Ich verachte die Menschen, die sich innerlich abstumpfen, um zu vergessen, oder
die einen Drang ihres Herzens ersticken, um in Frieden zu leben. Denn du musst
wissen, daß dich jeder unlösbare Gegensatz, jeder unheilbare Streit dazu zwingt,
grösser zu werden, damit du ihn in dich aufnehmen kannst.
Antoine de Saint Exupéry in >>Citadelle<<; Die Stadt in der Wüste.
Verdeckt, verboten, zwiespältig und dunkel ist das Vergangene. Getarnt,
versteckt, mit Masken und Legenden versehen. Die Alliierten bezwingen mit
Hilfe der Sowjets die Nationalsozialisten. Nach dem Kriege machen die USA
ehemalige Nazis zu ihren Verbündeten, um mit ihrer Hilfe gegen die
Kommunisten vorzugehen. Doch dieses Bündnis darf nicht öffentlich
werden.
Damit würden die westlichen Demokratien ihre Glaubwürdigkeit
untergraben.
Das absolute Feindbild Kommunismus lag diesem Bündnis des Kalten
Krieges zugrunde. Antikommunisten galten als gute Menschen. Selbst wenn
sie in ihrer Nazivergangenheit mit dazu beigetragen haben, dass Juden ermordet
und anders Denkende in Konzentrationslagern geschunden werden konnten.
So die fatale Logik. Der Kampf wider den Antichristen billigte die
Mittel. Aus demselben Grund hat die Katholische Kirche die Nazis nicht
völlig verdammt. Auch ihr waren die antikommunistischen Feldzüge
der Nazis recht und so fiel die Verzeihung um so leichter.
Die Kirche, geübt in der Tradition des Inquisitorischen, sah zu,
wie Hitler seine Vernichtungszüge und Strategien in grossem Masstab
umsetzte. Auch in ihren Augen waren die Opfer Ketzer der Moderne,
all die atheistischen Aufklärer, die gottlosen Aufrührer
und Rebellen.
Die sowjetischen Kommunisten waren in ihrer Programmatik ebenso konsequent
wie Hitler es in seiner gewesen ist. Die Angst vor roten Umstürzen
sass in Deutschland tief, seitdem von den Räterepublikanern der Freistaat
Bayern ausgerufen worden war und es wurde befürchtet, dass die Geschichte
einen ähnlichen Verlauf nehmen würde wie in Russland. Hitlers
Wiener Antisemitismus wurde in seinen frühen Münchner Jahren
um eine starke antikommunistische Komponente ergänzt. Von der Rechten
wurde der Bolschewismus als eine jüdische Weltverschwörung angesehen.
Die sowjetischen Kommunisten sperrten jene, die nicht in ihre Vorstellung
und Konzeption passten oder sich bedingungslos ihren Vorstellungen unterwarfen
in den Gulag oder brachten sie ums Leben. Religion wurde im Atheismus als
wahnhafte Verirrung, als volksverdummendes Gift angesehen. Konsequent umgesetzter
atheistischer Materialismus hätte auch für die Kirchen im Westen
die Vernichtung bedeutet. Der dialektische Materialismus behauptete von
sich, eine objektive Wissenschaft zu sein. Die Kommunisten handelten dem
entsprechend. So wie auch die Rassentheoretiker der Nazis ihr schreckliches
Wahnbild wissenschaftlich zu untermauern versuchten, gründeten die
Kommunisten ihr Handeln auf einer scheinbar wissenschaftlichen Gesellschaftstheorie.
Der dogmatisch versierten Kirche war klar, welches Schicksal ihr bevorstand.
Sie musste sich nur an ihre eigene Geschichte erinnern. Sie musste sich
nur daran erinnern, wie sie mit Andersgläubigen, mit Ketzern und fremden
Völkern im Zeichen des Kreuzes umgegangen war.
Wie sollen wir aber diese Nachkriegsallianz wider den Kommunismus, in der neben Demokraten ehemalige Nationalsozialisten eingebunden waren, verstehen ? Ist es möglich, diesen Pakt, der mit den Ex-Nazis geschlossen wurde, historisch zu rechtfertigen, nachdem wir das Ausmass der Verbrechen, die von den Nazis angerichtet wurden, in ihrem vollen Umfang kennen ?
Nein. Diese nach dem Kriege geschaffene Konstellation ist nach wie vor
ein Skandal. Der Pakt mit den ehemaligen Nazis hat deren Verbrechen relativiert.
Die Nazis wurden reintegriert und anonymisiert. Die Erinnerung an ihre
Verbrechen gab es zwar noch, doch die war über lange Zeit hinweg nicht
von Bedeutung.
Die Nazis, die gab es nicht mehr. Die waren verboten, und so schien
es, aus der Geschichte verschwunden. Wer waren sie überhaupt, die
Nazis ? War es eine Partei, eine Volksgemeinschaft, oder nur eine Horde
von An- und Verführern ? Vor kurzem wurden im Wiener Satdt- und Landesarchiv
die Karteikarten der Wiener Gestapo gefunden. Mehr als 50 Jahre lagen sie
da im Dämmerlicht. Niemand hatte sich um den Bestand gekümmert.
Ein ebenso bemerkenswertes wie aufschlussreiches Detail wurde dabei
bekannt. 80 Prozent der Verhaftungen seitens der Gestapo erfolgten nach
Hinweisen aus der Bevölkerung. Die Gestapo wurde also meist erst auf
Initiativen der Bevölkerung tätig. Diese hohe denunziatorische
Anteilnahme seitens der Bevölkerung finden wir ebenso in Deutschland.
Das Volk wusste von schwerer Haft, Konzentrationslager und Hinrichtung,
je nach „Verfehlung“. Wer waren also die Nazis ? Offensichtlich
nicht allein die Parteigenossen. Ist es bloss eine düstere Ahnung,
anzunehmen, das Programm der Nazis haben weitgehend dem sogenannten
Volksempfinden entsprochen? Das wäre eine weitere Erklärung dafür,
dass man nach dem Kriege so einträchtig sich wieder an einen Tisch
setzen konnte. Die Geschichte eines Volkes wird wesentlich von der Mehrheit
und nicht von seinen Minderheiten bestimmt.
Wie einverstanden ist man tatsächlich mit dem Naziprogramm gewesen
? Man wird dabei nicht allein die diversen Parteien selbst untersuchen
müssen, als vielmehr die Masse der Parteigänger.
Warum gelingt es einer Partei, die Naziverbrechen verniedlicht, die
mit offener Fremdenfeindlichkeit agiert, gegen Ende des 20.Jahrhunderts
zur zweitstärksten Partei des Landes zu werden ? Die Funktionäre
dieser Partei geben allesamt vor, im Namen des Volkes zu sprechen und zu
agieren. Und das Volk honoriert sie mit Stimmen. Erst die ökonomischen
Einschränkungen und der Verlust des internationalen Ansehens bringen
den Meinungsumschwung.
Ansonsten hätte man innerhalb der Landesgrenzen gegen das nationale
Denken nicht allzuviel. Verbrechen, wie sie die Nazis begangen haben, konnten
nur durch Duldung einer grossen Mehrheit geschehen. Bevor sie diese im
grossen Masstab begingen, haben sie ihre Diktatur durch die Massen absegnen
lassen. Die Nazis haben die Massen nie im Unklaren darüber gelassen,
was sie mit der ihnen verliehenen Macht tatsächlich machen würden.
Nach dem Krieg musste das System der strikten diktatorischen Ordnung in ein System der demokratischen Ordnung umgewandelt werden. Doch alsbald erkannten die USA, dass der notorische Antikommunismus der ehemaligen Nazis und der Antikommunismus der christlichsozialen Ständestaatpolitiker ein nützliches politisches Kapital im Kalten Krieg war. Obwohl die Sowjets noch im Land standen, verschärfte sich die antibolschewistische Tonlage. Man war wieder mutig geworden und hatte in den Amerikanern einen starken Partner gewonnen.
Das alles lässt sich in den Tageszeitungen jener Tage nachlesen.
Schwierig wird es, für die Zusammenarbeit ehemaliger Nazis mit den
Alliierten, insbesonders mit Spezialisten der USA, konkrete Beweise zu
finden. Alle mir bekannten Zeithistoriker klagen über diese Notlage
in der Beweisführung. Erst im März 2001 gab der CIA 250.000 Seiten
zur Einsicht frei, die vor allem die Übernahme der Aufklärung
Ost, der Organisation Gehlen, durch die Amerikaner ab 1945 belegen.
Eine ensprechende Mitteilung findet sich in der On-Line Ausgabe der Washington
Post vom 16. März des Jahres 2001.
Gerade die Einbindung der Aufklärung Ost, mit ihren intakten konspirativen
Kontakten in die Sowjetunion legte den Grundstock zur Zusammenarbeit ehemaliger
Nazis mit amerikanischen Diensten und Politikern.
Reinhard Gehlen, der erste Chef des Bundesnachrichtendienstes der Bundesrepublik
Deutschlandn schilderte die Übernahme seines Dienstes seitens der
Amerikaner bereits in den 70er Jahren sehr detailreich, nennt allerdings
nur wenige Namen. So ist also aus der Aufklärung Ost des Deutschen
Reiches im weiteren eine verdeckte Hilfsorganisation der USA und in den
50er Jahren der bundesrepublikanische BND geworden. Höchste Priorität
hatte immer antikommunistische Aufklärung, im Inneren wie im Äusseren.
Da wurde also eine wichtige Organisation der nationalsozialistischen
Kriegsführung unter neuen Bedingungen übernommen. Eindeutige
historische Bekenntnisse dazu liegen von deutscher Seite vor.
Das offizielle Amerika hat die entsprechenden Dokumente ebenso frei
gegeben.
Diese heimliche Kollaboration mit ehemaligen Nazis zeigt aktuelle Nachwirkungen.
Neurechte Kreise, das kann man gut an der im Internet kursierenden revisionistischen
Literatur, ebenso an Publikationen aus rechtsorientierten Verlagen, wie
etwa dem Heyne Verlag, ablesen, benutzen die Kooperation der USA mit ehemaligen
Nazis als Legitimation neurechter Positionen.
Insbesondere der Zerfall der Sowjetunion brachte den Rechten Aufwind
und sie begannen ihre historischen „Mitverdienste“ einzufordern.
Der militante Antikommunismus der USA passte gut mit dem ebenso gewaltbereiten
Antikommunismus der Rechten und ehemaligen Nazis zusammen.
Dem hatte die demokratische Öffentlichkeit wenig entgegen zu setzen,
war sie doch immer bemüht, diese Aktivitäten peinlich genau zu
verdecken. Sie passten nicht ins Bild der neuen repräsentativen Demokratie.
Eine Reihe merkwürdiger Details ässt darauf schliessen,
wie sehr in Österreich dieses Beziehungsflecht von Politik, Medien,
gewendeten Nazis und alliierten Einflussagenten wirksam gewesen ist.
So konnte sich eine verdeckte Struktur entwickeln, die sich der direkten
politischen Kontrolle entzog und effektives Handeln im Hintergrund erlaubte.
Die Bevölkerung selbst sah keinen wirklichen Anlass, Gewissenserforschung
und Vergangenheitsbewältigung zu betreiben. War man sich doch im allgemeinen
bewusst, dass man sich zur Kooperation und Integration entschieden hatte.
Kurt Waldheims Wahlerfolg beruhte vor allem auf der empfindlichen Störung
dieses stillen Konsenses.
Die Nazis konnten damit rechnen, dass über ihre persönlicheVergangenheit
Stillschweigen bewahrt bleibt. Die mangelnde österreichische Aufarbeitung
der Vergangenheit erweist sich zwangsläufig als Folge eines zu Beginn
des Kalten Krieges geschlossenen politischen Geschäftes.
Erst die zu Recht nicht endenden Diskussionen um den Holocaust und
um die Zwangsarbeit haben die historischen Fakten des Nationalsozialismus
wieder in grelles Licht gesetzt und zeigen das wahre Bild, das sich eben
nicht verstecken lässt. So wie Tschernobyl auf Jahrhunderte eine von
Menschen verursachte Wunde in der Natur, ist der Holocaust eine schwärende,
nie verheilende Wunde in der Geschichte der Menschheit.
Die Ausreden und die Rücksichtsnahmen des antikommunistischen
Bündnisses sind aus zeitlichem Distanzgewinn und bedingt durch die
weltpolitischen Veränderungen des vergangenen Jahrzehnts, des Zusammenbruchs
des Sowjetkommunismus nicht mehr nötig und nicht angebracht.
Weil es diese Ausrede nicht mehr gibt, lässt sich nun das Bild
das Nationalsozialismus mit seinen schrecklichen Erscheinungen offener
zeigen. Nicht nur Haider hat den Nationalsozialismus verniedlicht. Fast
die gesamte österreichische Bevölkerung hat dieses üble
Spiel über Jahrzehnte hinweg mit gespielt. Wohl um das politische
Geschäft des Kalten Krieges wissend. Dieses Land muss nun zur Kenntnis
nehmen dieses von Siegern und Verlierern eingegangene Geschäfth
eute ohne Belang ist. Die USA haben weitgehend erreicht, was sie erreichen
wollten und ihre Helfer sind ihnen bei weitem nicht so wichtig, wie diese
selbst angenommen haben.
2001 haben die USA die CIA-Akte Kurt Waldheims freigegeben. Sie wird
keine grossen Sensationen bergen. Selbst wenn aus dem frei gegebenen Material
hervorgehen würde, dass Waldheim ein Mitarbeiter der Agency gewesen
ist, wäre dies keine besondere Überraschung. Sein erster Chef,
Aussenminister Karl Gruber, galt immer schon als Verbindungsmann der Amerikaner.
Wie hätte sich ein Minister eines militärisch besetzten Landes
dem Zugriff der geheimen Dienste der Besatzungsmacht entziehen können
? Die Verhältnisse und Beziehungen haben sich aus einer bestimmten
Konstellation in zwingender Logik entwickelt.
Hinzu kommt, dass den Österreichern die Amerikaner bei weitem
sympathischer und willkommener gewesen sind, als etwa die von vornherein
missliebigen Sowjets. Vor allem gaben die Amerikaner Geld im Rahmen des
Wiederaufbauprogramms der Marshall Hilfe. Die Sowjets versprachen nicht
einmal ungewisse Zukunft. Die Waldheim Akte enthält keinerlei Hinweise
auf eine Erpressung Kurt Waldheims weder von östlichen noch westlichen
Diensten. Es habe auch keine Zusammenarbeit mit der CIA gegeben. Die Akte
beinhaltet ebensowenig Hinweise auf Kriegsverbrechen, die man Waldheim
nachgesagt hat. Wozu also die ganze Aufregung.
Möglich, dass die CIA nicht alles Material veröffentlicht
hat. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Vorgänge, die verdeckt
gehandhabt wurden, auch weiterhin in der Geschichte verdeckt bleiben. Wir
wissen nicht, ob es weitere Materialien zu Waldheim überhaupt gibt.
Wir können also nur mutmassen. Oder sagen: Da war nichts.
Warum entfernen sie Waldheim nicht von der Watchlist. War da etwas
anderes und wollen sie bloss nicht zugeben, mit Leuten wie Waldheim zusammengearbeitet
zu haben.
Die Nazis planten von sich aus die Auslöschung der Erinnerung
an ihre Verbrechen. Die Asche der Opfer sollte in alle Winde zerstreut
werden.
Am Ende steht jener denkwürdige Satz von Waldheim: Ich habe
von nichts gewusst. Diesen Satz teilt er mit vielen Österreichern
und Deutschen.
Jenen Österreichern, denen der nationalsozialistische Hintergrund
der antikommunistischen Allianz aus antifaschistischer Haltung heraus zuwider
war, die eher dem Osten sich zuneigten, blieb es nicht erspart, vom Kommunismus
bitter enttäuscht zu werden.
Der Kommunismus geriet nicht nur zum Terrorregime. Er war es von Anbeginn
an. Diese bittere Desillusionierung war die Voraussetzung weiterer amerikanischer
Aktivitäten. Sie finanzierten im Kalten Krieg in verdeckter Form ein
ganzes Netz von linksliberalen Intellektuellen, die den Stalinismus und
den sowjetischen Kommunismus in schärfster Weise angriffen.
Es hat insgesamt wenig demokratischen Spielraum gegeben. Alternativen
im Spiel sind kaum möglich gewesen So gesehen hat die missglückte
Bewältigung der Vergangenheit nicht bloss verlogene, sondern ebenso
tragische wie schicksalshafte, verhängnisvolle Facetten. Das muss
in der Diskussion und in der Beurteilung des Vergangenen berücksichtugt
werden.
Es hat im Österreich der 2.Republik nie einen nationalsozialistischen
Restuntergrund, abgesehen von ein paar Verrückten, gegeben. Alles
war legitimiert, soweit es sich im neu abgesteckten Rahmen bewegte und
an diese Spielregeln hat man sich auch weitgehend gehalten. Das Spiel ist
nun vorüber und die zweite Republik steht vor den Trümmern einer
zwangsläufig zerfallenden Identität. Die künstlich errichtete
Fassade der Unschuld ist zerfallen, abgebröselt. Für das Verbrechen
der alten Gespenster muss ein halbes Jahrhundert später nochmals in
barer Münze bezahlt werden.
Charakteristisch für eine der Strategien des Kalten Krieges sind
die Pürgger Dichterwochen im obersteirischen Pürgg in
den Jahren 1953 bis 1955. Ehemalige NS-Schriftsteller aus Österreich
und Deutschland, prominente Ständestaatautoren, Vertreter der Verlage,
des österreichischen Rundfunks und der Presse wurden vom steirischen
Landeshauptmann Josef Krainer mehrmals nach Pürgg eingeladen. Viele
der geladenen AutorInnen wurden nach Ende des Krieges auf den Verbotslisten
der Alliierten geführt. Zu Beginn der 50 er Jahre versuchte man offensichtlich,
sie wieder in das offizielle Kulturleben zurück zu holen.
Während Autoren und Autorinnen in Pürgg zusammensassen und keinen Weg in
die Zukunft fanden, wurden Österreichs Schüler und Schülerinnen die Rahmenbedingungen der neuen Zeit im Unterricht nahe gebracht.
So zählte der österreichische Klassiker Franz Grillparzer zur identitätsstiftenden Schulliteratur.
Jeder österreichische Schüler und Schüler musste das Loblied Ottokars
von Horneck aus König Ottokars Glück und Ende auswendig lernen. Folgende Stelle daraus ist im Unterricht besonders betont worden.
Es ist möglich, dass in Sachsen und beim Rhein
es Leute gibt, die mehr in Büchern lasen;
Allein, was not tut und was Gott gefällt,
der klare Blick, der offne, richtge Sinn,
da tritt der Österreicher hin vor jeden,
denkt sich sein Teil und lässt die anderen reden.
Sich bloss sein Teil denken und schweigen, das ist Gott gefällig und gefiel auch
dem Staat der Nachkriegsjahre, der uns dieses Verhalten nahe gelegt hat.
Während in den USA die Freiheit der Rede und die unumschränkte freie
Meinungsäusserung das höchste Gut ist, ist im Österreich der Nachkriegszeit und des
Wiederaufbaus - auch am Rhein und in Sachsen, das Schweigen vornehm wie opportun gewesen.
Das Schweigen über die Vergangenheit, das Schweigen über die damalige Gegenwart.
Das Vorrecht der freien Rede war bei den Alliierten, während die Österreicher in
gottgefälliger stummer Demut, ohnehin schon gewohnt aus Kaiserzeit, autoritärem Ständestaat
und Hitlerdiktatur, sich in die repräsentative Demokratie einzuordnen hatten.
Wählen war höchste Bürgerpflicht, aber nicht denken und mitreden, und schon gar nicht
kritisch denken und laut mitreden.
Erst in den Studentenunruhen der 60 er Jahre wurde diese Tabuisierung aus der Zeit der Reeducation und des Wiederaufbaus sowohl in Österreich wie auch in Deutschland gebrochen und ein freier, unumschränkter Diskurs begonnen, der viel Unmut und Emotionen hervor gerufen hat.
Wo bloss geschwiegen werden soll, entstehen permante Emotionen in Gesellschaft und Politik, die den von Grillparzer konstatierten klaren Blick und offnen richtigen Sinn
gar nicht erst zu lassen. Dagegen hilft nur Aufklärung und bedachtes entknoten all der
geschickt geschürzten Knoten und Doppelbindungen im staatlich wie politisch
verordneten Identitätsbau.
Ein weiteres identitätsstiftendes und eben so auswendig zu lernendes Stück deutscher
Dichtung ist Friedrichs Schillers Bürgschaft gewesen.
An Stelle des überzeugten Tyrannen lassen sich Hitlers Gefolgsleute setzen, mit denen
im Bündnis nun ein anderer Tyrann bekämpft werden sollte. Diesmal jedoch
unerbittlich. Und dieser Kampf gegen den Kommunismus beschäftigte Alliierte
und ihre neuen Bündnispartner in Österreich und Deutschland bis zum Fall der
Berliner Mauer und des Sowjetreiches. Um diese Spielregeln des Kalten Krieges
kennen zu lernen, bedarf es eines Blickes in dessen Anfänge.