N E U E R S C H E I N U N G


 

Janko Ferk


 

PSALMEN UND ZYKLEN


Gedichte
Edition Atelier, Wien 2001
110 Seiten, Leinen, 220 ATS
 
 
 
 
 

PSALM ÜBER DIE ZEIT

 

I


jeder schritt

ist ein klöppelschlag

an die glocke

der uhr

die unsere zeit

mißt
 

du kannst

im kreis gehen

jeder schritt

ein schritt dem ende zu

du kannst tanzen

auf der stelle treten

oder stillstehen

 
der klöppel schlägt

und das ende kommt

mit großen schritten
 
 
 
 

II


stück für stück

verlierst du deine kleidung

zuletzt stehst du da

mit leeren händen und barem haupt

 
für jedes stück

ein paar takte

sanfter musik
 

sowie dir kalt ist

weißt du

daß deine zeit

ein kurzes glück ist
 
 
 

III


 jede sprache

und jede zeit

lügt dir in das gesicht

und wenn es sein muß

mit den schönsten geschichten
 
 
 
 
 
 

SCHWARZER   ZYKLUS

 

 

»Als letzter Feind wird der Tod vernichtet
1.    Korinther 15, 26
 
 
 
 

prolog


 
misere

domine

erbarme dich
 
 
 
 
 

I


 
altes wasser und hartes brot

und ein leben in der dunkelkammer

ohne dank

ein totenbett als liegestatt

im nachtschlaf ein verendetes tier neben dem leib

welche einheit ohne grenzen

unendlich alles

der totenvogel ist laut

in der grabesstille trifft der todesstoß jeden feind

der todeskampf um die rechte ordnung ist ein wahn

die tränen sind bitter

sie sind dunkelblau

altes wasser und hartes brot

der tod ist nicht grau

er ist schwarz und kalt
 
 
 

II

 

 

 ist der tod

eine sehnsucht

eine krankheit

ein schmerz

ist der tod

ein kurzer atem

das ziel

das ende am anfang
 
 
 

III


 
 der tod

 wird von todeswegen

 aussterben
 
 
 

IV


 
den tod abschaffen

hieße

die welt verändern

 
 

V


 
war der tod schon vor dem menschen in der welt

im leben

ist tod nur ein leeres wort

gerede

ist der tod nur die angst des menschen

das schlechte gewissen

ist der tod das nichts

und das alles

ist der mensch leben und tod

mehr leben als tod

leben

mehr tod als leben

leben

tod

was ist der tod

ein körperzustand

ein gefühl

ein höhepunkt

eine einbildung

eine unsicherheit

die letzte trunkenheit

nichts

ein leeres nichts aus angst

eine unbestimmte tatsache

tatsache ist

leben ist leben

und tod ist tod

ist der tod des menschen ein neuer anfang

eine zweite geburt

du bist lebend geboren

mensch

zweimal

beim zweiten mal für immer
 
 
 

VI


im vordergrund fragen

wie wird leben leben

was will leben

welchen sinn hat leben

was bedeutet leben im leben
 
 
 

VII

 

 

das leben ist der schamloseste verführer

das leben verkuppelt für den tod

es führt jeden menschen in seine arme

jeder tod hat den gleichen wert

es gibt keine unterschiede

der preis ist das leben

ein furchtbarer und schwarzer preis ohne wertsturz

durch jahrtausende

und jedes leben ist wertvoll genug

für den tod

der mensch kann sich nicht wehren

er ist ohne kraft

der verführer tod ist nie arbeitslos

die tödliche begierde ist immer in den schwarzen lenden

und deshalb kommt es nie zu überraschungen
 
 
 
 

VIII


 
der tod ist nicht poetisch

im verhältnis tod mensch

ist der tod der erhabene meister

sich selbst gegenüber

ist der tod ein einfacher arbeiter

er arbeitet für den höchsten lohn

für das leben

nur für diesen lohn gibt der tod seine kraft

der tod des menschen ist eine ware

in den augen der zuschauer

ist der tod eine eherne kunst

sein stil ist vollendet und ewig

seine farbe ist nachtschwarz

aber die freiheit seiner kunst ist begrenzt

die grenze ist der tod

denn alles ist zum tod verurteilt

auch der erhabene meister

das ist die grenze

das ist die hoffnung

schon bei der geburt ist der weg vorgezeichnet

der tod begleitet jeden

es ist befriedigend

der tod wird nicht wie gold mit geld bezahlt

er wird bezahlt wie meinungen und überzeugungen

mit dem kopf

mit dem leben
 

IX


tod

du glättest das totenhemd

und hast selbst falten

und furchen im gesicht

totenhemd

du schwarze fahne auf dem schlachtfeld des lebens

tod

krieg

kampf

rede nicht von freiheit

in deinen sätzen ist tod das hauptwort

in deinen sätzen ist tod das zeitwort

in deinen sätzen ist tod das eigenschaftswort

alles ist der tod

am anfang war der tod

und das wort war der tod

und der tod war das wort

im wort war das leben

und das leben ist licht

bis zum tod
 
 
 

X


tod

deine letzte heimat ist das grab

der ort deiner geburt

ist überall

und zu jeder zeit

tod

du bist der totengräber des lebens

du hast eine treue begleiterin

angst vor dem tod

ist ihr name

bei jedem wetter

und zu jeder jahreszeit seid ihr unterwegs

jeder mensch kennt euch

wenn nicht früher

dann später

jeder begegnet euch

wenigstens du

tod

du bist treu

mit deiner begleiterin wird nicht jeder bekannt

und manch einer kümmert sich nicht einmal um dich
 
 
 

XI

 

 

tod

die überraschung ist dir nicht ganz gelungen

ich habe gewußt

daß du kommst

dein kommen ist die letzte überzeugung
 
 
 

XII


tod

schwärze
 
 
 
 
 
 
 

epilog


 

sancta maria

mater dei

ora pro nobis peccatoribus

nunc et in hora mortis nostrae

amen

nunc et in hora mortis nostrae
 
 

Janko Ferk, Mag. et Dr. iur., ist Richter des Landesgerichts Klagenfurt, Schriftsteller, Lehrbeauftragter des Instituts für Philosophie der Universität Klagenfurt und Mitglied des Beirats für literarische Übersetzer sowie der Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes im Bundeskanzleramt. Bisher hat er mehr als fünfzehn Bücher veröffentlicht, zuletzt die Monographie Recht ist ein Prozess. Über Kafkas Rechtsphilosophie  ( Manz Verlag, Wien 1999 ) und den Gedichtband Psalmen und Zyklen ( Edition Atelier, Wien 2001 ). Für seine literarischen Arbeiten erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen, zuletzt wurde ihm der Literaturpreis des P. E. N.- Clubs Liechtenstein  ( 2002 ) zugesprochen.  Er publiziert auch juristische Beiträge.