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mein Herz mein Zimmer mein Name
copyright by Friederike Mayroecker
& Suhrkamp Verlag 1988
d
ie Psyche wird in das Alter hineingerissen,
wir machen pausenlos Lebensfehler, sage ich
zu meinem Ohrenbeichtvater, es kommt auf
den ersten Satz an , sage ich zu meinem Ohren
beichtvater, auf den allerersten Satz, kannst
du das verstehen, mit was fuer einem Satz ein
solches Buch anfaengt, sage ich, darauf kommt
alles an, und ob es den, der das erste Blatt
aufschlaegt, zum Lesen zwingt, zum Lesen und
und Weiterlesen, darauf kommt es an, das
Erwachen von Augen, der Gabentisch ist gedeckt,
ich habe mich durch den rosigen oder rostigen
Schein der Fruehe getrollt, wie laesst sich das
Phaenomen Welt beschreiben wie laesst sich das
Phaenomen Leben beschreiben wie laesst sich
ueberhaupt noch irgendetwas beschreiben,
naemlich das suesseste Licht bis zum Fliehen
bestimmter Beine, diese Bewegungen Bewoelk-
ungen meines Kopfes, einige sehr dunkle Stellen
mischen sich mit einigen sehr hellen Stellen wie
die Farben der beiden Blumenstraeusse im Fenster,
etwas Ueberspanntes in mir lehrt mich zuweilen
das minutioese Sehen, als wir hier in den kuenst-
lichen Tagen wandelten, sage ich, wie das
Schnarren der offenen Ohren, das Scharren der
schaufelnden Arbeiter in der Strasse vom Bett
aus kann ich alles verfolgen, noch teufelt mir
dieses Blut im Genick, ich habe die Kontrolle
ueber meine Glieder geradezu aufgegeben verloren,
ich schwaerme mit weichen Knien in meiner
Behausung, es ist ein aehnliches Gefuehl wie
geladene Draehte beruehren, am ganzen Koerper,
ich lasse jetzt die Schnuerriemen haengen, aus
den Schnuerrschuhen haengen, aus den Oesen heraus,
durch die Tuerritzen dringt das Licht, jemand im gegenueberliegenden Haus sitzt bei erleuchtetem
Fenster das ist mir troestlich, ich kenne den
Menschen nicht, auch nicht den, der nachts mit
dem Cello im Schneesturm, und Briefe zum
Fleischmarkt, pragmatische Briefe,
die Prostituierten nachts im Schnee vor dem
Hauptpostgebaeude, ich bin vollkommen
entkraeftet, ich kann kaum mehr die Fuesse heben,
ich lebe in einem staendigen Spannungszustand,
ich werde staendig unter Sedativa gehalten, ich
wusste dann nicht, schwindelte mir oder wankte
das Tischchen, ueber das ich gebeugt stand, um
die Briefmarken aufzukleben, wir interagieren
mit anderen, was mir schwerfaellt zuweilen
sehr schwer faellt zuweilen unmoeglich wird,
dieses Gehirnte ist so rot uebertragbar dass
ich versuche, in der Ecke der Stube sitzend,
mit einem Buch in der Hand die wimmelnden
Bilder in meinem Schoss aufzufangen, ja so
ehnlich koerperlich geht das denn zu, also von
einem hellen Ausdruck evoziert, oder was alles
ein heller Ausdruck in mir evoziert, oder was
alles ein dunkler nicht aufloesbarer Ausdruck
in mir evoziert, so stuelpe ich die Suedwest-
brille ueber naemlich bei Hitzegraden das
torkelnde Auge der Mund unbetont so faellt
sein Haesslichkeit nicht weiter auf, ich wusste
dann nicht, schwindelte mir oder schwankte das
Tischchen, ueber das ich gebeugt stand, die
Briefmarke aufzukleben, durch die dauernde
Musik aus dem Kasten gleichen sich Schlaf- und
Wachphase einander an, keine schroffen Gegen-
saetze mehr, sage ich allerlei Fleisch sagt Rosa,
allerlei Fleisch an mir, allerlei hingestrecktes
Fleisch, Rosa wieder im Krankenhaus, so ein
Schock an der Tuer, in meinem Leben ich naehe
von rechts nach links, das Lamm wird zum Hirten
der Hirte zum Lamm: dieses Kauderwelsch immer
diesen salzigen Geschmack in meinem Mund,
Nachtschweiss und alles falsch dann hat mich
die Ortslosigkeit eingeholt, in meiner Schwitz-
huete in meinem Naerrinnenkasten, wo ich
sinnend am Fenster sitze, oder an die Bettkante
geklemmt, waehrend draussen die Sturmballen
oder die Stuerme sich ballen, wie wunderbar,
schreibt Wilhelm, dass dieser Druckfehler in
meinem Buch fuer Sie ein Gespinst von
Zusammenhaengen erschliesst, denn wuerden
Sie hingeschneit, unersetzlich blieben Sie aus,
usw.; naemlich dieser ihr eingeschleierter Geist,
usw., das ist ja alles, schreibe ich an Wilhelm
zurueck, affektiv, die kniefaelligsten Sachen
wegen der Karriere, hingegen Ihr letzter Brief
erschien mir als Trugbild oder berauschendes
Signum, es ist ja so dass ich immer wieder
Wortballungen, ganze Absaetze von Ihnen
aufnehme also mit Funken Schnee und schauend
schweifend ueber das von Ihnen Geschriebene hin,
haftet das Auge dann fest wo es fuendig geworden
ist, spreche das eben Gelesene aus dem
Gedaechtnis nach, wurden gewisse Woerter aus-
gesprochen oder nur imaginiert, eigne ich mir
Ihren Text geradezu an, verfalle ich wieder in
jenen Koerperwahn des sich Anschmiegens
Anschmeichelns an ein fremdes Gebilde, oft
scheint es mir auch, als wuerde es mir nicht
gelingen, einen solchen Text fuer mich sichtbar
zu machen und zu erinnern, und ich bin
gezwungen, ihn stueckweise wiederzusuchen und
wiederzuholen, zu wiederholen, also in Ihren
Nachrichten, Blaettern dunkelbraunen Papier-
manschetten, die Maeuse nisten im Lodenmantel,
sage ich zu meinem Ohrenbeichtvater, der
Barbarazweig ist abgeblueht, die Hamsterbacken
des Huendchens eingefallen, haengendes Fleisch,
ein Amselfuss in der Strasse verwest, so ganz
kleine Wanderschuhe, Bergstiefelchen, sage ich,
hast du X. anpassen lassen, durchsichtig wie mit
Muenzen gefuellt, schwere Beine sagt Rosa und
blickt mich an, duerstend nach Trost, den Schmerz
bitte nicht wegzuckern!, das halbe gelbe Lid
vorgeschoben, Gardine von Gegensonne durchsickert,
etwas links an meinem erahnten Fahrrad ich meine
Tandem, erhob sich die Morgensonne, die Zustaende
hier, sagt Rosa, die Zustaende hier in diesem
Krankenhauszimmer rufen in mir etwas hervor,
das ich, weil es so lange keine Herausforderung
erfahren hatte, als schon nicht mehr in mir
vorhanden vermutet hatte, naemlich etwas wie ein
ploetzliches Hervorbrechen einer schmerzlichen
Starrsinnigkeit, einer heftigen Feindseligkeit,
ein mich selbst schmerzende feindselige Haltung
allen mich umgebenden Menschen und Dingen
gegenueber, eine Boesartigkeit, eine Angriffslust,
die mich zu Tode betruebt, weil sie meinem
eigentlichen Wesen widerspricht, weil sie mein
eigentliches Wesen verraet und im Stich laesst,
weil sie aus mir etwas Fremdes, ein mir ganz
und gar fremdes boesartiges Wesen macht, bis
zum Fliehen bestimmter Beine, sage ich, wurden
gewisse Woerter ausgesprochen oder nur
imaginiert,
die Zeit wischt an mir vorrueber, die Erde weil
sie der Schemel ist, den Waldteufel im Genick
fange ich wieder zu arbeiten an, als ob gar
nichts mehr wuerde, als ob gar nichts mehr
sei, als ob gar nichts mehr ginge, dann als ich
aufgefegt hatte, die allgepriesene Gottesmutter,
preschte davon, in meinem Leben ich naehte von
rechts nach links, durch die Tuerritzen eine
Schreckspur, so ein Schock an der Tuer, in der
Halsgrube kroch sich ein Lockenhaar fest,
schlaengelte in den Ausschnitt, die erstarrte
Suppe vom Vortag ekelerregend in grossen
Toepfen, der glaenzende Schuh loeffelt fuer
Rosa, der durstige Schein trollt sich ueber die
Fluren, oder durch den rosigen Schein der Fluren
(der Fruehe) getrollt, wenn ich zum Fenster
hinausblicke Zimtbaeumchen alles in meiner
Vorstellung, grossartiger Abblick auf die in
schwindeliger Tiefe liegenden Felder des
Winkels, grossartige Phantasie zumeist in
halbwuechsigen Kulturen, sagte ich, das
Schnarren der Welt in den Ohren, wie das
Schnarren der offenen Ohren, das Scharren
der schaufelnden Arbeiter in der Strasse
vom Bett aus kann ich alles verfolgen, o dass
es doch noch derselbe Kopf sei, sage ich,
dieser mein Kopf, ich werde ja staendig
unter Sedativa gehalten, gegen den Tuer-
pfosten, oder das Veilchenlager gelehnt,
unsere Wohnhuette jetzt zu dritt unsere Liebe
zu dritt in dieser unserer winzigen Huette,
bei dem Gedanken ballt sich alles zusammen
in mir, ich schlage mit dem Kopf gegen das
Holz dass es droehnt im Kopf und im Holz
die versprengten Notizen, etwas links an
meinem erahnten Fahrrad ich meine Tandem,
erhob sich die Morgensonne, irgend etwas
rauscht an unserem Fenster aber wir wissen
nicht ob es Regen ist, diese hingetupften
Augenblicke von Liebe, sage ich, zaertliche
Stecklinge, winzige Krokusbeete, Krokus-
pflaenzchen von Kuessen wenn du mich
verlaesst oft nur fuer Stunden verlaesst
ueber mein ganzes Gesicht meinen ganzen
Koerper hinweggesegnet,
das suesseste Licht bis zum Fliehen
bestimmter Beine und eine Stimme wie
Harfenspiel, und ich imaginierte der
Schwalben Gesicht diese Quacksalbereien
in meinem Kopf, sagte ich, es war alliiert
und die Koseform, ich entrate der
Erinnerungskunst weil sie mir nicht gelingt
usw., ein Widerstrahl: Sonne in Pfuetze, aber
immer wieder lasse ich mich einnehmen von
seinem Blick, von seinem Laecheln, seiner
Stimme, es geistert es flattert herum, es
ist eine Redeform, das Bepflanzen der Beete
mit zahllosen winzigen Kuessen so war es
doch, nicht wahr, dem Abstrakten die Maske
des Konkreten verleihen und umgekehrt, eine
ganz kleine Terz eingebaut, sage ich, aber
die Geschehnisse nahmen in den Traum hinein
ihren Verlauf, so naemlich, dass ich meinen
Traum weiter verfolgen konnte was dann
geschah, als mein Ohrenbeichtvater mich
verlassen hatte fuer diese Stunde fuer diesen
Tag, dieser Traum den ich traeumte spiegelte
nicht ein Tagesgeschehen wider sondern
setzte an jenem Punkt ein, da dieses Tages-
geschehen fuer mich in der Wirklichkeit nicht
mehr zu verfolgen war, weil der Hauptakteur mir
entschwunden war, der Traum den ich traeumte
entdeckte mir eine Reihe von Vorgaengen, die
mir in der Wirklichkeit verborgen bleiben mussten,
er verschraenkte die Ablaeufe so fabelhaft, dass
es mir schien, sie haetten sich in der Wirklichkeit
nicht glueckhafter durchscheinender darbieten
koennen, der Traum den ich traeumte schloss
nahtlos dort an, wo du forteiltest, sage ich zu
meinem Ohrenbeichtvater, um dich zur Arbeit
zurueckzuziehen, spaet nachts, nachdem deine
Arbeit abgeschlossen war, begegneten wir
einander wieder in einem Cafe und meine
Gedanken kreisten um die scheinbare Banalitaet,
ob die Einnahme von Kaffee um Mitternacht mir
nun endgueltig den Schlaf rauben wuerde, und
wir sassen wieder wie so oft an einem der
kleinen runden Tischchen mit kalter Marmor-
platte, die es mir verleidete, die Arme aufzu-
stuetzen und blickten einander lange an,
waehrend sich nach und nach um uns eine
Ansammlung junger Leute bildete, welche,
in einer Art Respektabstand verharrend, dir
andaechtige Blicke zuwarfen und ihre grosse
Bewunderung fuer dich in einer stillen Weise
zum Ausdruck brachten........
dies ist ein kurzer Auszugs (die Eingangs-
sequenz) aus Friederike Mayroeckers
Hauptwerk mein Herz mein Zimmer mein
Name
mit freundlicher Genehmigung der Autorin
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