© Franz Krahberger
Vorigen Samstag ging ich mit einer guten Freudin den Weg nach St.Marx, am Wiener Rennweg gelegen, um den
Marxer Friedhof, den letzten authentisch erhaltenen Biedermeierfriedhof der Welt, aufzusuchen. Der aufgelassene aber bestens gewartete Friedhof ist nach wie vor Ziel notorischer Romantiker und gläubiger Verehrer des Wolfgang Amadeus Mozart, der hier in einem josefinischen Massengrab bestattet worden ist.
Diesmal wählte ich einen mir und meiner Begleiterin ungewohnten Weg. Jahrelang
war ich mit der S-Bahn, zwischen Station Rennweg und Südbahnhof oder vice versa in Höhe des Rennwegs
an einem unbebauten Stück Stadtland vorbeigefahren, ohne mir Gedanken zu machen, warum es brach liegt
und warum es nicht verbaut worden ist, obwohl es innerhalb des Guertels die grösste unverbaute Fläche ist.
Die scheinbare Industriebrache zeigte sich zugänglich und so schlugen wir diese Richtung entlang der Aspangstrasse ein. Gleich zu Beginn des Weges wurden wir mit dem wahren Hintergrund der unverbauten
Fläche bekannt.
Wir fanden uns plötzlich vor einem Opferhain, dem Platz der Opfer der Deportation.
Im anschliessenden Gelände standen bis 1977 die Reste des langsam verfallenden Aspang Bahnhofes. Von hier
aus wurden zehntausende Wiener Juden und Juedinnen nach der Einverleibung Österreichs in Nazideutschland in die Vernichtungslager verfrachtet
In den Monaten zuvor habe ich etwa ein viertel Jahr im dritten Bezirk verbracht und wohnte in der
Paracelsusgasse. Während dieses Aufenthaltes fielen mir ein paar Denkwürdigkeiten auf. So fand ich
eine Tafel in der Kegelgasse, gleich neben dem Hundertwasser Haus, die davon berichtet, dass auf der damaligen
Gänseweide, die man heute Weissgerberlände nennt, am 12.März 1421 ca. 200 Juden verbrannt
worden sind.
Verantwortlich dafür waren Herzog Albrecht V und die Theologische Fakultät, die die Juden der
Zusammenarbeit mit den Hussiten beschuldigten. Eine vorgebliche Hostienschändung, angeblich in
Linz begangen, war der Aufhänger für eine in ganz Innerösterreich ausgelöste Judenverfolgung, die
letztendlich zur Vertreibung des grössten Teils der Juden aus Innerösterreich, also aus Tyrol,
Salzburg, Oberösterreich, Steiermark, Kärnten, Niederösterreich und aus der Residenzstadt
Wien führte.
Das damals neuerrichtete Gebäude der Theologischen Fakultät der Wiener Universität wurde aus
den Steinen der zerstörten Wiener Synagoge errichtet.
Auch hinter dem Namen Hetzgasse, eine Parallelgasse unweit der Kegelgasse, durfte ich schreckliches
vermuten. Tatsächlich befand sich hier das Hetztheater, in dem zu Maria Theresiens Zeiten gegen Kasse zur
Erlustigung blutgeiler Residenzstädter Tiere in mörderischen wie tötlichen Kämpfen aufeinander gehetzt worden sind.
Die Wiener Sofiensäle in der Marxergasse dienten ab dem 10.November 1938 als Sammelstelle der
zur Deportation bestimmten Wiener Juden, die dann via Aspangbahnhof in die Vernichtungslager
gefahren worden sind. So auch nach Auschwitz, dass bekanntlich nach Aussagen eines rechtsgestrickten
österreichischen, wegen Wiederbetätigung rechtskräftig verurteilten Adeligen nichts mit dem Deutschen Reich, also auch nichts mit dem einvernahmten Österreich zu tun gehabt haben soll.
Die Landstrasser hatten eine enge Beziehung zu Bürgermeister Karl Lueger, dessen Wahl allerdings mehrmals
vom Kaiser nicht akzeptiert worden ist. Lueger gewann viele Stimmen der Wiener und Wienerinnen mit
besonders betontem Antisemitismus. Die von ihm gemeinsam mit Baron Vogelsang gestaltete Interessensgruppierung, die der Gründung
der christlichsozialen Volkspartei voranging, nannte sich "Die Antisemiten". Hitler bezeichnete Lueger als den grössten deutschen
Bürgermeister aller Zeiten. Der grösste Führer aller Zeiten hat in seinen Wiener Tagen eine Menge von der
Luegerschen Politik und Propaganda gelernt, abgekupfert und in seiner reichsdeutschen Politik verwendet.
Den Platz vor dem Magistrat des 3.Bezirks nimmt ein grosser Brunnen ein, benannt nach Karl Lueger. Die Landstrasser und die WienerInnen haben den Bürgermeister besonders verehrt.
Die Gruft dieses Mannes befindet sich in der grossen Friedhofskirche zum Heiligen Karl Borromäus auf dem Wiener Zentralfriedhof. Sie wurde
auch "Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche" genannt. Um 2000 wurde eine Inititiative gestartet, den auf Höhe des Cafe Prückl am Wiener Ring gelegenen Luegerplatz
in Sigmund Freud Platz umzunennen. Naturgemäss ist diesem Begehren kein Erfolg beschieden gewesen.
Einer der politischen Weggefährten Luegers und Vogelsangs war der Prälat und Reichtagsabgeordnete Joseph Scheicher. Um 1900
veröffentlicht er die (damals noch) Utopie Aus dem Jahre 1920, in der er die Vertreibung der Juden aus Wien vorwegnimmt.
Mehr dazu im Anhang des Dokumentes.
Meine Begleiterin, Mutter zweier Söhne um die 20, fragte sich angesichts der Erinnerungstafel am Platz der Deportierten, die
uns unmissverständlich mit der bitteren, gern verdrängten Wahrheit, konfrontierte, warum ihre
Kinder in der Schule nichts davon oder zuwenig gehört haben.
Und ebenso unmissverständlich ist ihr aufgefallen, dass die AnwohnerInnen des Bahnhofes
von den Vorgängen der Deportation, die sich über Jahre hingezogen haben, Augenzeugenschaft
genommen haben mussten.
Ich zeige auf meiner Fotostrecke weitgehend Häuser, von denen ich annehmen kann, dass sie auch damals
schon gestanden haben, und es sind nicht alle, die da zu sehen sind. Ebenso darf ich annehmen, dass sie
heute nicht mehr von Augenzeugen bewohnt werden.
Kürzlich hatte ich in der Bundeswirtschaftskammer in der Wiedner Hauptstrasse zu tun. Stolz
zeigt man dort den von Figl und Raab gezeichneten Entwurf des österreichischen Staatsvertrages,
in dem der Passus über Mitschuld Österreichs am 2.Weltkrieg mit dem Einverständnis der
Sowjetunion gestrichen werden konnte.
Das ändert aber nichts an der bestürzenden wie traurigen Tatsache, dass die Hälfte der KZ-Schergen
in den Vernichtungslagern aus Österreich stammten.
Die Website des österreichischen Parlamentes http://www.parlinkom.gv.at gibt über Dr.Josef Scheicher folgende Auskunft:
Geb.: 18.02.1842, Lichtenhof (Steiermark)
Gest.: 28.05.1924, Wien
Prälat
Volksschule, Gymnasium, Priesterseminar in St. Pölten, Studium der Theologie (Promotion 1874).
Kooperator in Waidhofen an der Ybbs, Professor an der Theologischen Lehranstalt in St. Pölten 1878, Prälat und apostolischer Pronotar in Wien.
Abgeordneter zum Niederösterreichischen Landtag 1890, Reichsratsabgeordneter 1894.
Etwas mehr erfaehrt man im Biographisch Bibliographischen Kirchenlexikon Bautz http://www.bautz.de/bbkl/s/s1/scheicher_j.shtml
Bereits in Waidhofen politisch aktiv, schrieb der Lieblingsschüler des "österreichischen Görres" Sebastian Brunner (1814-1893) für diverse katholische Zeitungen und Zeitschriften und fungierte für den im Bistumsbesitz befindlichen antiliberalen "St. Pöltner Boten" (ab 1875), für die "Monatsschrift für christliche Sozialreform" (ab 1893) und das "Correspondenzblatt für den katholischen Clerus Österreichs" als Schriftleiter. Hierdurch war es Scheicher möglich, bestimmend auf die Gestaltung der christlichsozialen Partei einzuwirken und mit Unterstützung des Bischofs von St. Pölten, Matthäus Josef Binder (1872-1893), fast den gesamten jüngeren Klerus Österreichs im Sinne der Lehren Karl von Vogelsangs (1818-1890) sozialpolitisch zu beeinflussen.
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Durch seine volkstümliche Eloquenz, gewürzt mit derbem und nicht selten sarkastischem Humor, zählte S. zu den wirkungsvollsten Parlamentsrednern Österreichs in seiner Zeit. Offenheit, Scharfblick und Reformeifer machten ihn zu einem unbequemen und überaus umstrittenen Politiker, der vom niederösterreichischen Statthalter Joseph Graf Kielmannsegg sogar bei Kaiser Franz Joseph I. (1848-1916) als Aufwiegler von Volk und Klerus gegen Thron und Staat verklagt wurde.
Das grosse Verderben Antisemitismus Teil II