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Österreichische Identität

© Franz Krahberger

Electronic Journal Literatur Primär ISSN 1026 -0293

Als grösstes hemmendes Moment der Aufarbeitung des Vergangenen stellt sich paradoxerweise die offiziell über Jahrzehnte hinweg gepflogene österreichische Identität heraus. Der fatal wirksame Kern der Identität der 2.Republik ist weniger der antifaschistische demokratische Gründungskonsens als vielmehr der Opfermythos und das Stillschweigen über die Nazi-Vergangenheit, beziehungsweise die Verleugnung der Mitverantwortung. Mittels des Opfermythos wird die Gemeinsamkeit mit der katastrophalen deutschen Geschichte ausgeblendet. Österreich wäre ein Opfer der Nazis gewesen, Österreicher hätten nur unter Zwang in Hitlers Armee gedient. 560000 wären aus reinem Opportunismus in Hitlers NSDAP eingetreten und am Heldenplatz hätte man 1938 anlässlich des Anschlusses bloss gejubelt, weil man nicht anders konnte. Die österreichische Identitätskonstruktion, die wesentlich das Geschichtsbild der Österreicher bestimmt, beginnt in den 50er Jahren, wird bestimmt durch die Bedingungen des Kalten Krieges, in dem Antikommunismus wichtiger gewesen ist, als Aufarbeitung der Vergangenheit. Israel Singer sagt, dass dieses Land ein Land ohne Geschichtsbewusstsein ist und es nie entnazifiziert worden wäre.

Das stimmt so nicht. Nach 1945 gab es eine Reihe von Naziprozessen unter Aufsicht der Alliierten, ebenso wurden Wiederbetätigungen unter Anklage gestellt. Es wurde nach schwer Belasteten und minder Belasteten unterschieden. Urteile wurden vollzogen und vollstreckt. Parteimitgliedern der NSDAP wurde über lange Zeit das aktive und passive Wahlrecht verwehrt. Doch mit Beginn des Kalten Krieges wurden all diese Massnahmen ausgesetzt und aufgehoben. Die Ehemaligen wurden weitgehend in die demokratische Parteienlandschaft integriert. Die Gräben wurden zugeschüttet und der wahre Konsens war bestimmt durch das Verschweigen der Vergangenheit, gebunden an das Bekenntnis zur repräsentativen Demokratie. Das unterband bis auf weiteres alle aufhellenden Konsequenzen und bestimmte das österreichische Geschichtsbewusstsein bis in die Gegenwart.

Die geschichtliche Betrachtung war je nach Parteizugehörigkeit durchaus unterschiedlich. Das lässt sich leicht an zwei Publikationen zu österreichischer Nachkriegs- und Besatzungszeit zeigen, die jeweils 1956 erschienen. Die eine,  „Österreich - Land im Aufstieg“, erschienen im sozialdemokratischen Europaverlag, zeigt ein umfassendes Bild österreichischer Wirklichkeit der Nachkriegszeit und des Wiederaufbaus, mit all der Not, den Problemen, aber auch den Erfolgen. Berichtet wird über die Wiederkehr sowohl von Emigranten wie auch Kriegsgefangenen, gezeigt wird  das Wiedererwachen der Kultur, die Präsenz der Alliierten und die weltpolitischen Zusammenhänge. Die wesentlichen Ereignisse und Personen werden in Jahrestafeln von 1945 -1995 zusammengefasst. Über den Massenmord an den Juden wird ebenso berichtet wie über die Existenz der Konzentrationslager. Von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft distanziert man sich deutlich.

Ein völlig anderes Bild vermittelt die ebenso 1956 in der ÖVP dominierten Steiermark erschienene Festschrift „Steiermark- Land Leute Leistung“. Hier wird eine historisierende Darstellung einerseits und die der zeitgemässen Leistungsschau im weiteren gewählt. Nichts findet man über die Greuel des Faschismus. Josef Papesch, während der NS-Zeit Landesschulreferent, darf über die steirische Dichtung der neueren Zeit berichten.
Nichts deutet auf die voran gegangene Katastrophe hin. Hans Koren bringt Beispiele aus dem steirischen Volksleben und Viktor Geramb zu Volkskunde in Lehre und Leben. Wir finden Beiträge zur Frühzeit steirischer Klöster, Wirtschaft und Kultur, über Erzherzog Johann und sein Wirken für die Steiermark und selbstverständlich viel Information über Landschaft, Geologie, Mineralien, Pflanzendecke und Tierwelt. Hinzu kommen Fremdenverkehr und Sport.
Dieses Grundmuster österreichischen Selbstverständnisses bestimmt den Darstellungsstil der Konservativen bis heute. Zur letzten Wahl sind die Politiker der jetzt regierenden Volkspartei mit Liedern aus dem österreichischen Volksleben angetreten. Volkstum und Brauchtum feiern in regelmässigen Produktionen des Österreichischen Fernsehens erneut Triumphe.

Die Volkskunde hat nach Hanns Koren die Aufgabe, das Volksleben zu erforschen und darzustellen. Das Volksleben wäre jene Form des menschlichen Daseins und Wirkens, die der individuellen Willkür des einzelnen Menschen entrückt und an die Gesetze mehr oder weniger streng geschlossener Gemeinschaften gebunden ist, die sich in gewachsener Stufenfolge zur grossen Gemeinschaft Volk zusammenfügen. Die Volksgemeinschaft war ebenso ein entscheidendes Propagandabild der Nazis. Zu diesen Gemeinschaften zähle die Familie, die Hausgemeinde, die Verwandtschaft, Altersgenossenschaften, Nachbarschaft und Berufsstand (ein durchaus ständestaatliches Gesellschaftsbild). Zur Volkskultur gehören nach Hanns Koren Sitte, Recht und Brauch, Tracht, Volkslied und Volkstanz, Märchen, Sage und Legende, Arbeitsweise und Gerät, Volksnahrung, Siedlungsformen und Hausbau des Volkes.

Mit der Übernahme des Artikels „Volkskunde in Lehre und Leben“ von Viktor Geramb in die 1956 erschienene Festschrift der Steiermark ist den Herausgebern ein bezeichnendes Missgeschick unterlaufen. Da steht nämlich klar und deutlich: Ebenso ist die Volkskunde im Deutschen Reich in vielen Lehrerbildungsanstalten Prüfungsfach. Sowohl Autor wie auch Herausgeber haben diese Unzeitigkeit übersehen. Geramb führt im weiteren als Rechtfertigung wissenschaftlicher Pflege der Volkskunde den steirischen Landespatron Erzherzog Johann an, der eine Reihe von Wissenschaftlern nach Graz berufen hatte, um die steirischen Besonderheiten zu erforschen und zu archivieren, unter anderem im von ihm geschaffenen Johanneum, dem steirischen Landesmuseum. Während man Erzherzog Johann noch eine fortschrittliche und aufgeklärte Absicht zuordnen kann, das Leben der einfachen Menschen ernst genommen und ebenso zum Gegenstand öffentlicher Wahrnehmung gemacht zu haben, gerät die Volkskunde zunehmend zur bewahrenden, festhaltenden und fortschrittsfeindlichen Kraft, die auch von den Nazis sinnstiftend genutzt wurde. Ist doch im Volksleben, in der streng geschlossenen Gemeinschaft, wie sie von Koren gesehen wurde, auch ein mächtiges und nach wie vor wirksames Ausgrenzungspotential gegenüber dem Fremden und dem  Anderen vorhanden.

Im Heimatblatt der Salzkammergutnachrichten vom 28. Jänner 1939 finden wir einen Bericht über Salzkammergut Wochen in Berlin. mit dem Untertitel : Die Reichshauptstadt im Zeichen der Salzkammergüter - Kirtag in Österreich -
Heimisches Brauchtum im Zeichen des Winterhilfswerkes und des Fremdenverkehrs.
Die Salinenkapelle Bad Ischl intonierte zum Auftakt „Hoch vom Dachstein an“, die heute noch gültige steirische Landeshymne, in der das Steirerland noch bis zur Save reicht. Die Salzkammergut Glöcklerläufler zogen mit ihrem grossen beleuchteten sternförmigen Kopfschmuck durch Berlin, Schuhplattler liessen es ordentlich klatschen und zu den Klängen der Salinenkapelle drehten sich die Trachtenpärchen, gesäumt von heimischen Tannen.

Das österreichische Nationalbewusstsein substituierte die Episode des deutschen Nationalismus. Patriotisches Bewusstsein wird, wie in anderen Ländern auch, nach wie vor in Wahlen angesprochen. Slogans wie „Für das Land“, „Alles, was dem Land gut tut“ uns „Österreich zuerst“ zeugen davon. In der Bildung des österreichischen Nationalbewusstseins, eng verbunden dem Selbstverständnis der zweiten Republik wurde grosser Wert darauf gelegt, alle nationalsozialistischen und deutschnationalen Vergangenheitsreste (scheinbar) auszuklammern. Damit kam man langfristig gesehen in Konflikt mit der Geschichtsschreibung, die objektiven Gründen und nicht politischen Vorstellungen und Wünschen verpflichtet ist. Das eigentlich paradoxe an der Situation ist, dass die Herausbildung der österreichischen Identität die  kritische Selbstbesinnung verhindert. Zusehr wurde sie dazu benutzt, Geschehnisse auszublenden, sich von Verstrickungen frei zu spielen. Anstelle eines Neubeginns durch Aufklärung wählte man eine Konstruktion aus dem vielfältigen Fundus der österreichischen Geschichte, die in den Ständestaat zurückreicht.

Die Alliierten fanden nach 45 nur einen geringen Anteil demokratischer Kräfte vor. Im letzten Kriegsjahr entwickelte sich zwar vereinzelt aktiver Widerstand, der wesentlich als Zeugnis für die österreichische Identitätsbildung hervorgekehrt wird.
Ursprünglich wollten die Amerikaner  von der Beteiligung von Ständestaatpoltikern an der neuen Regierung Abstand nehmen, da sie dem Austrofaschismus demokratische Qualitäten absprachen. Man merkte jedoch alsbald, dass man bei solchen Vorgehen nicht genügend qualifizierte Personen haben würde, um die Verwaltung des Landes und das politische Leben auf Dauer zu gewährleisten und zu stabilisieren.
So kamen vor allem jene Ständestaatpolitiker in Spitzenämter, die sich auf die KZ Haft unter den Nazis berufen konnten. Tatsächlich hatten die ehemaligen erbitterten Bürgerkriegsgegner, Sozialisten und Bürgerliche, in der Haft zueinander gefunden und einander versichert, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Aus der KZ Haft entstand ein politischer Mythos, eine wesentliche Basis der Kommunikation zwischen dem bürgerlichen und dem sozialistischen Lager, der mithalf, die Kollaboration und Übereinstimmung vieler ÖsterreicherInnen mit den Nationalsozialisten zu überdecken.
Zu Beginn des Kalten Krieges wurden die österreichischen Nazis endgültig pardoniert. So stellt einer der führenden Köpfe des bürgerlichen Widerstands, Fritz Molden, fest, es wären die Alliierten gewesen, die schliesslich meinten, fünf Jahre ohne bürgerliche Ehrenrechte wären für die Nazi Mitläufer genug. Mit deren Wiedereinbindung begann das Vergessen.

Am Opfermythos haben politisch so unterschiedliche Personen wie etwa Otto Habsburg und der Kommunist Ernst Fischer mitgewirkt. Otto Habsburg hat eine Kriegsmitschuld Österreichs als völligen Unsinn hingestellt und Ernst Fischer hat im sowjetischen Exil an der Definition einer österreichischen Nation gearbeitet. Unbestritten ist, dass die Nationalsozialisten das österreichische Staatsgefüge ausser Kraft gesetzt und Österreichs eigenständige Existenz vernichtet haben. Doch ebenso wahr ist, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich zum grossdeutschen Reich bekannte und Österreicher in die Kriegshandlungen der Nazis mit eingebunden waren. Nicht nur, überproportional viele Österreicher waren an den rassistischen Verbrechen der Nazis beteiligt. Die Sozialdemokraten haben auf Grund der katastrophalen Entwicklung nach dem Krieg jede Nähe zu Deutschland gemieden, obwohl noch bis zum Anschluss führende Köpfe der österreichischen Sozialdemokratie für eine grossdeutsche Lösung eintraten. Unter anderen auch Karl Renner, der erste Kanzler der zweiten Republik. Die ständestaatlichen Klerikalen und ihre vaterländische Front waren zwar erbitterte Gegner der Nazis, doch war dies auch ein Wettstreit, wer den besseren Faschismus, das bessere autoritäre Regime zuwege brächte.
Der Versuch Österreichs, sich aus der gemeinsam zu verantwortenden deutsch-nationalen Katastrophe hinwegzustehlen, ist kläglich gescheitert. Dies stellen sowohl die internationale Erregung über Waldheim wie auch die Reaktionen auf den Erfolg Jörg Haiders eindringlich unter Beweis.
Tatsächlich sind die jüngst vereinbarten Wiedergutmachungen gegenüber Zwangsarbeitern, ebenso wie Rückstellungen von Raubgütern und die Anerkennung jüdischer Bürger ein klares abschliessendes Schuldbekenntnis, dem man über Jahrzehnte hinweg entgehen wollte.

Nicht nur konnten die Nazis in Österreich mit einer überzeugten Gefolgschaft rechnen, nicht nur waren Österreicher überproportional an wichtigen Kommandostellen des Reiches und auch an entscheidenden Positionen der Rassenkriegsführung tätig. Hitler selbst hatte seine ersten politischen Lektionen im vom Antisemiten Lueger geprägten Wien gelernt. Houston Stewart  Chamberlain hat seine ebenso verhetzende wie grundlegende Schrift „Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts“ in Wien geschrieben. Chamberlain hat in diesem Werk den fatalen Gegensatz von Germanen und Juden den Weg bereitet, der dann von Hitler zu einem der Kernpunkte seiner Politik gemacht und erbarmungslos exekutiert wurde. Von 1899 bis 1942 hat dieses Werk die Deutschen und Österreicher in 28 Auflagen begleitet. Es gab sogar sogenannte Tornister Ausgaben für Wehrmachtssoldaten, zu lesen im Kampfgebiet.
Brigitte Hamann hat in ihrem Buch  „Hitlers Wien“ eindrucksvoll die Tageszeitungen und politischen Flugschriften des kaiserlichen Wiens genutzt und überzeugend die Wurzeln des sich entfaltenden deutschnationalen Rassismus herausgearbeitet. Viele deutschnationale und antisemitische Schriften wurden zwar durch kaiserlichen Erlass verboten und standen auf einem entsprechenden Index. Man war sich der Gefahr bewusst, doch der verbotene Inhalt fand auch so seinen Weg zu den Lesern und Leserinnen. Man  hat diese frühen Tendenzen  aus politischen Gründen und nicht aus humanitärer Weitsicht verboten, weil sie eben die transnationale Konstruktion der Monarchie gefährdeten. Das Verbot traf ebenso tschechische wie auch italienische national orientierte Literatur. Am aktiven Austausch unter den unterschiedlichen Völkern waren die Habsburger wenig interessiert. Auch dies ist eine der Lügen aus den Requisitenkammern der österreichischen Identität, dass der habsburgische Vielvölkerstaat ein fortschrittliches Modell im Zusammenleben unterschiedlicher Ethnien und Völker gewesen wäre. Es war maximal ein fortschrittliches Modell supranationaler Machtausübung und Verwaltung durch eine Dynastie, die sich jedoch der unterschiedlichen Stände und Völker nicht mehr sicher sein konnte. Eine Entwicklung, die mitbestimmend für die erste grosse Katastrophe des ersten Weltkrieges gewesen ist.

In der Entwicklung der zweiten Republik konnte die österreichische Geschichte nicht mehr ungeteilt wahr genommen werden. Ein Zustand, der eigentlich bereits mit dem Zusammenbruch der Donaumonarchie begann. Zurück blieb ein kleines, weitgehend deutschsprechendes Land, das anstelle des kontinentalen Einflusses nur mehr Geschichte besass. Allein den Glauben an sich selbst, wie es Leopold Figl in einer seiner ersten Ansprachen 1945 formulierte.
Man verfügte bloss über die Relikte historischer Identität, die nicht mehr realpolitisch sondern nur mehr kulturell genutzt werden konnte. Eine Identität, die ausserhalb der Landesgrenzen keinerlei Wirkung hat. Ich lege wert auf die Unterscheidung dieser historischen Identität von den Leistungen jener Österreicher, die auch im 20. Jahrhundert ihren anerkannten Beitrag für die Welt geleistet haben, und die nun als Exponenten österreichischer Identität herhalten müssen, obwohl viele von ihnen von den Nazis vertrieben wurden und meist auch nicht zurückgebeten wurden oder gar zurückgekehrt sind.

Ich schätze Freud, Canetti und viele AutorInnen die ins Exil gehen musste, aber ich vergesse dabei nie, dass sie ausser Landes gehen mussten. Wer in sich in Österreich auf sie beruft, muss auch sagen, dass sie hier nicht leben konnten.
Ebenso wenig zu vergessen ist Hitlers österreichische Herkunft.  Die politische wirksame Macht hat er sich allerdings von den Deutschen geholt. Und mit diesen Deutschen wollte man nach 1945 nichts mehr zu tun haben. Damit begann das Unternehmen österreichische Identität, das allerdings weniger nach aufklärerischen Gesichtspunkten, als nach selektiven, konstruktiven und verschleiernden Kriterien erarbeitet wurde.

Als besonders wichtige Massnahme galt die Unterscheidung zwischen österreichischer und deutscher Sprache. Zu diesem Zweck trat zu Beginn der fünfziger Jahre das Österreichische Wörterbuch anstelle der „Regeln für die deutsche Rechtschreibung nebst Wörterverzeichnis.“ und wurde mit dem Erlass des Bundesministeriums für Unterricht vom 17.Oktober 1951 für den Unterrichtsgebrauch an allen Schule verpflichtend.
Vorzugsweise wurden Ausdrücke des täglichen Lebens, vor allem solche aus den Sachgebieten Haushalt, Handwerk, Gewerbe, Wirtschaft, Technik, Spiel und Sport, Sitte und Brauchtum und aus dem ländlichen Lebens- und Arbeitskreis verwendet, so das Vorwort des Wörterbuches. Auch hier ein klares Bekenntnis zur Volkskultur.
Hans Weigel, der sich nicht geniert hat, am Pürggtreffen teilzunehmen, wurde zu einem der  herausragenden österreichischen Sprachmeister. Ich erinnere mich an eine Rundfunksendung mit dem bezeichnenden Titel: Sprachpolizei.
Man begann also mit der Form, mit der Sprech-und Schreibform und nicht mit den Inhalt. Wir wissen natürlich nicht, wieviel reichsdeutsche Sprachformeln es damals in Österreich gegeben hat, doch die wurden offensichtlich formal erfolgreich eliminiert.
Sitte und Brauchtum, das ländliche Wesen, Blasmusik und Trachtenumzüge sind beliebte Bausteine österreichischer Identität. Die wurden aber auch bereits im Ständestaat und von den Nazis gepflegt. Im Volksbrauchtum gibt es kaum entflechtbare Überschneidungen.
Man brauchte auch im kulturellen Erbe nicht allzuviel ändern. Mozart, Grillparzer, Rosegger wurden von den Nazis als grosse deutsche Geister verehrt. Den Hans Klöpfer und die Grogger und den Waggerl durfte auch nach 1945 jedes Kind bis in die 60 er Jahre hinein in den Schulbüchern kennen und auswendig lernen.
Weinheber geriet in Wien ebensowenig in Vergessenheit. Goebbels hat ihm in Wien, ebenso wie Klöpfer im Namen seines Führers die höchste Nazi-Kultur Auszeichnung verliehen.
Über die Instrumentalisierung Peter Roseggers durch die nationalsozialistische Kulturpolitik schreibt Karl Wagner:
In der NS-Zeit, in der diese Dialektik der  Gegenaufklärung propagandistisch genützt wird, produziert die Wien-Film unter der Regie von Peter Steigerwald den Kulturfilm 'Peter Roseggers Waldheimat', der 1943 anläßlich der spektakulär inszenierten Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag eingesetzt und mit den Prädikaten 'volkstümlich wertvoll' und 'volksbildend'  ausgezeichnet wird.
Karlheinz Rossbacher definiert die Heimatkunstbewegung um 1900 als eine gegenmoderne, völkisch-nationalistische, zum Teil antiklerikale´Kulturströmung, in die er Peter Rosegger einreiht. Die österreichische Provinzkunst habe in Peter Rosegger einen vielgelesenen Autor als älteren Verwandten, der um 1900 im Sinn der Heimatkunst schrieb.
Eben diese Formen einer literarischen Heimatkunst spielten im kulturpolitischen Eigenverständnis der Nationalsozialisten einen grosse Rolle und sind auch in ihrer weiteren Nutzung in der zweiten Republik nicht völlig aus dieser Funktion zu entflechten. Peter Roseggers Werke, insbesondere seine Waldbauern und Waldheimatgeschichten wurden in der Steiermark der 2.Republik geradezu identitätstiftend im Schulgebrauch und im volksbildnerischen Bereich eingesetzt.
Offene pränationalsozialistische Ansichten, Rassismus oder Völkerhass wird man jedoch in Roseggers Werk vergeblich suchen. Bedenken aus heutiger Sicht sind jedoch durchaus angebracht.
Auch lässt sich eine deklarierte profaschistische Neigung nicht erkennen. Karl Wagner stellt im Kontext etwa mit den Literaturverfilmungen des österreichischen Regiseurs Axel Corti fest, dass Roseggers Werk, trotz der posthumen Nutzung durch den Nationalsozialismus, gesellschaftskritisches Potential birgt, das auch Eingang in die neuere österreichische Literatur gefunden hat.
Eine grosse Zahl von nationalsozialistischen  Propagandawerken und die Literatur völkischer AutorInnen (ca. 30000 Titeln) wurden jedoch nach 1945 zurecht aus den öffentlichen Bibliotheken entfernt. Ihre Inhalte waren wesentlich wirksam in der nationalsozialistischen Verhetzung gewesen.

Was steht da nun unter Nationstaat in unserem Wörterbuch. Das ist ein Staat, der hauptsächlich von einer Nation (von einem Volk) bewohnt wird. Also vom einheitlichen Volk der Österreicher, das einerseits von der deutschnationalen Vergangenheit partout nichts mehr wissen wollte und sich andererseits jeder multikulturellen Perspektive verweigerte.
Der germanische Spuk wurde tatsächlich vertrieben. Doch die völkischen, die fremdenfeindlichen, die rassistischen , und die antisemitischen Elemente konnten unterschwellig in diesem Land fortleben.

Haider hatte keine allzugrossen Schwierigkeiten, von der deutschen Kulturgemeinschaft, aus deren Perspektive er die österreichische Identität noch als Missgeburt ansah, erfolgreich zur ideologischen Ausrichtung einer Österreichischen Nationalpartei zu wechseln. Der Appell an österreichische Nationalgefühle trifft eben auf überkommenes Gedankengut, das wiederum zu einer aktiven politischen Kraft werden konnte, in der nationale Ignoranz, Fremdenhass, das Jetzt erst recht den Ton angeben und in der die verdrängte Geschichte plötzlich in der Argumentation brutale und beklemmende Aktualität erfährt.

Was hat nun diese Bemühungen um die österreichische Identität ins Wanken gebracht. Was hat den Verdrängungsmechanismus gestört. Die Antwort ist einfach. Wir wissen heute mehr über die wahren Ereignisse. Es gibt eine Reihe von Büchern, Fernseh- und Filmdokumentationen, Zeitungsserien, die ein ungeschminktes und fast lückenloses Bild des Dritten Reiches bieten. Wir merken plötzlich, wieviel wir nicht gewusst haben, wieviel uns die Älteren verschwiegen haben. Wie nahtlos und funktionstüchtig die grosse Mehrheit der Österreicher in dieses System eingebunden wurde und wie wenig Widerstand in Wahrheit geleistet wurde. Wir merken plötzlich die Unbeholfenheit und offene Dummheit, mit der man zum Beispiel Wiedergutmachungsforderungen zu entgehen versuchte. Auch hier hat man sich hinter dem Bild des unschuldigen Staates versteckt, allerdings auch alliierte Unterstützung gefunden.
Der Staat kommt plötzlich darauf, dass ein Teil seiner Sammlungen aus Raubgut besteht. Die Firmen müssen eingestehen, von Zwangsarbeit profitiert zu haben und die Banken zugeben, Konten rassisch und politisch Verfolgter zu ihren eigenen Gunsten verwendet zu haben. Die spät vereinbarten Wiedergutmachungen, die nach den Worten eines sozialdemokratischen Ministers aus der Gründerzeit der 2.Republik tunlichst auf die lange Bank zu schieben sind, erfolgen nicht allein aus später Schuldeinsicht. Man fürchtet vielmehr die wirtschaftlichen Folgen, die bei erfolgreichen Klagen in den USA absehbar sind.

Die nackte brutale historische Wahrheit, die im letzten Dezennium voll ans Licht gebracht wurde, liess auch die Massnahmen der Verdrängung, der Vertuschung erkennen. Anlass ebenso grosser Empörung wie die geschichtliche Wahrheit selbst.
Diesem schmerzvollen Prozess kann sich kaum jemand entziehen, haben wir doch alle irgendwo Bekannte, die eben nicht bloss Opfer sondern auch Täter gewesen sind. Aufklärung gab es immer nur in Teilen. Man durfte den Vorhang nie völlig wegziehen. Die Verwicklung von Österreichern in nationalsozialistische Verbrechen und in den Vernichtungskrieg wurde meist klein geredet. Man brauchte die sogenannte dritte Kraft, einerseits um zu stabilisieren und andererseits um im Machtpoker zwischen zwei grossen Parteien taktieren zu können.
Den Amerikanern waren die alten Nazis gar nicht so unrecht, waren sie doch hundertprozentige Antikommunisten. Die Neuen Rechten nutzen noch immer das wirkungsvoll vorgeschobene Antikommunismus Argument in der täglichen politischen Auseinandersetzung.

In den letzten dreissig Jahren haben sich viele österreichische Intellektuelle mit den Deformierungen, die durch den Nationalsozialismus entstanden sind und den üblen Denk-Resten der Gewaltherrschaft, aber auch mit dem Widerstand des konservativen Denkens auseinandergesetzt und noch immer verbleibt das Gefühl, keinen Schritt weiter gekommen zu sein, insbesondere durch die jüngsten politischen Entwicklungen. Die einen empfinden es als Rückfall, die anderen als Beweis dafür, in Österreich wäre ja doch alles im alten verblieben. Es zeige sich eben so, wie es immer schon gewesen ist.
 


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