Virtuell bedeutet im ursprünglichen Sinn eine versteckte Kraft,
wurde auch als potentielle Macht, Gewalt im militärischen Sinn definiert,
die nicht offensichtlich, sondern erst bei Abruf bzw. Aufruf ihre wahrnehmbare
Gegenwart entfaltet. Dies entspricht durchaus der militärischen Usance,
die wahre Schlagkraft wie auch die Methoden der Verteidigung zu verschleiern.
Es ist eine innewohnende, potentielle Kraft, die jederzeit aktiviert
werden kann. Ebenso beschreibt der Begriff ein System, mit dem (virtuelle)
Images hergestellt werden können. Imagination, also die Herstellung
mentaler Bilder und Konzepte, die den Sinnen nicht direkt aktuell offensichtlich
sind, die permanent transportiert werden und unterbewusst wirksame
Einbildungen entwickeln, die dann je nach Bedarf potenziert und in reale
Präsenz gerufen werden können.
Im mythologischen Urbild steht Virtus, die Personifikation kriegerischer Tapferkeit, in enger Beziehung zur Personifikation der Ehre, zu Honor. Die Römer verehrten beide Gottheiten in einem Tempel verehrt. Sie wurden entgegen des römischen Ritus, der nur die Verehrung jeweils einer Gottheit an einem Platz vorsah, in einem Tempel vereint. Dieser kleine historische Exkurs erhellt die Herkunft des Wortes aus dem militärischen Denken und Handeln. Kraft und Ehre, eine merkwürdige Analogie, die man so im Gebrauch des Wortes im aktuellen medialen Diskurs nicht verbindet.
Im dritten Buch seiner Abhandlung vom Hauswesen Della famiglia spricht Leon Battista Alberti vor allem über die virtu, die Trefflichkeit. Sie stünde über allen menschlichen Gütern. Der Mensch kann seinem Wollen entsprechend alles erreichen. Der vielseitig Tätige verdiene den höchsten Preis, und nicht der, der sich aus Bequemlichkeit eine enges Gebiet gesucht habe. Um die Trefflichkeit zu erwerben müsse man streben, dass zu sein, wofür man gelten möchte. Ich füge dieses Beispiel auch deswegen an, um zeigen wie ein kriegerischer Begriff in den zivilen Bereich hineinreicht und dessen Verhalten mitzuformen imstande ist. Das ist wesentliche Charakteristik faschistischen Denkens, militärisches Denken in ziviles überzuleiten und nicht umgekehrt. Im italienischen Hochmittelalter galt die virtu als die Tugend, das wahre Glück der Seele, die ohne Kampf nicht bestehen konnte, während sie sich in der Renaissance in die Trefflichkeit, unter der aber auch rücksichtslose Tüchtigkeit verstanden wurde, verwandelte.
In der Elektronischen Datenverarbeitung wird ein virtueller Speicher aus dem Zusammenwirken des Arbeitsspeichers und einem sekundären Hintergrundspeicher definiert. Bei diesem Verfahren wird der Arbeitsspeicher virtuell vergrössert, man lagert aktuell nicht benötigte Programmteile aus und holt sie erst bei Bedarf wieder in den Arbeitsspeicher.
In zivilen demokratischen Gesellschaften steht die militärische
Ordnung im Hintergrund, auf Abruf für den Fall von Bedrohungen im
äusseren wie auch im inneren. In Österreich hat das Heer, abgesehen
vom für alle männlichen Staatsbürger verpflichtenden Präsenzdienst,
in der Öffentlichkeit nur geringe Bedeutung. In anderen europäischen
Demokratien ist der öffentliche Stellenwert ungleich grösser.
Das lässt sich etwa an den alljährlichen kontinentalen TV- Ereignissen
wie etwa der Parade der britischen Armee zum Geburtstag der Königin
oder an der Parade des französischen Heeres am Jahrestag der französischen
Revolution, dem 14.Juli, ablesen. Abgesehen von diesen öffentlichen
Würdigungen des Staates und der militärischen Macht hat dies
jedoch unmittelbar kaum Einfluss auf das tägliche Leben dieser Staaten.
Im Selbstverständnis dieser Nationen dienen diese stehenden Heere der Sicherung des Friedens und des Wohlstands.
Obwohl das Militär heute in Österreich kaum Bedeutung hat,
die Politiker streiten zum Beispiel über den Nachkauf von Abfangjägern,
kommt es in Zusammenhang mit der militärischen Vergangenheit des Landes
immer wieder zu öffentlichen Erregungen, wie etwa im Fall Waldheim
oder im Streit um die Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht. Das Verhalten
der Kriegsgeneration hat nachhaltige innenpolitische Grundlagen
bewirkt.
Diese Menschen haben eine Vorgeschichte, die mit der gesellschaftlichen
Realität nicht mehr übereinstimmt. Über längere Zeit
gehörten sie einem totalitären Staatswesen an, in dem die militärische
Vorstellung das zivile Leben überlagerte und zurück drängte,
in dem die veröffentlichte Meinung des militärischen Führers
und Diktators gleichzeitig auch die öffentliche und die private Meinung
zu sein hatte. Abweichungen waren nicht zugelassen, Überschreitungen
wurden schwer bestraft. Der Partei dieses Führers war es gelungen,
alle staatlichen Organisationen gleichzuschalten, die anderen Parteien
auszuschalten bzw. zu verbieten.
Anstelle des parteilichen Wettbewerbs wurde die allumfassende Volksgemeinschaft
und deren Durchdringung mit einer einheitlichen Ideologie gesetzt, die
für alle Lebenslagen und Lebensfragen bindend gewesen ist. So hat
Hitler vor seiner Machtübernahme in Deutschland öffentlich vor grossem Publikum
wiederholt unter heftigem Beifall erklärt, er werde die dreissig Parteien,
die in der Weimarer Republik um die Gunst der Wähler stritten, aus
dem Land hinausfegen. Höheres Ziel dieser Volksgemeinschaft war es, einen umfassenden Krieg zu
führen, um die Niederlage des Ersten Weltkrieges, die als Schmach
dargestellt wurde, zu rächen, um Gebietszuwächse zu erzielen,
fremde Rohstoffquellen und fremde Arbeitskraft auszubeuten. Die Nazis haben die Gesellschaft von Anfang an militarisiert,
und setzten anstelle des zivilen Lebens eine militärisch diktatorische Ordnung.
Die sozialen Unterschiede wurden innerhalb der Volksgemeinschaft
verwischt, ihre Führer gaben sich betont volksnahe, lehnten den Klassenkampf
völlig ab. Links orientierte Weltanschauungen und Parteien wurden
als Wegbereiter der Unterjochung dargestellt. So konnten die Nazis einerseits
die eigenen totalitären Massnahmen rechtfertigen und von ihrer Willkür ablenken.
Zum Konzept dieser Volksgemeinschaft gehörte ein Gesetz
wider die ethnische Vermischung, die man Rassenschande nannte. Verletzungen
des Gesetzes wurden streng geahndet. Sogenannte volksfremde Personen wurden
abgestossen und vernichtet. Es war also in jeder Hinsicht gefährlich,
kein Angehöriger der Volksgemeinschaft zu sein, beziehungsweise
die gezogenen Grenzen zu überschreiten. Die Volksgemeinschaft
war eine militärische Zwangsgemeinschaft, deren ideologischen Kern
die rassische Zugehörigkeit bildete.
Nach den ersten Schritten der Gebietserweiterung, in der sie die sogenannte
deutsche Sprach - und Kulturgemeinschaft mit militärischen Mitteln
zu einem Reich zusammenschlossen, gingen die Nazis zu einem kontinentalen
Agressionskrieg, zur Eroberung von Lebensraum und Rohstoffen über, der letztendlich
zu einem globalen Inferno sich ausweitete. Der totale Krieg der Nazis endete
mit einer ebenso totalen Niederlage des Dritten Reiches und seiner Verbündeten.
Insgesamt ist dies alles sehr gut dokumentiert. Wer wissen will und wollte, kann und konnte sich jederzeit informieren. Ebenso wichtig wie die Kenntnis der historischen Ereignisse erscheint eine Analyse der mangelnden moralische Reflexion der Vergangenheit, die sich noch tief im Alltagssprachgebrauch verwurzelt zeigt.
In Österreich versuchte man nach 1945 die Geschichte zwischen
1938 und 1945 möglichst auszublenden. Anstelle dessen trat eine betont
österreichisch orientierte Geschichtsschreibung, die tunlichst alle
Anklänge an Deutschland vermied, die eine Art Historizismus hervorbrachte
und bis hin zur Beschwörung der imperialen Vergangenheit geriet. Bevorzugtes
Thema ab 1970 waren die Ereignisse der ersten Republik bis zum Anschluss
1938, inbesondere der Bürgerkrieg des Jahres 1934.
Sowohl nach aussen wie auch nach innen stellte man sich als erstes
Opfer des Nationalsozialimus dar. Man verschwieg die Übereinstimmungen
mit dem Nationalsozialismus. Die Tatsache, dass Österreicher mit Hitler
für ein gemeinsames Ziel in den Krieg zogen, liess sich jedoch nicht
aus der Welt schaffen. Im Gegensatz zu den Zwangsarbeitern fühlte
sich nur eine Minderheit der Österreicher zwangsverpflichtet. Auch
darin lässt sich die gemeinsame Vergangenheit erkennen. Da es nicht
gelang, sich zu einer wirklich schuldbewussten Sehweise dieses Krieges
durchzuringen, bleiben nationalsozialistische Inhalte latent und virtuell
bestehen, obwohl offizielles Österreich jeden Zusammenhang
damit leugnete.
Erst eine jüngere Historikergeneration begann sich intensiv mit
diesen Zusammenhängen der nationalen Problematik und, allerdings in
geringerem Ausmass, mit den Folgen nach 1945 auseinander zu setzen. Erst
ab den 80er Jahren begann eine umfassende Aufarbeitung der Geschichte des
Kalten Krieges, der Zeit nach 1945 und der Nachwirkungen in der Gegenwart.
Totalitarismuskritiker wie Sperber und Koestler, die mit dem Kommunismus bereits in den 30 Jahren gebrochen hatten, waren durch ihre Nähe zum Kongress für Freiheit, nach der Blosstellung des CIA Hintergrundes für die jüngere Generation unglaubwürdig geworden. Sie erschienen durch die CIA korrumpiert. Arthur Koestler hielt an dem von der CIA initiierten Kongress für kulturelle Freiheit in Berlin zu Beginn der 50 er Jahre eine der Grundsatzreden und forderte in pathetischer Rede zur Verteidigung der Freiheit auf. Der betonte Antiamerikanismus der 68er Generation richtete sich auch gegen die ehemaligen Linksintellektuellen des Kongresses und verdeckte damit wesentliche kritische Blickwinkel auf den realen Kommunismus.
Erst jüngst stellte der Vorsitzende der österreichischen kommunistischen
Partei egoistisch fest, dass die kommunistische Partei zwischen 1938 und 1945 die Hauptkraft
des österreichischen antifaschistischen Widerstands geleistet habe.
Gerade auf diesen Widerstand hätten sich die Politiker beziehen können,
die im April 1945 die Zweite Republik ausriefen. Die staatlichen FunktionärInnen
der KPÖ wären nach 1945 am entschiedensten für eine konsequente
Entnazifizierung eingetreten. Nicht zuletzt deshalb wären sie sehr
schnell von ÖVP und SPÖ aus dem Staatsdienst entfernt worden.
Die Ausgrenzung der Kommunisten und die Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten
sei im Zeichen des Kalten Krieges kein Zufall gewesen zu sein.
Obwohl es neben dem kommunistischen Widerstand auch andere Formen des
Widerstandes gegeben hat, haben die Kommunisten von sich aus immer versucht,
den Antifaschismus auf ihrem Konto verbuchen, weil in ihrer ideologischen Projektion alle
anderen Gesellschaftsformen faschistische Charakterzüge aufweisen.
So wurden etwa die Sozialisten zu Beginn der 30 er Jahre als Sozialfaschisten verunglimpft. Diese Vereinnahmung
des Anti-Faschismus erleichterte selbstverständlich den Umkehrschluss
sowohl der bürgerlichen wie auch der offen faschistischen Kräfte;
alles antifaschistische wäre von vornherein kommunistische Taktik.
Eine Linie die etwa derzeit der Klubsprecher der Freiheitlichen verficht.
Alle DemonstrantInnen auf dem Wiener Heldenplatz anlässlich der der
schwarzblauen Regierungsbildung wären Kommunisten. Eine völlig absurde
Einschätzung und versuchte Verunglimpfung, die etwa auch gegenüber der evangelischen
Bischöfin bedrohlich zu Unrecht angewendet wird.
Tatsächlich kann man die Kampfhandlungen der westlichen Alliierten
gegen Hitler Deutschland als ebenso antifaschistisch einstufen und 1945
wurde in Potsdam eine breite antifaschistische demokratische Front gebildet
der neben den Kommunisten sowohl Vertreter der Christdemokraten, der Sozialdemokraten und der
Liberalen angehörten.
So berichtete die Neue Zürcher Zeitung am 16.Juli 1945 von der
Berliner Erklärung von KPD, SPD, CDU und LDP zur Konferenz von Potsdam
vom 14.Juli.
Nur mittels eines radikalen Umbruchs im Leben und in der Einstellung
des ganzen deutschen Volkes, nur durch Schaffung einer antifaschistischen
und demokratischen politischen Ordnung ist es möglich, das Leben der
deutschen Nation zu retten. Die Vertreter der vier Parteien sind bei voller
gegenseitiger Anerkennung ihrer Unabhängigkeit entschlossen, mit einmütiger
Kraft diese grossen Probleme durch Bildung einer festen Front antifaschistischer
und demokratischer Organisationen zu lösen.
Man rief in dieser gemeinsamen Erklärung zur Zusammenarbeit im
Kampf zur Säuberung Deutschlands von den Überresten des Hitlerismus
und für den Aufbau des Landes auf antifaschistisch-demokratischer
Grundlage sowie zum Kampf gegen das Gift der Naziideologie auf.
Ein ebenso klares wie deutliches Bekenntnis zu den demokratischen Grundrechten,
wider den Rassismus, eine besonders starke Betonung der Menschenrechte
beinhaltet die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte
und Grundfreiheiten vom 4.November 1950, die wesentlich den Wertekatalog
der Europäischen Union in ihrer Gründung bestimmt hat. Auch sie
zeugt von antifaschistischen Positionen und entsprechenden Haltungen.
Der Antifaschismus, den sich also auch nichtkommunistische Parteiungen
und Weltanschauungen wurde jedoch alsbald, vor allem unter der Anleitung
der USA, vom Antikommunismus überlagert.
Es gibt einen nicht kommunistisch dominierten Antifaschismus,
der sich aus den Menschenrechten herleitet, der eine wesentliche Rolle
in der Gründung der Europäischen Union sowie im Selbstverständnis
westlicher Demokratien, eingeschlossen die USA bildet.
Dieser dritten, historisch sich behauptenden Komponente wurde zuwenig
Aufmerksamkeit in der Auseinandersetzung geschenkt. Dies stellt Christian
Graf Krockow in seiner Churchill Biografie fest. Es muss diesen Antifaschismus
sogar geben, um das Abgleiten der modernen westlichen Demokratien in repressive
Systeme erfolgreich zu verhindern und er darf nicht als kommunistisch denunzierbar
sein. Denn genau diese Form des Ausschliessens von demokratisch fundiertem
Widerstandes und dessen Denunzierung als linksradikal oder eben totalitär
ist wesentliches Charakteristikum eines virtuell existenten Faschismus.
Die Komponente des ideologisch dominierten Antifaschismus war der Aufklärung
ebensowenig förderlich, da er meist zur Polarisierung führte,
zu Positionen der Auseinandersetzung, die niemals imstande waren, breite
Teile der Bevölkerung zu erreichen.
Die österreichische Variante des Anprangerns und das Ausbreiten
des doppelten historischen Bodens, die Thomas Bernhard in seinen Stücken
betrieb, erreichte die breite Bevölkerung nur in Form des durch den
Boulevard kolportierten Skandals. Was macht die österreichische Bevölkerung so immun
gegen den Versuch, die Vergangenheit im grellen, nichts auslassenden Licht
zu sehen ?
Liegt es tatsächlich an jener seitens der Regierung im Parteienkonsens
in den fünfziger Jahren konzipierten Einstudierung der Opferrolle ?
Der vorgeblich antifaschistische Grundkonsens der Zweiten Republik,
der durch die Anwesenheit der Sowjets wie auch der Alliierten Westmächte
erzwungen wurde, garantierte auch der Mehrzahl ehemaliger Nationalsozialisten
und deren Familien das Verschweigen der Vergangenheit, ohne sich einer mühseligen Aufarbeitung
und Selbstkritik unterwerfen zu müssen.
Veranstaltungen wie Pürgg zeigen deutlich, wie umfassend dies
auf kultureller Ebene, spiegelbildlich zur Gesamtgesellschaft gelaufen
ist. Auch die Sozialdemokratie war nicht frei davon. Sie nahm u.a. ehemalige
Nazi-Parteigänger über den Bund Sozialistischer Akademiker auf. Selbst Bruno Kreisky witzelt in seinen
Erinnerungen über den BSA, der B-SA genannt worden ist.
In einem Buch Österreich - Land im Aufstieg aus dem sozialdemokratischen Europa Verlag habe ich einen Beitrag zur Gegenwartsliteratur, Österreichische Dichterolympiade 1954, gefunden, in dem etwa bemängelt wurde, das Bruno Brehm zuwenig geehrt werde, während hingegen kritische und wirklich intelligente Autoren wie etwa Günter Anders als bedeutungslos hingestellt werden. Unter anderem bedauerte der Autor die Abwesenheit der besten österreichischen Köpfe und führt den Hans Gustl Kernmayr und den Hans Weigel an. Josef Weinheber hält er für den grössten heroisch tragischen Lyriker seit Goethe und Hölderlin. Doch es scheint sich um eine hintergründige Satire zu handeln. Der Verfasser Hermann Hakel präsentiert in ironischer Überzeichnung jenen kulturellen Ungeist, den wir in Pürgg vorgefunden haben. Dass der Text nur als Realsatire gemeint sein kann, wird längstens klar, wenn etwa die Abwesenheit von Mirko Jelusich, dem Dichter der grossen geschichtlichen Führernaturen, beklagt wird. In jedem Fall hat Hakel den literarischen und kulturellen Geschmack des Landes getroffen.
Ein weiteres umfassendes Projekt war die Säuberung der österreichischen
Sprache von Germanismen. So entstand 1951 das bereits erwähnte österreichische
Wörterbuch, Grundlage der Rechtschreibung in Schulen und Ämtern.
Das österreichische Wörterbuch wäre ein Wörterbuch
der guten, richtigen deutschen Gemeinsprache, so in der Selbstdefinition
der ministeriellen Herausgeber, es sei jedoch in erster Linie für
Österreicher bestimmt und werde vor allem von Österreichern benützt
werden. Dementsprechend wurden Wörter der österreichischen Umgangssprache
besonders berücksichtigt. Formen des Kanzleistils und des amtsösterreichischen
werden extra mit einem A im Kreis hervorgehoben.
Man verordnete den Österreichern eine neue Sprache, man versteckte
die üblen Inhalte jener jüngsten Vergangenheit hinter einer
neuen Form, die gleichzeitig über die Sprache die neue österreichische
Identität stiften sollte. Man verbuddelte das grausame Geschehen ebenso wie das
demokratische Versagen, setzte anstelle dessen gewohntes Repertoire der österreichischen
Hochkultur aus Burg und Oper. Mozart, Beethoven, Grillprazer, Nestroy, die Zauberspiele Raimunds
für die verträumten Naturen, ergänzt um die zeitgenössische Besetzung der
Pürgger Tischgesellschaft.
Für das breite Volk wurde die Heimatkulturpflege weiter fortgesetzt,
die von den Nationalsozialisten vom österreichischen Ständestaat
übernommen wurde und die problemlos in das Kulturverständnis
der Nazi gepasst hatte. Die Inhalte des Speichers mussten neu koordiniert
und dem neuen Selbstbewusstsein angepasst werden. Im wesentlichen wurden
sie jedoch nicht gelöscht, sondern eben nur ausgelagert.
Doch dieses Verschweigen und Verdrängen betraf nur die Oberfläche.
An unzähligen Wirtshaustischen in unzähligen Besäufnissen
wurde erneut nach Stalingrad marschiert und das Wort vom Hitler, der schon
recht gehabt habe, hielt sich unabhängig von der neuen Parteizugehörigkeit nicht nur in
den schlichten Bevölkerungskreisen bis in die Gegenwart.
Das Nachkriegs Gesinnungs-Paket sowohl des unbewältigten Austrofaschismus
und des ebenso unbewältigten Nationalsozialismus erhielt sich im virtuellen
Speicher, jederzeit in Anspielung referenzier- und in Massen reaktivierbar.
Grundsätzlich gehe ich davon aus, das dieser virtuelle Faschismus
nicht direkt sichtbar ist. Also ohne ausdrückliche Staatssymbolik,
Versammlungswesen und Strassenaufzüge, ohne einem expliziten Bekenntnis
zur Ideologie seitens politischer Funktionäre. Das virtuelle politische Hintergrundrepertoire ist
jedoch noch immer imstande, den politischen Alltags Diskurs zu beeinflussen
bzw. verdrängte Inhalte in aktuellen Bezügen etwa in der Position
gegenüber Ausländern und Zuwandernden zu setzen. Diese virtuelle Repertoire spricht Bestände aus der Vergangenheit an, die nicht nur unterbewusst sind, also auf scheinbar verdrängte,
aber nicht wesentlich aufgehobene politische Inhalte, auf die nach Bedarf
rekurriert wird.
Voraussetzung dafür ist die Erhaltung (scheinbar verdrängten) Referenzinhaltes
im Alltagsbewusstsein. Je nach Bedarf wird aus dem virtuellen
Hintergrundspeicher faschistischer Inhalt bzw. faschistische Drohgebärde
abgerufen und nach Erreichung des entsprechenden Programmzieles bzw. der
aktuellen tagespolitischen Zielsetzung wieder aus dem Blickfeld der politischen
Öffentlichkeit entfernt. Man bedient sich faschistischer Inhalte,
ohne auf die Errichtung faschistischer Ordnungsstrukturen aus zu sein.
Im Verhältnis von legitim demokratischen und virtuellem Speicher mit
versteckten Inhalten lassen sich Doppelbindungen erkennen, die bewusst zur Paralysierung des
politischen Gegners eingesetzt werden, aber auch der Fixierung des Bürgers
in einem merkwürdig unaufgeklärten Zustand dienen. Die Existenz
von Doppelbindungen - die Betroffen(e)n sowohl hemmen wie auch an bestimmten
Inhalten festhält, zählt zum Repertoire sowohl des familiären-
wie auch des politischen Tyrannen. Die Methode funktioniert aber nur, wenn
fern von Aufklärung genügend faschistisches Restverhalten in
der Bevölkerung am Leben gehalten wird.
Um in der Beschreibung der Funktionen eines virtuellen Faschismus weiter
zu kommen, bedarf es jedoch einer näheren Definition des Verdrängten,
der nicht aufgearbeiteten Vergangenheit, der nicht bewältigten Vergangenheit.
Die Versuche österreichischer SchriftstellerInnen, beginnend mit
den 70 er Jahren den ungetrübten Blick auf die Vergangenheit bzw.
der Redundanzen im jeweils Gegenwärtigen freizulegen, sorgten insgesamt
für andauernde Eklats, an denen sich vor allem der Zeitungsboulevard
ereiferte. Sie wurden fortgesetzt als Nestbeschmutzer angeprangert und
in ihrer Existenz in Frage gestellt. Die Diskriminierungen vor allem aus den Reihen der
Österreichischen Volkspartei, die in abgeschwächter Form an ihrem
Pürgg Modell festhielt. Der Bundesminister für Unterricht und
Kunst Piffl Percevic nannte Bernhard einen Hund und verliess Ende der 60
er Jahre türenschlagend die Verleihung eines staatlichen Kulturpreises
an Bernhard im Festsaal des Ministeriums für Unterricht und Kunst.
Dazu aus einem Schreiben von Thomas Bernhard an den Organisator des 1980
stattgefundenen Schriftstellerkongresses :
Der Minister war mit erhobener Hand auf mich losgegangen, hatte
den Saal verlassen, nicht ohne die Audienzsaaltür zuzuschmeissen,
wie ich sagen muss. Bei dieser Gelegenheit hatte mir Herr Henz (lange Zeit
Präsident des österr.Kunstsenats) die Fäuste gezeigt und mich als „Schwein“ apostrophiert.
Soweit Thomas Bernhard, der sich nie zur Pürgger Tischgesellschaft
gesellt hatte. Dieser frühe Thomas Bernhard war noch nicht so deutlich
in seinen Aussage wie etwa in „Heldenplatz“, dessen Aufführung
zu den Höhepunkten der österreichischen „Kulturskandale“, die in Wahrheit immer politische Skandale gewesen
sind, zählte. Die Tendenz seiner Kritik liess sich bereits damals
erkennen.
Mit Bernhard hatte man einen gefunden, den man ab da zum Vorzeige-Nestbeschmutzer
machte. Der Nestbeschmutzer ist eigentlich der, der auf die Verschmutzung
hinweist. Die Etikettierung Nestbeschmutzer gehört seit der Denunzierung
Ossietzkys zum Standardrepertoire des realen Faschismus. Bernhard wurde
sogar als geistesgestört und irre hingestellt. Dies zu tun, blieb jedoch einem sozialdemokratischen
Minister vorbehalten. Im Falle Bernhard wäre eine Diffamierung als Kommunist ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, Bernhard war nicht nur ein konservativer Geist, sondern auch Mitglied des Bauernbundes. So war er den Sozialisten suspekt und den Konservativen nicht geheuer, weil er es nicht bleiben lassen wollte, den österreichischen Ungeist in seiner tiradenhaften, sich bis zur Erregung übersteigernden Sprache anzuprangern.
Die Punzierung hatte aber auch noch einen anderen Sinn. Mit ihr konnte
klar ausgedrückt werden, wer denn nun befugt wäre, in diesem
Land über Geschichte zu reden, Geschichte zu deuten. Befugt waren
Politiker der verschiedenen Richtungen, die ihre Spielformen im Rahmen
des historischen Konsenses bestens kannten, die hohen Beamten diverser
Ressorts , die Chefredakteure, Intendanten etc., die im stillschweigenden
Schulterschluss den Rahmen abgesteckt hatten und auf dessen Einhaltung achteten. Eben die Exponenten und Verwalter der repräsentativen Demokratie.
Jeder, der diesen Rahmen in Frage stellte, ihn überschritt wurde
in der einen oder anderen Form als unbefugt erklärt, abqualifiziert,
diskreditiert.
Thomas Bernhard hat sich mit seinem Stück Heldenplatz den
Unmut des Bundespräsidenten Kurt Waldheim zugezogen. Der
meinte dazu: Ich halte dieses Stück für eine grobe Beleidigung
des österreichischen Volkes.
Bernhard darauf: Ja, mein Stück ist scheusslich. Aber das Stück,
das jetzt drumherum aufgeführt wird, ist genauso scheusslich.
Bernhard hat Heldenplatz nach 1986, also nach dem Wahlsieg von
Kurt Waldheim verfasst und hat die damit verbundene Stimmung in Übertreibung
und Zuspitzung verdichtet. Es zeigt die trauernde Familie eines freiwillig
in den Tod gegangenen Universitätsprofessors, eines jüdischen
Rückkehrers aus dem Londoner Exil, 50 Jahre nach der Ansprache Adolfs
Hitlers auf dem Wiener Heldenplatz in einer Wohnung an diesem Platz und
deren Dienstboten.
Des verstorbenen Professors Tochter Anna:
Wien ist mir jeden Tag der viel grössere Alptraum / ich kann
hier nicht mehr existieren / ich wache auf und habe es mit der Angst zu
tun / die Zustände sind ja wirklich heute so / wie sie achtunddreissig
gewesen sind /es gibt jetzt mehr Nazis in Wien / als achtunddreissig / du wirst sehen / es wird schlimm
enden / dazu braucht es nicht einmal / einen geschärften Verstand
/jetzt kommen sie wieder / aus allen Löchern heraus / die über
vierzig Jahre zugestopft gewesen sind. !
Die Löcher waren eben nur zugestopft. Die Frau des Verstorbenen
hört seit über zehn Jahren, seit dem die Familie in diese Herrschafts-Wohnung
am Heldenplatz gezogen ist, das Geschrei und Gebrüll der tobenden,
johlenden, Hitler zujubelnden Massen am 15.März des Jahres 1938. Sie leidet an dieser Wahnvorstellung,
die zu einer schweren chronischen Erkrankung ihrer Psyche geführt
hat. So wird dieses Bild eine dramatisch überzeichnete Metapher der
Gegenwart eines virtuellen Faschismus, die sowohl Vergangenes wie auch
Gegenwärtiges verbindet. Die meisten haben es nicht gesehen, nicht
gelesen, so auch nicht verstanden. Über die Boulevardpresse wurde
eine landesweite Aufregung erzeugt. Waldheim konnte und wollte es ebensowenig
verstehen, traf es doch auch seine eigene, persönliche Verdrängung.
Der freiheitliche Parteihistoriker Lothar Höbelt versuchte in einem
Fernsehinterview am 26.März 2000 das Wort Verdrängung, mit der
Begründung, es wäre ein freudianischer Begriff, aus der historischen
Diskussion herauszuhalten. Er wollte Freud als unwissenschaftlich denunzieren. Die Nazis haben sich
gegenüber Sigmund Freud direkter und hämischer ausgedrückt.
Höbelt kann oder will den Zusammenhang von Verdrängung
mit ihren psychischen Implikationen nicht wahrhaben. Es ist die brennende Schande, die bei
näherer Betrachtung des Geschehenen zwangsläufig entsteht, die
das Bewusstsein der Österreicher verstört.
Höbelt hat übrigens in einem in der Aula erschienenen
Artikel explizit von einem selektiven Geschichtsverständnis geschrieben.
Selektives Geschichtsverständnis ist jedoch ideologisch motiviertes
Geschichtsverständnis, charakteristisch sowohl für die faschistische
wie auch kommunistische Geschichtschreibung.
Thomas Bernhard, längst ins Visier des Haiderschen Kulturkampfes geraten, verglich in Heldenplatz Österreich mit einer Bühne, auf der alles verlottert und vermodert und verkommen ist / eine in sich selber verhasste Statisterie / von sechseinhalb Millionen Alleingelassenen / sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige / die ununterbrochen aus vollem Hals nach einem Regisseur schreien/ Der Regisseur wird kommen /
Seit dem Innsbrucker Parteitag der FPÖ am 16.September 1986, an
dem Haider den liberalen Flügel der Freiheitlichen stürzte und
die Führung der Freiheitlichen übernahm, bestimmt Haider die
Sprache der innenpolitischen Auseinandersetzung. Er hatte rasch aus dem
Wahlsieg von Kurt Waldheim gelernt und eine seiner ersten Grussadressen
galt den Weltkriegsteilnehmern. Haider hat seitdem oft Assoziationen zu
politischen Inhalten des dritten Reiches hergestellt, eine fremdenfeindliche
Politik betrieben, die im weiteren zu rassistischen Äusserungen und Haltungen
in breiten Bevölkerungskreisen geführt hat.
Haider weiss ebenso gekonnt wie zynisch auf das virtuelle Potential von
verdrängter Vergangenheit zurück zu greifen und damit den Ungeist der Gegenwart
zu gestalten.
Dies wurde ihm durch das Versagen der beiden grosskoalitionären
Parteien in wesentlichen Fragen erst möglich gemacht.
Das aktuelle Parteiprogramm der Freiheitlichen gründet in der
Lorenzener Erklärung, die kurz vor Haiders Machtergreifung 1986
im obersteirischen St.Lorenzen, in einem Seitental des Ennstales, formuliert
wurde.
Über den Lorenzener-Kreis schreibt Susanne Falkenberg in ihrer
im Internet zugängliche Studie über die Neue europäische
Rechte:
„Die in diesem informellen Kreis versammelten rechtsextremen FPÖ-Exponenten
rühmen sich selbst ihrer Urheberschaft des "putschartigen" Wechsels.
Dies mag vielleicht etwas selbstgefällig sein; aber immerhin wurde
ihr Engagement von Haider auf dem Sonderparteitag in Innsbruck gelobt.
Der Lorenzer Kreis fungiert als Kadergruppe der harten deutschnationalen
Strömung und kümmert sich hauptsächlich um personelle Koordination
und politische Strategie. Deshalb existieren auch keine schriftlichen und
öffentlichen Stellungnahmen, Anträge oder Publikationen“.
Mit einer Ausnahme. 1989 wurde in der Aula die "Lorenzer
Erklärung" mit reaktionärem, rassistischem, faschistischem
und nationalrevolutionärem Inhalt veröffentlicht. Weitere der
im Papier diskutierten Themen sind Ausdruck der Ereignisse Ende der 80er
Jahre: Fall der Mauer, Ende des Ost-West-Konflikts, Ideologienkrise, Ostöffnung.
Österreichische Universitätsprofessoren beurteilen den Lorenzener
Kreis im Handbuch des des Rechtsradikalismus folgend:
„Die angepeilte gesellschaftliche Erneuerung, die Haider und seine
Ideologen im Lorenzener Kreis auf die FPÖ Fahne geschrieben haben,
folgt also durchwegs alten, konservativen, kulturrassistischen und faschistischen
Mustern. Neu ist lediglich die Offenheit und Sprache, in der heute wieder
derartige menschenverachtende Ideen propagiert werden.“
Hauptinitiator dieses Kreises war der in der Zwischenzeit verstorbene
Raimund Wimmer, der 1991 noch für die FPÖ in seiner Heimatgemeinde
kandidierte. In der ORF Sendung „Inlandsreport“ vom 9.11.1989 wurde
eine Liste gezeigt, die u.a. Haider, Gugerbauer und Krimhild Trattnig als
Mitglieder des Lorenzener Kreises ausweist. Von beiden hat sich
Haider in der Zwischenzeit getrennt Andreas Mölzer, steht ihm bis
auf weiteres als kulturpolitischer Berater in vielen, inländischen
wie auch ausländischen, insbesondere bundesdeutschen Angelegenheiten zur
Seite.
Nochmals aus Thomas Bernhards’ Heldenplatz:
Anna zu Olga: In Österreich musst du entweder katholisch oder
nationalsozialistisch sein, alles andere wird nicht geduldet, alles andere
wird vernichtet.
Ein bemerkenswertes, analoges Sittenbild liefert die Ehrenschutzliste
des 48. Grazer Akademikerballs 2000, veranstaltet von durchwegs rechten
Burschenschaften. Drei schwarze Landeshauptleute, der Kärntner Landeshauptmann,
mehrere freiheitliche Landesräte, ebenso wie solche der Volkspartei und
eine Reihe von Hochschulprofessoren, die meist auch für betont deutschnationale
Studentenverbindungen stehen, bilden das Ehrenkomitee.
Selbst der sozialdemokratische Landeshauptmann-Stellvertreter der Steiermark
wollte oder konnte sich dem nicht entziehen.
Eine Besonderheit bietet jedoch der das Ehrenkomitee anführende
Bundesminister. Er firmiert in diesem Ehrenkomitee für den Akademischen
Turnverein Graz. Dieser Turnverein ist sowohl Mitglied im Österreichischen
Turnerbund, eine prononciert rechtsorientierte Vereinigung. Ebenso finden
sich die Akademischen Turnvereine Österreichs auf den Websites der
deutschen Jahnbünde, betont deutschnationalen Turnvereinigungen in
partnerschaftlicher Beziehung.
Die Ausgabe des österreichischen Wirtschaftsmagazins Trend
4/2000 berichtet über zwei Seiten ausführlich und fundiert unter dem
Titel: Frisch, fromm, fröhlich und frei über die sportlichen
Verbindungen des Ministers, zu denen sich dieser offen bekennt. Der Minister
galt Insidern schon längere Zeit als als Verbindungsmann der Schwarzen
zu den Freiheitlichen. Auch hier aktuelle Anklänge an die Aktivitäten
des Ennstalerkreises in den 50 er Jahren, die nicht allein literarisch
orientiert gewesen sind.
Die empfindlichen französischen Reaktionen anlässlich der
blauschwarzen Regierungsbildung waren vor allem auf die Nähe der Freiheitlichen
zum deutschnationalen Lager zurück zu führen. Ein Minister, der
sich in solchen Kreisen bewegt, ist nicht besonders geeignet, europäisches
Misstrauen abzuschwächen, vor allem dann, wenn einem bewusst ist,
wie sehr das Rückgrad dieses Europas vor allem von der deutschfranzösischen
Freundschaft bestimmt wird, die bereits 1947 durch Winston Churchill in
seiner Zürcher Rede angeregt und von Charles de Gaulle und Konrad
Adenauer 1963 offiziell vollzogen wurde. Jede deutschnational orientierte
Regung wird in Frankreich empfindlich registriert und als Störung
des europäischen Gleichgewichts empfunden.
In einer der Zur Sache Sendung des ORF mit DiskussionsteilnehmerInnen
aller im Europaparlament vertretenen österreichischen Parteien in
den Monaten der seitens der EU verhängten Sanktionen richtete der
Diskussionsleiter, Chefredakteur der Salzburger Nachrichten die
erste Frage an freiheitliche Abgeordnete:
Wie würden Sie es sehen, nachdem Sie an der Front stehen...
Es gehört seit Jahren wenn nicht Jahrzehnten zum Sprachgebrauch des
ORF, in politischen Fragen militärisches Vokabular zu wählen,
vor allem im redaktionellen Bereich.
Mittelbare Rekurse auf den militärischen Komplex gab und gibt
es fortwährend in der Geschichte der Zweiten Republik und, ich meine
hier weniger jene, die sich auf die jeweils aktuelle Landesverteidigung
beziehen, sondern jene, die sich an die Generation gewendet haben, die
im zweiten Weltkrieg in den militärischen Einheiten der deutschen
Wehrmacht und in den Gliederungen der SS beteiligt gewesen sind.
Die Frage der Wehrmachtszugehörigkeit ist in der jüngeren
Zeit Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzungen geworden, die
das innenpolitische und das äussere Bild unseres Landes entscheidend
verändert haben. Eine wesentliche Schlüsselstelle der Veränderung der politischen Konstitution
des Landes ist die Waldheim Affaire. Waldheim wurde wegen seiner Zugehörigkeit
zur berittenen SA heftig kritisiert. Abgesehen davon, dass man Waldheim
im weiteren Verlauf der Geschichte keine Kriegsverbrechen nachweisen konnte, hat er doch entscheidend
das politische Verhältnis zu den Kriegsteilnehmern definiert.
Es wäre alles rechtens gewesen und man habe seine Pflicht getan. Diese
Erklärung löste vor allem in der antimilitaristisch eingestellten Generation der 68er Empörung
aus, legitimierte doch Waldheim diesen Nazi-Krieg in sowohl österreichischer
wie auch deutscher Tradition als Pflichterfüllung.
Der Kern des Problems liegt tiefer. Die Soldaten sind für die
Ziele der Nazis in den Krieg gezogen, und die waren sowohl undemokratisch
wie auch verbrecherisch. Jeder dieser Soldaten wusste, dass es um die Errichtung
eines Europas unter deutscher Vorherrschaft, um Gebietsgewinn im Osten gegangen ist. Hans
Grimms Volk ohne Raum, erstmals erschienen bei Albert Langen, München
1926, hat wesentlich zur Motivation dieses kriegerischen Gebietserwerbes
beigetragen. Parallel dazu wurde ein ethnischer Vernichtungskrieg, ethnische
Säuberung vor allem gegen Juden und Zigeuner geführt, der den
Soldaten der Wehrmacht nicht verborgen blieb. Trotz einiger problematischer
Bilder konnte im Rahmen der Ausstellung „Vernichtungskrieg:Verbrechen
der Wehrmacht“ in erschreckender wie bedrückender Form, neben
den Einheiten von SS und eigens gebildeter Sonderkommandos, auch die Beteiligung
der Wehrmacht an den Verbrechen an der Zivilbevölkerung überzeugend
nachgewiesen werden. Diese Ausstellung wurde jedoch kurzfristig durch die
Verwendung von geringfügig falsch zugeordnetem Bildmaterial diskreditiert.
Jüngste Fernseh Dokumentationen des ZDF bestätigen jedoch die
Erkenntnisse, die aus dieser Ausstellung gezogen werden mussten. Eine neue
Version der Ausstellung wird ab November 2001 in Berlin gezeigt.
Gewöhnliche Deutsche wie auch Österreicher, so wie es Daniel
Jonah Goldhagen in Hitlers willige Vollstrecker beschreibt, haben
von diesen verbrecherischer Komponenten sowohl im Landesinneren des dritten
Reiches wie auch in den Kampfgebieten insbesondere im Osten immer schon
gewusst und darüber geschwiegen.
Hitler und seine Funktionäre haben ihre Ziele inklusive der Vertreibung
und Vernichtung der Juden in ihrer politischen Propagandarbeit schon lange
vor dem Ausbruch des Krieges klar und deutlich öffentlich ausgedrückt.
Sowohl die Deutschen und die Österreicher haben es gewusst.
Niemand derer, die nicht zur Partei der Nazis gehört haben, aber
doch für deren Zielsetzungen und Kriegsvorhaben in den Kampf gezogen
sind, wollte nach 1945 in diesem Kontext gesehen werden. Anstelle dessen
traten eher Formeln wie Verteidigung der Heimat, der bolschewistische Feind, Bollwerk gegen
den Osten. Formeln die bereits von den Nazis verstärkt wurden, nachdem
der Führung und Hitler selbst klar wurde, diesen Expansionskrieg nicht
mehr gewinnen zu können. Um so verbrecherischer war es, die
im Inferno des völligen Zusammenbruches endende Abwehrschlacht bis
zum letzten Mann, bis zum letzten Blutstropfen hinaus zu zögern,
Die Vernichtungsmaschinerie zur Auslöschung der Juden wurde ab diesem
Zeitpunkt verschärft; dies ein weiteres erklärtes Kriegsziel
Hitlers und der Nazis. Hitler bestätigt noch in seinem völlig
reuelosen Testament die weitgehende gelungene Durchführung des schrecklichen
Planes.
Mit der Beschwörung einer Bedrohung des Abendlandes wie auch Bedrohung
der weissen Rasse fanden die Nazis Zulauf aus den bürgerlichen konservativen
Kreisen. Ein Bedrohungsbild, dem sich auch die katholische und evangelische
Kirche nicht verschliessen wollten.
Jörg Haider hat die Teilnahme am Zweiten Weltkrieg und die damit verbundene Ambivalenz zur deutsch nationalen Geschichte, inklusive ihrer nazionalsozialen Ausformung unter Integration der österreichischen Bevölkerung nach dem Anschluss politisch aktualisiert. Höhepunkt dürfte die Rede anlässlich eines Treffens ehemaliger SS-Angehöriger am 30.September 1995 im kärntnerischen Krumpendorf gewesen sein..
Ich möchte einmal wissen, ob jemand von jenen, die zu feige sind, dort hinzugehen, oder die ständig den Stab über das Ulrichsbergtreffen brechen, ob sie einmal ein vernünftiges Argument sagen können. Es gibt nämlich keines, ausser dass man sich ärgert, dass es in dieser Welt einfach noch anständige Menschen gibt, die einen Charakter haben und die auch bei grösstem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen und ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind. Und das ist eine Basis, meine lieben Freunde, die auch an uns junge weitergegeben wird. Von der wir letztlich auch leben, und daher haben wir gemeinsam mit Euch die Aufgabe, etwa dafür zu sorgen, dass Ausstellungen, wie sie heute etwa von Deutschland ausgehen, nach Österreich hereinkommen, um über die Wehrmacht aufzuklären, wo also plötzlich die Wehrmacht oder die Teilnehmer und Angehörigen der Deutschen Wehrmacht als Verbrecherbande dargestellt werden. Das ist jetzt üblich. Und auch bei uns in Österreich läuft eine derartige Ausstellung mit Unterstützung von der öffentlichen Hand, denn dafür haben wir ja das Geld. Wir geben Geld für Terroristen, wir geben Geld für gewalttätige Zeitungen, wir geben Geld für arbeitsscheues Gesindel, und wir haben kein Geld für anständige Menschen. lch werde mit meinen Freunden immer dafür eintreten, dass dieser äIteren Generation Respekt erwiesen wird, Respekt erwiesen wird für lhren Lebensweg, Respekt für das, was sie durchgemacht haben, Respekt vor allem für das, was sie für uns bewahrt haben. Das ist etwas sehr Entscheidendes. Und jeder, der heute mitmacht, der sagt, dass die Angehörigen der Kriegsgeneration, der Wehrmacht, alles Verbrecher gewesen sind, der beschmutzt letztlich seine eigenen Eltern, seine eigene Familie, seine eigenen Väter, und ein Volk, das seine Vorfahren nicht geehrt hält, ist soundso zu Untergang verurteilt.
Hier liegt der Kontext offen, die Verknüpfung mit dem NS-Geschehen,
mit dem Krieg, aber auch mit den Kriegszielen, die Haider anspricht, wenn
er hervorhebt, wie sehr die SS-Veteranen ihrer Gesinnung treu geblieben
wären, ihren aufrichtigen Charakter bei behalten hätten. Und es
geht um die Ehre, die Ehre des Volkes, der Eltern, der Väter, und
die der Vorfahren. In der Ehrung der Überlebenden bzw. im Referenzieren
auf den Totenkult, nimmt Haider willentlich oder unwillentlich die Öffentlichkeit
in Geiselhaft der NS-Geschichte. Wer den Soldaten. lebendig wie gefallen,
die Ehre nicht erweist, befleckt das Land, das Volk, die Angehörigen
der Gefallenen, wie auch die Überlebenden und Nachgekommenen; so argumentiert
er.
Ehre deinen Vater und deine Mutter; so steht es als Grundsatz in den
zehn Geboten Gottes geschrieben. Haider nutzt geschickt diese Formel in
einem von Grund auf katholischen Land aus. Er schafft eine Doppelbindung,
die er an die katholische Ethik bindet und damit die Verbrechen des Vaters verdeckt.
Ich weiss, kaum jemanden in diesem Land fällt dieser Kontext leicht.
Auch ich musste eine Reihe schmerzhafter Diskussionen mit meinem Vater
führen, der als einfacher Soldat der deutschen Wehrmacht sowohl gegen
den Westen wie auch gegen den Osten gezogen ist.
Arnold J.Toynbee zeichnet in seinem 1950 in Oxford erschienenen Buch
"War and Civilisation" eine weitere interessante Parallele. Das Konzept
der Nazis wäre mit dem spartanischen Staatswesen durchaus vergleichbar.
Sowohl in der Heraushebung des Kriegers, in Form eines alles übergreifenden
militärischen Ordens, in der (rassistischen) Stammeszugehörigkeit,
in der Züchtung des Menschenmaterials, wie auch der in der Unterwerfung
eines griechischen Brudervolkes, der Messener, Hellenen, die dieselbe Kultur
und die dieselben Leidenschaften pflegten, die ab da an Sklavenarbeit für das Herrenvolk der Spartaner zu verrichten hatten.
Ebenso bemerkenswert die Verachtung der Spartaner gegenüber Kunst
und Kultur. Nur die kriegerischen Tugenden zählten.
Die (Ost-) Mark hatte die Grenzen des Reiches gegenüber den Übergriffen
von Fremdvölkern zu schützen. Dieses Bewusstsein lebt insbesondere
in Kärnten fort. Der Kärntner Abwehrkampf (gegen den slawischen
Süden) ist integrierender Bestandteil des politischen Bewusstseins dieses Bundeslandes,
von Haider in Permanenz aktiviert. Diese Sehweise, das Bollwerk bietet
im ungebrochenen Rückhalt.. Das wehrhafte Bekenntnis zur Heimat ebenso
wie die Abwehr des Fremden finden wir sowohl in der Literatur des Ständestaates
und der nachfolgenden Nazi Literatur.
Toynbee zitiert Moltke: Der ewige Friede ist ein Traum, und nicht
einmal ein schöner, und der Krieg ein Glied in Gottes Weltordnung.
In ihm entfalten sich die edelsten Tugenden des Menschen, Muth und Entsagung,
Pflichttreue und Opferwilligkeit mit Einsetzen des Lebens. Ohne den Krieg
würde die Welt im Materialismus versumpfen.
Der Krieg und die damit verbundene Pflichtreue wird gerade zu als göttliche
Tugend gelobt und Haider würdigt noch heute diese Traditionslinie,
die Deutsche und Österreicher ins Verderben gestürzt hat.
Der österreichische Konsens, vorgebliche Voraussetzung zur Abwehr der getroffenen EU- Sanktionen, wird fortdauernd unter der Losung eines Nationalen Schulterschlusses eingefordert. Nicht berücksichtigt wird dabei die Einschränkung der Möglichkeiten der Opposition und die der individuellen Meinung. Die Regierungsparteien werfen den abgetretenen Sozialdemokraten mangelndes Demokratieverständnis vor, weil sie angeblich mit dem Machtverlust nicht zu Rande kommen und trotzig auf die Strasse gegangen sind, fordern aber im gleichen Atemzug von der Opposition den Schulterschluss zur Bereinigung des europäischen Flurschadens, der durch die Beteiligung der Freiheitlichen erst entstanden ist.
Der Klubchef der Volkspartei stellte im Parlament fest, wer die EU-Sanktionen
verteidige, sei kein Patriot. Auffällig oft verwendet der ORF die
Losung "Schulterschluss" beziehungsweise die übergreifende
Formel "Nationaler Schulterschluss".
Ich habe diese aufdringliche Wort in Erinnerung aus meiner Präsenzdienstzeit.
Das laute Brüllen des Schleifers: Aufschliessen ! ist mir noch
akustisch gegenwärtig. Tatsächlich kommt das Wort aus dem militärischen
Reglement.
Ursprünglich wurde es in der Landsknecht-Kriegsordnung verwendet,
die dicht im Schulterschluss aufschliessen mussten, um das Durchdrängen
der feindlichen Reiterei zu verhindern. Fiel einer der Landsknechte, musste
weiterhin dichtauf, also Schulterschluss gemacht werden.
Ich habe einen Suchlauf im Internet gemacht und fand dieses Wort vor
allem im Zusammenhang von Sport- und Wirtschaftsberichterstattung. Das
Wort findet sich allerdings ebenso auf deutschnationalen Sites. Vom Landsknecht
bis zum Landser des Zweiten Weltkrieges ist es historisch nicht allzu weit.
Mir ist zwangsläufig jenes unsägliche Kampflied eingefallen,
zu dem in dicht geschlossenen Reihen in festem Schritt und Tritt marschiert
wird. Es ist das unselige Lied der SA. Tatsächlich haben die Nazis
zuallererst die zivile Gesellschaft militarisiert. Die militärische
Herkunft des Wortes Schulterschluss ist eindeutig zu verifizieren. Ebenso
deutlich erscheint der fatale Kontext zur NS-Geschichte. Auch das allseits
bekannte Wort Anschluss ist vom Schulterschluss nicht weit entfernt.
Ich frage mich nun ernsthaft, wie eine zivile, demokratische Gesellschaft
sich auf derartige Sprach - Codierung überhaupt einlassen kann, noch
dazu im höchst empfindlichen europäischen Kontext. Österreich
stand Monate im kritischen Fokus der internationalen Öffentlichkeit;
man weiss um die Empfindlichkeit aller Bezüge zur NS-Geschichte. Und
trotzdem trommelt der ORF Tag und Nacht zum Schulterschluss. Im Marschblock
wird aller Widerspruch erstickt.
Das bestätigt letztendlich einen fahrlässigen Umgang mit
der Sprache. Ein rotweissrotes Image Programm kann und darf nicht unter
einer derartigen Losung umgesetzt werden. Sprache ist nicht nur Information,
sie formt Verhalten.
Ich halte es für unendlich wichtig, vor dem Einsatz falscher Worthülsen
zu warnen, die alsbald zu falschen Schlüssen wie auch einengenden
Perspektiven führen werden.
Die Wortwahl Nationaler Schulterschluss, die sich alsbald in
der Bevölkerung durchgesprochen hat, wird von bestimmten Kreisen
absichtlich forciert. So wird latent ein Klima des virtuellen Faschismus
erhalten. Demokratisches Bewusstsein hingegen muss auch die Nuancen beachten,
der Vielfalt gerecht werden, auch den Widerspruch ertragen.