Besprochen von Hermann Hendrich
Zu den Beiträgen - der Rezensent darf sich nicht als Literaturwissenschaftler gerieren, er ist allerdings mit der Mehrzahl
der erwähnten Personen dieses Bandes bis heute befreundet - wird mehr oder weniger das Folgende anzumerken sein.
Über die Archive der Avantgarde referiert Klaus Kastberger unter Acte und Akten, und - abgesehen von seiner großen
Darstellungskunst - muss der Rezensent schon feststellen, dass er sorgfältig jeden Zettel in der OeNB umgedreht haben muss,
und die Gabe besitzt, den jeweils bescheidenen Informationsgehalt des einzelnen Blattes in eine Gesamtschau einzuordnen.
Mich hat die Bemerkung Der Gedanke bringt uns ins Zentrum der Überlegungen: . . ."
auf Seite 19 fasziniert, denn mein
Denken um die sogenannte Wiener Dichtergruppe seit 1959 findet da von
einem Angehörigen der nächsten Generation die Erleichterung.
Die Analysen auf dem Boden der Literaturwissenschaft von Innerhofer, Eisenhuber und Füchsl sind sicher sehr interessant,
wobei mich der Beitrag Shades of Blue. .... von Roland Innerhofer stark berührt hat.
Thomas Eder verfolgt minutiös den möglichen Einfluss des Konzeptes des Bewusstseinstromes in der Literatur auf das Schreiben von
Bayer, ich halte das für eine interessante Parallele, die sich von den Texten her kaum nachweisen lassen dürfte. Mir sind keine
Beispiele aus der gleichzeitigen österreichischen Literatur bekannt.
Gabriele Jutz, deren Beiträge und Bücher zur Geschichte des Avantgardefilms in Österreich unverzichtbar sind, befasst sich mit
ihrem Essay Der sechste sinn und die siebente Kunst. Künstlerische Strategien bei Konrad Bayer und Ferry Radax.
über die
erweiterte künstlerische Umgebung der Wiener Gruppe, eine äußerst
informative und umfassende Analyse dieser Literatur-Film Beziehung
von Bayer und Radax. Es war ihr anscheinend zeitlich nicht möglich, auf
die entsprechenden Beiträge in Vision, Utopie, Experiment; Ferry Radax
(Hrsgb. G. Vogt, O. Mörth, I. Hirt, Sonderzahl 2014) einzugehen.
Ihr Beitrag eröffnet dem aufmerksamen Leser jedoch das Fenster, oder
besser, die Fenster, zu den Zusammenhängen der Personen der
Wiener Dichtergruppe mit der sonstigen Avantgarde der Architekten,
Bildhauer, Filmemacher, Komponisten, Maler, Musiker, und auch
anderer Literaten. Da fehlt noch die umfassende Darstellung dieser
Zeit, die - auch mit diesem besprochenem Band - nur teilweise erfolgt
ist.
Laura Tezarek eröffnet uns in ihrem Beitrag eine guillotine hat die wahrnehmung erledigt
einen Ausblick auf die philosophischen
Beziehungen und Leselisten der Gruppe, ohne diese Informationen bliebt
wohl sonst Vieles unverständlich in den Arbeiten von Bayer.
Freilich schreibt Frau Steinlechner aus der Haltung der
Schriftstellerin, die auch die Situation des Rezensenten ist, und es
scheint,
das sie vieles erhellen kann, was vielleicht von der vergleichenden
literarischen Wissenschaft nicht so richtig wahrnehmbar ist.
Der Rezensent empfiehlt ihren Beitrag als Ersten zu lesen: das ist der
Zugang zu den Texten von Bayer. Aus den persönlichen Nachrichten
der folgenden Beiträge lässt sich leider nicht viel bisher Unbekanntes
erfahren, Freilich spielt da die Schlüsselposition von Gerhard Rühm
als Herausgeber der Bücher über die Wiener Dichtergruppe und Konrad
Bayer im speziellen eine große Rolle,, allerdings besticht der
Beitrag von Friedrich Achleitner durch seine Kühle und Geradlinigkeit,
die es dem Rezensenten nur zur eindeutigen Zustimmung reicht.
Der Bericht von Ingrid Wiener (Schuppan) stimmt mich schon etwas
elegisch, habe ich sie doch am Vorabend ihrer Abreise nach
Monterosso im Hawelka durch Zufall getroffen. Freilich ergibt sich aus
den anderen Beziehungen über Radax und Hundertwasser
(La Picaudiére) meine persönliche Beziehung zu den beiden, war doch
meine verstorbene Frau Lotte eben auch 1959 bei Fritz in
der Picaudiére, und ich kannte Fritz aus der Galerie nächst St. Stephan.
Oswald Wiener erinnert sich sehr genau an seine sehr frühen Begegnungen mit Bayer, der größere Teil seines Beitrages ist seiner
persönlichen Initiation in die damalige Szene der Avantgarden in Wien der 50er Jahre gewidmet, die der Rezensent um einige Jahre
verspätet so durchaus bestätigen kann. Die abschließende Gesprächsrunde vom 21. 9.2014 im kunsthaus muerz erhellt -
außer einer menschlicheren Nähe von Bayer - nichts über seine singuläre Stellung in der Literatur der 50er/60er Jahre.
Ich würde abschließend glauben, dass dieser voluminöse Band eine ganz besondere Lücke in der Rezeption der Texte von Konrad Bayer schließt, Freilich muss noch manches der Neugier offen bleiben, weil die Literaturgeschichte der zweiten Hälfte der 50er Jahre - mit Ausnahme der Beiträge von Andreas Okopenko und eindrücklicher von Gerhard Rühm- noch nicht geschrieben ist. Herausgegeben von Thomas Eder und Klaus Kastberger unter Mitarbeit von Dominik Srienc, 312 S., Paul Zsolnay Verlag Wien 2015. © 2016 Hermann J. Hendrich