Doomsday, kalter Krieg und eiskalte Publizisten

  © Franz Krahberger

Electronic Journal Literatur Primär ISSN 1026 -0293

Der Krieg wäre der Vater aller Dinge. Nach Hiroshima und Nagasaki konnte niemand mehr  diesem Leitsatz kriegerischer  Falken folgen. Der atomare Krieg koennte zur Ausloeschung aller Dinge geraten. Little Boy und Fat Man löschten nicht nur die Existenz dieser japanischen Städte und deren Bewohner aus. Ab da an eröffnete sich  eine irreversible Dimension, nach der der heisse atomare Krieg den Tod allen Lebens bedeuten konnte.
1947 verwendet das Bulletin of the Atomic Scientist erstmals auf dem Cover eine Uhr, deren Minutenzeiger kurz vor 12 steht. Zwei Jahre später wird von den Sowjets eine Atombombe gezündet. Von 1949 bis 1998 zeigt diese Uhr die Nähe des atomaren Todes an. Knapp eine Minute bildeten die kürzeste Distanz und 16 Minuten zeigte der grösste Abstand von der absoluten Katastrophe. 16 mal wurde in diesem Zeitraum die Zeiger der Uhr zurecht gerückt. Immer die Gefahren eines möglichen atomaren Angriffs signalisierend.
Weder Angreifer noch Angegriffene hätten die atomare Auseinandersetzung gewinnen können.. Sie hätte beide Lager vernichtet. Man nennt diese Uhr die Doomsday Clock, die vor dem Eintreten des jüngsten, endgültigen Gerichtes warnen soll.
So verwob sich das neu gewonnene physikalische Vernichtungspotential mit dem religiösen Mythos der letzten Tage, mit dem Ende der Menschen und dem Ende der Welt.
Ein direkter atomarer Konflikt der beiden atomaren Weltmächte USA und UdSSR hätte mit einem finalen Fiasko beider Lager geendet. Anstelle der Symbolik des Sandglases, das sowohl verrinnende Zeit wie auch die Vergänglichkeit weist, trat endgültig der Zeiger der Uhr, der niemals Mitternacht oder High Noon erreichen darf.
Militärs und Politiker mussten ihre Strategien verändern. Anstelle der Formel vom heissen Krieg trat die Strategie und Taktik des Kalten Krieges.
Das bedeutete nicht, dass der Krieg insgesamt aufgehört hätte. In den von den Zentren abgelegenen Regionen der Erde wurde weiterhin Krieg geführt, mit den klassischen Mitteln und ohne Einsatz von Atomwaffen. Diese Kriege wurden Stellvertreterkriege genannt, und beide Seiten nahmen jeweils für sich in Anspruch, Befreiungskriege zu führen.
Betroffen waren viele Gebiete im Übergang zur dritten Welt. In etwa entspricht das auch der heutigen Trennlinie von armen und reichen Staaten.

Der Kalte Krieg: ein Krieg der Ideen ?


Wie aber sollte man den Konflikt im zwei geteilten Nachkriegseuropa austragen ? Eine offene militärische Auseinandersetzung kam nicht in Frage. Man begann über die Möglichkeiten eines kalten Wettbewerbes nachzudenken, und diesen Schritt für Schritt auszuschöpfen.
Die USA versicherten sich einer Reihe von Intellektuellen, die ihre Kritik am Kommunismus, insbesondere des Stalinismus deutlich und überzeugend äusserten.

Das war zu diesem Zeitpunkt kein leichtes Projekt. Galt doch der Kapitalismus vielen Intellektuellen als zu überwindendes Übel. Die sozialen Utopien hatten trotz der brutalen stalinistischen Entwicklung, gegenüber der die europäische Intelligenz für lange Zeit blind blieb, ihre Strahlkraft bewahrt.
In den USA begann ein merkwürdiger Selektionsprozess. 1947 wurde das House of Un-American Activities Committee gegründet. Eine Reihe von Intellektuellen, Schriftstellern, Drehbuchautoren und Komponisten, sowohl US Staatsbürger wie europäische Exilanten wurden in Folge vor den von Joseph  Mc Carthy angeführten Ausschuss wider unamerikanische Umtriebe gezerrt. McCarthy nahm Hollywoodstars, Regisseure, Drehbuchautoren ebenso ins Visier wie die Exilanten Brecht und Eisler. Thomas Mann wurde bereits lange vorher ständig vom FBI beschattet. Er wurde als kommunistischer Sympathisant verdächtigt. Seine Kinder Elisabeth und Klaus Mann hatten die USA bereits aus ähnlichen Gründen Ende der vierziger Jahre verlassen.
Die Anhörungen glichen Schauprozessen und Millionen von Amerikanern verfolgten das hysterische Strafgericht in den Medien. Joseph McCarthy ruinierte eine Reihe von Existenzen. Allein die Nennung einer Person durch ihn bedeutete meist das gesellschaftliche und berufliche Aus.
Mehr als 30000 Buchtiteln wurde auf Verlangen seines Comites aus den öffentlichen amerikanischen Bibliotheken entfernt. 320 Personen wurden auf schwarze Listen gesetzt: Sie wurden in der US-Unterhaltungsindustrie bis auf weiteres nicht mehr beschäftigt. Unter ihnen Leonard Bernstein, Charlie Chaplin, Arthur Miller, Joseph Losey und Orson Welles.
In seinem 1953 veröffentlichten Stück Crucible prangerte Arthur Miller den hysterischen antikommunistischen Verfolgungswahn am Beispiel des Hexenwahns des 17. Jahrhundert, der Verfolgung der Hexen von Salem, an.

Norman Mailer sagte kürzlich in einem in Berlin gegebenen Interview
Als Senator McCarthy 1950 mit seiner Jagd auf die Kommunisten begann, da flog auch ich in Hollywood beim Filmmogul Sam Goldwyn raus. Und meine Schauspielerfreunde bekamen keine Jobs mehr. Doch diese Zeit der Verfolgung kritisch Denkender stimulierte die amerikanische Kunst gewaltig, wir hielten uns für eine Untergrundarmee. In den 60ern hatten wir, die Linksradikalen, plötzlich kulturelle Macht. Vielleicht mehr als wir verdienten.

Den Höhepunkt der Hexenjagd bildete die Hinrichtung von Julius und Ethel Rosenberg 1953. Die beiden waren vom FBI im Zusammenwirken mit McCarthys Permanent Investigations Subcommittee of the Senate Government Operations Committee, verdächtigt worden, Spionage für die Sowjets betrieben und geheime Informationen aus der jungen atomaren Rüstung der USA, aus dem Manhattan Projekt an die Russen verraten zu haben.
1951 wurden sie deswegen trotz dürftiger Beweislage von einem US-Gericht zum Tod verurteilt. Das Urteil wurde auf dem elektrischen Stuhl vollstreckt.

Mc Carthy begann sich zunehmend in militärische Angelegenheiten zu mischen. Zwei Monate lang ermittelte McCarthy 1954 gegen Angehörige der Armee. Doch da war McCarthy zu weit gegangen. Er zog sich damit nicht nur den Unmut der Army, sondern auch den Zorn von Präsident Eisenhower zu. Im Juli 1954 stellte Senator Ralph Flanders den Antrag, McCarthy die Senatsmitgliedschaft zu entziehen. Zwei Monate zuvor hatte Flanders den Anti-Kommunismus des McCarthy mit den Methoden Hitlers verglichen, insbesondere mit dessen grausamen Vorgehen gegenüber schutzlosen und entrechteten Minoritäten.
In einer Sondersitzung des Senats im November 1954  wurde diesem Antrag stattgegeben. McCarthy starb 1957, schwer von unheilbarem Alkoholismus gezeichnet.
In seinem Ausschuss waren Richard Nixon ebenso beteiligt gewesen wie Ronald Reagan. Beide wurden zu einem späteren Zeitpunkt Präsidenten der Vereinigten Staaten und gelten als prononcierte Exponenten des Neo Konservatismus, insbesonders Reagan.

Die Stunde des William S. Schlamm

Der Aufstieg und das Wirken Joseph McCarthys verhalf einem österreichischen Emigranten zu seiner weiteren amerikanischen Karriere. Bereits 1951 drängte der zum notorischen Antikommunisten gewendete österreichische US-Immigrant William S.Schlamm den jungen amerikanischen, streng konservativem Millionär Buckley zur Gründung einer ausdrücklich  konservativen und streng antikommunistischen Wochenzeitschrift. Buckley errregte 1951 Aufsehen mit einem Buch, in dem er den Lehrkörper der Universität Yale, an der er studiert hatte, der kollektivistischen und atheistischen Indoktrination bezichtigte.

1955 war es soweit. Am 19. November erschien die erste Ausgabe der National Review,  die es - wie es in einem Leitartikel hieß - als ihre Aufgabe ansah, sich quer  zur Geschichte  zu legen und lauthals »Stop« zu schreien. Das Blatt wurde rasch um Zentralorgan der konservativen Bewegung. Nicht zuletzt deshalb, weil es Buckley von Anfang an gelang, namhafte Vertreter aller drei konservativen Richtungen zur Mitarbeit zu bewegen. Zu den Redaktionsmitgliedern der ersten Jahre gehörten so verschiedene Temperamente wie Schlamm, Burnham, Willmore Kendall (Buckleys Mentor in Yale), Whittaker Chambers und Frank S. Meyer. Russell Kirk trat nicht in die Redaktion ein, sondern steuerte 25 Jahre lang eine Kolumne bei. In den Spalten des Blattes wurden während der ersten Jahrgänge oft heftige Richtungskämpfe ausgetragen.

Heute ist National Review die meistgelesene Wochenzeitschrift der USA Der Titel könnte bewusst als Konkurrenzansage zur führenden Zeitschrift des linksliberalen Amerikas The Nation gewählt worden sein.
Davor hatte Schlamm bereits für den ebenso streng antikommunistischen Freeman geschrieben. Schlamm hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einen erstaunlichen Lebensweg hinter sich.
Er war 1904 in Wien geboren worden. 1919 begegnete er in der Wiener Jungwandervogel Vereinigung dem jungen Willi Reich, dessen psychoanalytisches Werk mit seinen Theorien über die Funktionen das Orgasmus und seinen Psychogrammen des autoritären Menschentypus, insbesondere des Nationalsozialismus die rebellische 1968- er Generation wesentlich beeinflusst hat.
In seinen Erinnerungen an Reich schreibt Schlamm , wir beide suchten erst im Jungwandervogel und dann in der revolutionären Bewegung einen Weg zur Überwindung jener absurden Welt, in der dieser grauenhafte, schmutzige und sinnlose Krieg möglich geworden war. In den späten zwanziger Jahren wuchs unsere zunächst recht unpersönliche Beziehung in eine herzliche Freundschaft. Paradoxerweise war das gerade die Zeit, als ich mit dem Kommunismus brach (1929) und er in die Partei eingetreten war.

Der junge Willi Schlamm war in den zwanziger Jahren eine Zeit lang Redakteur der Roten Fahne, dem Zentralorgan der schon damals mehr oder minder politisch chancenlosen KPÖ gewesen. Schlamm galt als Ultralinker. Die Ereignisse um den Brand des Wiener Justizpalastes im Juli 1927 werden von Schlamm und seinem Kreis als Aufstand wahrgenommen, der bis zur siegreichen proletarischen Revolution, bis zur Diktatur des Proletariats voranzutreiben sei . Eine Sicht, die von dem dem damaligen Vorsitzenden der Komintern Bucharin, übernommen wurde, obwohl sie angesichts der tatsächlichen historischen Verhältnisse völlig wirklichkeitsfremd gewesen ist. Diese kleine Episode zeigt, dass Schlamm keineswegs ein kommunistischer Mitläufer gewesen, sondern eben ein aktiver Anführer sein wollte.


1928 wird Willi Schlamm wegen Rechtsabweichung von den oesterreichischenKommunisten ausgeschlossen.


1933 wird Schlamm Redakteur der wegen der Machtübernahme der Nationalsozialisten aus Berlin nach Wien übersiedelten Weltbühne. Ab 1927 war Carl von Ossietzky Herausgeber der Weltbuehne. Der engagierte Pazifist Ossietzky wurde von den Nazis 28. Februar 1933 verhaftet und im Gefängnis Berlin-Spandau interniert. Bereits am 10. Mai 1932 hatte er vorher eine Haftstrafe im Gefängnis Berlin-Tegel anzutreten. Ossietzky ist den Nazis nie mehr entkommen. Am 6. April 1933 wurde er in das Konzentrationslager Sonnenburg gebracht, danach in das KZ Esterwegen. Er wurde staendig schwerstens misshandelt und verstarb am 4.Mai 1938 in Berlin an spaeten Haftfolgen. Der Nobelpreis, der im rueckwirkend fur 1935 verliehen worden ist, half im wenig, ebensowenig wie die Interventionen aus aller Welt zu seinen Gunsten. Man verlegte ihn zwar im November 1936 in das Berliner Krankenhaus Westend, er wurde aber staendig bis zum seinem Tod von der Gestapo ueberwacht. Die internationalen Interventionen zugunsten von Carl von Osietzky wurde von Willi Brandt organisiert, der zu diesem Zeitpunkt im norwegischen Exil zubringen musste.

Die Weltbuehne konnte sich mit Schlamm nur kurz in Wien halten, da dieser aus dem österreichischen Ständestaat nach Prag emigrieren musste.

In Prag gründet er die Europäischen Hefte mit, in denen er pazifistische wie sozialistische Positionen vertritt. In dieser Zeit entsteht eine vertrauliche Beziehung zu Milena Jesenska, der Freundin Franz Kafkas. Die Jesenska rät und verhilft Schlamm zur Flucht aus der von den Nazis bedrohten Tschechoslowakei.
Schlamm emigriert rechtzeitig 1938 in die USA. Die Jesenska kommt elend im Konzentrationslager Ravensbrück um.
Im ersten Jahrzehnt des amerikanischen  Exils, also in den Kriegsjahren schrieb Schlamm vor allem für Time und Life des Publishers Henry R.Luce. 1942 wird Schlamm zum Senior Editor der Zeitschrift Fortune ernannt. Das Projekt einer literarisch politischen Zeitschrift im Luce Konzern gerät jedoch nicht. Zu einer geplanten deutschen Sonderausgabe von Timemit dem Projekt-Titel Umlaut lädt Willhelm Schlamm seinen Freund Friedrich Torberg nach New York ein. Das Projekt kommt jedoch über eine Nullnummer nie hinaus.

Eine via Net zugängliche Datenbank Name Base zeigt in grafischer Darstellung die sozialen Beziehungsgeflechte von führenden Persönlichkeiten des Kalten Krieges.
Hier zeigt sich, dass Schlamm in einem eng verbundenen Personal Network Kalter Krieger agierte. So hatte er über Whittaker Chambers und James Burnham Beziehungen zum Congress for Cultural Freedom und zur New Yorker Zeitschrift
Partisan Review.
Diese Grafik weist deutlich auf Beziehungen zu Joseph McCarthy hin, und tatsächlich setzte National Review unter der Leitung von Buckley und Schlamm das Werk des abservierten McCarthy ideologisch konsequent fort. Russel Kirk, der Prophet des amerikanischen Neokonservativismus,  John Chamberlain, aber auch die militant antikommunistische John Birch Society zählen u.a. zum Beziehungskreis von William S.Schlamm.

Das merkwürdige an Schlamm ist, dass er trotz seiner radikalen Vergangenheit das uneingeschränkte Vertrauen  exponiert militanter Antikommunisten erringen konnte.
Das mag vielleicht daran liegen, dass Schlamm mit seiner Schrift  Die Diktatur der Lüge bereits 1937 öffentlich mit dem kommunistischen System abgerechnet hat.
Schlamm demaskiert die Moskauer Schauprozesse und analysiert die Psychologie der freiwilligen Geständnisse.Schlamm schwört in dieser Schrift zwar dem Sozialismus noch nicht ab, verwirft aber weitgehend die marxistische materialistische Dialektik und setzt an Stelle dessen frühe Vorstellungen, die sich auf Glaube, Liebe und Hoffnungen berufen. Schlamm argumentiert vor allem aus moralischen Positionen.
Die Theoreme des Kommunismus verwirft er völlig. Die politischen Katastrophen in Deutschland und in Österreich führt er auf das Versagen der dialektischen Theorie zurück.
In jedem Fall wendet er sich ab von der Pespektive einer Diktatur des Proletariats, wie sie ihm noch  zehn Jahre früher in Wien 1927 vorgeschwebt hat.
Schlamm zeichnet in diesem Buch deutlich seine summarische Abkehr vom Kommunismus.

Die kommunistische Vergangenheit hat Schlamm in seiner ultrakonservativen Karriere nicht geschadet. Sie bildete paradoxerweise die Voraussetzung dafür. Denn Schlamm verfügt über  umfassendes Insiderwissen kommunistischer Strategien, das nun der Rechten in ihrem Kampf für Freiheit zugute kommen soll. Vergleichbare Schicksale durchlebten Manes Sperber und Arthur Köstler. Sie waren Mitarbeiter des Medienstrategen Willi Münzenberg  gewesen und lösten sich mit ihm zur Zeit der stalinistischen Schauprozesse aus der kommunistischen Partei.
Auch der Herausgeber des Monats Melvin Lasky hatte eine Trotzki Biografie veröffentlicht, die allerdings bis in die späten 40 er Jahre in den USA nicht verkauft werden durfte, weil sich die USA nicht den Missmut von Stalin zuziehen wollten.

Man kann also sagen, dass der ideologische Kalte Krieg, der Krieg der Ideen wesentlich von Überläufern mit bestimmt wurde, die sich aus tiefer Enttäuschung vom realen Kommunismus abgewandt hatten.
Die spätere ultrakonservative Haltung Schlamms ist jedoch etwas Besonderes. Schlamm ist seinem Wesen nach moralischer Radikalist. Er verabscheut die Politik der Mitte ausdrücklich. Er prägt das Wort vom Morast der Mitte. Schlamm will eindeutige Verhältnisse. Nachdem er seine linken Positionen längst verlassen hat , gibt es also nur mehr eine Position. Die äussere Rechte...

Schlamms Aufmerksamkeit gilt nicht nur dem orthodoxen Sowjetkommunismus, argwöhnisch wird auch das linksliberale Amerika ins Visier genommen. Doch zu Ende der fünfziger Jahre zeigte es sich, dass er in den USA keine weiteren Karrieresprünge mehr erwarten konnte.Sämtliche seiner Projekte deutschsprachiger Ausgaben von TIME waren gescheitert. 1959 entschliesst sich Schlamm die USA zu verlassen. Er verkauft sein Landgut in Vermont und zieht nach Europa.
Von der Schweiz aus versucht er, ein deutschsprachiges Journal zu gründen.
Frank Tichy zitiert aus einem Brief Schlamms an Torberg:
Wir sind antitotalitär, antikommunistisch und antifaschistisch. Wir sind Verfechter eines abendländischen, geeinigten Europas, das den Nationalstaat nicht einfach (und unorganisch) verneint, sondern in eine höhere föderalistische Organisationsform des Westens einfügt. Wir sind endlich Anhänger der hellenistisch-judäisch christlichen Konzept von der menschlichen Person, ihrer Bestimmung und ihrer Beziehung zu Gott.

Dieses christlich juedisch hellenische, also abenlaendische Weltbild sollte auch den Hintergrund einer Wochenzeitschrift Moment werden, die Schlamm fuer den Zeit-Eigentuemer Bucerius 1959 geplant hat.

MOMENT. Die Woche der Welt
Das Konzept:

Moment ist eine Nachrichtenzeitschrift. Moment berichtet getreulich die Weltgeschehnisse der Woche - aber es berichtet sie mit einem sehr eigenen Stil und einer sehr eigenen Aufgabe.

MOMENT hat keine politische Bildung, aber eine politische Verpflichtung. Wir sind (auf der elementarsten Stufe politischer Meinungsbildung) anti-totalitaer, antikommunistisch und antifaschistisch.
Wir sind auf der naechsthoeheren Stufe Verfechter eines abendlaendischen Europas, dass die Nationalstaat nicht einfach (und unorganisch) verwirft, sondern in eine hoehere foederalistische Organisationsform des Westens einfuegt.

Wir sind endlich auf der hoechsten Stufe politischer Verpflichtung glaeubige Anhaenger der hellenisch juedischen christlichen Konzeption von der menschlichen Person und ihrer Beziehung zu Gott.

Es waere sinnlos, ueber die ganz allgemeine Umschreibung unseres Standortes hinaus zu gehen.
Die Kunst des Moments wird ja gerade darin bestehen, jede Woche mit der tausendfachen Vielfaeltigkeit des beweglichen Geistes auf das Ereignis einzugehen, also (unter anderen) nicht voraussagbar sein.

Wer seines Standortes voellig sicher ist, kann ohne Furcht ueber alle Mauern steigen. Der Unsichere ist dogmatisch. Dem echt Verpflichteten steht die ganze Welt offen, der kann jedes Abenteuer, jedes neue Ereignis bestehen, ohne selbst atomisiert zu werden.

Betreffend der NATO stellt Schlamm fest:

MOMENT ist so unwiederruflich der europaeischen Zusammenarbeit verpflichtet, dass es den technischen und politischen Entwicklungen innerhalb der NATO eine regelmaessige Sparte zur Verfuegung stellt.

In Hinsicht auf die deutsche Politik stellt Schlamm zwei Gruendsaetze auf:< br>

1) Die BRD ist kein Provisorium, sondern das souveraene Deutschland.

2) Jede Form von kommunistischer Unterwanderung wird bekaempft.

Aus dem Moment-Projekt mit Bucerius ist nichts geworden. Erst in den 70 er Jahren wird Schlamm in der CSU des Franz Josef Strauss und in Otto Habsburg Foerderer finden. Wahrscheinlich fand er deren Zustimmung in Folge der 68-er Ereignisse und des Wechsels zur Brandt Administration der SPD, der von den Konservativen als moeglicher historischer Verlust von Macht und Einfluss angesehen worden ist. So sieht dies zumindest Konstantin von Bayern in seinem politischen Vermaechtnis Zukunft sichern.

Da brauchte man einen Haudegen wie den Ex-Kommunisten und Konvertiten Schlamm, um die Koepfe wieder nach rechts zu richten.

Was Torberg mit Schlamm politisch verbindet, laesst sich anhand eines Briefes von Torberg an Schlamm aus dem Jahr 1973 dokumentieren.

Er berichtet von einer dreiwoechigen Vortragsreise durch die USA und von zwei weiteren Vortraegen in Paris.

Gewoehnlich begann ich mit der mit der Vorlesung meines in der Wiener „Weltbuehne“ (in den 30 Jahren als Exilausgabe in Wien herausgegeben) erschienenen Aufsatzes „Redepflicht“ und leitete ein mit den Worten. „Sie sehen, meine Damen und Herren. ich war schon damals ein Kalter Krieger und bin es bis heute geblieben.“
Zu einer Reihe antikommunistischer Postscripta ueber selbstverstaendliches habe ich die Weltbuehne als die „von Willi Schlamm“ geleitete praesentiert.

Im selben Brief bittet Torberg Schlamm, dessen Einladung an ihn, an der neu gegruendeten Zeitschrift ZEITBUEHNE mitzuarbeiten, zurueck zu ziehen. Nicht Ablehnung, sondern Bitte um Ruecknahme der Einladung.
Das habe nichts mit seiner Gesinnung oder gar Freundschaft zu Schlamm zu tun. Es waere eine Frage der Taktik und der Strategie, die Torberg jedoch nicht naeher ausfuehrt.
Kurz und gut, der eher zu den oesterreichischen Sozialisten, insbesondere zu Bruno Kreisky tendierende Torberg lehnt die Mitarbeit in einem von der christlich sozialen bayrischen CSU unterstuetzten Blatt ab.
So weit ist die kalte Kriegskameradschaft dann doch nicht gegangen. Schlamm hat in Folge alles unternommen, die Geschicke ohne Hilfe von Torberg wieder nach rechts zu drehen.


William F.Buckley konzidierte Schlamm in einem 1992 erschienenen Interview, in dem Buckley die christlichen moralischen Intentionen der National Review hervorhob, dass Schlamm zwar jüdisch, aber doch pro-god eingestellt gewesen sei.
Die meisten der Autoren des National Review hatten einen christlichen (katholischen) Hintergrund.Der deutsche Verleger Axel Springer verpflichtet William S. Schlamm in den 60 er Jahren als Kommentator für Die Welt und für andere Tätigkeiten in seinem strikt antikommunistischen Presseimperium.
Schlamm veröffentlich in den 60 er Jahren eine Reihe von Büchern zur Situation. 1959 wird sein Buch Die Grenzen des Wunders, Deutschland und die Ost West Krise binnen drei Monaten mehr als hunderttausendmal verkauft. So konnte er sich seiner Wirkungen in Deutschland gewiss sein.
1959 schrieb er in Springers Welt:
Die Entscheidung einer Regierung, Kriege als 'undenkbar' zu erklären, schließt die Entscheidung ein, auf jegliche Außenpolitik zu verzichten ... Aber der Westen, wenn er am Leben bleiben will, muß glaubhaft entschlossen Krieg zu führen, ... eine militärische Rüstung gegen den kommunistischen Expansionsdrang hat nur dann einen Sinn, wenn sie auf einem Konzept der Offensive basiert ...

Schlamm exponiert sich als agressiver Falke und schreckt nicht davor zurück, in der Auseinandersetzung auch den heissen, atomaren Krieg für eine der möglichen Optionen zu halten. Schlamm passt bestens in das Deutschland er beginnenden 60 er Jahre. William S. Schlamms Kommentare in Springers Welt unterstützen die Wiederaufrüstung. Schlamm selbst hat mittelbar beste Kontakte zum Kanzleramtsbüro Adenauers, die entweder direkt oder über Klaus Dohrn laufen. Friedrich Torberg, Klaus Dohrn und William S. Schlamm versuchen gemeinsam sowohl in Deutschland und in Österreich Einfluss auf Politik und Medien auf höchster Ebene auszuüben. Und man schenkt ihnen Gehör.
Selbstverständlich erhält Schlamm den im Rahmen der rechts positionierten Deutschlandstiftung verliehenen Adenauerpreis neben anderen kalten Publizisten...

1968 schreibt Schlamm in der Springerpresse, dass die linken Medien einer verschandelten Jugend grinsend den Hof machten. Diese verschandelte Jugend berief sich sowohl in ihrer antiautoritären Absicht wie in ihren Strategien der sexuellen Befreiung auf den Jugendfreund Schlamms, auf Willi Reich.
Und im ersten Heft seiner Gründung Zeitbühne 1972 sieht er schwarz.
Wer aber die deutsche Anpassungsfähigkeit an jede Dummheit kennt, zweifelt nicht daran, dass, um des Jahr 2000 herum, die deutschen Universitäten weitaus mehr zur Umweltverschmutzung beigetragen haben werden als die ganze chemische Industrie.

Der kalte Krieger im Kampf der Meinungen, Ideologien und Ideen hat nun endlich sein eigenes Journal, das er von Salzburg aus, in dem er heimisch geworden ist, redigiert. Er gibt es gemeinsam mit Otto Habsburg heraus, dessen Pöckinger Adresse auf dem Briefpapier der Zeitbühne mit angegeben ist. Schlamm und der verhinderte Thronfolger begründen eine Schule des Neo- Konservatvismus.

Es ist ein weiter Weg gewesen, vom revolutionären Chefredakteur der Roten Fahne, über Qssietzkys Weltbühne, über das Time Magazine und die National Review, über Springers Welt bis zu seinem monarchischen Partner der letzen Jahre, dem er in einem offenen Brief schreibt:
Als wir beide Kinder waren, hatten Geschichte und Schicksal Sie dazu bestimmt, mein Kaiser zu werden. In meinem langen und bewegten Leben, das mich jahrzehntelang mit der sogenannten Prominenz unserer Zeit in Berührung brachte, habe ich keinen Staatsmann, keinen Politiker, keinen Denker von Ihrer Menschlichkeit, Ihrem Pflichtbewußtsein, Ihrer unerschütterlichen Glaubensfähigkeit kennengelern. Heute hat Europa in Ihnen den einzigen Staatsmann, dem es vertrauen kann.

Aus dem ultraradikalen Revolutionär der zwanziger Jahre ist ein ultrakonservativer Monarchist geworden. Es dürfte kein Zufall gewesen, dass die  Gründung der ebenso konservativen Hochschulbewegung YES in die Jahre der Zusammenarbeit mit Otto Habsburg gefallen ist. Denn eines hat der William S.Schlamm immer gewusst und gekonnt:
Wie man  Ideen effizient unter die Leute bringt. Doch angesichts der ungeheuer widersprüchlichen Bandbreite der weltanschaulichen Positionen, historisch verleichbar mit dem Entwicklungsweg des Joseph Fouche, muss man die Frage stellen:
Wie kann einer so irren ... Wie kommt einer von den Idealen der Gleichheit zur Position eines wesentlichen Wegbereiters des Neokonservatismus, der heute deutlich und unübersehbar dem Prinzip der Ungleichheit fröhnt, indem seine Verfechter die Behauptung aufstellen: Die Gleichheit wäre der Feind der Freiheit...
Schlamms persönlicher Lebensweg und seine Publikationsgeschichte spiegelt in seiner Widersprüchlichkeit die Zerrissenheit und die Kontroversen des 20. Jahrhunderts im internationalen Masstab. Es ist aber auch ein zutiefst österreichisches Schicksal. Aus dem Wien der letzten Tage der Menschheit des Karl Kraus gerät er in den revolutionären Aufbruch einer charismatischen Ideologie, der sich grosse Teile der europäischen aber auch globalen Intelligenz zugeneigt haben.
Die realen Gegebenheiten und Auswirkungen in der Umsetzung der Ideologie bringen ihn zur völligen Abwendung. In der neuen Welt, deren libertäre Strahlung nicht aus dem Neokonservatismus, sondern auf hedonistischen und pragmatischen Vorstellungen beruht, kehrt er zurück zum Wertkonservatismus, der ihn letztendlich wieder zum mitteleuropäischen Monarchisten werden lässt.
Während sich in den Letzten Tage der Menschheit der Untergang einer Gesellschaftsordnung und der damit verbundenen Weltanschauung spiegelt, rückt in der zweiten Phase seines Lebens das Ende der Menschheit bedrohlich nahe.
Schlamm spielt da sogar in seiner öffentlichen Polemik mit dem Feuer des atomaren Krieges. Auf diese und andere Bedrohungen hat der Neokonservativismus bis heute keine brauchbaren und annehmbaren Antwort gefunden. Der Rekurs auf Freiheit und Menschenrechte erweist sich als rhetorische Verbrämung einer restaurativen Absicht, die historisch an der ihr immanenten Ungerechtigkeit von sich aus gescheitert ist. Es wäre zu kurz gegriffen, Schlamm allein nur als einen machivellistischen Machtmenschen, der zu einer scheinbar gottgewollten Ordnung zurückkehren wollte, anzusehen. Sein Leben zeigt eine bestimmte schicksalhafte Tragik, die aber auch seine intellektuellen und gesellschaftlichen Gegner in Anspruch nehmen dürfen.
 









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