Mit Pascha gegen Paris reiten…


Hinter den Kulissen des Wiener Opernballs 2007


© Malte Olschewski

Es locken erigierte Objektive! Dieses lodernde Feuer aus Blitzlicht ! Und die Trommelwirbel klickender Kameraverschlüsse! Ein Ozean an Aufmerksamkeit wogt an die Feststiege heran, über die beim Wiener Opernball erlesene Gäste in ihre Logen schreiten! Da müsste sich doch das eine oder andere Produkt ins Bild schieben lassen. Warum nicht auch hier Werbung, wo doch auch sonst überall Werbung ist. Der Wiener Opernball läuft in Gefahr, von den Begehrlichkeiten der Konsumgüterwerbung überlagert, ausgesaugt und schliesslich ver-schlungen zu werden. Um dem abzuhüten, ist bei der Live-Übertragung im ORF sehr restriktiv gefilmt worden. Der Opernball 2007 litt im TV an Auszehrung und Schwindsucht, zumal die Veranstalter wie Operndirektor Ioan Holender und Elisabeth Gürtler Hauptrollen der Selbst-darstellung übernommen hatten. Historische Funktionäre des Balles wirkten zusammen, um mit dem Pferd Pascha dem Auftritt der Skandalnudel Paris Hilton das Blitzlicht zu entwenden.

In Wien lebt und wirkt der allgemein bekannte Baumeister Richard Lugner, wegen seines Gewerbes auch Mörtel genannt. Richard und Gattin Christine hatten als Königspaar des Sozialpornos den Opernball als Projektionsfläche entdeckt, um ins Zentrum der explosionsartig angewachsenen Society-Berichterstattung zu gelangen. Lugner pflegt nicht nur den Opernball, sondern sein ganzes Leben über die Fernsehformate Seitenblicke und High Society abzuwickeln, die von den Print-Organen TV-Media und News flächendeckend ergänzt werden.

Hier hat sich ein geschlossenes Universum mit rund hundert Protagonisten entwickelt. Der Kult um sogenannte Promis ist eines der widerlichsten Symptome im Karzinomkapitalismus. In Österreich blühen seine Geschwüre wegen der grossen Anhängerschaft des lokalen Nationalsports, des Neides, besonders farbig. Die Gewinner zelebrieren lachend ihren Sieg, während die Verlierer in hellen Scharen in die Röhre schauen und gelb im Gesicht werden. Man könnte durchaus eine Relation herstellen zwischen der Verarmung von immer mehr Menschen und der Zahl jener Sendungen und Formate, die den sozialen Neid ansprechen. Das Personal in diesem dauerhaften Sozialporno tummelt sich bei Reklamefesten. Mitglieder des geschlossenen Universums werden nach Einschub des zu bewerbenden Artikel bei Einnahme teurer Speisen und Getränke observiert. Dabei dürfen sie ein paar Worte absondern, doch will ihnen nur selten ein zusammenhängender Satz gelingen. Sie gluck-sen und stottern. Dann lachen sie und reissen dabei die Münder auf, sodass man ihre Gaumenzäpfchen baumeln sieht. Beim Opernball steigen sie wie Sektperlen an die Oberfläche der Live-Übertragung im ORF.

Schon in den Wochen vor dem Opernball sind die Zentralorgane der Selbstdarstellung wie die Seitenblicke im ORF und High Society in ATV mit der bangen Frage beschäftigt, wen die Lugners wohl diesmal gegen ein unbekanntes Honorar einladen werden. Für den 15.2.2007 hat der Baumeister mit der Hotelerbin und notorischen Skandalnudel Paris Hilton einen Vertrag abgeschlossen, der sie rund um den Ball ein umfangreiches Werbeprogramm absolvieren lässt. Richard Lugner versteht es, aus der Identität seines Gastes und aus der Bekanntgabe des Namens einen Spektakel zu machen. Das wird dann von Lugners Schildknappen am Boulevard zu einer Schicksalsfrage des ganzen Landes aufgebauscht. Durch das Rätselraten kommt Mörtel öfter als sonst in die Medien, was Sinn und Zweck seines gesamten Daseins zu sein scheint. Unablässig penetriert er willig hinsinkende Formate und gern sich öffnende Zeitungsspalten.

ATV widmet ihm die Serie Die Lugners, die praktisch nur aus einem verlängerten Ehestreit zwischen Mörtel und Gattin Christine, auch Mausi, besteht. Da die Kameras beim Ball gern in Lugners Loge lugen, inszeniert er mit seinen Gästen jedes Mal eine Oper in der Oper. Seit 1992 lädt Lugner mit Honoraren von rund 30 000 Euro Gäste in seine Loge, die nochmals 36 000 Euro kostet. Immer wieder kam es bei Walzerklängen zu medienpolitisch segensreichen Zwischenfällen. 1993 sass Joan Collins bei den Lugners. Das Denver-Biest trank nur Mineralwasser und litt an Angst, am Ball der Bälle vergiftet zu werden. 1994 schritt Ivana Trump, Ex-Gattin eines US-Immobilienmoguls, am Arm Lugners über die Feststiege. Hierbei kam es erstmals zu einer Rauferei unter Fotografen. Schon im folgenden Jahr stieg jemand so heftig auf Sophia Lorens Kleid, dass die alte Dame fast mit ihrem gesamten Volumen im Freien stand. 1996 wurde die Sängerin Grace Jones bei versuchtem Geschlechtsverkehr mit einem Nebendarsteller im Hintergrund der Loge ertappt. Der vertraglich gesicherte Walzer mit Mörtel wurde zu einem Horrordreh. Es folgten Sarah Ferguson und das ehemalige Sexsymbol Raquel Welch. Faye Dunaway kollidierte 1994 mit Dolly Buster. Es folgte die unvermeidliche Nadja Abdel Farang. Dann kamen Farah Fawcett, Claudia Cardinale, Pamela Anderson und so weiter. Als Lugner 2006 mit Starlet Carmen Electra am Arm über die Feststiege einzog, stiess er in einem grossen Spektakel mit Bundespräsident Heinz Fischer zusammen. Das konnte so nicht weiter gehen. Daher konspirierte man, bis die Idee geboren war: Mit Pascha gegen Paris.

Nach der Eröffnung wurde der erprobte Schimmel Pascha in den Ballsaal geführt. Er zog eine Kutsche, auf der Staatsoperndirektor Ian Holender auf dem Bock sass. Operndiva Ana Netrebko war auf weichen Polstern ausgebreitet und begann Arien aus Manon zu singen. Bei den hohen Tönen zeigte Pascha Beunruhigung, doch hielt ihn sein vertrauter Fiaker am Zügel. Ausserdem war das Pferd durch Scheuklappen geschützt, während Gummigaloschen das Parkett vor Hufspuren schützten. Ein Putztrupp war hinter den Kulissen bereitgestellt, falls das Pferd natürlichen Bedürfnissen nachgeben würde. Es ist aber alles glatt gegangen. Es ist nichts passiert.

Der eigentliche Ball konnte beginnen. Es waren zwei zentrale Kommentatoren am Werk, die aus einem Kämmerlein den Ball zu beobachten und verkrampfte Lustigkeit zu vermitteln hatten. Von Tanzen oder gar Walzer konnte bei den schwitzenden Massen keine Rede sein. Man trat auf der Stelle und wiegte sich ein wenig hin und her. Einmal mehr wurde bewiesen, dass eigentliches Tanzen beim Ball der Bälle gar nicht möglich ist. Verkrampfte Lustigkeit kennt eine Steigerung und die heisst:
Arabella Kiesbauer und Alfons Haider. Die beiden angelten sogenannte Prominente aus der Masse, um dumme Fragen zu stellen und noch dümmere Antworten zu hören. Es war schaurig, welch Lawine an Gemeinplätzen da aus dem Bildschirm brach. Auch Bundespräsident Heinz Fischer und Kanzler Alfred Gusenbauer hatte grosse Mühe bei den Antworten. Schliesslich wurde auch Paris Hilton vor die Kamera gestellt. Im wesentlichen beschränkte sie sich auf die Aussage, dass es bei ihr zu Hause in Los Angeles einen solchen Opernball nicht geben würde. Dann flatterte eine Schauspielerin mit einer überirdischen Frisur wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Menge, um Teilnehmer für die Mitternachtsquadrille zu werben. Sinn und Zwecker dieser Sideshow war nicht zu erkennen. Der leichenblass aussehende Organisator des Aids-Balles warb für seine Veranstaltung. Eine Dame im Sari verlangte nach Spenden für Leprakranke in Indien und dankte in diesem Zusammenhang auch einer Spielautomatenfirma. Dann brach die übliche TV-Werbung über den Ball der Bälle herein: Man befürwortete heisse Suppen, Persil und die Pensionsvorsorge. Nach dem Werbeblock ging es zurück zum Fest. Offenbar wegen vergangener Kritik blickte man nur sehr restriktiv in die Logen. Man nannte nur wenige Namen. Nur für Sekunden kam Österreichs Geldadel ins Fernsehbild. Unvermeidlich blieb der Schwenk in Lugners Loge, wo sich eine Paris Hilton demonstrativ langweilte. Das Skandalgirl konnte es offenbar nicht vertragen, von Anna Netrebko aus dem Mittelpunkt der Aufmerksamkeit verdrängt zu werden. Umso toller ging es vor ihrer Loge zu, wo mehrere Dutzend Fotografen lauerten. Als dann Mörtel seinen Gast dem Bundespräsidenten, der US-Botschafterin und auch dem ORF zuführte, kam es regelmässig zu einer Drängerei und zu einem Gerangel um die besten Plätze. Herzhafte Rufe aus dem abgedrängten Publikum waren zu hören: Ob Paris Hilton nicht Beistand bei Erzeugung von Nachwuchs brauchen würde? Weil man aber fein zu bleiben hatte, war dies alles in der Übertragung nicht zu sehen.

Der Opernball wird immer mehr eine Arena, an dem klassische Vertreter des kulturellen Establishments gegen Parvenüs antreten, die wie Lugner oft nur über Entblössung, Geschwätz und Eitelkeit nicht einmal emporgekommen, sondern nur die die Medien gekommen sind. Es mehren sich die Gäste, die den Ball zu einer Bühne der Selbstverwirklichung oder zu schlichter Produktwerbung degradieren. Im Jahr 2000 geschah es sogar, dass ein als Hitler verkleideter Schauspieler über die Feststiege schreiten wollte. 2007 hat sich schon im Vorfeld des Balles eine widersprüchliche Polka um Prosecco-Dosen entwickelt. Der Hotelier Günther Aloys hat die alleinige Konzession für dieses Getränk erwoben, das in goldfarbenen Blechdosen abgefüllt wird. Da er auch Paris Hilton für die Werbung unter Vertrag hat, wurde eine Kollision zwischen Hotelier und Baumeister befürchtet. Es kam nicht dazu. Blech und Mörtel vertrugen sich. Aloys war in der Loge Lugners präsent. Am Tag nach dem Opernball flog er mit Hilton und Gefolge nach Ischgl. Dort feierte Paris Hilton ihren 27. Geburtstag. Eine Boyband hatte sich mit einem Ständchen angesagt, das aus den zwei Worten Happy Birthday besteht. Adoranten versuchten, mit den Schiern das Anrtlitz der Paris Hilton in den Schnee zu zeichnen. Aus goldfarbenen Dosen floss reichlich der Prosecco.

In früheren Jahren war der Ball als ein Gipfel von Reich und Schön durch Demonstranten bedroht. Opernballkawalle wurden beinahe zu einer Institution. Im Jahr 2007 gibt es nur mehr Bejahung und Applaus. Es herrschte Jubel um eine von Blitzlicht überschüttete Null. Es standen auch nur rund sechzig verseinsamte Demonstranten vor der Oper, die von 600 Polizisten beschützt wurde. Stunden zuvor hatte es bei der Autogrammstunde der Hotelerbin in der Lugner-City einen Zwischenfall gegeben. Aus einer höher gelegenen Etage wurden Dosen, Stifte und Papiere auf Lugners Gast geworfen. Daher hat man Grossalarm gegeben. Kurz nach Mitternacht soll man in der Nähe der Oper einen dünnen Sprechchor vernommen haben:
Bringt das Kapital zu Fall ! Nieder mit dem Opernball !

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