Rezensiert von Hermann Hendrich
Solty selbst schreibt in seinem Vorwort und Danksagung "Aus den
einzelnen Schlaglichtern sollen sich Argumente herauskristallisieren,
die die zentrale These dieses Werkes untermauern, dass ein Präsident,
der als Präsident der Transformation angetreten oder wenigstens
von vielen Beobachtern für einen solchen gehalten worden ist, von
zukünftigen Historikern ... als derjenige Präsident eingeordnet werden
wird,
der, anstatt den Neoliberalismus, der die kapitalistischen
Gesellschaften der Welt in ihre größte Krise seit den 1930er Jahren
führte,
zu überwinden, ihn mit Staatshilfe restauriert und vertieft hat." (S.
12/13)
In seiner Einleitung (S. 15 bis 71) stellt Solty die Thesen auf, die er in seinen doch recht ausgedehnten folgenden Teilen durch
eine unglaublich dichte Belegsammlung erhärten wird. Der Untertitel versucht den Inhalt bereits zu beschreiben:
Die Innen-Außen-Dialektik des American Empire in der globalen Krise.
Solty ist der Meinung, dass die so genannte Obama-Doktrin im Kontext des
Scheiterns der inneren Reform des Kapitalismus und
anderen gesellschaftlichen Strömungen in der US-Gesellschaft den Versuch
darstellt, die imperiale Machtposition der USA aufrecht
zu erhalten. Den Rezensenten - einem Beobachter der amerikanischen
Gesellschaft seit 1962 - kann das kaum in Erstaunen versetzen.
Im weiteren werden die Themen des Buches, die in den Teilen I bis IV
ausführlichst und mit einer überreichen Zahl von Belegen
ausgestattet behandelt werden, ausgebreitet; da dies nach meiner Meinung
den am besten lesbaren Teil des Werkes darstellt,
werden sie aufgelistet. Unter dem übergeordneten Titel Die Politikfelder des Obama-Krisenmanagements finden wir die
Gesundheitsreform, das Konjunkturprogramm und seine Widersprüche, die die grundlegende Kritik an diesem Programm enthalten,
und die Konjunkturpolitik der Notenbank. Mit diesem Konjunktur Programm wird "...systematisch Wohlstand von unten nach oben
verteilt". (S. 41) Äußerst interessant lesen sich die Seiten Bankenrettung und Finanzreform, insbesondere "Weder von Bush
noch von Obama ist der sich hinter diesen Zahlen verbergende Konzentrationsprozess im Finanzsektor problematisiert worden,
trotz oder gerade wegen der politischen Machtfülle, die sich aus diesem ökonomischen Bedeutungszuwachs ergibt und im Grunde
das Ende der bürgerlichen Demokratie in den USA bedeutet. (S. 41/42, F des Rezensenten)
Zu dem hier erstmals auftretenden Begriff der Arbeiterklasse ist zu bemerken, dass inhaltlich gesehen dieser bis in die 50er
Jahre des 20 Jhdts. anwendbar ist, weiters bedürfte es einer eigenen Untersuchung, wie sich die ‚Arbeiterklasse' in komplexe
Schichtenbildung veränderte.
Unter dem Untertitel der Krise der Automobilindustrie lesen wir folgende (gekürzte) Zusammenfassung: "Von den 1950er Jahren
bis wenigstens zu den 1970er Jahren war die Autoindustrie zusammen mit der petrochemischen Industrie die Kernbranche des
Fordismus. .... Mehr noch als in der Konjunktur- und in der Finanzpolitik lässt sich an der Bearbeitung der Widersprüche in
der Automobilindustrie ablesen, dass Obamas Präsidentschaft nicht auf eine postneoliberalisierende Transformation, sondern
auf die Wiederherstellung und teilweise sogar Vertiefung des Neoliberalismus durch Staatshilfe hinausläuft." (S. 51) Freilich
gehört auf der diese Industrien unterstützenden Bereiche wie der Maschinenbau und insbesondere der der Herstellung von
Werkzeugmaschinen. Waren KMU's seit der Mitte des 19. Jhdts. in den USA die innovativsten Hersteller von Werkzeugmaschinen
und Robotern, samt deren Steuerungen bis in die 70er Jahre des 20. Jhds. wurden sie von der deutschen und japanischen Industrie
abgelöst, teilweise aus ähnlichen Gründen, wie der Shareholder/Value/Orientierung.
Im folgenden das sehr interessante Unterkapitel: After Green
Capitalism: Die neue Reindustrialisierungs- und exportorientierte
Wachstumsstrategie und ihre Tragfähigkeit fasst Solty die betreffenden
Umstände ausgezeichnet zusammen, mit dem Bemerken, dass
zwar die Industrieproduktion seit 2012 stark angestiegen ist, aber nur
4.000 neue Arbeitsplätze entstanden sind. Er führt dies
teilweise auf die erhöhte Automatisierung der Produktion mit Hilfe von
Industrierobotern zurück, die allerdings - siehe oben -
zum Großteil importiert werden müssen, sodass die arbeitsintensive
Herstellung der Automaten und Roboter im Ausland erfolgt.
Der Autor weist hier auch auf die großen Unterschiede der Roosevelt Zeit
in den 30er Jahren mit einer institutionellen Aufwertung
der Gewerkschaften hin, während Obama kaum je die Gewerkschaften
erwähnt.
Solty sieht im folgenden Unterkapitel auf Grund des Scheiterns der Kapitalismusreform eine Änderung der imperialen Strategie
der USA, insbesondere im Wettbewerb mit China. Abschließend fasst er kurz die wesentlichen Argumente unter ‚die gescheiterte
Systemreform im Spiegel der intellektuellen Depression' zusammen.
Der restliche Teil des Buches enthält vier ausführliche Teile, über die
es genug zu berichten gäbe, aber diese Rezension wird
nur die einzelnen Titel anführen: Aufstieg einer charismatischen
Führungsgestalt in der globalen Krise; Die sozialen Bewegungen
in der globalen Krise; Obamas Empire; Die Wiederwahl des
Krisenpräsidenten und die zweite Amtszeit im Zeichen des globalen
Austeritätszeitalters.
Festzuhalten ist, dass diese Arbeit einen außerordentlich hohen wissenschaftlichen Standard aufweist, jedoch ist die Frage der
Lesbarkeit für allgemein Interessierte offen, sind doch die unglaublich zahlreichen Fußnoten mit Volltext, die öfters eine halbe
Druckseite und mehr ausmachen und sowieso nur als Belege zu den Gedanken des Autors dienen, für das Erfassen der Beschreibungen
der gesellschaftlichen Verhältnisse in den USA und der Theorien dazu wahrscheinlich abschreckend. Dazu gibt es andere Formen,
die Belegsammelwut eines Autors in Buchform zu bringen. Kurios ist auch die Verwendung von überlangen literarischen Textauszügen
amerikanischer Schriftsteller (wenigstens im originalen Englisch), gedacht als Motto zu den einzelnen Kapiteln des Buches.
© 2014 Hermann J. Hendrich
Ingar Solty / Die USA unter Obama / Charismatische Herrschaft, soziale Bewegungen und imperiale Politik in der globalen Krise /
ISBN 978-3-86754-312-5 / Argument Verlag, Hamburg 2013 //