Chicago Chronicle vom 5.2.1982, 12 Reader Section 1
© Harvey Nosowitz
Die meisten Filme, verstand ich nach dem Besuch von Valie Export's "Menschenfrauen", sind von Stimmen mit Köpern bevölkert. Damit soll nicht gesagt werden, dass die Gesten eine Schauspielers nicht wichtig sind, aber in den meisten Fällen wird die Information, die wir vom Körper des Schauspelers erhalten, gebraucht, um unsere Einfühlung in seine oder ihre Persönlichkeit zu stützen, und diese Persönlichkeit wird primär dadurch definiert, was er oder sie sagt. Das gilt noch mehr für das Fernsehen: denken Sie doch, wie einfach es ist, ein Fernsehprogramm nur durch den Ton zu verfolgen.
Valie Export's Personen (auf jeden Fall die Frauen) sind Körper mit Stimmen. Die Worte, die aus ihren Mündern kommen, bestätigen die physische Gegenwart ihrer Körper in der Welt des Films. Nicht durch das, was sie tun, wird uns mitgeteilt, wer sie sind.
Susanne Widl, (die auch die Hauptrolle in Export's "Unsichtbare Gegner" spielt), ist ein ausgezeichnetes Beispiel. Die Art in der sie sitzt - die Beine unbewußt auseinander gespreizt - und die Art, mit der sie geht, bestimmen sie mehr als die Worte, die sie spricht.
Eine Schlüsselszene in "Menschenfrauen" betrifft Anna, die Rolle, die Widl spielt, und eine der Freundinnen ihres Mannes, Petra. Ihr Mann hat sie beide verlassen, (wie auch Elisabeth, eine weitere Freundin), um mit einer dritten Freundin, Gertrud, davon zu laufen. Anna und Petra sind beide schwanger. Sie sitzen in einem Restaurant, reden, lachen, halten einander an den Händen und küssen einander. Die anderen Gäste beginnen ihr "unschickliches" Benehmen zu kommentieren - "Zwei schwangere Lesben küssen sich öffentlich!" - und verlassen endlich das Restaurant in Masse. Die Einstellung wird fast in einem slapstickartigen Humor durchgespielt - der verwirrte Restaurantbesitzer verschüttet ein Getränk auf Anna., und die beiden Frauen vergessen die ganze Bewegung rund um sie.
Das ist ein Film mit einer politischen Botschaft: Frauen müssen die Kontrolle über ihren eigenen Körper verlangen. Export hat gesagt, daß sie mit ihrer Arbeit beabsichtigt.........(nicht mehr lesbar) ....weiblichen Körpers, die damit verbunden sind, Positionen durch Eigentum und die traditionellen Rollen der Geschlechter müssen alle den Bedürfnissen des Individuums unterworfen werden. Träume und Rückblenden der EItern-Kindbeziehung im gesamten Ablauf des Filmes (diese werden dadurch herraus-gehoben. daß sie in schwarz/weiß gefilmt wurden) zeigen die fürchterlichen Effekte durch das Ererben der Werte und Haltungen der vorhergehenden Generationen. Export's politische Überzeugung wird durch Gefühl der organischen Beziehung zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft geprägt. Sowohl "Menschenfrauen" wie die früheren "Unsichtbare Gegner" verwenden Einstellungen, die von einem Stadtpanorama (Wien) durch ein Fenster in die Wohnung eines Einzelnen schwenken. Die Umgebung und das Individuum sind unaufIösbar verbunden; in "Menschenfrauen" werden Stehaufnahmen von Landschaften über ähnlich komponierte Aufnahmen weiblicher Körper geblendet.
Wenn die politischen Argumente von "Menschenfrauen" inbegriffen durch die Körper ihrer Darsteller ausgedrückt werden (das gilt auch von "Unsichtbare Gegner"), werden sie jedoch auch unnötigerweise in Folgen von polemischem Dialog und in übermäßig zusammengestellten erzählenden Sequenzen verdeutlicht. Es gibt ein verstörend didaktisches Element in "Menschenfrauen", das gegen das eigene Thema läuft. "Menschenfrauen" ist ein innovativer Film, aber im Vergleich mit der üppigen und unbegrenzten Experimentierfreudigkeit in "Unsichtbare Gegner" sieht er zu gut geplant, zu kontrolliert aus.
Der Film macht Männer zur Wurzel der Vereinheitlichung und Standardisierung Franz, der Ehemann , gibt der Struktur des Films die formale Einheit: er ist der Faden, der die Geschichte der Frauen zusammenhält. Manchmal verkörpert er eine Art deutscher Ordentlichkeit, wenn Anna betrunken nach Hause kommt, unfähig ist, ihre Schlüssel zu finden, und den Inhalt ihrer Handtasche auf den Boden leert, schlägt Franz pedantisch vor, daß sie sich ein System zum Organisieren ihrer Dinge zurechtlegen müsse. Seine eigene Fähigkeit zum Organisieren wird in der Anfangsszene des Films demonstriert, in der er alle seine Freundinnen nacheinander anruft, ihnen dieselben Sätze sagt, bis er Erfolg gefunden hat.
Ebenso starr ist Elisabeth's Chef, ein Schuldirektor, der die Vorschriften willkürlich zur Erreichung seiner Absicht durchdrückt, und der Beamte, der zur Pfändung von Gertrud's Wertsachen erscheint, da ihr Sohn die Alimente für sein Kind nicht bezahlt hat. Wenn sie verlangt, er solle ihr erklären, warum sie, eine alleinstehende Frau, gepfändet werden soll, um eine andere alleinstehende Frau zu unterstützen, wird ihr gesagt , daß dies eben das Systern des Wohlfahrtstaates sei.
Es ist Franz, der zum großen Problem des Filmes wird. Es scheint, daß er eine liebenswerte Person ist, aber es ist schwer zu verstehen, warum eigentlich. Er ist bis zur Grenze des Narcissmus selbstbezogen, betrügerisch und aufregend unverantwortlich. Schon der Gedanke, Vater zu werden terrorisiert sein Innenleben - er kann die Folgen seines Tuns nicht ertragen. Er ist so engstirnig und kurzsichtig, daß er sein Ende findet, als er von einem fahrenden Zug springt, um ein Stück Gepäck zu holen, das er nicht zurücklassen kann.
Er ist wie die meisten Probleme dieses Films, ein Produkt der Lehrhaftigkeit. Ironischerweise wird die politische Botschaft des Films, dass das Individuum gegen eine Gesellschaft ankämpfen muss, die zur Standardisierung und Systematisierung neigt, verraten, weil sie so systematisch gesucht wird. Die chaotische, idiosynkratische Üppigkeit der "Unsichtbare Gegner" war ein viel glücklicheres, wenn auch weniger zusammenhängendes Gefährt für diese Botschaft.
(Übersetzung: H. Hendrich)