© Franz Krahberger
In der Nacht vom 11. zum 12.März 1938 überschritten die Truppen der Deutschen Wehrmacht die österreichischen Grenzen. Sie geben vor, dies als Verbündeter, als Helfer und Retter der neuen nationalsozialistischen Regierung Österreichs, die auf das Diktat Hitlers hin installiert wurde, zu tun. Der deutschnationale Geschichtsschreiber Galéra berichtet in seinem kurz danach in der Nationalen Verlags- Gesellschaft Leipzig erschienenem Buch Österreichs Rückkehr ins deutsche Reich, den deutschen Soldaten in Österreich ein Sturm der Begeisterung entgegen gekommen. Überall regnete es Blumen über die feldgrauen Stahlhelme. Als Freunde und Brüder wären sie in Österreich begrüsst worden und die Truppen des österreichischen Bundesheeres wären mit fliegenden Fahnen übergelaufen. Wer die entsprechenden historischen Filmaufnahmen gesehen hat, kann sich dieser bitteren Wahrheit nicht entziehen. In der Propaganda wird dieses Ereignis als die Geburt von Grossdeutschland dargestellt. Der Jubel der Ostmark habe das ganze deutsche Volk ergriffen. Aus Österreich selbst wäre in dieser Nacht Grossdeutschland erwachsen, schreibt Galéra und zeigt damit den historischen und propagandistischen Stellenwert, den die Nazis diesem militärischen Gewaltakt zumessen. Noch nie in der Geschichte Europas habe eine Armee in wenigen Stunden und ohne einen Schuss abgeben zu müssen, ein grosses Land restlos erobert. Die Strassen Salzburgs dröhnten von Heilrufen, die ersten Jubelrufe in Braunau, stundenlang harrte die Innsbrucker Bevölkerung in ihrer festlich geschmückten Stadt auf das Eintreffen der Soldaten. Unter einem Meer von Blumen zogen die Deutschen in Linz unter dem Jubel der Bevölkerung ein. Mit ihnen die österreichische Legion, jene Truppe illegaler Nazi-Österreicher, die aus dem Ständestaatregime nach Nazi-Deutschland geflüchtet waren. Am 10.April stimmen 49 272 000 Wahlberechtigte insklusive der neu hinzugekommenen Ostmärker für dieses neue Gross Deutschland. Davon werden 48 745 000 mit Ja stimmen. 99,08 Prozent stimmen also zu. Von 1226586 Wienern stimmen 1219319 mit Ja. Die Abstimmungsergebnisse in den Bundesländern entsprechen dem Wiener Ergebnis. Der Aufstellung der abgegebenen Stimmen im Wahlkreis Liezen braucht nichts mehr hinzugefügt werden. Von 17337 Stimmberechtigten haben 17311 mit Ja gestimmt. Nur 15 stimmten mit Nein.
Die Stimme des gemeinsamen Blutes habe Österreich und Deutschland
zusammengeführt, schreibt Kardinal Innitzer an den Gauleiter Bürckel
und zeichnet mit der üblichen Huldigung an Hitler. Im Triumph fährt Hitler am 12.März
von Braunau nach Linz. Vier Stunden dauert die Fahrt durch fahnengeschmückte
und blumengeschmückte Ortschaften. Am 15. März vermeldet Hitler
vom Balkon der Wiener Hofburg gegenüber einer viertelmillion Wiener,
die dichtgedrängt am Heldenplatz vor ihm stehen, vor der Geschichte
den Eintritt seiner Heimat in das Deutsche Reich. Der Tag von Wien wird
besiegelt mit einer Heldengedenkfeier und einer Parade der in Wien eingerückten
Regimenter und der Wiener Garnison vor dem Führer, der dieses Grossdeutschland
und die ihm nun verbundenen Österreicher alsbald in eine militärische
Weltkatastrophe führen wird.
Mit der Vereinigung galten auch für Österreich die am 15.September 1935 auf dem Nürnberger Parteitag
einstimmig verabschiedeten Gesetze zum Schutze des deutschen Blutes und
der deutschen Ehre. Damit war der Tatbestand der Rassenschande in die Welt
gesetzt und es war Staatsangehörigen deutschen oder artsverwandten Blutes bei Gefängnis
oder Zuchthausstrafe verboten Juden zu ehelichen oder Geschlechtsverkehr
mit Angehörigen nichtarischer Ethnien zu pflegen. Mit der Einverleibung
Österreichs in das Grossdeutsche Reich erlangten diese Gesetze auch
hier ihre unmenschliche Gültigkeit und der Leidensweg der österreichischen
Juden begann, so sie in weiser Voraussicht nicht bereits vorher das Land
verlassen hatten.
Im April 1945 bewegt sich ein Zug der anderen Art durch die Stadt der
Volkserhebung, Graz. Insgesamt 30000 völlig erschöpfte, hungernde,
verschmutzte, in Lumpen gehüllte ungarische Juden, die noch an der
Errichtung des sogenannten Südostwalls Zwangsarbeit zu leisten hatten,
wurden über die Steiermark in Gewaltmärschen in ein Nebenlager
des KZs Mauthausen getrieben.
Mit zurückgenommener Front wurden die jüdischen KZ-Häftlinge
jeweils ins Landesinnere des rapid schrumpfenden Grossdeutschen Reiches
verbracht. Daniel Jonah Goldhagen beschreibt in seinem Buch Hitlers
willige Vollstrecker - Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust
exemplarisch einen dieser Todesmärsche im damaligen Protektorat Böhmen
und Mähren, der von Prachatice bis Helmbrechts, in der Nähe von
Hof, entlang der bayrischen Grenze geführt wurde. Auf vergleichbares
wurde ich von Walter Dall Asen in der Obersteiermark aufmerksam gemacht.
Der ehemalige Bergarbeiter und Betriebsratsobmann, vor seiner Pensionierung
beschäftigt am Steirischen Erzberg, hat über Jahrzehnte hinweg
Materialien zu diesem steirischen Todesmarsch der ungarischen Juden gesammelt.
Diese Todesmärsche wurden nicht allein von besonders geschulten und
mit besonderen Befugnissen ausgestatteten SS-Einheiten begleitet. Es wurden
entsprechend den Streckenabschnitten in den einzelnen Bezirken bzw.
zwischen bestimmten Orten Volkssturmeinheiten, die sich aus den verbliebenen
Einheimischen männlichen Geschlechtes rekrutierten, zur Begleitung
abkommandiert. Gewöhnliche Steirer waren nicht nur ein Antreiber,
sie beteiligten sich am regelrechten wie befohlenen Abschlachten der Juden.
Ein Originalzitat: Das Gewehr ist hin (der Kolben war von der Gewalt des draufhauens zersplittert), aber der Jud auch. Am Praebichl wurden von einer Volkssturmeinheit 200 Menschen aus dem Marschblock geschossen. Am Vorabend dieser Vernichtungsaktion wurde in Eisenerz für die abkommandierten Volkssturmeinheiten ein Besäufnis veranstaltet. Juden, die aus Erschöpfung nicht mehr weiter konnten, wurden von den Volksstürmlern, dem letzten Aufgebot des vorgeblich grössten Führers aller Zeiten und aller Deutschen, noch lebend in nahe Bäche und Flüsse geworfen. Unbeteiligte Einheimische wurden ebenso angehalten, dies zu tun. Einheimische, die den Juden Nahrung zustecken wollten, wurden mit dem Erschiessen bedroht. Steirer und Steirerinnen wurden zu Augenzeugen dieser ungeheuerlichen Vorgänge. Der Vernichtungsmarsch der halbtoten Juden war eine der letzten grausamen Inszenierungen des zusammenbrechenden grossdeutschen Reiches, die das Volk in weitere, tiefe Schuld verstrickte. Danach hat niemand etwas davon wissen wollen. Ich erinnere mich, dass ich in meinem Heimatort in Kindertagen noch von der sogenannten Judenseife gehört habe. Das wäre Seife gewesen, die man aus der Asche von Juden gewonnen habe. Das war aber schon alles, was es zu hören gab. Sonst wurde davon gesprochen, dass die vertriebenen Juden ja sowieso zurück gekommen wären.
Der Zeitzeuge Benedikt Friedmann schreibt in einem Bericht Nichts gesehen, nichts getan
„Die meisten Polizei-, Gendarmerie-, und und Justizbeamten der Nazizeit
waren 1945 von den demokratischen Behörden übergangslos übernommen
und zumeist auf ihren Posten belassen worden. Natürlich waren auch
einige entlassen oder zur Rechenschaft gezogen und verurteilt worden, aber
man liess fast alle - nicht nur die erwähnten Beamten - bald wieder
frei. Und so kam es, dass es nach 1945 in Österreich plötzlich
fast keine Nazis mehr gab, keine Täter und Mittäter, nur noch
harmlose Mitläufer und Verführte, die gezwungenermassen und lustlos,
aus reinen Existenz- und Überlebensgründen, lediglich der NSDAP
oder einer ihrer Unterorganisationen beigetreten und, natürlich wider
ihre Überzeugung, nur leise mitgeheult, aber beileibe nie aktiv mitgewirkt
hatten.
Und so kam es auch, dass kein einziger Österreicher an Judenverfolgungen
oder gar Judenmorden teilgenommen hatte, kein einziger Österreicher
Juden gedemütigt, beschimpft, gequält, drangsaliert, misshandelt,
geprügelt, angezeigt oder gar deportiert oder getötet hatte.
Die österreichischen Juden hatten sich, ganz ohne Zutun der übrigen
Österreicher (oder Ostmärker, wie sie ja damals hiessen ), auf
unerklärliche Weise in Luft aufgelöst. Oder sie waren halt ganz
einfach von den bösen Deutschen oder, je nachdem, von Hitler, Himmler
und den anderen, noch böseren Deutschen, persönlich weggebracht
worden. Niemand von den Österreichern hatte jüdisches Vermögen
gestohlen oder jüdisches Unternehmen arisiert, das war alles seinerzeit
„behördlich konfisziert“ worden. Keiner hatte widerrechtlich eine
jüdische Wohnung samt Einrichtung übernommen, sie war ihm natürlich
„rechtmässig“ zugewiesen worden, einfach, weil sie ihm schon immer
zugestanden war...Nein, sie, die Österreicher, hatten allesamt nichts Böses
getan, sie waren für nichts verantwortlich, sie waren für nichts
haftbar und sie waren deshalb ja auch nicht wiedergutmachungspflichtig.
Nein, sie nicht. Sie waren es doch, die unter dem Krieg zu leiden gehabt hatten; ihre Männer und Söhne
hatten einrücken und an der Front sterben müssen, ihre Frauen
und Kinder waren im Bombenhagel der Alliierten umgekommen. Sie die Österreicher,
waren nicht die Täter. Niemals, sie waren die Opfer gewesen...“
Benedikt Friedmann würdigt aber auch jene Österreicher, die das national-sozialistische Regime ablehnten, die sich in ohnmächtiger Wut dagegen auflehnten, er erinnert ebenso an jene, die dagegen opponiert haben, Sabotage betrieben, die aktiv im Widerstand gekämpft, die verhaftet wurden, im KZ umkamen oder hingerichtet wurden.
Benedikt Friedmann berichtet, dass die Field Security Section FSS der britischen Militärregierung der besetzten Steiermark ab 1947 begann, die Untersuchungen der schrecklichen Geschehnisse, die sie ursprünglich von sich aus auf den Weg brachte, einzustellen, versanden zu lassen. Es würde zuviel Unruhe in der Bevölkerung aufkommen. Die Opfer wurden langsam ausgeblendet. Das Machtkalkül des Kalten Krieges begann seine verdeckenden und verhüllenden Schatten zu werfen. Simon Wiesenthal kommt in Hinsicht auf das Verhalten der Alliierten zu denselben Schlüssen wie Friedmann.
Der Prozess wider die Massenmörder vom Praebichl im April 1946 wurde vor einem britischen Militärgericht in Graz geführt. In den 60 er Jahren wird der Bezirksbauernobmann Franz Murer, den man heute noch nicht den Schlächter von Riga nennen darf, in einem österreichischen Prozess, in dem er des Judenmordes in einem lettischen Konzentrationslager überführt werden sollte, unter dem Applaus des heimischen Prozesspublikums von den ebenso heimischen Geschworenen freigesprochen werden.
Die Neue Zeit, Organ der Sozialistischen Partei Steiermarks, berichtet
am Dienstag 2.April 1946 über den Massenmord am Praebichl. Der Artikel
über den Prozess gegen den Eisenerzer Volkssturm vor einem englischen
Militärgericht ist datiert mit Graz, April 1946.
Vor dem Oberen englischen Militärgericht begann heute vormittag
die Verhandlung gegen die 18 Angeklagten, die wegen Massenmordes an über
200 Fremdarbeitern, grösstenteils ungarischen Juden, geführt
wird. Das Bild des Grazer Landesgerichtes, in der dieser Prozess, der
wohl eine der grössten Untaten, die während des Krieges auf österreichischem
Boden stattfanden, enthüllen wird, hat sich gewandelt. Vor dem Tor
englische Militärposten mit geschultertem Gewehr, jeder Eintretende
nuss nicht nur einen Sonderausweis zum Betreten des grossen Schwurgerichtssaales
besitzen, sondern wird ausnahmslos einer genauen Leibesvisitation unterzogen.
Ausser den Vertretern britischer Behörden und österreichischen
Gerichte sind nur sehr wenige Zuhörer eingelassen worden. 23 alliierte und österreichische Pressevertreter haben ihr
Erscheinen angemeldet, die zum Teil schon in Graz eingetroffen sind. Ein kleines „Nürnberg“ hat sich aufgetan. Ein Dutzend grosser Scheinwerfer sind auf die Anklagebank gerichtet, auf der Galerie ist ein
Filmaufnahmeapparat montiert. Kameras liegen knipsbereit auf dem Pressetisch.
Den Vorsitz führt Präsident Mr. Glyn Jones K.C., die Anklage
vertritt Mr. Theodor Turner K.C., und Lt. Col. G.W.Treddweil (ACA-Be.)
Eine Reihe steirischer Rechtsanwälte hat die Verteidigung der Angeklagten
übernommen.
18 Männer werden unter starker Bedeckung in den Saal geführt.
Voran der wahrhaft „teuflische“ Manager dieses Massenmordes, der ehemalige
Kreisleiter von Leoben und spätere Kommandant des Eisenerzer Volkssturmes
Otto Christandl. Alle Blicke richten sich auf sie. Einige sind kreidebleich.
Viele können ihre Angst nur schlecht verbergen. Man hat Muse, diese
Menschen sich näher zu betrachten. Immer wieder wandert das Auge die
Sesselreihen entlang, auf denen sie starren Gesichtes, wie angenagelte
Holzpuppen sitzen. Man sucht, man bittet gerade zu, in diesen Gesichtern einen einzigen Zug von etwas ähnlichem wie Güte
zu finden, Reue - irgend ein Empfinden, dessen wir die Bezeichnung Mensch
tragen. Nichts. 200 Menschen, wehrlos, wie herrenlose Hunde erschöpfte,
umgebracht. Einer Mutter Sohn ...? Werden Sie gefragt, springen sie knallend auf, emporgerissene Marionetten,
nehmen Nazihaltung ein, es fehlt nur die emporgestreckte Hand zum „Deutschen“
Gruss, und ihr „Ja“ ist ein „Jawoll“ mit scharf akzentuiertem Doppel l.
Bei dem ersten Befragen um ihr Schuldbekenntnis ist aber ihre Antwort ein
„Nein“. Nicht jeder lässt es mit einem schlichten Nein bewandt sein,
einer behauptet „vollkommen unschuldig“ zu sein, ein anderer sagt bloss
„Ich habe nicht geschossen“, ein dritter „einmal habe ich geschossen, weil
ich dazu gezwungen wurde“, einer spielt den Naiven und meint „ich war gar
nicht dabei-“.
Sie sind alle nicht älter als ungefähr dreissig Jahre.
Unter ihnen schimmern wie blutiger Hohn auch zwei Köpfe mit grauem
Haar. Alte Menschen, die zu Mördern wurden. Alles - unschwer lässt
sich die braune Uniform zu diesen Gestalten denken. Das Erschütterndste
und das zutiefst Beschämendste: Dass die Angeklagten durchwegs Steirer
sind.
Blutspur quer durch die Steiermark
Dann beginnt der Anklagevertreter mit der Verlesung der 18 Seiten
umfassenden eng geschriebenen Maschin- Schreibseiten langen Anklageschrift. Es war genau vor einem Jahr, da lag die „Stadt der Volkserhebung“ schon in den letzten Zügen. Da stieg eines Tages eine Staubwolke von
der Riesstrasse auf, die wie eine weisse Fahne auf dem blauen Frühlingshimmel
hing. Ein schauriger Zug wälzte sich zu den Toren von Graz, zog durch
die Stadt. Tausende von Fremdarbeitern, meistens ungarische Juden, stumpf,
apathisch, zerrissen, zerlumpt, verhungert. Ein unerträglicher Hauch
von Pestilenz entstieg diesem Haufen, der zum Marsch von SS-Leuten, die
wie Bluthunde die Reihen entlang liefen, angetrieben wurden. Schaudernd wandte man den Blick. Es kam nun den Nazis darauf an,
möglichst viele „unnütze Fresser“ und sonst Missliebige „umzulegen“.
In erster Linie mussten die Fremdarbeiter daran glauben. Der Zug lebender
Leichname, der vor einem Jahr durch Graz wankte, kam von der ungarischen
Grenze und war für das Lager Mauthausen bestimmt und bestand aus mehreren
tausend Männern und Frauen.
Sie wurden nur in Zwischenräumen von drei bis vier Tagen verköstigt,
und zwar mit einer Schale Suppe und zwei Kartoffeln. Einige traten manchmal
aus der Reihe, um eine Handvoll Gras abzureissen und zu essen. Das Schicksal
aller dieser Nachzügler war das gleiche: sie wurden erschossen.
Gebietsweise übernahm diesen Transport in Steiermark der Volkssturm
bis zum nächsten Bezirk. Auf dem Praebichl wurde am 8.April der Zug
von einem Eisenerzer Volkssturm übernommen. Etwa um 4 Uhr nachmittags
setzte sich der Zug über die Praebichl Passhöhe nach Eisenerz
hinunter in Bewegung.
Fast sofort brach eine Schiesserei los und nach dreiviertel Stunden
lagen 200 Teilnehmer des Transportes tot oder sterbend im Schnee. Zeugenaussagen
lassen keine Zweifel daran aufkommen, dass die Schüsse durchwegs vom
Volkssturm abgegeben wurden.
Das Wüten des Volkssturmes war so arg, dass sogar die SS das
Massenmorden verhindern wollten. Auch die Gestapo führte eine Verhaftung
durch, jedoch wurde der Eingelieferte nach einer halben Stunde bereits
wieder freigelassen und mit dem Kommando seiner Kompanie betraut.
Am Sonntag mussten Teilnehmer des Transportes Gräber für
die Leichen der Ermordeten ausheben und wurden dann selbst von Angehörigen
des Volkssturmes ermordet. Einer der verbissensten Nazikreise in der Steiermark
war der von Leoben, wozu auch Eisenerz gehört. Der Angeklagte Otto Christandel
war Kreisleiter von Leoben und als Oberstkommandierender des Eisenerzer
Volkssturmes für diese Morde verantwortlich. Ihm unterstand auch auch
das berüchtigte „Alarmkommando“, zu deutsch „Mordkommando“. Bei Nachricht
des eintreffenden Transportes hinterliess er an den damals abwesenden, ebenfalls angeklagten Krenn
eine Botschaft: „Sagen sie dem Krenn, er möge mich sobald wie möglich
anrufen, da ihm in nächster Zeit eine höchst interessante (!)
Aufgabe erteilt werden wird.“ So erscheint also der Eisenerzer Massenmord wohl vorbereitet gewesen
zu sein.
Einen Tag vor Eintreffen des Transportes veranstalteten die Bonzen
des Eisenerzer Volkssturmes einen Kameradschaftsabend mit viel Wein und
nach dem Essen hielt Krenn eine Rede, in deren Verlauf er folgendes sagte:
„ ‘Die Alarmkompanie’ ist beauftragt, morgen einen Judentransport auf dem
Praebichl zu übernehmen. Die Hunde und Schweine verdienen alle miteinander,
totgeschossen zu werden. Wenn morgen sich einer von Euch feig zeigt, lege
ich ihn selbst um.“ Dann fügte er noch bei: „Morgen wird sich in Eisenerz etwas
ereignen, dass die Einwohner bis jetzt noch nicht erlebt haben.“ Und als der Volkssturm am
nächsten Tag schon unterwegs war, äusserte er sich: „Heute werden wir eine Hetz haben“ und dass „in
der Seeau eine Schiessübung auf die Juden veranstaltet wird.“ Es würde
zu weit führen, alle die Schreckensszenen zu beschreiben, die sich
in jenen Apriltagen auf dem Weg von der Präbichl-Passhöhe bis
nach Eisenerz abgespielt hatten. Fast alle zehn Meter lag ein Toter auf
der Strasse. Die Leichen wurden dann in Lastwagen gesammelt.
Der Tatbestand ist von einer derartigen Grauenhaftigkeit, dass diese
Gründe und Umstände die Britische Militärregierung dazu
bestimmt haben, die Verantwortung auf sich zu nehmen, einen besonderen
Gerichtshof einzusetzen, und die Anklage von britischen Juristen erheben
zu lassen.
Im weiteren ein Polizeiprotokoll:
Polizeidienststelle Eisenerz 23.August 1945
Niederschrift
Oberhauser Konrad, geb 13.2.1924 in Eisenherz, wohnhaft in Vordernbergerstrasse
18, gibt zum Gegenstande des Judentransportes, welcher durch den Volkssturm
am 7. bis 9.April 1945, durchgeführt wurde, folgendes an: Ich habe
der 2. Volkssturmkompanie unter dem Kompanie Führer Neumer angehört.
Die Kompanie war nicht kaserniert, jedoch musste sie anlässlich eines
Appelles am Sonntag den 8.4.45 vor der Volkssturmkaserne in der Vordernbergerstrasse
antreten. Dort wurden 2 Züge bestimmt, welche sich in die Seeau zu
begeben hatten und dort die Judenleichen einzugraben.
Es war dies der 2. und 3.Zug. Ich befand mich beim 3.Zug, mein Zugsführer
war Preidler Fritz. Wir wurden mittels Kraftwagen in die Seeau geführt.
Dort war eine Mannschaft des Volkssturmes, zirka 15 Mann mit 92 Juden,
welche etwa 5 Gruben ausgehoben hatten. Von den 5 Gruben waren 3 bereits
voll und zuzugraben. Die eine Grube war bis zur Hälfte voll und stand
noch offen. Bei der Übernahme waren noch ca. 100 Leichen einzugraben.
Das war um 6 Uhr abends. So um 23 Uhr kamen wir nach Hause. Die Juden welche dort
gearbeitet hatten, nahmen wir bis zum Lager Münichtal mit und lieferten 91 Mann ab, also den Transport vollzählig.
An den Leichen nahm ich wahr, dass sie zum Grossteil sehr viele Verwundungen
hatten. Ich hatte auch gesehen, Leichen mit gespaltenen Köpfen, denn
Bauch offen, so dass ihnen die Gedärme heraushingen. In der noch offenen
und leerstehenden Grube kamen mindestens über 50 Leichen hinein. Nach
meiner Schätzung dürften daher in der Seeau in den 5 Gräbern
mindestens 250 Leichen vergraben sein. Über die Eingrabungen kann
ich sagen, dass die sehr mangelhaft durchgeführt wurden. die Gruben
wurden zuviel angefüllt und nur wenig Erde darüber gebreitet.
Bei einem Transport oder Bewachung habe ich nichts zu tun gehabt. Ich habe
auch nicht gesehen, dass jemand einen Juden erschossen hat. Mein Gruppenführer
in der Seeau war Pichler Fritz. Weiters waren mit mir ein Kurei und Auer
Hans. Auf die anderen kann ich mich nicht mehr erinnern. Mehr kann ich
zur Sache nicht sagen.
In Pürgg in der Mitte der 50 er Jahre wollte man dazu gar nichts
mehr sagen. Es ist unbegreiflich, wie Intellektuelle, SchriftstellerInnen,
die sich für Humanisten und gebildete Menschen hielten, zu diesen
ungeheuerlichen Vorgängen nichts mehr zu sagen wussten, nichts sagen wollten. In ihrem Verschweigen und in
ihrer Versöhnung beteiligten sie sich an der Verdrängung des
historisch Faktischen . Die Toten haben sich auf Dauer nicht verstecken
lassen. Die Stimme der Opfer, die aus dem Gedächtnis gelöscht
werden sollte, ist heute lauter denn je und Österreich ist klug beraten,
diese Schuld nicht zu verleugen. Die Lügen, in die es sich verstrickt
hat, haben das Ansehen Österreichs auf Dauer beschädigt.