Wir haben uns vorgenommen, aus unseren Begegnungen und Teilnahmen an und vom literarischem cabaret I & II, der werkstatt, verein zur förderung moderner kunst; den Lesungen in der Galerie nächst St. Stephan, dem Museum des 20. Jhdts. oder anderen Orten über die Gründungen der Arbeitsgemeinschaft österreichischer Literaturproduzenten und der Grazer Autorenversammlung, über die IKAe Werkstattbühne, das Dramatische Zentrum und die Literaturzeitschrift die klinge in zeitlich ungeordneter Reihenfolge zu berichten und zu Korrekturen oder zusätzlichen Beiträgen dieser Art einzuladen.
Es fällt schwer, vor der Zäsur des Zweiten Weltkrieges, Autorinnen oder Autoren neben einem einzigen und echten Avantgarde-Autor, Raoul Hausmann, auf jemanden hinzuweisen. Nach der Zäsur begann es einfach neu, denken wir.
Auf die Geschichten der Literaturwissenschaft haben wir sehr wenig Vertrauen, aber in Vorbereitung und Ergänzung unserer Beiträge möchten wir folgende Veröffentlichungen, im Wesentlich von den Autoren selbst geschrieben, anführen:
Andreas Okopenko: "Die schwierigen Anfänge österreichischer Progressivliteratur nach 1945" in ‚Andreas Okopenko, Gesammelte Aufsätze, Band 1, Ritter Literatur, Klagenfurt und Wien 2000.
Maria Fialik: "Strohkoffer Gespräche" Zsolnay, Wien 1998
Andreas Okopenko: "Wiens junge Dichter der 50er Jahre" in FREIBORD No. 70 (4/89), Wien 1989
Gerhard Rühm: "nachwort, über den "inventionismus"" in ‚marc adrian inventionen' edition neue texte, Linz 1980.
Gerhard Rühm: "Vorwort" in ‚Die Wiener Gruppe' Rowohlt 1967
Hermann Hendrich: "Szene oder Mittler? werkstatt wien in den 60er Jahren" in ‚Verkannte Literatur Heute? 1950 - 1968 - 1986', Freibord Nr. 57, (1/87), Wien 1987
Weitere Literaturangaben erfolgen in den einzelnen Beiträgen, die nicht unbedingt in zeitlicher Reihenfolge erscheinen werden.
Franz Krahberger
Hermann Hendrich; Darsteller, Organisator, Inspizient und Buehnentechnik
Wie bekannt, fanden zwei Aufführungen des "literarischen cabaret" in Wien 1957 und 1958 statt, in dem die Hauptakteure Achleitner, Bayer, Rühm und Wiener zwar dieselben blieben, sich aber der Ort und die anderen Mitwirkenden auf und hinter der Bühne wesentlich änderten. Blieb das "cabaret I" im Künstlerclub "Alte und Neue Welt" in der Windmühlgasse eigentlich von der Presse noch völlig unbeachtet, war es doch für den zaghaften Wiener Zug zur Avantgarde ein festliches Ereignis, an dem der gewollte historische Zusammenhang mit DADA endlich präsentiert werden konnte. In dem mir leider gestohlenen Katalog über die Ausstellung "Die wilden 50er" auf der Schallaburg in N.Ö. sind von dieser Abendaktion ein paar Fotos dokumentiert, unter anderen Gästen bin ich, meine Schwester, und Fria Elfen-Frenken zu sehen.
Es gab wohl eine grosse literarische und konzeptionelle Differenz zwischen den beiden literarischen cabarets, insofern, als im cabaret II die Nachahmungen des cabaret voltaire oder anderen dada Veranstaltungen ziemlich weggefallen sind. Vieles wird ohnehin nicht vom cabaret I berichtet, nie zum Beispiel die "Vorhänge" von Dick (Hans) H. (Banjospieler der ‚wirklichen jazzband') und Herbert F., während sie sich Witze erzählten. Wir hatten selbstverständlich für diese Veranstaltung in unserem Jazzclub, dem Studio für Modern Jazz' geworben. Es gab damals zwei Jazzclubs in Wien, neben unserem noch den früher gegründeten ‚Hotclub de Vienne' im 3. Bezirk, aber Besucher und Vortragende etc. waren wohl in beiden zu finden. Da Wiener trotz seines Trompeter-Status in der Wirklichen Jazzband mit ihrem strengen New Orleans Jazz eher zum modernen Jazz und überhaupt zur modernen Musik neigte, war er eben oft bei uns anzufinden, und hielt dort Vorträge über neue Musik. Wieners musikalischen Interessen waren damals (1957-59) sehr breit gestreut, er besaß auch eine umfangreiche Sammlung von Schallplatten mit Ethno-Musik, die eine große Seltenheit darstellte; später hat er sie aus Geldmangel abverkauft. Da gab es auch einmal das legendäre Fussballmatch zwischen dem Hotclub und dem Studio, das von Louise Martini angestoßen wurde und 7:1 zu Gunsten des Hotclub endete. Wiener stürmte für uns in der kurzen Lederhose.
Unser Club wurde von Wiener und mir ziemlich ins "elitäre" gedrängt, wenn Wiener das Stockhausen Stück "Die Jünglinge im Feuerofen" oder ich aus dem altenglischen oder mittelalterlichen deutschem Texte vorlas. Aus dieser Situation entstand dann Ende 1957 die Vorbereitung einer ersten Jazzveranstaltung im Musikverein, die als Matinee am 23. 2. 1958 stattfinden konnte (Programm "ragtime concert") und von mir organisiert worden war.
Die neuen literarischen Entwicklungen in Wien der Jahre 54 bis 58 blieben mir allerdings verborgen, erst durch Wiener's Einführung in seinen literarischen Freundeskreis, Konrad Bayer hatte ich wohl schon früher kennengelernt (Hendrich 2007/1), wurde mir schlagartig die Bedeutung der Entwicklungen der gerade erst zur Wiener Dichtergruppe ernannten bewusst.
Da der große Erfolg des literarischen cabarets I nach einer Fortsetzung verlangte, begannen Rühm und Co. sehr bald mit einer weiteren Planung. Wiener war überzeugt, dass dieser neue Abend, für den bald das Kino/Theater im Porrhaus gefunden worden war, einer Person zur Unterstützung bedurfte, die nicht den vier angehören sollte. So lud er mich ein, eine Art Inspizient für den geplanten Abend zu machen, was ich mit Enthusiasmus annahm.
Es sind schon genug Veröffentlichungen über das l.c.II erschienen, zuletzt wieder in dem Biennale Wälzer von Peter Weibel (Hsrgb.). Leider hat sich niemand die Mühe gemacht, auf Grund meiner aufbewahrten Unterlagen die fortgeschleppten Irrtümer in den Selbstdarstellungen der Akteure zu korrigieren. Es sind auch falsche Quellenangaben zu finden, wenn zum Beispiel die Originalversion des Bayer -Artikels "hans carl artmann und die wiener dichtergruppe (1964)" auf Seite 13 in "werkstatt aspekt 1" immer in den nachgedruckten Versionen zitiert wird.
Somit meine ich, dass die erhaltenen Dokumente gründlicheren Untersuchern zur Verfügung gestellt werden sollten.
Zum ‚regieplan für das literarische cabaret'
Hendrich, Bayer, Wiener
Zu ‚regie für phasen'
Für dieses Bühnenstück, das ich auch noch heute als das zukunftsweisende des lit. cabaret halte, schrieben wir eine spezielle Anordnung. Gegenüber der Aufführung musste es leider zu einem "Tausch" bei 6. kommen: statt des Bären war ein Baby zu sehen, das Kind der Prantls, der heutige Tänzer und Choregraph Sebastian Prantl. Der Grund lag darin, dass man die Bühne nur auf einer sehr engen Wendeltreppe von der darunter liegenden Garderobe bzw Regieraum betreten konnte, und der Bärenführer sagte seine Mitwirkung ab. 15,: Kopien der Original-Großdias im Bildteil. 16.: Der gute Miessler, schon im Wacker Dress, bekam plötzlich in der Garderobe derartiges Lampenfieber, dass er nicht mehr die Wendeltreppe hoch kam. So blieb mir nichts anderes übrig, als den schon auf der Rampe liegenden Ball Richtung Balkon selbst zu treten.
(Der Titel phasen entstammt Überlegungen Wieners so 56/57, über die wir öfters diskutierten: die Vorstellung, dass unser Bewusstsein kein Kontinuum von Gefühlen und Gedanken ist, sondern in einer Folge von nicht zusammenhängenden Phasen ausgedrückt wird.)
Dass H.C. Artmann mit seiner vielsprachigen Bildung und seinen frühen Reisen und Aufenthalten im Ausland zu den wichtigsten Anregern des Freundeskreises zählte, ist wohl unbestritten. Aber Gerhard Rühm hatte durch seine Familientradtion - schon Vater und Onkel waren Philharmoniker - und seine eigene Ausbildung zum Pianisten wohl auch Zugang zu der Tradition des Wiener Cabarets der Zwischenkriegszeit. Auch mag die aus der Strohkoffer-Szene stammenden Freundschaften, unter anderem mit dem Komponisten Kölz manches ausgelöst haben. Wiener gibt selbst an, bereits 1953 (also mit 18 Jahren!) Hugo Balls ‚Die Flucht aus der Zeit' mit dem speziellen Hinweis auf das interdisziplinäre Künstlertheater gelesen zu haben (Wiener 1985).
Übersehen wird von allen Kommentatoren und auch von den Autoren selbst die medialen Einschübe, wie die Projektion der Großdias und eines Industriefilmes. Rühm und Wiener hatten sich schon länger mit Collagen von Fotos und Text beschäfigt, die Ergebnisse wurden allerdings vernichtet. Aber freilich waren auch Zirkus, Schaubude und Prater nicht so ferne. Und wenn man die weitere Entwicklung von der kleinen Oper in Kapfenberg bis zum totalen Klamauk im Chattanooga so fehlt eben das sinnhafte, mehrdeutige dazwischen, wie es vielleicht in "phasen" auf einer visuellen/akustischen Ebene durchkommen konnte. Bayer und Wiener schlossen sich eng zusammen - siehe "starker toback", dead language press - und Wiener bewegte sich nach dem Tod von Bayer eigenständiger in Richtung Zock und "Die Verbesserung von Mitteleuropa".
Manches aus den literarischen cabarets haben Konrad Kinzl und ich genommen und versucht, etwas kühleres daraus zu machen, was im Herbst 1961 zum "konkreten theater" im Experiment am Lichtenwerd führte. Darüber in einer anderen Folge.
Buehnen Fotos: Franz Hubmann