für jennifer nitsch
das ist die straße und das der rinnstein / der abendklamottenladen auf
dessen dachrinne / die taube mit der eingerissenen kralle das gurren
verlernt.
die leeren holzmodelle in der auslage / ein lederkragen tremoliert
abgewandten hauptes über einem knallroten korsett für hausmädchenseelen /
so bleibt es hier hängen.
noch ist es Mittag / in den spiegeln schlafen die
gedachten muster und die überfahrenen hunde
im grünen licht des laserpointers.
white linen: das verschüttete parfüm am gehweg / die wundgelebte frau
vom rock bloßgestellt / sie wird dort liegen bleiben: während ein mühlrad
das dunkel presst, dessen verzogener rahmen sie die gesichtslose löscht.
Der Aufzug… / könnte eine Gerichtssache / wenn der nicht irre /
lassen Sie's / ich glaub, die haben da /ist drin rumgesprungen /
rein vom Lärm her
alle kommen alle kommen / von Afrika / von Uruguay /
natürlich spricht da nichts / sag ich! / Du musst die
Finger waschen / die Finger waschen nach jeder Aufzugfahrt
Englischer Garten / Eingang Osterwaldstraße / bekannter Schritt / der
norddeutsche Tonfall / zwei graublaue Augen, die ich mag / schauen
dienstags ins Bücherregal / vorübergegangene Kundeninteressen
im Rücken
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Der Aufzug Münchner Freiheit / der Marienplatz / Goldbären ausm Automaten / barrierefreie Waggons.
Dazwischen Wiesen, in denen der Sommer steht / geschiente Hoffnungen / Magerkeit, die an Lügen erinnert. /
Flüchtige Türen, schwimmende Altäre, auf dem Marion ihr Daheim "blendend weißt".
In den Compartments des Augustinerkastens
breiteten sich die Täler ihres Lebens aus,
ungetrennt erstehen dort die Säulen der Welt,
hinter Scheiben blitzend und unauffindbar.
Der Bob fährt über Gmund nach Tegernsee, und,
an den Kieslagen der Zukunft vorbei,
auf das Schwarz der Ausdauer zu.
Ein Satzbild / mein Hirn / sofort wacht
Emily auf sagt: in einem Moment fange ich
zu Leben
Hans: in einem überfüllten Raum schauen
Ich schreibe: in jenem Aufzug fangen alle
beiden Geschichten an
Emily: gefallene Schuppen, oder der Schnee?
Ich weiß, dass sie aneinander vorbei sich nicht
ins Gesicht starren
Hans: Augenpaare suchen sofort eine Stelle
Kilogramm / die Zahl die angibt / wie viele
Personen der Aufzug
Emily: auf einem Stück Hals, das
Hans: noch nach Stunden nachzeichnen Geflecht aus
Falten und Poren.
die ich Hans aus dem Gedächtnis
Emily: ein Haaransatz mit etwas Schlick darin. /
Sie schnippt Fingernagelschnipsel
Hans schlägt ein Taschenbuch. / Martin Walser
Ich treibe Emilys Blick der kleinen Öffnung,
der rosaroten Serpentine / genauer gesagt: auf Hans
Ohr zu
Hans zeichnet Emily vorne ins Suhrkamp Taschenbuch /
Ehen in Philippsburg
plötzlich den Arbeitstitel im Nacken aus Laternenlicht./ am Freitag, sagt die Frau am Sandstrand, kratzt sich den
Ellenbogen (Walnusshaut)/ liegt ruhig auf der
Liegestuhlarmlehne, wie ein Briefbeschwerer./
0:00 Uhr.
Früher hat man Mitternacht gesagt, hörst mich, aufm
Berg ein paar Kühe und die Nacht weiß ausm Keller. / Zu Fuß am Kiosk diesmal. / Nicht auf Luise gefasst. / Und
jetzt gähnen Steinlöwe und Maibaum laut wie in
Kindertagen./ Und ich schau zum Bauernhof der
katholischen Akademie. / Und Luise, am Radio drehend, hört durch den Tag, vierundzwanzig Stunden, Aufprall.
///
Scheidegger: weiter hinten die Körbe vor dem Laden und die
Holztische vor dem Lokal Schloss im Tischbeinseil und respektable
Schirmmütze auf dem umrundeten Kinderkopf und der bebende Kompass auf
Antilope im nassen Zentrum der Löwe auf der Jagd. Drin im Lokal kippen
Bestecke. Über Esser und Schenkel, ein Klang der Fragezeichen setzt
spiegelt Einsicht auf Wangen, unberührt von Zeit.
einer jener Vernissage-chill-outs in München / Anfang
Juli / wo nur der Herbst schon im Anzug ist / zeitgleich mit'm
Straßenkehrer Trupp aufm Trottoir vor der In-Kneipe / die einer in
großen
Schuhen am laufen hält
heftig ist der Fischmief / Hat hier Kultcharakter / Kein Wunder: die
bildende Kunst zerfällt im Moment, sickert in die Lücke, wo sie
wartet, berührt zu werden von / Erinnerungen beim Durchgehen / Vergiss
die Erinnerung / Schnell mit der Nase ein Zeichen auf den Spiegel,
nimm das Bild mit.
Die Christine im Promillchen arbeitet montags /
Die Gäste machen sich nicht rar, sind Schreihälse und Angsthasen auch,
die gehen und kommen, stehen draußen oder türmen die Kneipe,
tanken Mut aus dem Glas / je nachdem, sagt sie, verliert sie den Spaß.
Aus dem Englischen Garten der gebückte Münzenspender? / Voll Gorbatschow-Wodka das ist gewiss mit ungewaschener Jeansjacke./
Unbekannter grimassiert unter Kopfschütteln: ich sitze hier almosenunwillig mit Hut / Du Bruder, der erste, hast mich gesehen,
beugst dich zu mir als großer Herr./ Ich bleibe ein gutes Weilchen,
dann esse ich Pommes.
BETTINA BOECK ueber sich:
Zu meiner Person: ich wurde 1967 in München geboren, wo ich Literatur
und Literarische Übersetzung studierte. Nach einem Volontariat beim
Bayerischen Rundfunk habe ich als Dramaturgin gearbeitet. Ich schreibe
Lyrik und Prosa, sowie Texte für Kinder.
Natürlich bin ich ein namenloser Kopf, sage ich. Sitze und schreibe und
sinniere. Träume, sagt Friederike Mayröcker. Und dann liest Dragon
NaturallySpeaking, liest die Seiten, die ich diktiert habe. Jemand
anderer, der diese Seiten mitgeschrieben, mitgedacht. Philipp Larkin und
so weiter. Ich bin auf der Spur, sage ich zu Ihnen, den ich als ich es
schüttelte, aus einem Buch fallen ließ. Auf was für einer Spur? On my
way home, sage ich. Immer von neuem München. Wenn ich in die
Öffentlichkeit gerate, die Stadt aufnehme, ausgehe, beschreibe, beginnt
das Spiel von Realitäts- und Wahrnehmungspartikeln durcheinander zu
wirbeln. Es ist wie mit einer Lieblingsspeise sage ich. Immer gleich und
doch jedes Mal verschieden dieses München, das ich Ihnen in zehn
Gedichten vorstellen werde.