität geschöpfte Einbildung wollte triumphieren übers Wirkliche ?
Und Herzog hin oder her... die neuerworbne Heimat aufs Spiel setzen... Ging denn je ein Ritter den Drachen an für eine fragwürdige Prinzessin?
Flieh deine Verstiegenheiten !
Luft !
Kehrt ! Retraite !
Ober Krötenpfad... Glitschstufen...
Aha, Er ! Das Beste an Ihm, wenn Ers wissen will, sind Seine Schlüssel. Damit schenkt Er mir jetzt sofort die Freiheit !
Luft, Luft !
Ah !... Scheusslich !
Und Trommeln und Pfeifen.
Merk Ers, custos carceris ! Ganz wies drinne stinkt, stinkts draussen.
Werde mir das zu einem gefälligen Aphorismus verarbeiten.
5.
Ah ! Mein Tal schickt gute Luft in meine Stube.
Heimelige Nachmittermacht, tackende Uhr, Wehr des Ilmflusses.
Auch ein anregender Musicus noch !
Bloss... ein Geringes zu kühl hier inne...
Philipp !
Der Akt, jaja. Aber zuvor Holz... ! Mein Pyramidenöfchen, dünkt mich, schaut kümmerlich drein. Es erigiert sich so unbefriedigt.
Nein, das Votum schreib ich mir selber. Rücke mir... Die Lampensäule lässest du stehen, nur den kleinen Lichtstock aufs Pult !
Danke. Geh !
Der Akt. Mal sehen. Die elleniangen Auslassungen meiner zwei Herren Kollegen, wie begründen sie ihre Unerbittlichkeit? Egal. Stimme ihnen sowieso bei, und das bist doch Artist! schöngewunden, schöngebaut in einem Satz!
Gleich an den Anfang, Serenissimo sichtbarlich zu gefallen, das Adverbium Untertänigst placiert ...
... untertänigst
So! und dass ich mit den beiden vorliegenden gründlichen Votis völlig übereinstimme.
Und schliesslich den Spruch selber! Dass ich...
... so kann ich um so weniger zweifeln selbigen Votis in allen Stücken beizutreten, und zu erklären, dass auch nach meiner Meinung rätlicher sein möchte...
Fehlt strenggenommen ein es... Und wo ein Komma? ach hols... ! Haupt- und Gliedsatz korrekt voneinander zu trennen in einer Frage, wo das Richtschwert trennt !
... so kann ich um so weniger zweifeln selbigen Votis in allen Stücken beizutreten, und zu erklären, dass auch nach meiner Meinung rätlicher sein möchte, die Todesstrafe beizubehalten.
Somit hast du es geschrieben.
... untertänigst Todesstrafe beizubehalten.
Mhm... Hast es tatsächlich geschrieben.
Ort, Datum...Haben schon Dienstag
Weimar, den 4. November 1783
J W Goethe
Schaut dich sonderbar an. Hasts wahrhaftig geschrieben. Für alle Zeiten.
Philipp!
Nimm das, falts in den Akt hinein! Und dass ihn der Herzog in der Früh schon hat, noch eh er mit mir ins Geheime Conseil sitzen geht.
Gute Nacht, Philipp !
Danke. Entkleide mich selber. Gute Nacht !
Mhm, hasts geschrieben !
Was! Wer erfährts ? Im Geheimen Conseil: der Herzog, die zwei Votanten, Geheimrat Fritsch, Geheimrat Schnauss...
Philipp ? Verschwiegen !... Und in der Geheimen Kanzlei ? Paar Tintenlecker, verschwiegen auch die.
Und sie ? Aber sie riet mirs doch ! Wird dirs vergelten, seeleninniglich, dass du dich nicht aufs Spiel gesetzt.
Mhm, wohlgetan... Ihr Busenband macht mich lachen. Im Aufwind... deutlich !
Rechenschaft ? Wem denn ? Kapitel Ausnahmemoral ! Wem zuzubilligen, wenn nicht mir? Dein künftiges Wirken auf der Menschheit Höhn ! Staatsmann und Dichter ! Hieramts, hierorts, besonnt von ihm und ihr !
Ein grober Mensch, sagt in meinem Clavigo der weltverständige Carlos, braucht sich nichts vorzuwerfen, wenn er geringe Verhältnisse vernachlässigt, Kleinigkeiten aufopfert dem Gesamtwohl, das er selbst ja befördert.
Ach ach ach !
Mir wird sterbenstraurig.
Wie in den Nächten, als ich noch ein sehr junger Mensch war. Als ich zum Schlafengehen oft meinen Dolch befragte.
Und der ?
Funkelt wie je. Gereinigt. Entrattet.
Und wenn ich das Licht auslösche, will ich versuchen...
Komm !
... versuche ich die alte Neugier freilich nicht zu weit getrieben ! ob es mir wohl gelingen möchte und wie tief ? deine Spitze mir in die Brust...
Fritz Herrmann
Neckenmarkt
16. Jänner 1994