Gedichte
Edition Atelier, Wien 2001
110 Seiten, Leinen, 220 ATS
jeder schritt
ist ein klöppelschlag
an die glocke
der uhr
die unsere zeit
mißt
du kannst
im kreis gehen
jeder schritt
ein schritt dem ende zu
du kannst tanzen
auf der stelle treten
oder stillstehen
der klöppel schlägt
und das ende kommt
mit großen schritten
stück für stück
verlierst du deine kleidung
zuletzt stehst du da
mit leeren händen und barem haupt
für jedes stück
ein paar takte
sanfter musik
sowie dir kalt ist
weißt du
daß deine zeit
ein kurzes glück ist
jede sprache
und jede zeit
lügt dir in das gesicht
und wenn es sein muß
mit den schönsten geschichten
»Als letzter Feind wird der Tod vernichtet.«
1. Korinther 15, 26
misere
domine
erbarme dich
altes wasser und hartes brot
und ein leben in der dunkelkammer
ohne dank
ein totenbett als liegestatt
im nachtschlaf ein verendetes tier neben dem leib
welche einheit ohne grenzen
unendlich alles
der totenvogel ist laut
in der grabesstille trifft der todesstoß jeden feind
der todeskampf um die rechte ordnung ist ein wahn
die tränen sind bitter
sie sind dunkelblau
altes wasser und hartes brot
der tod ist nicht grau
er ist schwarz und kalt
ist der tod
eine sehnsucht
eine krankheit
ein schmerz
ist der tod
ein kurzer atem
das ziel
das ende am anfang
der tod
wird von todeswegen
aussterben
den tod abschaffen
hieße
die welt verändern
war der tod schon vor dem menschen in der welt
im leben
ist tod nur ein leeres wort
gerede
ist der tod nur die angst des menschen
das schlechte gewissen
ist der tod das nichts
und das alles
ist der mensch leben und tod
mehr leben als tod
leben
mehr tod als leben
leben
tod
was ist der tod
ein körperzustand
ein gefühl
ein höhepunkt
eine einbildung
eine unsicherheit
die letzte trunkenheit
nichts
ein leeres nichts aus angst
eine unbestimmte tatsache
tatsache ist
leben ist leben
und tod ist tod
ist der tod des menschen ein neuer anfang
eine zweite geburt
du bist lebend geboren
mensch
zweimal
beim zweiten mal für immer
im vordergrund fragen
wie wird leben leben
was will leben
welchen sinn hat leben
was bedeutet leben im leben
das leben ist der schamloseste verführer
das leben verkuppelt für den tod
es führt jeden menschen in seine arme
jeder tod hat den gleichen wert
es gibt keine unterschiede
der preis ist das leben
ein furchtbarer und schwarzer preis ohne wertsturz
durch jahrtausende
und jedes leben ist wertvoll genug
für den tod
der mensch kann sich nicht wehren
er ist ohne kraft
der verführer tod ist nie arbeitslos
die tödliche begierde ist immer in den schwarzen lenden
und deshalb kommt es nie zu überraschungen
der tod ist nicht poetisch
im verhältnis tod mensch
ist der tod der erhabene meister
sich selbst gegenüber
ist der tod ein einfacher arbeiter
er arbeitet für den höchsten lohn
für das leben
nur für diesen lohn gibt der tod seine kraft
der tod des menschen ist eine ware
in den augen der zuschauer
ist der tod eine eherne kunst
sein stil ist vollendet und ewig
seine farbe ist nachtschwarz
aber die freiheit seiner kunst ist begrenzt
die grenze ist der tod
denn alles ist zum tod verurteilt
auch der erhabene meister
das ist die grenze
das ist die hoffnung
schon bei der geburt ist der weg vorgezeichnet
der tod begleitet jeden
es ist befriedigend
der tod wird nicht wie gold mit geld bezahlt
er wird bezahlt wie meinungen und überzeugungen
mit dem kopf
mit dem leben
tod
du glättest das totenhemd
und hast selbst falten
und furchen im gesicht
totenhemd
du schwarze fahne auf dem schlachtfeld des lebens
tod
krieg
kampf
rede nicht von freiheit
in deinen sätzen ist tod das hauptwort
in deinen sätzen ist tod das zeitwort
in deinen sätzen ist tod das eigenschaftswort
alles ist der tod
am anfang war der tod
und das wort war der tod
und der tod war das wort
im wort war das leben
und das leben ist licht
bis zum tod
tod
deine letzte heimat ist das grab
der ort deiner geburt
ist überall
und zu jeder zeit
tod
du bist der totengräber des lebens
du hast eine treue begleiterin
angst vor dem tod
ist ihr name
bei jedem wetter
und zu jeder jahreszeit seid ihr unterwegs
jeder mensch kennt euch
wenn nicht früher
dann später
jeder begegnet euch
wenigstens du
tod
du bist treu
mit deiner begleiterin wird nicht jeder bekannt
und manch einer kümmert sich nicht einmal um dich
tod
die überraschung ist dir nicht ganz gelungen
ich habe gewußt
daß du kommst
dein kommen ist die letzte überzeugung
tod
schwärze
sancta maria
mater dei
ora pro nobis peccatoribus
nunc et in hora mortis nostrae
amen
nunc et in hora mortis nostrae
Janko Ferk, Mag. et Dr. iur., ist Richter des Landesgerichts
Klagenfurt, Schriftsteller, Lehrbeauftragter des Instituts für Philosophie
der Universität Klagenfurt und Mitglied des Beirats für literarische
Übersetzer sowie der Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes im
Bundeskanzleramt. Bisher hat er mehr als fünfzehn Bücher veröffentlicht,
zuletzt die Monographie Recht ist ein Prozess. Über Kafkas Rechtsphilosophie
( Manz Verlag, Wien 1999 ) und den Gedichtband Psalmen und Zyklen ( Edition
Atelier, Wien 2001 ). Für seine literarischen Arbeiten erhielt er
zahlreiche Preise und Auszeichnungen, zuletzt wurde ihm der Literaturpreis
des P. E. N.- Clubs Liechtenstein ( 2002 ) zugesprochen. Er
publiziert auch juristische Beiträge.