Mehr als fünfzig Jahre nach dem Geschehen wird durch einen nüchternen,
ökonomischen Vorgang ein historischer Sachverhalt ein für allemal
festgeschrieben. Die Republik Österreich verpflichtet sich, die Forderungen
von Zwangsarbeitern, die zur Zeit des NS-Regimes in staatlichen und
privatwirtschaftlichen Betrieben zur Zwangsarbeit angehalten wurden, nach
finanzieller Abgeltung zu erfüllen. Die Republik verpflichtet sich
ebenso dazu, alle jene Güter, die aus der Enteignung jüdischer
Mitbürger stammen und sich in ihrem Besitz befinden, ihren rechtmässigen
Eigentümern beziehungsweise deren Erben auszufolgen. Damit wird
zwar die Vergangenheit nicht bewältigt sein und es wird auch nichts
wieder gut gemacht werden können, doch gibt es ein klares Einbekenntnis
der Mitschuld Österreichs an den Naziverbrechen und deren Folgen.
Man hatte bereits zu Beginn der 50er Jahre Entschädigungszahlungen
geleistet. Doch zu diesem Zeitpunkt konnte bei weitem nicht alles berücksichtigt
werden. Da spielte wohl die ökonomische Knappheit der Wiederaufbaujahre
eine Rolle, ebenso wie die Vertuschung des wahren Schadensausmasses und
eine gewisse Rücksicht gegenüber den Ehemaligen, die man unter
den Bedingungen des herauf ziehenden Kalten Krieges als zuverlässige
Partner wieder in die demokratische Gemeinschaft einzubinden suchte. Da
allzu lange von Schuld, von Mitschuld, von Belastung zu sprechen, erschien
politisch nicht nützlich.
Damit begann man sich in der zweiten Republik einzurichten, bemühte
die These der österreichischen Opferrolle bevorzugt zur Konstruktion
der österreichischen Nachkriegsidentität und denunzierte all
jene, die an der Tatsache der Mitschuld der ÖsterreicherInnen an den
nationalsozialistischen Verbrechen festhielten, als Nestbeschmutzer oder
als Kommunisten. Den ehemaligen Nazis wars recht und alle anderen durften
behaupten, keinerlei Schuld zu haben.
Die österreichische Form der Vergangenheitsbewältigung bestand
in weitgehendem Verschweigen und Ausblenden der gemeinsamen siebenjährigen
Geschichte mit Nazi Deutschland. Das ging aber nur zum Teil, weil die gemeinsamen
Kriegsjahre nach wie vor in aller Munde waren. Die Konflikte um die Wehrmachtszugehörigkeit
reichten bis in die 80 er Jahre und bestimmten wesentlich die Spannungen
der Affäre Waldheim, die letztendlich doch in einem mühseligen
jahrelangen Prozess zu einer Klärung des tatsächlichen historischen
Sachverhaltes führte. Das Verhältnis von Mitschuld und Verpflichtung
wurde sogar in einem Ausmass zurecht gerückt, das für viele ÖsterreicherInnen
bestürzend wirken musste. Waren sie doch der Meinung gewesen, Österreich
wäre Opfer gewesen.
Umso überraschender wirkte auf mich der Versuch einer revisionistischen Bewältigung des Vergangenen, der für mich zu einem Symbol sowohl der vergangenen, wie auch der gegenwärtigen aktuellen politischen Landschaft geriet.
1998 fiel mir eine Dokumentation der Pürgger Dichterwochen
in die Hände. Der Stainacher Hans Gerhard Kandolf beschreibt
in diesem 1997 im Kammerhofmuseum Bad Aussee erschienenen Buch mit Akribie
ein seltsames Schriftstellertreffen in der ersten Hälfte der fünfziger
Jahre, das dreimal, von 1953 bis 1955 in Pürgg, einem kleinem obersteirischen
Ort am Grimming über dem Ennsboden abgehalten wurde.
Geladen hatte der politische Leiter des Ennstaler Kreises, Alfred Rainer,
Abgeordneter zum steirischen Landtag. Den Ehrenschutz hatte Josef Krainer,
steirischer Landeshauptmann, übernommen. Finanziert wurden die Veranstaltungen
aus den Mitteln des Landes Steiermark und des Bundesministeriums für
Unterricht und Kunst. Alfred Rainer sah seine politische Hauptaufgabe in
der Wiedereingliederung ehemaliger Wehrmachtsangehöriger in das zivile
Leben. Rainer hatte eine weitere Aufgabe zu erfüllen. Die Reintegration
von ehemaligen Nazi Parteigängern, denen erst zu Beginn der fünfziger
Jahre ihr aktives und passives Wahlrecht wiederum zugestanden wurde.
Literaturhistorikern waren diese merkwürdigen Schriftstellertreffen
zwar bekannt. Sie erfassten jedoch keineswegs die innere Dimension, oder
wollten diese nicht erkennen und taten sie als Treffen konservativer Autoren
ab, behandelten sie als Autoren auf Schulbuchniveau.
Mag sein, dass man die Pürggtreffen bloss aus germanistischer
Perspektive betrachtet hat. Auch im Falle Goethes haben die Literaturhistoriker
es über Jahrhunderte hinweg vermieden, ins geheime Weimarische Hofarchiv
zu schauen. Jetzt erzählt uns ein unbefangener US-Historiker über
die Alltagsgeschäfte des Geheimrates, die hin und wieder auch darin
bestanden, Todesurteile auszufertigen und im Namen seines Fürsten
zu unterzeichnen. Vor allem wird aber seine Rolle in weit gespannten Netz
der Zensur, die sich gegen die Inhalte der französischen Aufklärung
und Revolution wandte, herausgearbeitet.
NS-Autoren, die in der Wiener Ausgabe des Völkischen Beobachters
publizierten, wie Brehm, Springenschmid, das dichtende Sprachrohr
des Volkes mit Gier nach mehr Raum, Hans Grimm, Baldur Schirachs Burgtheaterdirektor
Mirko Jelusich, und ebenso des Reichsgauleiters Generalkulturreferent Hermann
Stuppäck waren da nach Pürgg am Eingang zur Alpenfestung, so
nannten die Nazis dieses alpine Gebiet, geladen. Auch der unverbesserliche
antisemitische sudetendeutsche Autor Heinrich Zillich war nach Pürgg
gekommen. An der Spitze Hans Friedrich Blunck, Chef der Reichsschrifttumskammer
bis 1935. Er wurde angeblich von Goebbels entlassen, weil er sich gegen
die Schwarzen Listen und den Arierparagraphen verwehrt hat. Zu Bluncks
Amtszeit mussten bereits viele deutsche AutorInnen Deutschland verlassen.
Andere wurden in Konzentrationslagern in Sicherheitsverwahrung gebracht.
Schreibverbote wurden erteilt und Existenzen vernichtet. Bluncks Widerstand
dürfte jedoch nicht allzu gross gewesen sein. 1936 gründete er
im Auftrag der Nationalsozialisten das Deutsche Auslandswerk und
leitete bis 1939 die unter diesem Dach zusammengefassten europäischen
Freundschaftsgesellschaften. Blunck diente offensichtlich der Nazi-Propaganda
und besucht in dieser Eigenschaft mehrmals Österreich.1936 wurde er
in den Reichskultursenat berufen. Nach Kriegsende wurde er interniert und
für vier Jahre mit Berufsverbot belegt.
Paula Grogger und ihr Freundes- und Kollegenkreis waren ebenso in Pürgg.
Eine Reihe eher bürgerlicher Autoren war zugegen. Fritz Habeck , Natalie
Beer und Gertrud Fussenegger fehlten nicht.
Ebenso geladen wurde eine Gruppe junger AutorInnen und künftiger
Kulturfunktionäre. Wolfgang Kudrnofsky, Jeannie Ebner, Wieland Schmied,
Hans Weigel, Ulrich Baumgartner, später Festwochenintendant zu Wien,
und Günter Nenning, der allerdings kritisch in der Neuen Zeit
in Graz über diesen Treff berichtete.
Aber man muss nicht bleiben, so wie
man einmal gewesen ist. Dr.Dr.Guenter Guenter Nenning, den Bruno Kreisky
voellig zu Recht einen politischen Kasperl genannt hat, schrieb 1982 in der
damals von Andreas Moelzer redigierten in Graz erscheinenden freiheitlichen Kampfschrift Die Aula
ganz prominent gleich neben Norbert Burger ueber die Deutsche Einheit. Der
Nenning ist halt doch ein echter Austro Kofferer und auch Puerggschafter geworden.
Wieland Schmied hat damals ebenso
ironische Distanz genommen, im von Rudolf Henz heraus gegebenen Wort
in der Zeit.
All die letzt Genannten haben damals in Torbergs Forum publiziert.
Torberg selbst war nicht da, doch ist anzunehmen, dass er Kenntnis davon
hatte und über die Absicht des Unternehmens Bescheid wusste. Die jungen
Wiener Autoren hat Hans Weigel bewogen, nach Pürgg zu gehen. Die Pürgger
Gesellschaft erinnert an Stücke von Thomas Bernhard, dem diese Konstellation
sicher gut bekannt gewesen ist. Naturgemäss waren da alte Nazis,
Christlichsoziale, Konservative und Sozialdemokraten an einem Tisch versammelt.
Ebenso dazu passend der Initiator der Rauriser Literaturtage und Salzburger
Landesintendant des ORF, Inspirator und Förderer des Residenzverlages,
Rudolf Bayr. Von Bayrs Veröffentlichungen im Völkischen
Beobachter wusste ich bereits seit den 70 er Jahren. Bayr ist Kulturredakteur
und stellvertretender Schriftleiter dieser Zeitung gewesen und hat bis
zum bitteren Ende durchgedient. Vor dem Ende flüchtete er nach Salzburg,
war dann in der amerikanischen Zone so halbwegs sicher und setzte sein
Schreibwerk bei den Salzburger Nachrichten fort.
Der Autor der Pürggdokumentation hat es weitgehend vermieden, die
Funktionen der Herren in Nazideutschland und die Schandtaten der NS-Autoren
zu nennen.
Der Salzburger NS-Landesschulrat Karl Springenschmid führte Österreichs
einzige öffentliche Bücherverbrennung auf einem Salzburger Platz
durch. Frau Ebner erzählte mir, wie wohl erzogen Bruno Brehm auf sie
gewirkt habe und wie zuvorkommend der alte Herr gewesen sei. Der wahre
Brehm lässt sich im Völkischen Beobachter, dessen offizieller
Untertitel Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung Gross Deutschlands
lautete, nachlesen.
Dort wird der Inhalt einer Rede wiedergegeben, die er 1941 in Weimar
bei einem anderen Dichtertreffen gehalten hat. In dieser Rede begründet
Brehm, warum die Juden vernichtet und aus Europa vertrieben werden müssten.
In Wahrheit waren die Pürgger Treffen nicht literarische, sondern
politische Inszenierungen. Die Absicht dieses Treffens wurde von den Literaturhistorikern
nicht wahrgenommen.
Den Nazis wollte man vor allem signalisieren, dass sie als Person wieder
akzeptiert wären, dass sie vom Makel des Bürgers zweiter Klasse
befreit sich fühlen konnten. Immerhin hatten einige noch grossen Einfluss.
Die Auflagenzahlen ihrer nach 1945 entstandenen Bücher ging in die
Hunderttausende, neben anderen Verlagen angeboten von der Buchgemeinschaft
Donauland.
Auch Hans Weigel ist dagewesen und sass mit Blunck an einem Tisch,
obwohl er nach den Nürnberger Prozessen das schreckliche Ausmass des
Holocausts kannte, den die Deutschen und die Österreich an den Juden
verübten. Vertreter des PEN Clubs und des österreichischen Schriftstellerverbandes
sind zugegen gewesen.
Die Volksfrontidee der Linken wurde ins Gegenteil verkehrt, mit dem
Ziel, ein antikommunistisches Abwehrbündnis zu schmieden. Das Pürgger
Modell zeigt Nachwirkungen in der österreichischen Gegenwart nachwirken.
Die Vergangenheitsbewältigung blieb auf der Strecke. Dieses Versäumnis macht uns heute noch zu schaffent. Man hatte gar nicht die Absicht, über die Vergangenheit zu reden. Das entsprach dem bereits sorgfältig gepflegten und gut gedeihenden Mythos von der Opferrolle Österreichs. Die Mittäterschaft von Österreichern im Nazi Agressions- und Vernichtungskrieg, in der Errichtung von Konzentrationslagern, in der Verfolgung von Andersdenkenden und politischen Oppositionellen und in der Vernichtung der Juden wurde peinlich verschwiegen. Das können wir jedoch bei Stand heutigen Wissens keinesfalls mehr so hinnehmen. In der Moskauer Deklaration von 1943 war diese Mitschuld Österreichs noch festgeschrieben, konnte jedoch durch viel diplomatisches Geschick von Lepold Figl kurz vor dem Abschluss aus der Staatsvertragsfassung hinaus redigiert werden.
Selbstverständlich musste es auch eine dieser Strategie der Ausblendung entsprechende Kulturpolitik geben. Pürgg war ein repräsentatives Zeichen dieses fatalen Bemühens, das einerseits nötiger innerer Stabilität dienen sollte und andererseits eindeutig gegen die roten fünften Kolonnen gerichtet war, eine Strategie, die wesentlich auf Churchill zurück geführt werden kann und vor allem unter Anleitung der USA sowohl in Österreich wie auch in Deutschland exekutiert wurde.
Alpbach war ein zweites, jedoch bedeutend klüger angelegtes Projekt. Fritz und Otto Molden gaben sich ebenso betont antikommunistisch, bedienten sich dabei aber jener Grössen, die sich vom Kommunismus aus innerer Einsicht, strukturellem Durchblick und Abscheu vor der stalinistischen Willkür abgewandt hatten. Also Arthur Koestler, Manes Sperber u.a. Die hätten sich jedoch nicht mit den Alt-Nazi-Grössen an einen Tisch gesetzt. Ebenso wenig wollten dies die ebenfalls nach Pürgg geladenen Autoren der Gruppe 47, Max Frisch, Heinrich Böll, Walter Jens und Heinrich Ledig-Rowohlt. Sie lehnten ein derartiges Ansinnen ab. Offensichtlich war es geplant, das Pürgger Konzept auf den ganzen deutschen Sprachraum auszudehnen. Die Gruppe 47 spielte jedoch nicht mit und trug ihrerseits Entscheidendes zur Aufklärung und Bewältigung deutscher Geschichte bei. Tatsächlich ist nur ein Mitglied der Gruppe 47, der Lyriker und Übersetzer Wolfgang Bächler, der Einladung nach Pürgg gefolgt.
Das Pürggische Modell sollte gravierende Auswirkungen auf die österreichische Kulturpolitik und damit auf die Arbeit österreichischer Künstler und Intellektuellen haben, und was noch wichtiger erscheint, auf die kulturelle Rezeption im Bildungsbereich. Insgesamt fällt in jene Zeit der Pürgg Treffen die Gründung der Waldheimat vor dem welthistorischen Horizont des Kalten Krieges und Waldheim ist bloss einer der vielen Bewohner.
Von Torberg muss man sagen, er habe zwar Brecht behindert, die alten
Nazi-Schriftsteller liess er jedoch ungeschoren. Er hat zwar über
Pürgg nichts berichtet, doch gewusst wird er davon haben, noch dazu
wo er längst schon wieder seine freien Tage im nahegelegenen Altaussee
verbrachte.
Bei Durchsicht des von ihm herausgegeben Forums bin ich jedoch
neben Wolfgang Kudrnofsky, Jeannie Ebner, Wieland Schmied, Hans Weigel,
Ulrich Baumgartner, neben Bruno Kreisky und Christian Broda noch auf eine
weitere bemerkenswerte Person gestossen. Taras Borodajkewicz schrieb für
Torberg in der Dezember Ausgabe 1955 des Forums über die nationale
Frage.
Dieser Mann war Ursache der Studentendemonstrationen im April 1965.
Ein Demonstrant, der Pensionist Ernst Kirchweger, ist dabei von Rechtsradikalen
zu Tode gestossen worden. Borodajkewicz galt als prononcierter, bekennender
und lehrender nationaler Rechter, der seinen Lehrstuhl zu neonazistischer
Propaganda missbrauchte. Er war in den fünfziger Jahren an der Oberweiser
Vereinbarung der ehenmaligen Nazis mit den ÖVP Politikern Julius Raab
und Alfred Maleta beteiligt. Er war einer der Verbindungsmänner der
Nationalen zum volksparteilich dominierten Ennstaler Kreis, dem
Veranstalter der Pürgger Treffen.
Im nachmaligen Bundeskanzler Alfons Gorbach und in dessen Nachfolger
Josef Klaus hatte der Ennstaler Kreis mächtige Schutzherren.
Beide hatten mit Erzbischof Andreas Rohracher von Salzburg aus das katholische
Versöhnungswerk 1947 gegründet, das strategisch die demokratische
Wiedereinbindung und Rekatholisierung der Nazis betrieb. Gorbach ist persönlich
bei den Pürgger Dichterwochen anwesend gewesen.
In seiner Eigenschaft als Salzburger Landeshauptmann enthob Josef Klaus
den österreichischen Komponisten Gottfried von Einem all seiner künstlerischen
Aufgaben und Funktionen in der Leitung der Salzburger Festspiele. Anlass
war, dass sich Einem erfolgreich für die Einbürgerung Brechts,
dieser besass ab da an einen österreichischen Pass, eingesetzt hatte.
Klaus, der eine besonders amerikafreundliche Politik forcierte, Torberg
und Weigel verhinderten vehement ein Engagement Brechts an Salzburgs Festspielen.
Brecht hatte nun zwar einen österreichischen Pass, jedoch in Österreich
mehr oder minder Berufsverbot und ging nach Ostberlin und sein Befürworter
Einem verlor seinen Job.
Das zweifach eingetragene NSDAP Mitglied Herbert von Karajan konnte
in Folge zum absoluten Star der Salzburger Festspiele werden. Eine Vorentscheidung
war bereits 1938 gefallen. Während Karajan im Berliner Top Hotel
Adlon mit der Führungsspitze der NSDAP verkehrte, bis zum bitteren
Ende zu den bevorzugten Gästen zählte, wurde Einem 1938 im Adlon
von der Gestapo verhaftet. Karajan dirigierte die Triumphkonzerte anlässlich
der militärischen Besetzungen von Prag und Paris.
Den Umgang mit Nazi-Künstlern nach 1945 bestimmten von vornherein
Vertreter der USA. 1947 wurde Furtwängler auf Betreiben von Michael
Josselson, dem einflussreichen CIA Verbindungsmann und 1950 Gründungsvorstand
des Kongresses für kulturelle Freiheit, entnazifiziert und
so die Rückkehr ans Dirigentenpult ermöglicht. So berichtet Hilde
Spiel in ihren Erinnerungen.
In der österreichischen Sozialdemokratie bestanden gegenüber
ehemaligen Nationalsozialisten ebensowenig Berührungsängste.
Dies beweist nicht allein die Person des Innen- und Heeresministers Otto
Rösch, der in den späten vierziger Jahren in einem Wiederbetätigungsprozess
mitangeklagt vor Gericht stand, sondern etwa die skandalöse Behandlung
Simon Wiesenthals durch Bruno Kreisky 1975 zugunsten des SS-Mannes Friedrich
Peter. Man ging um ihrer künftigen Wählerstimmen willen mit Nationalen
mit Samthandschuhen um, oft der eigenen Ideologie widersprechend.
Die Pürggtreffen waren auf eine möglichst grosse Akzeptanz seitens breiter Bevölkerungsschichten angelegt. Man bemühte sich um den Segen der Kirche, nahm gemeinsam an einer Messe teil und gestaltete im Benediktinerstift Admont ein Besuchs- und Leseprogramm. Der bäuerlichen Welt erwies man die Referenz mit Leseauftritten in einer landwirtschaftlichen Fachschule. Die SchriftstellerInnen besuchten die Stahlhütte Liezen und wurde dort von einem sozialistischen Gewerkschaftskomitee empfangen.
Man könnte von nationaler Versöhnung sprechen. Diese Strategie
ist jedoch nicht allein von österreichischen Politikern entwickelt
worden. Das Pürgg Konzept passt völlig in die Erfordernisse und
Absprachen des beginnenden Kalten Krieges. Man spürt deutlich das
Interesse der Siegermächte, insbesondere der USA, auch die Nazis mit
der neuen Ordnung zu versöhnen. Dieser Hintergrund lässt sich
nicht auf den ersten Blick ablesen und war auch in keiner Weise ausdrücklicher
Gegenstand des Diskurses in Pürgg.
Mich hat vor allem die Anwesenheit der fünf jüngeren AutorInnen
aus dem Umfeld des Torbergschen Forums, insbesondere die Anwesenheit
Hans Weigels auf diesen Hintergrund gebracht. Welches Interesse sollte
etwa Weigel an Blunck haben oder Torberg an Borodajkewicz. Diese Konstellation
ergibt weder literarischen noch kulturellen, noch weltanschaulichen Sinn.
Sie hat einen pragmatischen taktischen politischen Hintergrund.
Von Hans Weigel, Jeannie Ebner und Friedrich Torberg weiss man heute
mit Gewissheit, dass sie im Umfeld amerikanischer Sicherheitsdienste tätig
gewesen sind. Die Finanzierung des Forums seitens der CIA kann heute
als historisch erwiesen angesehen werden.
Die Verwicklung von Medienmachern wie Gerd Bacher und Alfons Dalma
in ebensolche Tätigkeiten werden heute offen ausgesprochen. Im Falle
Gerd Bachers liegen laut Mitteilung des Grazer Historikers Siegfried Beer
in US-Archiven gegengezeichnete Zahlungsbelege vor. Der dritte Mann in
der ORF-Seilschaft war der in Pürgg anwesende Rudolf Bayr. Alle drei
hatten eine enge Verbindung zu den Salzburger Nachrichten, für
die sie Ende der 40 er und Anfangs der 50 er Jahre schrieben. Über
Dalmas Ustascha Vergangenheit weiss man heute halbwegs genau Bescheid.
Gerd Bacher und Alfons Dalma übten grossen Einfluss auf den ORF aus.
Die Redaktionskollegin Rudolf Bayrs, Ilse Leitenberger schaffte es bis
zur stellvertretenden Chefredaktion der Presse. Die Salzburger
Nachrichten hatten wiederum ein nahes Verhältnis zum Ennstaler
Kreis.
Die CIA Kontakte wären nicht so schlimm. Es ist völlig klar,
dass die USA, die in Form der Marshallplanhilfe für den Wiederaufbau
Gelder bereit stellte, Vertrauenspersonen im Lande selbst haben wollten.
Fragt sich bloss, warum diese Kontakte so sorgfältig verschwiegen
wurden.
Der Präsident der Bundesrepublik Deutschland, Roman Herzog hat am 27.Jänner 1999 anlässlich einer Rede im deutschen Bundestag gesagt, die Bemühungen, nationalsozialistische Verbrechen aus der Geschichte auszublenden, sei eine Form intellektueller Feigheit. In Österreich war es nicht nur eine Form von Feigheit, sondern ein bewusst von oben verfügter Akt der Verdrängung, der die kulturpolitischen Vorstellungen merkbar und deutlich prägte.
So sind sind also jene wenig erfolgreichen Anstrengungen von österreichischen Künstler(inn)en, Intellektuellen und Wissenschaftern, die den Tatsachen entsprechende Wahrheit zu beschreiben, viel höher zu bewerten, als die Legion derer, die an staatlich verordneter und geförderter Camouflage und am verschämt verlogenen Bühnenbildbau österreichischer Identität erfolgreich mitgewirkt haben.
Erst die Sozialdemokratie brachte Veränderungen und schuf
im geistigen, wissenschaftlichen und künstlerischen Bereich lebenswichtige
Öffnungen. Doch alles wurde auch hier nicht gelüftet und in der
realen, die Massen betreffenden Politik blieb man im alten, eingefahrenen
Gleis, wie Entscheidungen Kreiskys beweisen.
Die Frage, ob man in diesem Kontext nicht anders gekonnt hat, lässt
sich wohl sehr schwer klären. In der Affäre Waldheim versuchte
Sinowatz aus tagespolitischem Kalkül noch einen Akt der Befreiung
von den verdrängten Fragen der Vergangenheit. Doch dies führte
zu einer innenpolitischen Eskalation, ging schief und war der eigentliche
Beginn des Aufstiegs der neuen Rechten und machte vor allem das realpolitische
Modell der Pürggesellschaft erneut sichtbar.
Erst während der Kanzlerschaft Vranitzky wagten immer mehr Politiker
deutliche Aussagen, eben bis hin zu Thomas Klestils Eingeständnis
einer brennenden Schande, in Anspielung an die vor mehr als einem
halben Jahrhundert veröffentliche päpstliche Enzyklika
Pius XI.Mit brennender Sorge.
Sollte man die jüngst wieder verkündeten Bemühungen
um die Vergangenheitsbewältigung wirklich ernst nehmen, wird man um
die Aufklärung all jener Aktivitäten der Verdrängung, die
immer mit realpolitischen Kalkül verbunden gewesen sind, nicht umhinkommen.
Pürgg war eine dieser Unternehmungen, aus dem Gestrüpp von Schuld
und Mitschuld durch gezieltes Verschweigen zu entkommen.
Der Ennstaler Kreis ist heute noch aktiv. Der katholische Kern
ist bewahrt geblieben. So referierte etwa der eher als moderat geltende
steirische Diözesanbischof Johann Weber im Oktober 2000 vor dem Ennstaler
Kreis seine Gedanken zu einer glaubwürdigen und und zukunftsfähigen
Kirche.
Aus einigen spärlichen Hinweisen lässt sich ablesen, dass
die Kontakte zur rechten Szene nicht abgerissen sind. In den 80er Jahren
war Hans Dietrich Sander zu einem Vortrag geladen. Im Internet finden sich
seine Unpolitischen Prämissen des deutschen Niedergangs, in
denen er kurz einen Konflikt zwischen sich und einem Vertreter der Konrad
Adenauer Stiftung anlässlich einer Tagung des Ennstaler Kreises
im steirischen Bad Aussee streift. Sander verwendet nach wie vor den Begriff
Umerziehung, während der nicht näher benannte Vertreter der Adenauer
Stiftung richtigerweise darauf bestand, die Deutschen wären erst nach
1945 richtig erzogen worden. Hans Dietrich Sander war übrigens Mitarbeiter
Bertolt Brechts am Schiffbauerdammm, bevor er in den 1957 in den Westen
flüchtete und sich in der BRD rechtsradikalen Kreisen anschloss. Heute
gehört Sander der Gesellschaft für freie Publizistik an.
Neben dem letzten Adjutanten von Goebbels, der heute in Argentinien lebt
und in Fernsehinterviews nach wie vor sich zur Ideologie des Nationalsozialismus
bekennt, finden wir in dieser Gesellschaft den einschlägig bekannten
Österreicher Otto Scrinzi , den Revisionisten und Holocaust Leugner
David Irving, den Herausgeber der freiheitlich orientierten politischen
Wochenschrift Zur Zeit Mölzer. Mitglied der Gesellschaft
für freie Publizistik waren u.a. der rechtslastige Hans Grimm,
der Führer der flämischen Faschisten Robert Verbelen und der
prononciert sudetendeutsche antisemitische Schriftsteller Heinrich Zillich.
Diese Gesellschaft gibt vor, für die Freiheit und Wahrheit des
Wortes zu kämpfen und vertritt sowohl nationalistische wie rassistische
Positionen. Hans Dietrich Sander kann eindeutig dem rechten radikalen Lager
zugeordnet werden. Aus seiner Präsenz im Ennstaler Kreis lässt
sich schliessen, dass die Orientierung und Funktion des Kreises der ursprünglichen
Konzeption auch in der Gegenwart noch aktuell ist.
Der Kreis ist nach wie vor abgeschottet und es dürften nur besonders
ausgewählte Personen Zutritt haben. Die Beziehungen lassen auf ein
hochkarätiges politisch-, wirtschaftliches Umfeld schliessen. In der
Öffentlichkeit des obersteirischen Ennstales ist wenig bekannt über
diesen Kreis. Es finden sich jedoch immer wieder Berichte über Veranstaltungen
des Kreises in steirischen Zeitungen, etwa der Kleinen Zeitung und
im Ennstaler.
So sah etwa der Rahmen aus, in dem die Pürgger Dichterwochen
konzipiert und durchgeführt wurden. Pürgg wäre ein sanfter
Versuch gewesen, Literatur und Politik in Nachkriegsösterreich näher
zu bringen und Verständigung im künstlerisch literarischen Bereich
in die Wege zu leiten, schreibt der Pürgger Dokumentarist Hans
Kandolf. Man wäre bemüht gewesen, Schuld abzubauen und Brücken
zu schlagen.
Da steht auf den Teilnehmerlisten als prominentester ehemaliger nationalsozialistischer
Kulturfunktionär der vormalige Präsident der Reichsschrifttumskammer
Hans Friedrich Blunck, mitschuldig an der Vertreibung und am Tod von Kolleginnen
und Kollegen in den politischen Nazi-KZs.
Niemand, der nach dem Mai 1933, an dem nachweisbar in vierzig grossen
und mittleren deutschen Städten Bücher verbrannt wurden, eine
offizielle kulturpolitische Funktion eingenommen hat, insbesondere jene
eines Vorsitzenden der Reichsschrifttumskammer, kann behaupten, an der
Vernichtung des freien Geisteslebens unbeteiligt gewesen zu sein. Blunck
sass an einer jener Stellen, an denen entschieden wurde, wer in Deutschland
nach 1933 schreiben und sich öffentlich mitteilen durfte.
In Pürgg hat sich Blunck in seiner Abschiedsrede für diese
Zusammenkunft von Dichtern und Schriftstellern, die seiner Aussage nach
im Westen Deutschlands nicht möglich gewesen wäre, bedankt und
gemeint, hier seien Menschen zusammen gekommen, die vielerlei Meinung haben
mögen, sich aber menschlich nahe und Freunde wären, ohne ihre
unterschiedlichen Ansichten aufgeben zu müssen. Einer, der zwanzig
Jahre früher mithalf, all jene Freiheiten zu vernichten, die nicht
in das Konzept des Nationalsozialismus gepasst haben, spricht da von der
Freiheit von Pürgg und nimmt Toleranz in Anspruch, die er Jahre vorher
anderen Autoren und Autorinnen verweigert hat.
Dieser Missbrauch des Freiheitsbegriffes ist charakteristisch für
die Rechte. Sie nennen sich freiheitlich, geben vor, die Freiheit gegenüber
Sozialismus und Kommunismus verteidigen zu müssen und finden keine
kritische Distanz zu den Strukturen eines totalitären Staates, in
dem jede Abweichung von der offiziell vorgegebenen Meinung mit Berufsverbot,
Gefängnis oder gar mit dem Tod bestraft wurde. 1934 wurden zum Beispiel
wider die bereits in Paris und in Amsterdam lebenden Schriftsteller 1934
Arnold Zweig und Alfred Schirokauer Steckbriefe wegen Nichtbezahlung der
Reichsfluchtsteuer erlassen. Wären sie in Deutschland geblieben, wäre
es ihnen wahrscheinlich so ergangen wie Carl von Ossietzky, der im Konzentrationslager
von den Nazis zu Tode gequält wurde.
Die Literatur der Dichter und Schriftstellerinnen Nathan Asch, Schalom Asch , Henri Barbusse, Richard Beer-Hofmann, Georg Bernhard, Günther Birkenfeld, Bertolt Brecht, Max Brod, Robert Carr, Alfred Döblin, Kasimir Edschmid, Ilja Ehrenburg, Albert Ehrenstein, Hermann Essig, Lion Feuchtwanger, Georg Fink, Friedrich Wilhelm Förster, Sigmund Freud, Rudolf Geist, Fjodor Gladkow, Ernst Glaeser, Iwan Goll, Karl Grünberg , Jaroslav Hasek, Walter Hasenclever, Werner Hegemann, Arthur Holitscher, Albert Hotopp, Heinrich Eduard Jacob: Blut und Zelluloid, Erich Kästner, Josef Kallinikow, Gina Kaus Kautsky, Alfred Kerr, Egon Erwin Kisch, Kurt Kläber, Alexandra Kollantay, Michael A. Kusmin, Peter Lampel, Jurij Libedinsky, Wladimir Lidin, Heinz Liepmann, Jack London, Emil Ludwig, Heinrich Mann, Klaus Mann, Karl Marx, Robert Neumann, Iwan Olbracht, Carl von Ossietzky, Ernst Ottwald, Kurt Pinthus, Theodor Pleivier, Erich Maria Remarque, Ludwig Renn, Iwan A. Rodionow, Ludwig Rubiner, Rahel Sanzara, Alfred Schirokauer, Arthur Schnitzler, Karl Schroeder, Anna Seghers, Upton Sinclair, Hans Sochaczewer, Michael Sostschenko, Fjodor Ssologub, Adrienne Thomas, Ernst Toller, Kurt Tucholsky, Werner Türk, Karel Vanek, Jakob Wassermann , Franz Carl Weiskopf, Arnim T. Wegner, Franz Werfel, Theodor Wolff, Arnold Zweig, Stefan Zweig ist von den Nazis öffentlich verbrannt und gebrandmarkt worden. Die AutorInnen wurden vertrieben. Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sie wäre noch um jene AutorInnen zu ergänzen, deren Bücher von Karl Springenschmid 1938 auf dem Salzburger Domplatz verbrannt worden sind.
Ihrer wurde in Pürgg nicht gedacht. Doch im Gegensatz zu den in Pürgg versammelten Autoren sind ihre Werke weder durch Verbrennen, noch durch Diffamierung der Personen und ihrer Arbeit in Vergessenheit geraten. Sowohl die verbotene Literatur wie auch die als entartet gebrandmarkte bildende Kunst haben die Zensurmassnahmen des Nationalsozialismus überlebt und viele von ihnen zählen heute wesentlich zum weltkulturellen Erbe des 20.Jahrhunderts.
Dieser Ansicht konnte und wollte man sich in Pürgg nicht anschliessen.
Jene Autoren und Autorinnen, deren Werke im Dritten Reich verboten und
verbrannt wurden, waren eben nicht Gegenstand des Diskurses. Keiner der
noch Lebenden war geladen und sie wären auch nicht gekommen.
Nichts also von Schuldabbau oder Brücken schlagen zu den wahren
Opfern, denn das kann man wohl nur gegenüber jenen, die unter dem
Terrorregime der Nazis wirklich gelitten haben, deren Leben und literarische
Existenz ernsthaft beschädigt wurde.
In Pürgg sollten andere Brücken gebaut werden, durch den Verlust des Krieges zerstörte Brücken wieder errichtet werden. Bruno Brehm war einer der ersten österreichischen Schriftsteller gewesen, die den Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland begrüssten. Seine Biographie ist für Österreich charakteristisch. Aus einer altösterreichischen Offiziersfamilie stammend, kämpft er im ersten Weltkrieg im österreichischen Heer und im zweiten Weltkrieg ist er Ordonanzoffizier der deutschen Wehrmacht. Der Literaturhistoriker Norbert Langer, der 1940 ein Werk über Die deutsche Dichtung seit dem Weltkrieg veröffentlicht hat, leitet in einem 1958 erschienenen Porträt den Stil Brehms davon ab, dass dieser schon als Kind an der Geschichte der kaiserlich königlichen Armee, an den Dienstvorschriften, Tischregeln und Exerzierordnungen einen klaren Stil erlernt habe. Langer gelingt es, in diesem Band Ingeborg Bachmann mit Brehm, Doderer, Trakl und Zillich u.a. in eine Reihe zu stellen.
Überdeutlich wird Bruno Brehm anlässlich einer Festrede zu
Weimar im Oktober 1941. Anlässlich des alljährlichen deutschen
Dichtertreffens in Weimar referierte Bruno Brehm zum Thema Unser Kampf
im Osten - Sinn und Sendung. Er warnte eindringlich vor den zersetzenden
historischen Auswirkungen der französischen Revolution, deren Ideengut
sich die russische Bevölkerung nach der Oktoberrevolution blindgläubig
hingegeben habe. Hinter allem stünde der Jude, den dürfe man
nie vergessen. Man müsse begreifen, dass der Träger dieser Ansteckung,
die Juden, zuerst einmal aus den Reihen des deutschen Volkes entfernt werden
müssten. Man müsse ebenso begreifen, dass diese Menschen künftighin
in Europa nicht mehr geduldet werden könnten. Das war die alte
Zeit des Bruno Brehm und so steht es zu lesen in der Wiener Ausgabe des
Völkischen
Beobachter vom 20.Oktober 1941.
1933 hatte man Bücher verbrannt. Acht Jahre später erklärt
der Schriftsteller Bruno Brehm alle Juden zu einer Quelle der Gefahr und
der Ansteckung und fordert deren Entfernung und Vertreibung. Kurz nachdem
Göring auf Veranlassung Hitlers im Juli dieses Jahres Heydrich mit
der Ausarbeitung eines Konzeptes zur Endlösung der europäischen
Judenfrage beauftragt hatte. Brehm befand sich also im bewussten Einklang
mit der Vernichtungspolitik des Deutschen Reiches.
Ebenso wohl dürfte sich in Pürgg Hermann Stuppäck gefühlt haben. Er war in den sieben nationalsozialistisch bestimmten Jahren Generalkulturreferent der Ostmark gewesen. Stuppäck spielte danach eine einflussreiche Rolle im Salzburger Kulturleben und brachte es bis zum Leiter der von Oskar Kokoschka ins Leben gerufenen Salzburger Sommerakademie. Stuppäck ist ein gutes Beispiel dafür, dass hohe Funktionen im nationalsozialistischen Kulturleben Karrieren in der zweiten Republik keineswegs behinderten
Für die Salzburger Nachrichten war Rudolf Bayr nach Pürgg
gekommen. Bayr war in jungen Jahren nicht nur Redakteur der Wiener Ausgabe
des Völkischen Beobachters gewesen, sondern hatte es dort bis
zum stellvertretenden Schriftleiter gebracht.
Seinem Alter entsprechend muss er sowohl begabt wie auch in der Sache
engagiert gewesen. Die von ihm im Beobachter veröffentlichten Texte
und kurzen Gedichte sind jedoch eher unverfänglich.
Allein an diesen Texten gemesssen, kann man Bayr nicht nachsagen, ein
glühender Nationalsozialist gewesen zu sein. In seiner Funktion des
Schriftleiters, wenn auch bloss der eines Stellvertreters, kann man ihn
jedoch jedoch aus einer gewissen Verantwortlichkeit für den Inhalt
der Kulturseite des Völkischen Beobachters nicht entlassen.
Da wurde täglich rassistische, antisemitische und kriegstreiberische
Polemik, Berichterstattung und propagandistische Dichtung veröffentlicht.
Dass Rudolf Bayr selbst Konsequenzen befürchtete, zeigt seine rasche
Flucht zu Ende des Krieges 1945 aus Wien ins Salzburgische. Er folgte damit
den vielen hohen NS-Funktionären, die aus der sowjetisch dominierten
Ostzone in das Salzburgische bzw. ins Salzkammergut, das eng an das Ausseerland
grenzt, flüchteten und sich da unter US-Protektorat neue Existenzen
aufbauten.
Bayr wurde alsbald in die Kulturredaktion der Salzburger Nachrichten
aufgenommen. Er dürfte den Hintergrund der Pürgg Treffen viel
besser durchschaut haben, als die meisten der anderen Geladenen.
Ich habe mit einer langjährigen Mitarbeiterin Bayrs und mit einer
Lektorin des Residenz Verlages anlässlich der Rauriser Literaturtage
darüber gesprochen. Die Lektorin wusste von nichts, die Mitarbeiterin
kannte Bayrs Vorgeschichte. Mein Nachfragen bewirkte die Herausgabe einer
Auswahl aus Bayrs Werk mit dem bezeichnenden Titel Ich habe nichts als
mich im Residenz Verlag 1999. Bayrs Tätigkeit im Völkischen
Beobachter wurde entsprechend berücksichtigt und verharmlost.
Es zeigt sich ein zentrales Problem. Die Verniedlichung, die Verharmlosung
ist ein wesentliches Hindernis in der Schulderkenntnis, in der Schuldeinsicht.
Es wäre ja alles nicht so schlimm gewesen.
Beide Seiten, sowohl Vertuscher als auch Aufdecker geraten in ein unlösbares
Dilemma. Der eine weiss aus unzähligen Dokumentationen und Dokumentarfilmen,
aus mündlichen Berichten über die Verbrechen der Nazis Bescheid
und wertet dies ohne ideologische Absicht als Schuld.
Der Verharmloser hingegen will die Schuld verkleinern, verstecken und
verhüllen. Das steckt in der doppeldeutigen Formel von der persönlichen
Schuldlosigkeit und kollektiv belasteter Bevölkerung, die die Grundlage
des politischen Handelns des Ennstaler Kreises gewesen ist. So bestreitet
der Vertuscher das Ausmass der Schuld, da sich ja zu jeder Zeit die Frage
der persönlichen Verantwortlichkeit stellt. Das bläht sich auf
bis zur Auschwitz Lüge. Um Schuld nicht eingestehen zu müssen,
wird das reale Geschehen in Frage gestellt, als Propagandalüge der
Alliierten, der Siegermächte, hingestellt.
Man sollte jedoch eine bewusst zynische Komponente dieser Haltung ebenso
im Auge behalten. Unverbesserliche bestreiten zwar die Existenz von Gaskammern,
hetzen aber im gleichen Atemzug gegen Juden, Freimaurer, Linke und Kommunisten
in einem Argumentationsstil, der jenem der historischen Nazis in nichts
nachsteht. Das lässt sich an revisionistischen Publikationen im Internet
und auf offenen Neonazi Sites leicht erkennen.
Die Folgegeneration der Freiheitlichen weist jede Beziehung zum historischen
Nationalsozialismus entrüstet weit von sich und doch verfällt
auffällig der eine oder andere Funktionär dieser Partei
in nationalsozialistischen Jargon, und bringt damit entsprechende Parolen
in den politischen Alltagsdiskurs ein. Es sind keine Ausrutscher oder Sager,
sie zeigen ein ungeklärtes Verhältnis zur Vergangenheit.
Tatsächlich befreiend wirkt das öffentliche Eingeständnis.
Andre Heller erzählte kürzlich in einer Fernsehsendung über
seine ausführlichen Gespräche mit Paula Wessely über deren
Verstrickungen in den NS-Film. Die Wessely bereute im persönliche
Gespräch diese Nähe zutiefst und betonte die Einsicht, die Verbrechen
der Nazis seien unentschuldbar. Doch zu einem öffentlichen Eingeständnis
seitens der Wessely ist es nie gekommen, wie Heller anmerken musste.
Karl Springenschmid, Leiter des Salzburger Schulwesens und des NS Lehrerbundes,
der Erde, dem Krieg, dem Volks- und Brauchtum und manchmal in derber Mundart
sich äussernder Dichter, organisierte gleich zum Anschluss 1938 nach
dem deutschen Vorbild aus dem Jahre 1933 eine Verbrennung, ein Feuergericht
auf dem Salzburger Residenzplatz, dem sowohl jüdische, klerikale und
sozialistische Literatur geopfert wurden.
Sein Sohn, der in Vorarlberg lebende Schriftsteller Ingo Springenschmid,
führt die Pürgger Anwesenheit seines Vater als dessen bürgerliche
Ehrenrettung an und publiziert jene Fotografie eines der Pürgger Treffen,
auf dem neben Springenschmid Hans Weigel, Josef Krainer und andere abgelichtet
sind. So schlimm kann er nicht gewesen sein, der Springenschmid, wenn sich
in den neuen Zeiten so honorige Personen mit ihm in eine Reihe stellen.
Das Verhalten Ingo Springenschmids zeigt, dass es nicht bloss ein Problem
der Tätergeneration ist, sondern auch ihre Söhne und Töchter
bis hin zu den Enkelkindern betroffen sind.
Die im weiteren angeführte Liste von verbotenen Titeln zeigt,
wie sehr Karl Springenschmid ein hochpolitischer Schriftsteller gewesen
ist. Bemerkenswert ist, dass die meisten der hier angeführten Titel
in den Biographien der betroffenen Schriftsteller nach 45 nicht mehr erwähnt
und weitgehend verschwiegen wurden.
Auf einer Liste der durch die Alliierten 1946 verbotener Schriften finden sich folgende Werke von Pürgg-Teilnehmern.
Blunck, Hans Friedrich
Brückengedichte. - Berlin 1941: Stichnote.
Deutschland und der Norden. - Riga: Verl. Anst. Ostland 1944.
Bootsmann Elbing. - Wien: Frick 1943.
Deutsche Kulturpolitik. - München: Langen/Müller 1934.
Mein Leben. - Berlin: Junker u. Dünnhaupt 1934.
Deutsche Schicksalsgedichte. - Oldenburg: Stalling 1933.
Trauer um Jakob Leisler. - Berlin: Steiniger 1941.
Wieder fährt Sturm übers Land. - Hamburg: Hanseat. Verl.
Anst. 1942.
Ein Winterlager. - Hamburg: Hanseat. Verl. Anst. 1941.
Brüder. - Wien: Frick 1940.
Gedichte um Österreich. - Stuttgart: Dt. Ausland-Inst. 1938.
Sturm überm Land. - Jena: Diederichs 1916.
Eine Auswahl aus dem dichterischen Werk. - Bielefeld, Leipzig: Velhagen
& Klasing 1940.
Rüstung der Geister. - Stuttgart: Alemannen-Verl. o. J.
Brehm, Bruno: Das war das Ende. - München: Piper 1942.
Deutsche Haltung vor Fremden. - Berlin 1941: Limpert.
Die größere Heimat. - Karlsbad: Kraft 1943.
Der König von Rücken,. - Karlsbad: Kraft 1942.
Glückliches Österreich. - Jena: Diederichs 1938.
Im Großdeutschen Reiche. - Wien: Luser 1940.
Soldatenbrevier. - Wien, Leipzig: Scheuermann 1943.
Tag der Erfüllung. - Wien: Wiener Verl. 1934.
Über die Tapferkeit. - Wien: Luser 1940.
Vom Waffenstillstand zum Friedensdiktat. - Frankfurt a. M.: Diesterweg
1934.
Brunner, Heinz: Das Deutschtum in Südosteuropa. - Leipzig: Quelle & Meyer 1940
Czibulka, Alfons von: Die Handschuhe der Kaiserin. - Graz: Steirische
Verl.Anst. 1943.
Das Lied der Standarte Caraffa. - Stuttgart: Verl. Dt. Volksbücher
1943.
Dombrowski, Ernst von: Es leben die Soldaten, Bunkerschmuckblätter.
Hrsg. v. d. Armee Busch. - Stuttgart 1944: Stähle & Friedel.
Fussenegger, Gertrud; Der Brautraub. - Potsdam: Rütten & Loening
1939.
Böhmische Verzauberungen: Jena, Diederichs 1944.
Gaiser, Gerd: Reiter am Himmel. - München: Langen/Müller 1941.
Grimm, Hans: Von der bürgerlichen Ehre und bürgerlichen Notwendigkeit.
- München: Langen 1932.
Glaube und Erfahrung. - München: Langen/Müller 1937.
Vom deutschen Kampf um den Raum. - München: Langen Müller
1940.
Von der deutschen Not. - München: Langen/Müller 1937.
Der Ölsucher von Duala. - Gütersloh: Bertelsmann 1944.
Volk ohne Raum. - Gütersloh: Bertelsmann 1944.
Amerikanische Rede, Geh. am 6. Okt. 1935 in New York. - München:
Langen/Müller 1936.
Jelusich, Mirko: Caesar. - Wien, Leipzig: Speidel 1942. Alle fremdsprachigen
Ausgaben verboten.
Hannibal. - Wien, Leipzig: Speidel 1943. Alle fremdsprachigen Ausgaben
verboten.
Deutsche Heldendichtung. - Leipzig: Verl. Das neue Deutschland 1934.
Die unvollständige Kompanie. - Wien: Wiener Verl. 1940
Der Soldat. - Wien, Leipzig: Speidel 1943.
Eherne Harfe. - Wien, Leipzig: Speidel 1942.
List, Rudolf: Brünn, ein deutsches Bollwerk. - St. Pölten: St. Pöltner Zeitungs-Verlagsges. 1942.
Langer, Norbert: Die deutsche Dichtung seit dem Weltkrieg. - Karlsbad: Kraft 1941.
Perkonig, Josef Friedrich: Kärnten, Heimatland, Ahnenland. - Graz:
Leykam 1943.
Kärnten, mein Leben für Dich! - Berlin, Stuttgart: Verl.
Grenze u. Ausland 1935.
Scholz, Hugo: Krone im Acker. - Graz: Stocker 1938.
Landsturm. - Graz: Stocker 1942.
Das neue Leben. - Graz: Stocker 1941.
Noch steht ein Mann. - Karlsbad: Kraft 1943
Springenschmid, Karl: Unter dem Tiroler Adler. - Stuttgart: Franckh
1935.
Deutschland, geopolitisch gesehen. - Leipzig: Wunderlich 1938.
Deutschland kämpft für Europa. - Leipzig: Wunderlich 1937.
Deutschland und seine Nachbarn. - Leipzig: Wunderlich 1937.
Der Donauraum. Österreich im Kraftfeld d. Großmächte.
- Leipzig: Wunderlich 1935.
Europa auf tirolisch erlebt von den Gebirgsjägern. - Stuttgart:
Franckh 1943.
Front über den Gipfeln. - Potsdam: Voggenreiter 1937.
Österreichische Geschichten aus der ersten Zeit des illegalen
Kampfes. - München Callwey; Brünn: Rohrer 1942.
Großmächte unter sich. Die geopolit. Grundlagen d. Großmachtpolitik.
- Salzburg: Kiesel 1934.
Helden in Tirol. - Stuttgart: Franckh 1934.
Lamprechtshausen. Ein Dorf d. Ostmark kämpft f. Adolf Hitler.
- München: Dt. Volksverl. 1939.
Land im Leid. - München: Langen/Müller 1937.
Saat in der Nacht. - Salzburg: Das Bergland-Buch 1936.
Die Staaten als Lebewesen. - Leipzig: Wunderlich 1936.
Tirol am Atlantischen Ozean. - Salzburg: Das Bergland-Buch 1941.
Das Lamprechtshausner Weihespiel. - Berlin: Theaterverl. Langen/Müller
1938.
Die Bauernschule. - Leipzig: Wunderlich 1939.
Der Liebesbrief in der Tundra und anderes von den Gebirgsjägern.
- Salzburg: Das Bergland-Buch 1944.
Springenschmid, Karl [wirkl. Name] s. auch K r e u z h a k l e r, Christian
[Pseud.]
Kreuzhakler, Christian: Österreichische Geschichten aus dem Jahre
1933. - München: Callwey 1935.
Kreuzhakler, Christian [Pseud.] s. auch Springenschmid, Karl.
Pseudonym für den Hakenkreuzler und bis 1938 illegalem NSDAP Mitglied
Karl Springenschmid.
Venatier, Hans: Vogt Bartold, Der große Zug nach d. Osten. - Leipzig:
Schwarzhäupter-Verl. 1944.
Synfonie um Gott. Sinngedichte. - Leipzig: Schwarzhäupter-Verl.
1941.
Widmann, Ines: Beate Krafft. - Berlin: Eher 1941.
Die Schwaben-Margret. - München: Eher 1942.
Zillich, Heinrich. Die ewige Kompanie. - Berlin: Hillger 1943.
Von dem in Pürgg verehrten Ernst Jünger standen folgende Titel auf der alliierten Verbotsliste.
Ernst Jünger, Stoßtruppführer im Weltkrieg. Ausgew.
u. bearb. v. Paul Jennrich. - Halle: Schroedel 1935.
Das Antlitz des Weltkrieges. - Berlin: Neufeld & Henius 1930.
Feuer und Blut. - Hamburg: Hanseat. Verl. Anst. 1941.
Der Kampf als inneres Erlebnis. - Berlin: Mittler 1942.
Der Krieg als inneres Erleben. - Bielefeld: Velhagen & Klasing
1933.
Der Krieger. Hrsg. v. Gerhard Günther. - Frankfurt a. M.: Diesterweg
1934.
In Stahlgewittern. - Berlin: Mittler 1942.
Wäldchen 125. - Berlin: Mittler 1935.
Diese Titel zeigen, wie militaristisch, kriegsverherrlichend und kriegstreiberisch die nationalsozialistische Literatur, zu der wir heute kaum mehr Zugang haben, gewesen ist. All die genannten Autorinnen und Autoren haben an den Pürggtreffen teilgenommen. Über die nationalsozialistische Vergangenheit einiger dieser schreibenden Herren und Damen erfahren wir in der Kammerhofmuseums-Dokumentation nur in Andeutungen. Blunck zum Beispiel wird ohne Nennung seiner NS-Funktion als vielseitiger Mann beschrieben.
Hinzu kommen eine Reihe von AutorInnen, deren kulturelle Wurzeln in den austrofaschistischen Ständestaat reichen. Ebenso wie Autoren, die eher der österreichischen Sozialdemokratie zuzuordnen sind. Eingeladen war der Vorsitzende des Österreichischen Schriftstellerverbandes, Kurt Frieberger, ebenso prominente Vertreter des österreichischen PEN-Clubs.
Den damals jungen AutorInnen Hans Weigel, Jeannie Ebner, Günther
Nenning, Wolfgang Kudrnofsky, Wieland Schmied und Ulrich Baumgartner kann
man weder Nähe zum Ständestaat noch zum Nationalsozialismus nachsagen.
Avisierte und nach Pürgg eingeladene Autoren wie Max Frisch, Walter
Jens, Heinrich Böll und der Verleger Ledig Rowohlt haben sich von
dieser allzu harmonisierenden und schuldverwischenden Absicht weder täuschen
noch einvernehmen lassen und lehnten es ab, teil zu nehmen.
Sowohl Günther Nenning wie Ulrich Baumgartner, der später in Wien als Intendant der Wiener Festwochen Karriere machte, waren als Berichterstatter der sozialistischen Tageszeitung Neue Zeit in Pürgg. Der Kritiker Hans Weigel, der für grosse Wiener Tageszeitungen schrieb, war bekannt für seinen rigiden Antikommunismus. Günter Nenning hat in den der Neuen Zeit die Pürgger Dichterwochen kritisch und distanziert bewertet und gemeint , mit den Ehemaligen wäre kein Staat mehr zu machen. Selbst hat er sich nicht daran gehalten. 1988 publiziert er zur deutschen Einheit in der einschlägigen, vom Stocker Verlag in Graz herausgegebenen Aula.
Über die in Pürgg angesprochenen Themen lässt sich nur
mehr wenig erfahren. Ernst Jüngers Positionen sollen eine wesentliche
Rolle im Dialog gespielt haben. Ernst Jünger hat nicht nur eine betont
militaristische Literatur geschrieben. Er war mit dem höchsten militärischen
Orden Preussens, dem Pour-le-mérite ausgezeichnet worden.
Diese Orientierung an Jünger passt allerdings zur politischen
Aufgabe des Veranstalters und Konzeptionisten Alfred Rainer. Rainer sah
seine allgemeine politische Aufgabe darin, den Kriegsheimkehrern wiederum
einen anerkannten Platz in der Gesellschaft zu verschaffen, ohne die Kriegsaktivitäten
einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Anstelle dessen übt man
sich bis heute in der Formel von der erfüllten Pflicht.
Diese generelle Aufgabenstellung Rainers erklärt zusätzlich die Anwesenheit all jener Autoren, die ein Jahrzehnt vorher zur Kriegspropaganda des Dritten Reiches beigetragen haben. So als ob ihnen von Rainer eine symbolische Funktion in der Aussöhnung von Republik und Ehemaligen zugedacht worden war. Wie empfindlich diese Frage in der Bewältigung einer ausgewogenen Innenpolitik der 2.Republik zu bewerten ist, zeigen in jüngerer Vergangenheit sowohl die Waldheim Affäre wie die Erregung um die Wehrmachtsausstellung.
In Pürgg ging es also wesentlich nicht um Literatur, nicht um die
unzähligen Facetten des grausamen historischen Geschehens, nicht um
die Verbrechen des Nationalsozialismus. Der national erwünschten Versöhnung
im Zuge des Wiederaufbaus der 2.Republik stand kritische und schuldbewusste
Geschichtsbetrachtung im Wege. Man konnte im beginnenden Kalten Krieg mit
dem Einverständnis der alliierten Besatzer, insbesondere der USA rechnen.
Was immer auch Kandolf bewogen haben mag, die Geschichte der Pürgger
Dichtertreffen erneut aufzuzeichnen. Man muss ihm dankbar sei, diesen Blick
in den dunklen Wald der Vergangenheit geöffnet zu haben.
Ich kann jedoch nicht umhin, Kandolf vorzuwerfen, tiefer liegender
Wahrheiten nicht berücksichtigt zu haben. Da wird einmal der exponierte
Redakteursjob Bayrs im Dritten Reich nicht erwähnt, ebenso unterschlagen
die leitende Rolle Springenschmids bei der Salzburger Bücherverbrennung,
nichts über die zentrale kulturpolitische Rolle Stuppäcks (rechte
Hand Schirachs in kulturellen Fragen) geschrieben. Stuppäck war keineswegs
irgendein Mitläufer gewesen. Bereits 1935 gründete er im Auftrag
der illegalen NSDAP ein ebenso illegales nationalsozialistisches Landeskulturamt
im Ständestaat Österreich, dem er bis zum Anschluss vorstand.
Aus dieser Zeit stammen seine Kontakte zu nationalkatholischen Kreisen.
Nach dem Anschluss übte er die Funktion eines stellvertretenden Generalkulturreferenten
für die Ostmark aus.
Einen breiten Raum in Kandolfs Dokumentation nimmt die Wiedergabe der
Tagebuchaufzeichnungen Bluncks ein. Er verschafft ihm damit eine zentrale
Stellung, die wie eine nachträgliche Ehrung wirkt. Blunck hatte
1936 und 1938 kurz vor dem Anschluss ausgedehnte Reisen durch Österreich
unternommen, um die illegalen Kulturaktionen der NSDAP zu unterstützen
und Absprachen für weitere Vorgangsweisen zu treffen.
Es gäbe noch viele zu klärende Details in Kandolfs Dokumentation,
die ambivalente Schlüsse zulassen. Erst bei genauerem Hinsehen wird
der wahre Hintergrund vieler der angeführten Pürgg Teilnehmer
deutlich. So ist etwa Walter Hjalmar Kotas Mitherausgeber der von der Regierung
Schuschnigg verbotenen antisemitischen Kampfschrift Der Stürmer
gewesen. Die Unschärfen des Pürgger Dokumentaristen können
nicht allein daran liegen, dass es vielen dieser Autoren gelungen ist,
ihre Vorgeschichte zu verwischen.
Merkwürdig erscheinen auch die Beziehungen dieser ehemaligen Nazi-
Autoren zu den verschiedenen Verlagen, deren Vertreter ebenfalls nach Pürgg
gekommen waren. So publizierten Paul Anton Keller, Josef Friedrich Perkonig,
Josef Papesch und Hans Friedrich Blunck im sozialdemokratischen Leykam
Verlag. Josef Papesch hatte übrigens in der NS Zeit die vergleichbare
Stelle in der Steiermark inne, die Springenschmid in Salzburg hatte. Er
leitete das NS-Landesschulreferat und das NS-Landeskulturreferat.
Rainalter publizierte bereits wieder im Zsolnay Verlag. Der Zsolnay
Verlag hatte in der Geschichte des Ständestaates eine groteske Rolle
gespielt. Obwohl der Eigentümer eine Reihe von jüdischen Autoren
herausgebracht hatte, deren Werke in Deutschland der Bücherverbrennung
zum Opfer gefallen waren, begann der Verlag ab Mitte der 30er Jahre nationale
Autoren zu verlegen, die dem verdeckt am Nationalsozialismus orientierten
Bund der deutschen Schriftsteller in Österreich angehörten.Vielen
von ihnen finden wir in Pürgg wieder.
Der Stocker Verlag hielt an den NS-Autoren wie Bruno Brehm,
Hans Grimm, Robert Hohlbaum, Erwin Guido Kolbenheyer, Karl Springenschmid
und Will Vesper nach 1945 fest .
Dies Autoren, fuhren, so Kandolf , in bewährter Weise zu dichten
fort. Gerade der Stocker Verlag habe im Chaos der Nachkriegszeit eine
ruhige, objektive Haltung bewahrt. Der Verlag hat über alle Jahrzehnte
der 2.Republik hin seine Linie beibehalten und verbreitet nach wie vor
rechtes Gedankengut, unter anderem die politische Monatsschrift
Aula,
die als intellektuelle Plattform der Freiheitlichen und Neuen Österreichischen
Rechten gilt.
Herausgeber der Aula war eine Zeitlang Andreas Mölzer,
betont rechtslastiger Langzeitberater Jörg Haiders. Heute ist
Mölzer Berater Haiders in kulturellen Fragen und Herausgeber der politischen
Wochenschrift Zur Zeit, die sich das zentrale Publikationsorgan
der deutschen Neuen Rechten Junge Freiheit, deren Korrespondent
Mölzer ebenso ist, zum Vorbild genommen hat.
Der freiheitliche Historiker Lothar Höbelt, der aufschlussreiches
über den Ennstaler Kreis berichtet, hat seine Geschichte des
Verbandes der Unabhängigen Von der vierten Partei zur dritten Kraft
1999 ebenso im Stocker Verlag herausgebracht.
Zu den Pürgger Dichtertreffen waren Heinz Brunner für den
Stocker
Verlag, Brenner für den Ullstein Verlag, Stuppäck
für den Pilgrim Verlag, Heinrich Kschwendt für den Leykam
Verlag und Scholz für den Österreichischen Staatsverlag
geladen.
Pürgg Teilnehmer Mirko Jelusich, der im Zuge des Anschlusses Österreichs
an das Nazi Reich die Direktion des Wiener Burgtheaters übernommen
hatte, gründete 1957 nach Abzug der Alliierten in Wien einen Allgemeinen
Deutschen Kulturverband, der allerdings kläglich scheiterte. Die
ehemaligen Nazis hatten über Pürgg wiederum Eingang in das zivile
Kulturleben gefunden.
Der Pürgger Geist, der da nach der Vorstellung Alfred Rainers wehen
sollte, reicht bis in unsere Zeit, hat sich am Leben gehalten und wird
als solcher wieder allgemein akzeptiert. Der alte Geist ist mit seinen
ursprünglichen Trägern nicht abgestorben.
Es gibt heute in diesem Lande eine grosse Anzahl von Personen der folgenden
Generation, die das Gedankengut der alten Rechten aktuell zu legitimieren
versuchen.
Erst heute wissen wir über das wahre Ausmass der historischen
Schuld, die von den Nazis angerichtet und hinterlassen wurde, umfassend
Bescheid. All diese weissgewaschenen Personen und jene die bei der Wäsche
zusahen, haben mitgeholfen, die Geschichte unter den Teppich zu kehren.
Wäre mehr über die Wahrheit gesprochen worden, hätten sie
auch über ihr eigenes Leben reden müssen.
Umso bedeutender wirkt die Entscheidung der AutorInnen der Gruppe
47, sich für derartiges nicht vereinnahmen zu lassen. Insgesamt
erscheint die deutsche Geschichtsbewältigung viel besser gelungen
als die österreichische. Eine Rede, wie sie von Richard von Weizsäcker
vor dem deutschen Bundestag 1985 gehalten wurde, hat man so in Österreich
nicht vernommen. Dem gingen jedoch jahrzehntelange Bemühungen von
einzelnen Personen und Gruppierungen voraus, die sich darum bemühten,
die Geschichte im richtigen und unverfälschten Licht zu zeigen.
Das allgemeine und staatliche Verhalten in der BRD glich jedoch über
weite Strecken dem österreichischen. Die Geschichte wurde ebenso verdrängt
und sollte verdrängt bleiben.
Willi Brandts Kniefall vor dem Denkmal des Warschauer Ghettos war eine
Sensation gewesen, die wirksame symbolische Kraft akkumulierte. Der
deutsche Kanzler Gerhard Schröder nahm den Kniefall zum Anlass seiner
jüngsten polnischen Reise und formulierte anlässlich des 30.
Jahrestages des Kniefalls:
Dieses Bild des knieenden Willi Brandt ist zum Symbol geworden,
zum Symbol dafür, die Vergangenheit anzunehmen und sie als Verpflichtung
und Versöhnung anzunehmen.
Helmut Kohl und Roman Herzog liessen es sich hingegen nicht nehmen,
persönlich zum Geburtstagsfest des hundertjährigen Ernst Jünger
1995 zu pilgern. Kohl besuchte Jünger ebenso gemeinsam mit Francois
Mitterand. Beide sahen in Jünger, der auch in der französischen
Legion gedient hatte (sein erster Roman berichtet über diese Erfahrungen)
eine zentrale Figur der deutsch-französischen Aussöhnung. Die
Verleihung des Goethe Preises an Jünger, dessen wesentlichen Werke
auf den alliierten Verbotslisten standen, erregte bereits zehn Jahre zuvor
Aufsehen und Unmut.
Erich Maria Remarque, der wegen seines Buches Im Westen nichts Neues,
von den Nazis aus Deutschland vertrieben worden war, sind solche Ehrungen
nicht zuteil geworden. Da reichte ein Bundesverdienstkreuz.
1985 brachte Helmut Kohl Ronald Reagan dazu, gemeinsam auf dem Soldatenfriedhof
Bitburg, auf dem sich viele Gräber von SS Soldaten befinden, einen
Kranz niederzulegen. Auch in dieser Konstellation schimmert jene
Struktur durch, die die Pürggtreffen bestimmt hat, die Versöhnung
des nationalen Lagers mit der neuen Republik im Interesse des Kalten Krieges
.
Man verstand unter Versöhnung also bloss die Aussöhnung der verschiedenen politischen Lager unter Einbindung ehemaliger Nationalsozialisten und war viel weniger bereit, sich vor den Opfern des Rassenwahns zu verbeugen, ebenso wenig wie vor den Opfern aus politischer Gegnerschaft. Man verhinderte damit die Beseitigung des Rassismus und des dumpfen Nationalismus, der in der österreichischen Politik nach wie vor eine nicht zu übersehende und nicht zu überhörende Rolle spielt.
Beispielhaft dafür ist auch der Umgang mit den Quellen. Ich wollte
in den 70 er Jahren in der Österreichischen Nationalbibliothek
Einsicht in den Völkischen Beobachter nehmen. Die wurde mit
der mündlich geäusserten Begründung verweigert, es
stünden Namen von Personen in dieser Zeitung, die noch am Leben seien,
beziehungsweise noch ihren Beruf ausübten. Letzteres traf denn
auch auf Rudolf Bayr zu. Die österreichische Integration der Nazis,
wie sie etwa im Ennstaler Kreis durchgeführt wurde, verführte
offensichtlich dazu, wichtige zeitgeschichtliche Informationen und Dokumentationen
unter Verschluss zu halten, um diese Personen vor weiterer Nachforschung
zu schützen. Man bemühte sich nicht einmal vorzugeben, den unvorbereiteten
Leser vor der giftigen Ideologie bewahren zu wollen.
Das umfassende Wissen über die Verbrechen des Nationalsozialismus
und des Einverständnisses breiter Bevölkerungskreise verdanken
wir weitgehend dem Umstand, dass derartige Quellen in anderen Ländern
frei zugänglich gehalten worden sind. So lassen sich etwa die vorerst
einmal bestrittenen Thesen von Daniel Jonah Goldhagen vom Alltagsfaschismus
der Deutschen und Österreicher belegen.
Der US Historiker Robert Gellately hat jüngst in einer Arbeit
anhand von Wochen- und Tageszeitungen, die im deutschen Reich erschienen
waren, die Kenntnis der Deutschen von der Existenz von Konzentrations-,
Arbeits- und Vernichtungslagern nach gewiesen.
Man hat in Österreich über Jahrzehnte bewusst darauf verzichtet,
Forschungen über den nationalsozialistischen Alltag, anzustellen,
um eben den ausgehandelten Nachkriegskompromiss der Integration nicht in
Gefahr zu bringen.
Nazis wurden durch solches Handling geschützt. Sie konnten ungeschoren in das demokratische Leben eintauchen. Ob sie sich in diesem neuen Leben in der 2.Republik in ihren beruflichen Entscheidungen, die sie dann auch imstande waren, über andere zu fällen, immer an demokratische Grundhaltungen und Regeln gehalten haben, wage ich zumindest anzuzweifeln. Auch Hanns Koren, steirischer Landtagspräsident, Begründer und Schutzherr des Steirischen Herbstes und des mitteleuropäischen Trigon-Gedankens hat durchaus im Pürggischen Geist gehandelt. 1963 wurde auf Vorschlag von Hanns Koren der grösste steirische Kulturpreis, der Roseggerpreis, an den vormaligen Gaukulturhauptstellenleiter Josef Papesch verliehen. Es kam zum Eklat. Koren blieb jedoch weiterhin eine der zentralen Personen der steirischen Landespolitik und konnte sich in Folge sogar als Neuerer profilieren. Als väterlicher Schirmherr des Steirischen Herbstes, als Förderer des Forum Stadtparks und einer jungen Generation steirischer SchriftstellerInnen und Künstler. Diese bemerkenswerte Wandel in der Kulturpolitik hin zum Zeitgemässen hatte Auswirkungen auf die literarische Szene des Landes. Die von der offiziellen Kulturpolitik missachete Wiener Gruppe konnte in den späten 60er Jahren in den von Alfred Kolleritsch herausgegebenen manuskripten neben den rebellischen Grazer Jungautoren um Wolfgang Bauer, Peter Handke, Helmut Eisendle, Elfriede Jelinek und vielen anderen publizieren und bildete zu Beginn der 70 er Jahre die Grazer Autorenversammlung, ein ernstzunehmendes Gegengewicht zum konservativen und traditionsbewussten österreichischen PEN-Club. Der Hamsun Bewunderer Peter Handke schimpfte u.a. unentwegt auf das Naziland Österreich, ohne sich je der Mühe zu unterziehen, die Hintergründe wirklich zu analysieren.
Unter den Teilnehmern der Pürgger Treffen finden sich Mitglieder
des österreichischen PEN-Clubs wie Kurt Frieberger, Herbert Zand,
Fritz Habeck und die wiederaufgenommene Paula Grogger ebenso wie Josef
Friedrich Perkonig.
Diese Autoren haben sich in der PEN-Charta verpflichtet, aktiv für
die Ziele des PEN-Clubs einzutreten. Zu diesen Zielen gehören unter
anderem die weltweite Verbreitung aller Literatur und der ungehinderte
Gedankenaustausch besonders in Kriegs- und Krisenzeiten. Die Mitglieder
verpflichten sich zur Bekämpfung von Rassen-, Klassen- und Völkerhass.
So heisst es in der PEN-Charta über die Zensurwillkür: ...
seine Mitglieder verpflichten sich, jeder Art der Unterdrückung der
Äußerungsfreiheit in ihrem Land oder in der Gemeinschaft, in
der sie leben, entgegenzutreten, ebenso auch in der übrigen Welt,
soweit dies möglich ist. Der PEN erklärt sich für die Freiheit
der Presse und verwirft die Zensurwillkür überhaupt, und erst
recht in Friedenszeiten. Er ist des Glaubens, daß der notwendige
Fortschritt der Welt zu einer höher organisierten politischen und
wirtschaftlichen Ordnung hin eine freie Kritik gegenüber den Regierungen,
Verwaltungen und Einrichtungen gebieterisch verlangt. Und da Freiheit auch
freiwillig geübte Zurückhaltung einschließt, verpflichten
sich die Mitglieder, solchen Auswüchsen einer freien Presse, wie wahrheitswidrigen
Veröffentlichungen, vorsätzlicher Lügenhaftigkeit und Entstellung
von Tatsachen, unternommen zu politischen und persönlichen Zwecken,
entgegenzuarbeiten ...
Umso merkwürdiger ist es, dass all diese Fragen und die entsprechenden
Todsünden des Nationalsozialismus, die sich insgesamt gegen die PEN-Charta
richteten, in Pürgg nicht diskutiert wurden. Autoren wie Milo Dor,
Reinhard Federmann, Ilse Aichinger die sich zu Beginn der 50er Jahre in
ihrer Literatur mit dem Nationalsozialismus kritisch auseinander gesetzt
hatten, wurden nicht nach Pürgg geladen.
Die Pürgger Dichtertreffen fanden in den letzten Jahren
der alliierten Besatzung statt und es besteht Grund anzunehmen, dass diese
Treffen nicht gegen den Willen der Besatzungsmacht durchgeführt wurden.
Die Steiermark stand damals unter britischer Vorherrschaft. Ursprünglich
war sie bis zur Liezener Ennsbrücke von den Sowjets besetzt worden.
Hier trafen sie sich mit den Amerikanern. Stalin tauschte jedoch
die Steiermark mit Thüringen und schuf sich so ein kompaktes Gebiet
im deutschen Osten. Über die Verbindungen Rainers zu amerikanischen
Geheimdiensten lässt sich fürs erste wenig konkretes sagen. Ich
kann mir aber nicht vorstellen, dass Rainer in seinem politischen
Projekt der Integration von ehemaligen Nazis und von Kriegsheimkehrern,
ohne Wissen der Besatzungsmächte, insbesondere der Briten und der
Amerikaner gehandelt hat. Es gab sogar gute wirtschaftliche Beziehungen
zur US-Besatzungsmacht. Die stationierten US-Truppen wurden zum Teil mit
Nahrungsmitteln der Ennstaler Molkerei Genossenschaft beliefert. Noch Jahrzehnte
nach dem Abzug der Alliierten aus Österreich lieferten die Ennstaler
an Natostützpunkte in Europa.
Rainer hatte mit grosser Wahrscheinlichkeit im Rahmen des Ennstaler
Kreises ebenso gute Kontakte zu Wilhelm Höttl, der im Ausseerland
lebte. Höttl war in der NS-Zeit Chef des Sicherheitsdienstes SD für
Ober- und Niederdonau gewesen, danach Verbindungsmann der SS zum
Vatikan und Verbindungsmann Ernst Kaltenbrunners zu Alan Dulles, dem Chef
der späteren CIA, der sich während des Krieges in der Schweiz
aufhielt. Rainer brauchte solche Kontakte. Höttl hatte, nachdem
er von den Amerikanern zu Beginn der 50er Jahre fallen gelassen wurde,
noch immer beste Kontakte zu Reinhard Gehlen, ehemals Aufklärung
Ost und Gründer des Bundesnachrichtendienstes BND der BRD.
Die Beziehungen Höttls zu amerikanischen und anderen Geheimdiensten
werden auf der Website der National Archives and Records Administration
von den Historikern Miriam Kleiman and Robert Skwirot ausführlich
belegt. Die National Archives sind eine öffentliche staatliche Einrichtung
der USA. Höttl wird da eingangs nicht als Nazi beschrieben, sondern
eben ins Konzept passend als konservativer Antikommunist. Die Amerikaner
wussten jedoch genau über die Nazivergangenheit Höttls Bescheid.
Obwohl sie ihn als Risiko einschätzen, und sie wussten, das er seine
notorische Nazigesinnung nicht aufgegeben hatte, bedienten sie sich seiner.
Das anschaulichste, beweiskräftigste, von beiden Seiten mit Dokumenten
belegte Beispiel der Zusammenarbeit mit ehemaligen NS-Geheimdiensten dürfte
die Integration Reinhard Gehlens sein. Seine gesamte Aufklärung Ost
wurde von den USA gleich nach Kriegsende integriert. Diese Kooperation
wurde jahrelang geheim gehalten. Gehlen hatte sich in Folge das Vertrauen
der USA erworben.Gehlen wurde zum Leiter des neu gegründeten bundesdeutschen
Nachrichtendienstes BND berufen und ist in der Gründungszeit des Nordatlantischen
Paktes mit heiklen Aufgaben betraut gewesen ist.
Den Hintergrund dieser politischen und militärischen Bemühungen bildete der Marshallplan, der im wesentlichen denn doch die Voraussetzungen für ein halbes Jahrhundert Frieden schaffen konnte. Marshalls Plan ist die nüchterne Antwort auf die fatalen Folgen des Friedensvertrages von Saint Germains, der einerseits die Kriegshandlungen beendete und andererseits die Voraussetzungen für den 2.Weltkrieg setzte.
Den führenden politischen Schichten der österreichischen Parteien,
abgesehen von der in der Meinungsbildung bedeutungslosen österreichischen
Kommunistischen Partei, die ihre Macht nur auf Grund der sowjetischen Besatzung
ausspielen konnte, war es über die ganze zweite Republik hinweg gelungen,
diesen machtpolitischen Hintergrund ausserhalb der öffentlichen Diskussion
zu halten.
Bevor sich die US-Botschafterin Swaney Hunt von ihrem österreichischen
Amt verabschiedete, beging sie zu Beginn 1996 den ungewöhnlichen politischen
Fehler,
sich namens der USA für zu diesem Zeitpunkt aufgefundene illegale
Waffenlager zu entschuldigen, die vorsorglich in Österreichs Wäldern
zur Abwehr eines Vorstosses der Sowjets auf österreichisches Gebiet
angelegt worden waren. Dieser merkwürdige Anlass und die völlig
unerwartete Entschuldigung der US-Botschafterin, die eben entgegen allen
Usancen der US-Aussenpolitik als offizielles Eingeständnis gewertet
werden konnte, machte nun hellhörig für alle jene Gerüchte
und Hinweise, die in der 2.Republik immer wieder aufgetaucht sind und meist
jedoch als Hirngespinste oder als kommunistische Propagandalügen abgetan
wurden. Man begann zu überlegen, ob sich in Österreich ein Verteidigungsnetz
gebildet hatte, vergleichbar dem italienischen Gladio, zusammengesetzt
aus Mitgliedern der italienischen Rechten unter Mithilfe von US-Diensten.
Erstmals geriet in Österreich das Bild der USA als eines fairen
Garanten der Freiheit in Gefahr. Man begann nun doch zu überlegen,
ob nicht die USA im Falle einer drohenden Gefahr seitens eines zu stark
links orientierten Sozialismuses bereit gewesen wären, die aus anderen
Ländern bekannten Repressionen, wie etwa die Ereignisse im Chile der
70er Jahre, zu inszenieren.
Selbstverständlich hat sich Mrs. Hunt nicht für die vielen
Hintergrundaktivitäten und Interventionen der USA, die Österreichs
politische Entwicklung entscheidend bestimmt haben, im weiteren entschuldigt.
In einen solchen Handlungsstrang dürfte Pürgg passen. Vor
allem die Anwesenheit Weigels hat mich neben Hinweisen Ingomar Hartners
auf diese Spur gebracht. Ich versuchte in Erfahrung zu bringen, ob Friedrich
Torberg im Hintergrund des Pürgger Treffens aktiv tätig geworden
ist. Das Treffen muss ihm aus seinen engen geheimdienstlichen Kontakten
und aus seiner Alt Ausseeer Domizilsperspektive bekannt gewesen sein. Sowohl
Jeannie Ebner, als auch Günter Nenning, Hans Weigel, Wolfgang Kudrnofsky
publizierten in dieser Zeit im Torbergischen Forum, finanziert ebenso
wie der deutsche Monat von Lasky, der britische Encounter
und das französische Preuve von der CIA. Doch fand ich keinen
Hinweis auf Pürgg in den Forumbänden 1954 und 1955.
Man könnte allenfalls behaupten, Torberg habe zwar Brecht gehindert,
in Österreich Fuss zu fassen, doch Nazis und die Versuche, diese wieder
ins Kulturleben der Republik einzubinden, liess er weitgehend unbeachtet.
Ich wurde jedoch in anderer Weise fündig. Torberg hatte jedenfalls
Kontakte nach ganz rechts und mittelbar zum Ennstaler Kreis. In
der Dezemberausgabe des Forums 1955 schrieb, wie bereits erwähnt,
Taras Borodajkewicz über die deutschen Bindungen.
Borodajkewycz ist der entscheidende Verbindungsmann des VdU zur
ÖVP und hatte zum Ennstaler Kreis ein Naheverhältnis.
Das kann man bei Lothar Höbelt in seiner Geschichte des VdU nachlesen.
Dieser Taras Borodajkewicz war 1933 Sekretär des Katholikentages
gewesen und ist alsbald Mitglied der in Österreich bis 1938 illegalen
NSDAP geworden. In seiner Person zeigt sich jenes merkwürdige österreichische
Charakteristikum, sowohl Katholik wie auch Nazi sein zu können.
Torberg muss sich ausgekannt haben. Andererseits kann man Torberg eines
mit Sicherheit nicht vorwerfen, irgendwelche Sympathien für Altnazis
und Nationale entwickelt zu haben. Das wäre angesichts seiner Weltanschauung,
des Schicksals seiner Familie, insbesondere seiner Mutter, nicht vorstellbar.
Auch mit seinem altösterreichischen Spleen hätte sich das nicht
vereinbaren lassen.
Bleibt also das nüchterne politische Kalkül, bezogen auf
die realen politischen Verhältnisse, in denen Ex-Nazis und breite,
von ihnen geprägte Bevölkerungskreise einen nicht zu übersehenden
politischen Faktor bildeten, dem auch er Rechnung tragen musste. Und ebenso
wie Rainer war Torberg den Interessen einer höheren politischen Ordnung
verpflichtet. Die Amerikaner hatten zu Beginn der 50er Jahre beschlossen,
einen Burgfrieden mit den Nazis zu schliessen, um für die Erfordernisse
des Kalten Krieges stabile Verhältnisse innerhalb der NATO zu sichern.
Hans Weigel hat in Angelegenheiten Pürgg die wichtigere Rolle
gespielt. Hans Weigel hatte im Gegensatz zu Torberg sein Judentum völlig
aufgegeben. Er sah sich vor allem als Österreicher. Die österreichische
Autorin Evelyn Adunka zitiert in ihrer Arbeit über Hans Weigel einen
Briefauszug, in dem dieser schreibt Immer wieder tauchen stereotyp zwei
Sätze auf: in Österreich gibt es Antisemitismus - in den hohen
Stellen sitzen noch Nazis. Ich erkläre feierlich, daß beides
unwahr ist. Es ist denkbar, wahrscheinlich, sogar natürlich, daß
es in Österreich Antisemiten gibt. Aber irgend eine offiziell geduldete
Form des Antisemitismus gibt es nicht. Ich habe mich immerhin lang genug
und zum Teil sogar in exponierter Stelle hier bewegt. Ich habe in keiner
Form auch nur den leisesten Antisemitismus bemerkt.
Weigel hat sich nach seiner Rückkehr aus dem erzwungenen Schweizer
Exil in Wien sofort wieder wohlgefühlt und glaubte sogar noch wirksames
jüdisches Leben zu erkennen, obwohl fast alle Juden aus Wien vertrieben
worden waren.
In einem seiner Artikel schrieb er: Die Bevölkerung Österreichs
besteht aus rund sieben Millionen Nicht-Nazis und dem Dr.Burger. Norbert
Burger war einer der wenigen öffentlich bekennenden neonazistischen
Politiker der 2.Republik gewesen.
Hans Weigel war der ideale Mann für Pürgg. Selbst jüdischer
Abstammung, die er für völlig belanglos hielt, sprach er die
Österreicher vom Antisemitismus frei und gab ihnen das Gefühl,
an der Ermordung der Juden nicht schuldig gewesen zu sein.
Noch 1978 hielt Weigel die Laudatio anlässlich einer späten
Ehrung Erich Landgrebes, der nicht nur ein bekannter NS-Schriftsteller
gewesen ist, sondern auch den jüdischen Wiener Verlag Löwit arisiert
hatte. Die ersten Kontakte zu Landgrebe dürfte Weigel in Pürgg
geschlossen haben.
Schon 1946 hatte Weigel im amerikanisierten Wiener Kurier ein
Feuilleton mit dem Titel Wir sind quitt ! an die Österreicher
gerichtet, die trotz der Naziherrschaft moralisch intakt geblieben wären,
und erntete auf der einen Seite heftige Angriffe der Wiener Kultusgemeinde,
für die dieses Versöhnungsangebot viel zu früh kam und andererseits
grossen Beifall aller Opportunisten. Weigel brachte sich damit von Anbeginn
an als idealen Versöhnler ins Spiel. Gerüchte über seine
geheimdienstlichen Kontakte zur CIA bzw. verwandten Vorläuferorganisationen
sind nie verstummt und wurden nie entkräftet. Durchaus möglich,
dass Weigel bereits in seinem Schweizer Exil ebenso wie Fritz Molden Kontakte
zum Kreis um Alan Dulles hatte. Unbestreitbar war er neben Molden und Torberg
eine der wichtigen handelnden Personen des amerikanisch geleiteten österreichischen
Antikommunismus und hatte vor allem besonders gute Beziehungen zum nationalen
Lager, die er, so sie nicht bereits vorher bestanden hatten, zumindest
ab Pürgg erworben hat, oder dort ausbauen konnte.
In Pürgg wusste man um seine Bedeutung und um seine politischen
Beziehungen Bescheid. Blunck schreibt in seiner Tagebuchaufzeichnung vom
18.Juni 1954, man habe den Vortrag Weigels Der Dichter in Österreich
ängstlich erwartet und nach Anhörung als viel massvoller empfunden,
als man angenommen hatte. Von einer öffentlichen Einschätzung
seitens des Literaturkritikers Weigel mit wichtigen politischen Beziehungen
ist also viel abhängig gewesen. Blunck befürchtete, dass vor
allem Weigel an ihm etwas aussetzen würde. Das blieb aus. Weigel vermied
jeden Konflikt und wies bloss einmal in einer weiteren Ansprache auf seine
ermordeten Anverwandten hin. Er wollte den Konsens im Sinne eines höher
angeordneten politischen Konzeptes auf jeden Fall umsetzen und mittragen.
Die Empfehlung an die jungen Wiener Kollegen, der Einladung nach Pürgg
nachzukommen, kam nach einer Mitteilung von Jeannie Ebner von Hans Weigel
persönlich.
Die bestimmende Rolle der USA in der nachhaltigen Demokratisierung Österreichs
nach westlichen Vorstellungen wurde vom Salzburger Historiker Reinhold
Wagnleitner in seinem Buch Coca-Colonisation und Kalter Krieg eindrucksvoll
dargestellt.
Innerhalb dieses umfassenden Prozesses, der vor allem Presse, Film,
Rundfunk und Musikleben betroffen hat, spielten die literarischen Entwicklungen
allerdings eine Nebenrolle.
Der Historiker Oliver Rathkolb spricht im Zusammenhang mit diesen Vorgaben
von einem US-Kuratel als demokratisches Konzept; also Gängelung, die
willfährig angenommen wurde. Das allgemein ungeklärt bleibende
Verhältnis nach rechts hat andererseits viele Künstler in linke
Randpositionen getrieben.
Die kulturellen Aktivitäten wurden vor allem vom Kongress für
kulturelle Freiheit mit klaren antikommunistische Vorgaben bestimmt.
Im Rahmen des österreichischen Zweiges, der Gesellschaft für
die Freiheit der Kultur, der u.a. Alexander Giese, Peter Jankowitsch
und Wieland Schmied angehörten, wurde Hans Weigels Literaturanthologie
Stimmen
der Zeit herausgegeben. Aus derselben Quelle wurde etwas später
auch das Forum finanziert. Die Nachrichtenagentur des vom CIA kontrollierten
Kongresses
für kulturelle Freiheit hiess bis 1975 Forum World Features.
Es hat enge Kontakte von Kultur und Politik gegeben, deren Vorgaben
wesentlich von aussen bestimmt wurden. Die Präsenz von mindestens
zwei dieser Personen in Pürgg, von Hans Weigel und Wieland Schmied,
verfestigen die Annahme, dass in Pürgg nach US-Kalkül verfahren
wurde. Es gibt nur eine Klammer, unter der dies alles zu subsummieren ist:
Den Anti-Kommunismus. Um diesen durchzusetzen, war offensichtlich jedes
Bündnis rechtens. Die Amerikaner nehmen damit eine vatikanische Vorstellung
auf. Während des Krieges und die ersten Jahre danach war der Antikommunismus
nicht zweckmässig, befanden sich die Alliierten doch im Bündnis
mit Stalins Sowjetunion.
Pius XII. entwickelte in den ersten Kriegsjahren die Vorstellung
des gemeinsamen Kampfes der Kulturnationen und Nazi Deutschlands wider
den Bolschewismus und unternahm Friedensbemühungen zu einer Neuformierung
der Kräfte. Pürgg folgt modifiziert diesem Grundmuster. Das Zwielicht,
in das die Kirche mit diesen Bestrebungen und mit den ambivalenten Handlungen
in Nazideutschland geraten ist, ist sie bis heute nicht los geworden.
Bleibt die bittere Frage offen, ob nun und wie diese Strategien auf
das Bewusstsein der Gesamtbevölkerung übertragen wurden. Diese
Ambivalenz dürfte mit ein Grund für den latent nach wie vorhandenen
Faschismus und Rassismus, der umgangssprachlich immer wieder aufblitzt,
noch immer häufig im Verhalten durchscheint sein.Er dürfte zu
einem gewissen Grad bewusst erhalten worden sein, um diesen wider
linke Strategien instrumentalisieren zu können.
Dass auf derartige Doppelbindungen nicht vernünftig, sondern eben
nur emotional und damit konfliktgeladen reagiert werden kann, zeigt die
jüngere österreichische Geschichte zur Genüge.
Unter Freiheit verstehen die USA vor allem ihre eigene und die des von ihnen bestimmten uneingeschränkten Freihandels. Ob den nun Altnazis mit sichern, ist denen völlig egal. Es hat ihnen auch nichts ausgemacht, dem nazideutschen Wunderwaffen Raketengeneral Wernher von Braun die Leitung des ehrgeizigsten amerikanischen Nachkriegsprojektes, die Raumfahrt der NASA bis zur erfolgreichen Mondlandung anzuvertrauen.
Die unausweichliche Integration jener, die dem 3.Reich mit Überzeugung anhingen, wurde auf Grund des grossen Bevölkerungsanteiles immer als politische Notwendigkeit argumentiert, an der in Wahrheit keine der demokratischen Parteien vorbeikonnte.
Der inoffizielle Druck der Einladung an die AutorInnen nach Pürgg lässt sich erahnen, wenn man einen Brief liest, in dem Franz Nabl schreibt, er wäre froh darüber eine Magenkolik zu haben und nicht nach Puergg fahren zu müssen. Es dürfte im Österreich der 50er Jahre nicht leicht gewesen sein, sich dem Ruf eines Landeshauptmann zu entziehen.
Unternehmen wie Pürgg haben die offene Diskussion über reale
Politik aus Literatur und Kunst ausgeblendet. Die Ausblendung erschien
nötig und opportun, um den gewünschten realpolitischen Konsens
herzustellen. Die einen durften in Ruhe ihre Wunden verdecken und die anderen
gingen ihre neuen Wege. Man wollte einen offenen Kulturbruch vermeiden.
Jeannie Ebner hat mir in einem Gespräch über Pürgg immer
wieder versichert, dass sie mit Politik nichts zu tun gehabt habe. Anlässlich
ihres 80. Geburtstages konnte man in der Tageszeitung Der Standard
lesen, dass sie für die CIA in deren Wiener Sekretariat gearbeitet
habe. Ebenso leistete sie Sekretariatsdienste für Hans Weigel, der
damals im Café Raimund gegenüber dem Wiener Volkstheater literarischen
Hof hielt.
Österreichische SchriftstellerInnen sind es nicht gewohnt, komplexe
politische Zusammenhänge wahrzunehmen. Wirkungsvolle Geschichtswahrnehmung
setzt analytisches Denken und konstruktive Fähigkeiten voraus, und
vor allem Zugang zu historischen Quellen und zur historischen Wahrheit.
In Pürgg war derartiges gar nicht erwünscht. Man blendete
aus, was heute unter der Haut brennt. Die Opfer, die Vergewaltigung der
Menschenrechte, deren unterschwellige und nie wirklich ausgeheilte
Deformationen heute noch zumindest psychologisch nachwirken. Die den Ungeist
der Zeit kennzeichnen, der die einen nicht heimkehren liess und die anderen
dazu veranlasste, Österreich erneut den Rücken zu kehren. Arthur
Koestler und Karl Popper zog es ebenso wenig nach Österreich
wie Elias Canetti und Erich Fried.
Als vor Jahren Ernst Wolfram Marboe, langjähriger Intendant des
ORF die österreichische Geistesgeschichte preisen wollte, nannte er
allein Namen von Emigranten, die nicht mehr in dieses Land zurückgekehrt
sind und nicht mehr zurückkehren wollten.
Also all jene, die mit den falschen Kompromissen, die etwa zu Pürgg
eingegangen worden waren, nichts zu tun haben wollten.
Obwohl die SPÖ eine modernere und wenig traditionsgebundene
Vorstellung von Politik, Gesellschaft und Kultur hatte, öffnete sie
sich aus politisch taktischen Gründen ehemaligen Nazis und verlangte
ihnen kaum mehr Reflexion in der Annäherung ab. Man drängte nach
einer neuen staatlichen Konstitution und tat dies um den fatalen Preis
zurechtgebogener Geschichte und ausgeklammerter Opfer. Die Schatten der
Vergangenheit sind lang, sie reichen bis in die Jetztzeit und verdüstern
Gegenwart und Zukunft des Landes.
An den Folgen dieser Entpolitisierung mangels Aufklärung, dieser
plan- und wirkungsvollen Blendung leidet dieses Land nach wie vor.
Pürgg ist eine dieser schamlosen Polit- Inszenierungen gewesen, in
der die geladenen Hauptdarsteller in Wahrheit nur die Staffage für
eine andere Botschaft abgeben mussten. Wie unwohl muss man sich aus Pürgg
in Wahrheit wieder hinweg geschlichen haben, denn eine Befreiung
im Sinne einer Erneuerung des österreichischen Kulturlebens durch
Aufklärung kann das nicht gewesen sein.
Die Entwicklung der österreichischen Literatur hätte mit
Sicherheit anders ausgesehen, wenn man sich früh zumindest im Kulturbereich
zu rückhaltloser Aufklärung bekannt hätte.
Die Pürgger Tischgesellschaft ist nach wie vor existent, sie ist
modifiziert und modernisiert. Das Buhlen um das rechte Lager und der samtpfotige
Umgang damit ist aktueller denn je.
Robert Menasse schreibt in seinem 1990 erschienenen Buch Die sozialpartnerschaftliche
Ästhetik, die personelle Kontinuität des Austrofaschismus
in die zweite Republik verbürgte, dass jenes, das der Nationalsozialismus
viel konsequenter durchgesetzt hat, als es der Austrofaschismus gekonnt
hatte, wieder patriotisch umformuliert, aber nicht zurückgenommen
wurde. Es blieb sozusagen als historische Errungenschaft der bürgerlichen
Gesellschaft erhalten, wobei sich an den Schaltstellen des Geisteslebens
eine pragmatische Allianz mit jenen Emigranten bildete, die aus den
USA als CIA-Verbindungsleute heimgekehrt waren.
.
Keine Beachtung und Erwähnung der Literaturhistoriker finden jene
Autoren jüngeren Alters und Journalisten wie Jeannie Ebner, Hans Weigel,
Günter Nenning, Wolfgang Kudrnofsky, Ulrich Baumgartner, Wieland Schmied.
Gerade die Anwesenheit dieser Autoren im Kontext mit den NS Schreibern
löste bei allen, die ich mit dem Thema konfrontierte, grosses
Erstaunen aus. An die Möglichkeit eines derartigen Zusammentreffens
hatte keine und keiner gedacht.
Man wird die Letztgenannten nicht zur österreichischen Avantgarde
zählen, doch der Moderne und der Demokratie zugewandt waren sie in
jedem Fall. Eines verbindet diese jungen Autoren: Sie publizierten
im Torbergschen Forum, dem österreichischen Pendant zum deutschen
Monat
und
zum britischen Encounter. Sowohl Forum,
Monat und
Encounter
wurden durch die CIA finanziert.
Es waren nicht irgendwelche Autoren. Ihr eigenes Werk mag vielleicht
nicht von allzu grosser Bedeutung sein, ihr Stellenwert im literarischen
und kulturellen Leben hingegen wuchs im Laufe ihrer Karrieren. Weigel entschied
als Kritiker über lange Zeit hinweg über Gedeih und Verderb junger
Schriftsteller und hatte einen besonders grossen Rückhalt in der österreichischen
Bevölkerung. Er war tatsächlich ein meinungsbildender Autor.
Nenning übernahm später das Forum, nannte es das Neue.
Ulrich Baumgartner wurde in Wien Festwochenintendant. Jeannie Ebner hatte
bis in die jüngere Zeit in wesentlichen Autorengremien ein gewichtiges
Wort und wurde von Thomas Bernhard zu einer zentralen Figur in seinem
Buch Holzfällen gemacht. Kudrnofsky spielte eine Zeit
lang eine gute Rolle in der Vermittlung moderner Kunst im ORF. Er betreute
in den 60 er Jahren das Nachtstudio. Im Torbergschen Forum
agierte er als Kunstkritiker und in Pürgg trug er eine Satire auf
den Filmbetrieb vor.
Rudolf Bayr, entsandt von den Salzburger Nachrichten und ebenso
Referent eines kulturpolitischen Grundsatzreferates schrieb am 21.9.1955
in den Salzburger Nachrichten über das 3.Pürgg Treffen:
Handlung: Schriftsteller und Verleger aus Österreich und Deutschland
Der Zweck: Miteinander reden und sehr freundlich sein.
Und so dürfte es auch gewesen sein. Keine Missionierungen, keine
Manifeste. Keine Rückblicke, keine Ausblicke.
Seinem Pürgger Artikel kann man weiteres entnehmen:
Mancher, den man gern mehr gehört hätte (P.A.Keller, Perkonig,
Springenschmid, Stöger; Stuppäck) schwieg überhaupt, andere
sprachen nur gelegentlich eine Anekdote (Brehm, Jelusich, Zillich) oder
einen Vers (E.Roth) oder dankten am Schluss der Tagung (Hans Grimm)....
Bayr sprach nicht gerne über seine Vergangenheit. Bayr machte im
ORF grosse Karriere. Er wurde Salzburger Landesintendant des ORF. In dieser
Funktion und als Begründer der Rauriser Literaturtage und eigentlicher
Anreger des Residenz Verlags, der von Wolfgang Schaffler wirtschaftlich
erfolgreich geführt wurde, wurde er zu einer der einflussreichsten
Personen des österreichischen Literaturbetriebes der 2.Republik.
Es muss jedoch gesagt werden, dass im Residenz Verlag, der neben den
Grazer manuskripten zu einem zentralen Kristallisationspunkt des
neuen österreichischen literarischen Lebens wurde, der alte Geist
keinen Platz mehr fand. Bayr selbst sah sich nach 1945 in einer humanistischen
Tradition. Gesellschaftskritische Literatur und die sprachformale experimentelle
Literatur, mit der Ausnahme H.C.Artmann, fanden jedoch keinen Eingang in
das Residenz Programm. Auch hier waren die Trennlinien deutlich gezogen.
Es war jedoch kein wertkonservatives Programm und man begann mit den Freiheiten
umzugehen, die eben eine Demokratie westlichen Zuschnitts ermöglicht.
Das entsprach dem kulturpolitischen Klima der 70er und 80er Jahre,
in dem eine weitgehende Selbstbestimmung des Kulturbetriebs möglich
geworden war. Dafür sorgte die offene sozialdemokratische Kulturpolitik.
Kritik daran, vor allem die von links, orientierte sich eher an älteren
politischen Konzeptionen, etwa den politischen Auftrag der Kulturschaffenden
betreffend.
Das Vergessen und das Verdrängen bestimmt jedoch nicht nur die
konservative Rechte. Elfriede Jelineks Antwort in einem Kurier-
Interview vom 16.3.1991 nach der grossen Wende war ebenfalls bezeichnend.
Befragt nach ihrer Stellung zur DDR gab die bis dahin engagierte Parteigängerin
der KPÖ an, vom poststalinistischen Terror der bis zur Wende herrschenden
Parteikaste nichts gewusst zu haben und von der KPÖ auch darüber
nicht informiert, sondern immer nur belogen worden zu sein. Dass die Jelinek
das Wissen der Partei über ihr eigenes gestellt hat, ist ihr in ihrer
Verteidigung nicht aufgegangen. Der Jelinek hat dies offensichtlich nicht
geschadet, die Jelinek hat den Büchner Preis erhalten. In anderer
Weise entspricht sie dem Bild des modernen dissidenten Autors. Sie zieht
vor allem Kraft und Anerkennung aus der Ablehnung der österreichischen
Verhältnisse und stösst am meisten auf Widerstand in jenen konservativen
ÖVP Kreisen, die dem Wesen nach an ihrem konservativen Weltbild nichts
verändert wissen wollen.
Streng antikommunistisch üben sie nach wie vor die Gleichsetzung
des gesamten linken Spektrums mit dem Kommunismus bis hin zur Akzeptanz
von alt-und neurechten Positionen. Beides sind jedoch völlig diskreditierte
und zu verwerfende Konzeptionen und zeigen bloss generell den bemitleidenswerten
Stand des politischen und kulturellen Diskurses in Österreich, der
nicht imstande ist, aus alter Geschichte sich zu lösen. Beide, die
Jelinek und der konservative Tiroler Khol, Parlaments Klubchef der ÖVP,
entsprechen in ihrer Gegenspielerdynamik einem historisch überholten
Schauspiel.
Öffentliche Angriffe, wie sie bei Elfriede Jelinek heute selbstverständlich
erscheinen, wären jedoch zur Zeit des Pürgg Treffens unmöglich
gewesen. Dies hat generell mit einer Verschiebung des kulturellen Werteverständnisses
zu tun Man bemerkt hin und wieder Restaurierungsversuche, die jedoch kläglich
verpuffen, so wie heute kaum jemand mehr Paula Grogger, Bruno Brehm, Mirko
Jelusich und die anderen lesen wird.
Der in der Süd-Ost-Tagespost ausgewiesene Anspruch Pürggs,
ein gesamtdeutsches Autorentreffen zu sein, war eine starke Übertreibung.
Dafür sorgte allein schon die Absage der prominenten Mitglieder der
Gruppe
47. War es bloss eine schiefliegende Provinzveranstaltung ?
Was hat die ÖVP-Politiker dazu veranlasst, einmal abgesehen von
jenen Autoren, die so gar nicht ins Bild passen, die alte NS Literatur
Elite zu versammeln ? Und warum beschränkte man sich nicht auf österreichische
und zog auch prominente reichsdeutsche Autoren hinzu ? Die Frage,
warum man nicht Emigranten nach Österreich lud, wage ich angesichts
der Einladungslisten gar nicht mehr zu stellen.
Wolf Biermann im bayrischen CSU Sonthofen ist Realität geworden,
aber Brecht anstatt Blunck, das wäre ein Ding der Unmöglichkeit
gewesen. Da hätte schon Torberg abgeholfen, der ja etwa zu selber
Zeit Brechts Engagement in Salzburg vehement verhinderte.
Man kann sagen, dass die ÖVP Vorstellungen einer wertkonservativen
Literatur pflegte, die sie am ehesten durch jene erfüllt sah, die
einmal schon den zugelassenen Schriftstellervereinigungen des Ständestaates
angehört hatten, die dann mehr oder minder bruchlos in die nationalsozialistischen
Organisationen übernommen wurden. In Wahrheit hat die ÖVP ihre
wertkonservativen Vorstellungen bis zu ihrer Abwahl aus der zentralen Regierungsverantwortung
nie aufgegeben und viele kulturpolitische Konflikte in der sozialdemokratischen
Ära entstanden aus eben dieser Haltung. Die Vorstellung, die ehemals
überzeugten nationalsozialistischen Schriftsteller wieder in den Literaturbetrieb
zu integrieren, ist nicht aufgegangen.
Auf die Idee, Autoren wie Georg Saiko, Manes Sperber, einen desillusionierten
Arthur Koestler, also die grossen neuen Realisten, die die Gesellschaft
der 30 er Jahren mit kritischem Blick durchleuchtet hatten und denen in
der österreichische Literaturgeschichte der Rang eingeräumt wird,
der ihnen zusteht, nach Pürgg einzuladen, wäre man nie gekommen.
Man hätte auch mit diesen Autoren einen grossen antikommunistischen
und demokratischen Effekt erzielen können. Zu diesem Zeitpunkt war
Koestlers Sonnenfinsternis, die die Abgründe des Stalinismus
ausleuchtete, bereits erschienen. Nur, diese Autoren hatten in den Augen
der Kulturpolitiker ein eklatantes Handicap; sie waren prononcierte Antifaschisten
und waren nicht bereit, die Vergangenheit zu verschweigen und damit für
die nächste Generation ungeschehen zu machen.
Für Jean Amery war dies alles unerträglich. Nachdem er in
den frühen 70er Jahren eine Rehabilition des nationalrechten Tuns
in Europa zu erkennen glaubte, nahm er sich an einem symbolhaft ausgewählten
Ort, im Österreichischen Hof in Salzburg das Leben.
Die Veranstalter der Pürgger Dichterwochen hätten
für derartig unerbittliches wie auch tragisches Hinweisen auf die
Vergangenheit kein Verständnis gehabt. Eher ging man ein fatales Bündnis
mit den Nazis und rechtskonservativen Heimatlob Sängern ein.
So unterscheidet sich das Pürgger Unternehmen von den eher weltoffeneren
und die kritische Intelligenz einbeziehenden Veranstaltungen in Alpbach,
die von Otto Molden und Simon Moser gegründet wurden, wesentlich.
Hier fanden Koestler und Sperber ihren Platz. Bemerkenswert ist in jedem
Fall, dass die in Alpbach angesiedelten Hochschulwochen, 1946 begründet,
vom Österreichischen College einberufen und von der französischen
Besatzungsmacht begünstigt und unterstützt wurden.
Fritz Molden und Arthur Koestler haben dafür gesorgt, dass die
Vorstellungen des Kongresses für kulturelle Freiheit, und damit
die amerikanische Orientierung Alpbach auf Dauer bestimmten. Tatsächlich
dürfte das Österreichische College beste Beziehungen zur CIA
gehabt haben. Für die Amerikaner dürfte es kein Problem gewesen
sein, widersprüchliche Strategien zu unterstützen.
Die französische Konstellation ist insofern für die Bewältigung
der jüngeren europäischen Geschichte und der damit verbundenen
Aufarbeitung und Bewältigung des Nationalsozialismus und Faschismus
von Interesse, da doch die französische Resistance ein bedeutend grösseres
Spektrum und mehr demokratischen Spielraum umfasste, als vergleichsweise
der Antifaschismus in Deutschland und in Österreich. Wobei hinzuzufügen
ist, dass jene Formen des österreichischen Widerstandes, die nicht
dem kommunistischen Lager, das den Begriff des Antifaschimus für sich
reserviert und bereits in den 30er Jahren instrumentalisiert hatte, angehörten,
alsbald und zumindest ab der Zeit von Pürgg im Sinn der von den USA
skizzierten Allianz aus der österreichischen Realpolitik verdrängt
wurden. Diese Ansicht stimmt auch überein mit den Mitteilungen des
Zeitzeugen Hermann Lein, der in jener Zeit enger Mitarbeiter des Unterrichtsminister
Felix Hurdes, Vorgänger jenes Unterrichtsministers Kolb, der Pürgg
finanzierte, gewesen ist. Die durchaus auch im bürgerlichen Lager
vorhandenen aktiven Formen des Widerstandes, die zu einem neu sich
definierendem demokratischen Bewusstsein führen hätten können,
wurden der neuen österreichischen Realkonstitution, die von nun an
der Logik des Kalten Krieges folgte, geopfert.
Während etwa die zwei grossen, in mythologische Figuren verwandelte
Resistance Kämpfer Jean Moulin und Atoine de Saint Exupery, die von
den Amerikanern in ihrem Widerstand gegen die Nazibesatzung unterstützt
worden waren, mit höchsten Ehren in der französischen Ruhmeshalle
Pantheon bestattet wurden, gilt der Antifaschismus im deutschen Sprachraum
insklusive Österreich als kommunistische Strategie, die zu brandmarken
jeder, der glaubhaft zur neuen Westallianz zählen wollte, ob
nun Katholik, Sozialdemokrat, oder Ex-Nazi oder sich frei gebärdende(r)
Künstler(in), sich bemüssigt fühlte.
So geriet jeglicher Versuch der Aufklärung als kommunistischer
Unterwanderungsversuch, der von der unheiligen, pragmatischen Allianz mit
Denunzierung, Totschweigen und in einigen Fällen gar mit Existenzverlust
geahndet wurde.
Man muss bemerken, dass selbst in Westdeutschland differenziertere
Spielformen, insbesondere die geradlinige Haltung der Gruppe 47,
möglich gewesen sind, während Österreich in unvornehmes
Verschweigen sich hüllte.
Diesen militanten Antikommunismus teilen das Amerika Eisenhowers und
McCarthys, die deutschen und österreichischen Katholiken und insbesondere
die ehemaligen Nationalsozialisten. Brecht und Eisler wurden vor den berüchtigten
Ausschuss
wider antiamerikanische Umtriebe gezerrt. Thomas Mann wurde jahrelang
wegen kommunistischer Sympathien vom FBI observiert. Sie mussten Gottes
eigenes Land, das ihnen vor den Nazis Exil gewährt hatte, in den
50 er Jahren wieder verlassen, weil ihnen auf Grund dieser Vorwürfe
jegliche publizistische Möglichkeit und damit eine amerikanische Existenz
verwehrt blieb.
Friedrich Torberg teilte diese McCarthy Linie voll und ganz. Er und
Weigel verhinderten das Engagement Brechts in Salzburg. So hatte
dann Brecht zwar einen österreichischen Pass, musste aber in der DDR
arbeiten. Sein Werk und dessen Wirkung im Westen übersteig jedoch
das literarische Gewicht Torbergs bei weitem. Torberg konnte Brecht zwar
vertreiben, dessen ohne jeden Zweifel bestehende literarische und inhaltliche
Anerkennung hingegen konnte er nicht verhindern.
Die jüngere Generation war jedoch eher bestimmt durch US-Orientierung
und Rezeption des sozialistischen Realismus, also verfangen in die Auseinandersetzung
der beiden grossen mächtigen Brüder des Kalten Krieges. Die Formen
des österreichischen Individualanarchismus, der über weite Teile
die Selbstbespiegelungsliteratur des letzten Drittels des 20.Jahrhunderts
bestimmt, diente eher der verzweifelten Identitätsfindung einer zwischen
zwei dezidierten Fronten strampelnden Literatur ohne besondere Eigenschaften.
Sowohl Thomas Bernhard wie auch etwa Peter Handke sind eher konservative
Charaktere mit provozierendem Verhalten, wenn auch unterschiedlicher Weltanschauung.
Ihr und unser aller Dilemma ist eine einerseits überholte und im weiteren
zerstörte, sich selbst zerstörende Identität, die aus dem
historischen Fiasko heraus noch keine wirkliche und tragfähige Antwort
auf die europäische wie globale Herausforderung der Gegenwart gefunden
hat. Der österreichische Aktionismus, das Ausreizen und die Überschreitung
der Tabuzonen ist nicht emanzipatorisch und schon gar nicht aufklärend.
Die provokatorische Geste des Ausreizens entspricht einer desorientierten,
rein pragmatisch am Überleben interessierten Gesellschaft, der der
Mut zur Vision längst abhanden gekommen ist, diese gar als Krankheit
denunziert.
Bezeichnend für diese dauerhafte Haltung bestimmter und nach wie
vor mächtiger ÖVP Kreise, die sich in der Pürgggesellschaft
spiegelt, ist die Antwort Waldheims, als er schon Präsident war, auf
die Frage nach seinem bevorzugten österreichischen Dichter. Er nannte
Karl Heinrich Waggerl. Der Rekurs auf Autoren, die dem schlichten und einfachen
Landleben ein Loblied sangen, die die Schönheit der heimischen Landschaft
anpriesen, enthob ihre Leser und Leserinnen und ihre Befürworter der
ideologischen Stellungsnahme. Man musste im Bekenntnis zum einfachen Leben
und im Lob der schlichten Dinge seine wahre Gesinnung nicht preisgeben.
Das konnte sehr vorteilhaft sein.
Andererseits sind die Verquickungen Waggerls, der ehrenamtlicher Salzburger
Landesobmann der Reichsschrifttumskammer war, in die nationalsozialistische
Kulturpolitik, die Verschmelzung von Heimat- und Herrenlob (Gert
Kerschbaumer), seine Tätigkeit als Propagandaschreiber für die
Wehrorganisation Todt, seine propagandistische Instrumentalisierung in
der Nazi-Kriegsführung, die Propaganda für das letzte
Aufgebot, den Volkssturm, so gravierend und eindeutig, dass Waggerl
keineswegs als unbefangener, von den Untiefen real nationalsozialistischer
Politik nicht berührter, über allen heimischen Wipfeln schwebender
Geist angesehen werden kann. Waggerl durfte ebenso wie Bayr im Völkischen
Beobachter publizieren.
Waggerl hätte gut zur Tischgesellschaft in Pürgg gepasst
und hat sich möglicherweise wie einige andere krankheitshalber entschuldigt.
Während Josef Krainer sich für die Pürgger Runde verantwortlich zeigte , so kann man den erwiesenen Ehrenschutz interpretieren, hat sich eine Generation später Erhard Busek in unserer Zeit immerhin zu Konrad Bayer bekannt. Ob dies jedoch in Übereinstimmung mit dem Geschmack der Kernklientel der Volkpartei geschah, wage ich zu bezweifeln.
In der Konzeption des Kalten Krieges hielten die Amerikaner die Annäherung und die Einbindung der ehemaligen Nationalsozialisten für nötig und sie begannen diesen Prozess mit Hilfe einheimischer politischer Kräfte zu lancieren. So wäre auch die handverlesene Auswahl junger Autoren verständlich, die man den Alten präsentiert hatte, um die Versöhnung glaubwürdiger erscheinen zu lassen. Man musste den Trend der neuen Zeit des Kalten Krieges, des Abwehrkampfes wider den Sowjetkommunismus aus amerikanischer Sicht an den nationalsozialen Weltkriegsgegner vermitteln, um diesen für die Anforderungen der Zeit zu gewinnen. Die Interessen deckten sich mit den österreichischen.
Eine diskursive Form der Vergangenheitsbewältigung schien nicht
möglich zu sein, dazu waren die Nazis zu überzeugt von ihren
historischen, wenn auch verlorenen Zielen, sondern konnte bloss durch
den symbolischen Akt des Zusammenseins und des privaten Dialogs gelöst
werden. Heimelig sollte es ihnen in Pürgg wieder werden, und das scheint
auch gelungen zu sein. Und selbstverständlich hatte diese NS-Schreiber
Elite noch eine Reihe von Verbindungen aus der vergangenen Zeit, die in
anderer Weise nützlich gewesen sein dürften.
Diese signalisierte Bereitschaft des Diskurses wird sich herumgesprochen
haben. Ein Bericht der Kleinen Zeitung vom 22.9.1955 bestätigt
dieses harmonisierende Unterfangen.
Man hielt sich an die Klassik, so waren etwa die zwei irrenden Figuren
Faust und Parsifal Gegenstand eines Vortrages. In solcher Atmosphäre
ergab sich ein guter Brückenschlag zwischen „Tradition“ und „Fortschritt“
in der Aussprache. Ebenso bestätigt wird diese Annahme durch den bereits
oben erwähnten Bericht Rudolf Bayrs in den Salzburger Nachrichten.
Die wahren Schriftsteller der Zukunft, jene, die sich etwa rund um und
im Wiener Art-Club regten, und die es dann auch geworden sind, wollte
man gar nicht erreichen, ihre kritischen Augen und ihr oppositionelles
Bestreben, ihre anarchische Gebärde wären bloss störend
im erwünschten Burgfrieden gewesen. Sie sind bisweilen heute noch
Gegenstand des österreichischen Kulturkampfes.
Das lässt aber auch die Gruppe nicht belasteter geladener Autoren
im anderen Licht erscheinen. Ich gehe davon aus, dass sie in Wahrheit Vertrauenspersonen
einer politisch angelegten Strategie waren, die in Pürgg als Vorzeigefiguren
der neuen Zeit auftraten.
Seht her, ihr seid Kulturmenschen und auch wir sind das und es gibt
da einen grösseren Feind jenseits der westlichen Hemisphäre,
der uns insgesamt bedroht und gegen den wir über alle Gräben
hinweg zusammenhalten müssen. Um die Veranstaltungen nicht im
literarischen Ghetto zu belassen, wurde jeweils ein Rahmenprogramm organisiert.
Die Pürgger Tischgesellschaft, insbesondere der nationalsozialistisch
belastete Anteil, konnte sich der Zustimmung weiter Bevölkerungskreise
unterschiedlicher Partei- und Weltanschauungszugehörigkeit erfreuen
und die Versöhnung wurde so querfeldein dokumentiert.
Voraussetzung für die eindeutige Tendenz der Volkspartei hin zur
Rechten war deren wahltaktische bis fatale Gleichsetzung der Sozialdemokratie
mit dem Kommunismus. Dabei wurde bewusst davon abgesehen, dass die antikommunistischen
Kräfte in der SPÖ die überwiegende Mehrheit bildeten und
selbst die Linkssozialisten den Stalinismus der KPÖ ablehnend
gegenüber standen. Ich erinnere an den Sozialisten Franz Olah, der
mit Geld-Mitteln aus dem amerikanischen Gewerkschaftsbund AFL/CIO, die
in Wahrheit so wie für den Kongress für kulturelle Freiheit
aus versteckten CIA Kassen flossen, ausgestattet wurde. Olah schlug kommunistisch
angezettelte Unruhen nieder und half mit Gewerkschaftsgeldern, deren Herkunft
nie geklärt wurde, die Kronenzeitung zu gründen. Diese
Gleichsetzung der Sozialisten mit Kommunisten wurde immer zu Wahlkampfzeiten
bewusst verstärkt und ist heute etwa mit der Rote Socken Kampagne
der CDU/CSU vergleichbar.
Aufgrund dieser historisch politischen Einschätzung versuchte
die ÖVP rechts der Mitte Zustimmung zu finden und rechts führte
der Weg konsequenterweise ins nationalsoziale Restlager. Dies ging allerdings
nur, weil die ÖVP ihre mittlere Position schon sehr weit rechts angesiedelt
hatte. Durchaus verständlich auf Grund ihrer ständestaatlichen
und vaterländischen Vorgeschichte.
Alfons Gorbach, wesentlicher Exponent des Ennstaler Kreises,
setzte die Entscheidung durch, minderbelastete Nazis in die Parteiorganisationen
der Volkspartei aufzunehmen und ihnen damit den Weg in das öffentlich
politische Leben der 2.Republik zu ermöglichen. Dieses wiederum zur
Verwunderung jener, die auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur ständestaatlichen
Ordnung in politischen KZs der Nazis einsitzen mussten und die Ermordung
des Bundeskanzlers Engelbert Dollfuss durch ein putschendes Nazikommando
nicht vergessen wollten.
Auf Seiten der SPÖ ist ein ähnlicher Prozess in Gang gesetzt
worden. Beiden demokratischen Parteien war klar, dass satte Mehrheiten
nur mit Stimmenfang im rechten Lager zu gewinnen war und dieser Stimmengewinn
war nur durch politische Geschäfte möglich geworden. Andererseits
konnte man einer derartig grossen Gruppe die umfassenden Bürgerrechte
auf Dauer nicht entziehen. Dieser Prozess war bereits in der zweiten Hälfte
der 40 er Jahre eingeleitet worden und den Belasteten, geschätzt mit
etwa 560000 wurde wieder das Wahlrecht zuerkannt, das ihnen in der Gründung
der 2.Republik auf einige Zeit verweigert wurde. Die ehemaligen und die
neuen Freiheitlichen konnten so in der Parität des bürgerlichen
und des sozialistischen Lagers zu ihrem Vorteil Zünglein an der
Waage spielen.
Die Legitimitäts-Debatte flammt in der 2.Republik bis in die jüngste
Zeit immer wieder auf, wenn es etwa um die Besetzung des hoher politischer
Positionen durch das freiheitliche Lager geht, obwohl der Folgepartei des
VdU, der FPÖ oder F, wie sie nun zwischenzeitlich genannt wird, alle
Verfassungsrechte garantiert wurden. Derartiger Streit ist also müssig
und wesentlich produktiver wäre ein sach- und demokratiepolitischer
Überzeugungswettbewerb, ohne erneut in die Geschichtsverwischungen
der 2.Republik zu verfallen. Aktuell haben sich jedoch Verhältnisse
zugunsten der Rechten verschoben und die Freiheitlichen sind zum Missfallen
Europas an der österreichischen Regierung direkt beteiligt.
Die KPÖ hat ein einseitiges, ideologisch orientiertes Geschichtsbild
entwickelt. Da wurde der Begriff Befreiungsarmee besonders betont, eine
Kategorisierung die von den Sowjets vorangestellt wurde, obwohl den Alliierten
bewusst gewesen ist, dass die Österreicher so unfreiwillig nicht mit
Hitler in den Zweiten Weltkrieg gezogen waren. Da war dann auch noch der
KZ-Mythos der eingesperrten Politiker des Ständestaates und der Sozialdemokraten,
der um die nun führenden Köpfe der demokratischen Grossparteien
aufgebaut wurde und den Blick hinter die Kulissen verstellen half.
Insgesamt wurde der Mythos der Freiheit über das Land gebreitet.
Leopold Figls Ausruf im oberen Belvedere: Österreich ist frei
anlässlich der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages
ist heute noch eine gebräuchliche historische Metapher. Während
meiner Schulzeit wurde uns alljährlich am 26.Oktober mitgeteilt, dem
österreichischen Nationalfeiertag, dass an diesem Tag 1955 der letzte
russische Soldat Österreich verlassen habe.
Um diese politische Klammer deutlich zu machen, möchte ich im folgenden
ein Reihe von realpolitischen Ereignissen und Aussagen anführen, die
ich allesamt aus der Lektüre der Jahrgänge 1952 bis 1955 des
Ennstaler,
des Wochenblattes für das gesamte Enns-, Palten- und Liesingtal, das
anschliessende Salzkammergut gewonnen habe. Man wird daran die realpolitische
Sendung der Pürgg Treffen eher erkennen.
Das Verbreitungsgebietes des Ennstalers kann als territorial
kennzeichnend für den Ennstaler Kreis selbst genommen werden, der
über die steirischen Landesgrenzen hinaus Verbindungen ins salzburgische
und ins oberösterreichische pflegte. Ob der Herausgeber des Ennstaler,
Wallig, selbst in den Ennstaler Kreis eingebunden war, kann ich
nicht mit Bestimmheit sagen. Aus diesem Wochenblatt lässt sich jedoch
deutlich die Gesinnung des Ennstaler Kreises ablesen.
Im November 1952 hält der Landeshauptmann von Salzburg Dr. Josef
Klaus eine bemerkenswerte Rede sowohl in Gröbming wie in Schladming.
Josef Klaus stand laut Ennstaler im engen Kontakt mit den Amerikanern.
Neben den österreichischen Finanz- und Haushaltsplänen behandelte
Klaus vor allem die amerikanischen Wahlen, die gerade von General Dwight
D. Eisenhower gewonnen worden waren. Dezidiert wird festgestellt, dass
Eisenhower für den Aufbau einer starken globalen Verteidigung einsteht,
weil nur so verhindert werden kann, daß ein Land nach dem anderen
vom Kommunismus vereinnahmt wird.
Der Ennstaler zitiert Eisenhower: In erster Linie streben
wir einen gerechten und dauernden Frieden für uns und die freie Welt
an. Damit wir diesen Frieden verwirklichen und dafür sorgen können,
daß er nicht gebrochen wird, müssen wir ein festes Ziel vor
Augen haben. Wir müssen wirtschaftlich, militärisch und geistig
stark sein, und müssen im Einklang mit unserer Stellung in der Welt
starke und verlässliche Alliierte suchen. Wir müssen mit Kanonen
gerüstet sein, mir müssen auch mit internationalen Bündnisverträgen
und einer guten Währung gewappnet sein. Vor allem aber müssen
wir mit Hingabe an die Ethik der Freiheit gerüstet sein. Rüstung
bedeutet nicht Krieg, Rüstung garantiert Gewappnet sein gegenüber
einem Gegner, der die Weltrevolution anstrebt.
Stimmen aus den USA weisen verstärkt auf die Notwendigkeit der
europäischen Einigung hin. Soweit der Ennstaler. Damit sind
die Positionen des Kalten Krieges der westlichen Welt gegen den Sowjetkommunismus
und seine weltpolitischen Absichten festgeschrieben. Und in diesen Einigungsprozess
sollte die grosse politische Gruppe der ehemaligen Nationalsozialisten
eingebunden werden. Sowohl ÖVP wie auch SPÖ waren insgesamt bereit,
dieses Programm zu erfüllen, beziehungsweise hatten bereits entscheidende
Vorarbeiten geleistet, wie etwa Innenminister Helmer mit der Zulassung
des VdU als wahlwerbende Gruppe. Auch aus amerikanischer Sicht sollten
jene Bevölkerungskreise gewonnen werden, die den Nationalsozialisten
nahestanden bzw. ihnen zugehörig waren, um von dieser Seite destabilisierende
Konflikte zu vermeiden.
Eine Anlehnung an Deutschland war jedoch laut Klaus nicht erwünscht.
Ein zu grosses Interesse an den Deutschen schade der europäischen
Einigung. Man müsse aber deswegen nicht völlig auf Distanz zu
Deutschland zu gehen.
Es dürfte dabei jedoch weniger die europäische Einigung eine
Rolle gespielt haben, als der sehnsüchtige Wunsch der Österreicher
nach einem eigenen Friedensvertrag und nach dem Ende Besatzung.
In weiteren Ausgaben des Ennstalers werden wiederholt Probleme
des Weltfriedens (des Kalten Krieges) aus amerikanischer Sicht besprochen.
Berichte werden teilweise von einer Presseagentur FPT in München und
Photos von einer Agentur AND (Amerikanischer Nachrichtendienst) übernommen.
Gegen zentralistische Modelle wird der Föderalismus gestellt, der
ethnischen Gruppen und dem Einzelnen mehr Entscheidungsfreiheit garantiere.
Hier schwingt auch unausgesprochenes Misstrauen gegenüber der Metropole
Wien, die in weiten Teilen noch von den Sowjets besetzt ist und kontrolliert
wird, wie auch gegenüber den eher zentristischen Vorstellungen der
Sozialdemokraten mit.
Im Jänner 1953 hält Alfons Gorbach eine aufschlussreiche
Wahlkampfrede zur Nationalratswahl. Die ÖVP sieht sich als Vorkämpferin
der Privatwirtschaft und der christlichen Weltanschauung und als Sammelpartei
des Antimarxismus.
Gorbach: Der Kommunismus ist unseres Volkes sicherer Tod. Wer von
ihm isst, stirbt.
Das ist deutlich genug. Das Schwergewicht des Kampfes der ÖVP
richtet sich gegen Links. Sozialismus und Kommunismus hätten die gleiche
ideologische Grundlage. Schärf und Helmer wären zwar verbürgerlichte
Sozialisten, doch dem linken Flügel dieser Partei könne man nicht
trauen. Deutliche Worte wurden auch in Richtung Frontkämpfer und Heimkehrer
gerichtet. Man habe in ihnen zum Teil Kriegsverlängerer und Kriegsverbrecher
(Nürnberger Prozesse) gesehen. Das einzige Verbrechen wäre aber
gewesen, dass ihre soldatischen Tugenden missbraucht worden wären.
Ohne Pflichtreue gäbe es keine menschliche Entwicklung und Gemeinschaft.
Gorbach: Ich habe als alter Soldat vor jedem Achtung, der als Soldat
seinen Eid gehalten hat, um sein Vaterland vor der erbarmungslosen Hilflosigkeit
eines besiegten Landes zu bewahren. Menschen mit solcher Pflichterfüllung
sind wertvoller als jene, die sich vor jeder Pflicht drücken.
Alles aus vaterländischer Verteidigungsperspektive gesehen und kein Wort vom erbarmungslosen Angriffskrieg, dem Kampf um mehr Lebensraum, den die Deutschen mit Hilfe der Österreicher geführt haben. Und kein Wort über die Vernachlässigung demokratischer Pflichterfüllung, die diesem Krieg vorausgegangen war. Man muss allerdings hier einfügen, dass die Zwischenkriegszeit zu kurz war, um zu jenen demokratischen Qualitäten zu gelangen, die wir heute nach einen mehr als fünfzigjährigen Epoche des Friedens geniessen, dass der zweite grosse Krieg auch Ergebnis des Versagens von Demokratie gewesen ist, die sicher nicht entfaltet aus der aristokratischen und grossbürgerlichen Herrschaftswelt des 19. Jahrhunderts hervorgegangen ist.
Etwa ab 1953 wurde die Kameradschaftsbünde aktiviert und in jedem Ort wurde die Errichtung eines Kriegerdenkmals eingefordert. Die Reintegration der Frontsoldaten ins zivile Leben war ein besonderes politisches Anliegen Ennstaler Kreises. Ein an sich legitimes Vorhaben. Nur sollte man die Vorstellungen und Bedingungen beachten, unter denen dies geschah. Kritische Vergangenheitsbewältigung war keinen Falls Teil dieses Programmes. Man war froh, davongekommen zu sein, und heilfroh, nicht mehr zurück sehen zu müssen. Es gab keine Veranlassung zum Nachdenken, so wie sich auch die nationalsozialistischen Schriftsteller in Pürgg nicht rechtfertigen mussten.
Am 24.Juli 1953 schreibt der Ennstaler anlässlich des Besuches
von Eleanor Roosevelt in Wien zum Thema Amerika und Kommunismus. Frau Roosevelt
wurde ihre Unterstützung der Politik ihres Mannes, mit der sie sich
mitschuldig gemacht habe an der Durchsetzung der amerikanischen Staatsführung
mit Kommunisten, vorgeworfen. Der New Deal, der vorrangig
der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit diente und die völlige
Verarmung in den ländlichen agrarischen Gebieten zu verhindern half,
wurde im Ennstaler als linke planwirtschaftliche Politik verteufelt.
Verhängnisvoll , so Ennstaler im O-Ton hätte sich
die Tatsache ausgewirkt, dass zu dieser Zeit tausende jüdische Emigranten
von Deutschland, später von Österreich, dem Protektorat Böhmen
und Mähren ( wie man sieht, hielt man sich 1953 noch an die reichsdeutsche
Sprachregelung) und anderen europäischen Ländern in die USA kamen.
Viele unter ihnen könne man als Salonbolschewiken bezeichnen. Dieser
Menschentyp, der besonders unter jüdischen Intellektuellen zu finden
wäre, stünde auffassungsmässig vor allem in Fragen der Kunst
und Kultur auf der Seite des Kommunismus. Die bekanntesten dieser emigrierten
Salonbolschewiken wären der Dichter Thomas Mann und der Gelehrte Albert
Einstein...
Das ist wohl die Antwort auf meine rhetorisch gestellte Frage, warum
man Leute wie Koestler oder Sperber nicht nach Pürgg zum gesamtdeutschen
Dichtertreffen geladen hatte.
Der Ennstaler lobt im weiteren, dass die USA nun endlich die
verhängnisvollen Folgen der Rooseveltschen Politik zu erkennen begännen
und begrüsste vor allem die Einrichtung des Senatsausschusses für
antiamerikanische Umtriebe, dem Joseph Mc Carthy vorstand, dessen Aufgabe
es war, alle Amerikaner, die des Kommunismus verdächtigt wurden, vorzuladen
und zu verhören.
Und so nebenbei bestand man darauf, dass Ritterkreuzträger ihre
hohen Weltkriegs II Auszeichnungen bei Kameradschaftstreffen tragen durften
und spottete über Wiener Zeitungen, die sich darüber erregten.
Am 2.April 1954 berichtet der Ennstaler über einen zweiwöchigen
Aufenthalt Generalfeldmarschalls Kesselring, des Oberbefehlshabers der
Heeresgruppe Süd und erfolglosen „Verteidigers“ von Monte Cassino,
in Aigen im Ennstal. Obwohl Kesselring erklärte, nur als Privatmann
nach Österreich gekommen zu sein, widmet ihm der Ennstaler die Titelseite
und die folgende Seite. Der Erklärung von Kommunisten und Teilen der
Sicherheitsbehörden, Kesselring sei eine unerwünschte Person,
stellte man entgegen:
Um den Staatsvertrag zu bekommen haben wir die Unrechtsgesetze von
1945 geschaffen und uns immer wieder vor den Sowjets gedemütigt.
Und das hätte gar nichts genützt. Welche Unrechtsgesetze
mögen das wohl gewesen sein. Das Verbot der NSDAP, die Entnazifizierungsprozesse
? Vor allem war es der Entzug des aktiven und passiven Wahlrechts, der
da besonders geschmerzt hat, wie auch die Beschränkung in Versorgungsangelegenheiten.
Trotz des als rein privat bezeichneten Aufenthaltes Kesselrings kamen viele
alte Krieger auf Besuch. Soldaten und Offiziere, die ihren Kommandeur in
Aigen begrüssten und seinen Rat einholten.
Kesselring, der unter anderem an der Planung der Invasion Englands
beteiligt gewesen ist, wurde im Mai 1947 von einem britischen Militärgericht
wegen Kenntnis und Duldung der völker- und kriegsrechtswidrigen Erschiessung
von Angehörigen der italienischen Befreiungsbewegung zum Tod verurteilt.
Das Todesurteil wird alsbald in eine lebenslängliche Haftstrafe, die
ein Jahr danach auf 20 Jahre verkürzt wird, umgewandelt. 1952 wird
Kesselring „auf Ehrenwort“ aus dem Gefängnis entlassen. Zwischen
1952 und 1960 ist er Bundesführer des neu gegründeten und wieder
zugelassenen Stahlhelms, des Bundes der Frontsoldaten. Auch er ist ein
Nutzniesser der Positionen und Optionen des Kalten Krieges.
Vor seinem Aigener Aufenthalt verbrachte Kesselring einen Tag in Graz
und hatte dabei Gelegenheit zu Unterredungen mit Landeshauptmann Krainer,
Landesrat Brunner und Nationalrat Gorbach.
Der Ennstaler wettert wider den Rachedurst der Ewig-Gestrigen
und meint damit nicht die Nazis, sondern u.a. den Steigbügelhalter
des Kommunismus im österreichischen Parlament, Ernst Fischer und moniert
wieder einmal mehr Unrecht, begangen im Zeichen der Unterwürfigkeit
gegenüber den Alliierten an den eigenen Staatsbürgern. Meines
Wissens war die Entnazifizierung und die damit verbundenen Auflagen nicht
allein eine Forderung der Sowjets.
Am 10.Dezember 1954 berichtet der Ennstaler, dass die Frontkämpfervereinigung
Stahlhelm und deren Sprecher Kesselring sich rückhaltlos zur Adenauer
Regierung bekenne. Der idealistischen Grundhaltung des Stahlhelms nach
wäre sein natürlicher Feind weiterhin der Bolschewismus und die
Erhaltung und Förderung der positiven Werte des Soldatentums.
Damit waren klare Positionen für den kalten Krieg geschaffen und
die Deutschen durften nach der Bereinigung ihres inneren Konfliktpotentials
sich ab da insgesamt zu den Alliierten zählen.
Ob nun nicht doch der Besuch in der Steiermark nicht rein privaten
Charakters war, sondern vielmehr ein bewusst herbeigeführtes Treffen,
in dem die neuen christlich sozialen Positionen und amerikanischen Vorstellungen
mit dem Feldmarschall beredet wurden. Ein Besuch, den der ehemalige Befehlshaber
der Heeresgruppe Süd zu einer kleinen obersteiermärkischen Befehlsausgabe
der neuen Marschroute an die alten Kameraden, die ihn so vielfältig
aufgesucht hatten, genutzt hatte...
Und so nebenbei wurden in Pürgg den Kulturschaffenden und mittels
der Kulturschaffenden der Bevölkerung und nahestehenden Kreisen der
Delegierten die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse nahegebracht.
Am 23.September 1955 ist es soweit und der Ennstaler titelt: Österreich
ist russenfrei !
Die Sowjets hätten Österreich früher als erwartet geräumt
und selbst verschiedene Waffen haben sie den Österreichern geschenkt.
Das haben die Amerikaner, wie wir vor zwei Jahren erfahren haben, auch
getan. Mit dem einen Unterschied, dass diese „vergessenen“ Waffenlager
noch strategisch positioniert waren.
Das 20. Jahrhundert ist zu Ende gegangen. Wir wissen sowohl über
die Verbrechen des Kommunismus wie auch des Nationalsozialismus umfassender
Bescheid. Die Angst weiter Teile der österreichischen Bevölkerung
verstehe ich heute besser und es ist sicher richtig und gut gewesen,
dieses Land dem sowjetischen Einfluss zu entziehen.
Was ich nicht verstehen will, ist dieses Bündnis mit den alten
Nazis und der Versuch der Verdunkelung der Geschichte und die Mithilfe
an der Verdeckung dieser ungeheuerlichen Verbrechen wider die Menschlichkeit.
Das gilt auch für die offensichtliche amerikanische Akzeptanz dieses
für die Entwicklung unseres Landes, des geistigen und politischen
Klimas so einschneidenden und prägenden Vorganges.
Jetzt, nach dem historischen Ende des Kommunismus und einer aufgeklärten
und eindeutig schuldzuweisenden Gesetzgebung müssen es sich
die österreichischen Parteien gefallen lassen, über ihre
Geschichte gefragt zu werden, ihre Beweggründe nochmals zu überdenken
und sich nicht in der wertkonservativen oder pragmatischen Schmollecke
zu verkriechen.
Die Affäre Waldheim hat gezeigt, dass wir in diesem Land noch
immer von den verhüllten Schatten der Vergangenheit in der Freiheit
des Wahrnehmens eingeschränkt werden und einige der Wurzeln dazu sind
in den politischen Entscheidungen des Ennstaler Kreises der 50er
Jahre zu finden. Diese Haltung Waldheims und der ÖVP hat den Rechtsrutsch
zu Haider, der heute von vielen beklagt wird, erst möglich gemacht.
Und es bleibt zu hoffen, dass aufgeschlossene Kulturpolitiker der ÖVP
in diesen Fragen nicht wieder mit einer jetzt erst recht Haltung
reagieren..
Die Konstellation der Geladenen zur Pürgger Tischgesellschaft ist
die tatsächliche Botschaft gewesen. Ich habe mich weniger auf den
Inhalt des Werks der geladenen Gäste eingelassen, der war ja auch
in Pürgg selbst nicht gefragt. Es wäre auch zu viel verlangt
die Texte Springenschmids, Bluncks, Brehms, der Grogger und vieles mehr
nachzulesen, in Nachlässen nach etwa verbliebenen Redeentwürfen
zu forschen und nach verschollenen Gedichten von Kudrnofsky zu fahnden.
Das werde ich mit Sicherheit nicht tun. Allein die Werke der Nationalen
sind derartig in Vergessenheit geraten, dass eine Kritik an ihnen ohne
entsprechende Nacherzählung der inhaltlichen Absicht unmöglich
wäre. Blunck fungiert etwa als Fabel- und Märchenerzähler,
hat aber auch ein umfangreiches Romanwerk hinterlassen. Das erneut in diesem
Rahmen zu erarbeiten, halte ich für unsinnig.
Die Kenntnis des Titels von Hans Grimms Volk ohne Raum
hat sich bis in unsere Zeit gehalten, weil er zu einen der zentralen motivierenden
Texte des Nationalsozialismus zählte und in fast jeder ernstzunehmenden
Dokumentation, ob nun in Printform oder filmisch, Erwähnung findet.
Viele dieser Autoren sind völlig zurecht nicht allein aus weltanschaulichen
Gründen in Vergessenheit geraten Einige der Namen der nationalsozialistischen
Autoren sind mir erst durch die Pürggdokumentation bekannt geworden.
Dies ist an sich ein gutes Zeichen, dass sie bereits längst ausserhalb
des allgemeinen literarischen Diskurses liegen und es nicht mehr zu den
allgemeinen Bildungsansprüchen zählt, diese auch kennen zu müssen.
Bezeichnend ist es jedoch, dass der Dokumentarist der Pürgger Dichtertreffen
genau diese Autoren wieder in Erinnerung rufen will. Aber auch das ist
keine wirkliche Gefahr.
Die Antworten auf die Pürggischen Kulturvorstellungen, auf das
ewige Gestrige finden wir in den in verzerrt wuchernden Charakteren des
Thomas Bernhard, der so bis zu seinem Tod fortwährend am Rande des
Skandals agierte. Die Zeitgenossen Thomas Bernhards aus der Nachkriegsgesellschaft
bis ins Heute erkannten sehr wohl in seinen Übertreibungen und Überzeichnungen
die Deformationen und die Rückständigkeit des eigenen Charakters
und die eigene versteckte Geschichte.
Das retardierende Element, der immerwährende Wiederholungs- und
Rechtfertigungszwang zeigt von einer Atmosphäre unbewältigter,
dumpfer Vergangenheit.
Auch das ist bezeichnend für die Pürggesellschaft. Dieses
quälende Umgehen mit unbewältigter Vergangenheit finden wir in
anderer österreichischer Literatur bis hin zu Elfriede Jelinek. Das
Thema dieser neueren österreichischen Literatur ist das Dorf, in dem
fortwährend die Schatten der Vergangenheit agieren. Der Idylle des
natürlichen und urgesunden Landlebens, das Rudolf Bayr noch in seiner
Fernsehserie Häferlgucker über die bodenständige Esskultur
in die österreichischen Wohnstuben projizierte, wurde eine groteske
Darstellung des Boshaften, in der die Rückständigkeit und der
nationalsozialistische Spuk angegriffen wurde, gegenüber gestellt.
Diesen quälenden Umgang mit dem ländlichen finden wir bei Gerhard
Roth, bei Innerhofer, bei Klaus Hoffer. Ebenso in Turrinis und Pevnys ORF
Serienproduktion Alpensaga. Lange vorher hatte bereits Gerhard Fritsch
dieses Genre mit seinem Roman Fasching zu thematisieren versucht. Kaum
jemand konnte sich dem Genre des negativen Heimatromans entziehen. Man
kann einen ganzen Erzählstrang der neueren österreichischen Literatur
ausmachen, eine ganze literarische Strömung, die an einem strickt,
nämlich an der unbewältigten österreichischen Geschichte
und an denen im und am Land erlittenen Verletzungen. Diese fortwährende
Nabelschau wird uns nicht zu einer neuen Weltschau verhelfen.
Doch es gibt offensichtlich noch jemanden, abgesehen einmal von den
Herstellern der Fremdenverkehrs-Werbebotschaften der Bundeswirtschaftskammer,
dem das ursprüngliche Klischee der österreichischen ländlichen
Idylle und Schlichtheit gefällt, angereichert um Histörchen der
feudalen Vergangenheit mit einem ewig nickenden Gamsbart Kaiser. Es müssen
wohl die Teilnehmer des US-Cable Networks sein, in denen die österreichisch
amerikanische Co Produktion Hello Austria - Hello Vienna zu
sehen ist. Die an der Konzeption der Sendung beteiligten Austroamerikaner
haben Gefallen an der österreichischen Hinterwäldlerei gefunden
und so sieht Österreich in Amerika des öfteren aus wie ein Bilderbogen
aus vergangenen Zeiten. Spinnrad drehende Frauen, jodelnde Sennen und Sennerinen,
schuhplattelnde und schenkelklatschende Ausseer, fesche Dirndln im Kornfeld,
Schlösser und Burgen, in Loden gehüllte Holzhacker, bevölkern
diese halbstündige Sendung regelmässig und zuhauf. All
die Bilder, die den Nationalsozialisten schon so gefallen haben, das gsunde
Landleben und die feschen Maiden an der frischen Luft.
Was nutzt uns jeder Modernisierungsschub, wenn sie uns eh nur als willfährige,
gutmütige alpine Trotteln sehen wollen, die, wie man jetzt genauer
weiss, in vielerlei Richtung manipulierbar waren und wir noch immer im
ländlich historisierenden Spielzeuglandstil dargestellt werden. Alpine
Spielfiguren im Reich der von Mickey Maus, des Big Macs, der Fords, des
weltweiten Coca Cola Zapfnetzes und von Bill Gates Rangiersoftware, in
dessen Maschen die Almdudelei und Land- und Bergdodelei nicht einmal auffällt.
Eine Liste aller Teilnehmer der Pürgg Schriftstellertreffen 1953/1954/1955 finden Sie hier.