Ramon Lull
Ramon Raimundus Lullus lebte im 13. und 14. Jahrhundert, war ein
katalanisch schreibender Dichter und lateinischer Theologe und Philosoph und unterrichtete sowohl
in Paris wie auch in Mont Pellier. Er entwickelte die Prinzipien einer
christlichen Universalwissenschaft aus der Auffassung heraus, der
Glaube müsse sich aus dem Verstand herleiten lassen. Diese
führte ihn zu seiner „Ars Magna Sciende sive Combinatoria“,
einer Art varianten kombinatorischen Schliessens, die ihm retrospektiv zu Recht
den Ruf einbrachte, der Vorläufer des Computer Denkens zu sein.
Lull schuf eine Reihe umfassender enzyklopädischer Werke. Dies und der Entwurf
der grossen Kunst verhalf ihm zum Titel eines Doctor illuminatus, eines erleuchteten
Wissenden.
Das vorliegende Tierepos, auch Vorbild für Goethes Reineke Fuchs, verfasste
Ramon Lull in seiner katalanischen Muttersprache und ist in seinen
Libre de Maravelles enthalten.
Konrad Hofmann führt in seiner Abhandlung der philosophisch
Philologischen Klasse der königlichen bayrischen Akdemie der Wissenschaften
1871 den Text Lulls auf dessen Kenntnisse der indischen Tierfabel Pantschatantra
zurueck, die er aus dem Arabischen, dass Lull vorzüglich verstand, entnommen
habe dürfte. Er gilt als einer der ersten europäischen Autoren, die diesen fernöstlichen
Stoff in die europäische Kultur eingeführt haben. Die Schreibweise der
deutschen Übersetzung aus dem 19.Jahrhundert habe ich beibehalten.
Vor der Königswahl
1.
Auf einer schönen, flussdurchströmten Ebene waren viele wilde Thiere versammelt, um einen König zu wählen. Die meisten Stimmen fielen auf den Löwen. Dieser Wahl widersetzte sich heftig der Stier und hielt eine politische Rede, worin er auseinandersetzte , dass ein König nicht nur schön von Person und gross, sondern auch bescheiden und herablassend sein müsse und vor allen Dingen seinem Volke keinen Schaden bringen dürfe. Der Löwe aber sei ein Thierfresser und habe eine schreckhafte Stimme. Man solle darum das Pferd zum König machen, das bescheiden sei und von Pflanzen lebe. Dieser Rath fand bei allen Pflanzenfressern grossen Beifall, aber Renart der Fuchs sprach dagegen: Als Gott die Welt schuf, da bestimmte er die Thiere zum Dienste des Menschen, der Fleisch und Kräuter isst, weil Gott vom Menschen erkannt und geliebt sein wollte. Darum dürfe das Kräuter oder Fleischfressen bei der Königswahl nicht massgebend sein, sondern die von Gott gesetzte Weltordnung. Darauf erwiderte die Kräuter fressende Gegenpartei, Renart spreche nicht aus politischem Princip so, sondern nur aus persönlichem Interesse, nicht die Adlichkeit des Löwen, sondern die Abfälle die er von seinen Rauboastereien ihm zukommen liesse, bestimmten sein Votum. Darüber grosser Tumult und nothwendige Vertagung des ganzen Wahlaktes, von Unze, Bär und Leopard, die selbst gewählt zu werden hofften, speciell befürwortet. Als Renart diesen Plan durchschaut hatte, erzählte er vor allen folgende Geschichte:
2.
In einer Kathedralkirche war ein Bischof zu wählen. Die Parteien trennten sich, indem die einen den Sacristan wählen wollten, der ein gelehrter und exemplarischer Mann war, worüber der Erzdiakon und der Novizenmeister (cabiscol Magister scholarum) eifersüchtig wurden und die Wahl eines einfachen Canonikers durchsetzten, der weiter nichts war, als ein hübscher Mann, der sich mehr mit Weibern als mit Gottesgelehrtheit zu tun machte. Das Kapitel verwunderte sich daher sehr über diese Wahl und ein Canoniker sagte:
Wenn der Löwe König wird, und Bär, Unze und Leopard sich seiner Wahl widersetzt haben, so werden sie später bei ihm jederzeit in Ungnade stehen. Wenn das Pferd gewählt wird und der Löwe sich ein Vergehen gegen es zu Schulden kommen lässt, wie soll ihn das Pferd zur Strafe ziehen , da es nicht so stark ist , als er? Auf diesen Vorhalt bekamen Bär, Leopard und Unze Furcht vor dein Löwen und willigten in dessen Wahl, setzten sie sich auch mit Gewalt gegen die Pflanzenfresser durch, wofür ihnen der neue König das Privilegium ertheilte, diese jeder Zeit und an jedem Orte auffressen zu dürfen.
3.
Eines Tages hatten der Löwe und seine Barone den ganzen Tag bis zur sinkenden Nacht Rathsversammlung, in Staatsangelegenheiten gehalten und waren zuletzt sehr hungrig und durstig geworden. Der Löwe fragt den Fuchs, was sie zu so später Stunde etwa noch zu speisen bekommen könnten und erfuhr von ihm, dass ganz in der Nähe ein Kalb und ein Füllen, die Kinder des Stiers und des Pferdes seien. Sie wurden geholt und an der Hoftafel verzehrt zum grossen Schmerz und Ingrimm ihrer Eltern. Beide verliessen deshalb das Thierreich und wanderten ins Menschenreich aus, wo sie in Dienst genommen wurden, das Pferd zum Reiten, der Stier zur Feldarbeit.
4.
Eines Tages begegneten sich beide und erkundigten sich gegenseitig nach ihrem Befinden, und beide klagten über unmässige Arbeit und schlechte Kost. Doch wollten sie immer noch lieber beim Menschen bleiben, als zum mörderischen Löwen zurückkehren. Wärend dessen kommt ein Fleischer heran und beschaut sich den Stier, ob er fett genug ist, denn sein Herr hatte ihn feil geboten. Auf den Rath des Rosses flieht der Stier wieder in seine Heimath, "denn es ist besser in Lebensgefahr sein, als sich abquälen unter einem undankbaren Herrn."
Vom Rate des Königs.
5.
Als der Löwe zum König gewählt war, hielt er vor dem ganzen versammelten Volke
eine schöne Rede, folgender Massen:
Gefährlich und beschwerlich, ihr Herrn, ist das Amt, welches ihr mir durch eure Wahl übertragen
habt, jenes, weil Gott wegen der Sünden der Könige oft Hunger, Krankheit, Sterben und Krieg auf
Erden schickt. Dasselbe thut er auch wegen der Sünden des Volkes und darum ist das Regieren für den
König ein gefährliches Geschäft. Darum bitte ich euch, mir gute Ratgeber an die Seite zu stellen zu
meinem und des Volkes Frommen.
Diese Rede fand grossen Beifall. Als Räthe wurden bestellt der Bär, der Leopard, die Unze, die
Schlange und der Wolf und diese schwuren sofort den Treueid in die Hände des Königs. Der Fuchs
war über seine Zurücksetzung äusserst indigniert und gab seinen gekränkten Gefühlen auch Ausdruck:
Christus ging nach dem Evangelium am liebsten mit einfältigen und demüthigen Leuten um und wählte
aus solchen auch seine Apostel. Auch unser König sollte, meine ich, solche Leute in seinem Rathe haben, die nicht auf ihre Macht, die nicht auf ihre Macht und ihren hohen Adel pochen und in ihrem Uebermuthe
sich dem König selbst gleich achten, sondern die dem gemeinsamen Volke das gute Beispiel der
Herablassung und Anspruchslosigkeit geben. Diese Rede fand grossen Anklang bei den Pflanzenfressern,
Elephant, Eber, Bock, Hammel und den übrigen, und sie schlugen demgemäss den Fuchs als
königlichen Rat vor. Dazu stellte Renart den Antrag, dass die vier Genannten Ratsmitglieder werden
sollten. Als Leopard und Unze hörten, dass der Fuchs in den Rat kommen solle, waren sie darüber besorgt,
er möge durch seine Redekünste und seine Geriebenheit sie beim Könige in Ungnade bringen,
besonders da er mehr zu dessen Wahl beigetragen hatte, als jedes andere Tier.
6.
Herr, sprach der Leopart zum König, an eurem Hofe ist der Hahn, schön von Person,
klug, in der Weiberbeherrschung erprobt und ein guter Sänger. Er passt wohl besser in den Rath, als
Renart. Der Elephant billigte die Wahl des Hahns, besonders weil er dem Könige ein Bespiel
im Frühaufstehen geben könne und ferner, dass er sich die Königin nicht über den Kopf wachsen
liesse, dagegen solle auch Renart in den Rath kommen, weil er ein kluges und vielbewandertes
Tier sei. Es gehe nicht, meinte der Leopard, dass zwei sich so antipathische Persönlichkeiten wie
Hahn und Fuchs auf derselben Bank sässen. Gleichwohl wäre Renarts Wahl zum Rathe durchgegangen,
denn der König war schon geneigt, sie zu genehmigen, als ihm der Leopard heimlich sagte:
7.
Ein Graf hatte Krieg mit einem König und weil er nicht so mächtig war, wie jener, half er sich durch List, das Heisst, er bestach den Staatssecretär (escriva) und gelangte dadurch in den Besitz aller politischen Geheimnisse, so dass der König in seinem Kriege gegen den Grafen gar nichts mehr ausrichten konnte, weil dieser seine Anschläge immer im voraus erfuhr und vereitelte. Darauf hin bestimmte der König, dass der Hahn in den Rath treten solle, Renart dagegen nicht, damit er dem Elephanten und Consorten nicht die Pläne des Löwen und der Fleischfresser verrathen könne.
Von dem Verrate, den Renart gegen den König spann
8.
Diese Entscheidung, rief bei Renart und seinen Parteigenossen die bitterste Unzufriedenheit hervor und in dieser Stimmung entwarf Renart den Plan zum Hochverrathe und zur Ermordung des Königs. Er begann zum Elephanten:
Von nun an wird zwischen den Fleisch und den Pflanzenfressern unversöhnliche Feindschaft sein, da jene ganz allein im Rathe des Königs sitzen und eure Partei darin nicht durch ein einziges Mitglied vertreten ist. Der Elephant meinte, der Hahn und die Schlange, die doch nicht ausschliesslich Fleischfresser seien, könnten wohl ihre Rechte vertreten, worauf ihm Renart mit folgender Geschichte antwortete:
Es geschah in einem Lande, dass ein Christ einen Sarrazenen hatte, auf den er das grösste Vertrauen setzte und dem er alle möglichen Gefälligkeiten erwies. Der Sarrazene aber, weil von anderem Glauben, war nicht im Stande gegen seinen Herrn aufrichtig guten Willen zu tragen, sondern sann alle Zeit nur darauf, wie er ihn umbringen könnte. So mit dem Hahn und der Schlange. Wenn sie auch kein Fleisch essen, so sind sie euch doch von so fremdem Stamme, dass sie jederzeit nur auf euren Nachtheil sinnen werden. Diese Rede gab dem Elephanten viel zu denken, indem er die Nachtheile erwog, die durch die Königswahl ihm und seiner Partei erwachsen seien und noch bevorstünden. Während er so überlegte, sagte Renart zu ihm, er solle sich doch nur nicht vor dem König und seinem Anbang fürchten; wenn er wolle, so werde er der Fuchs es dahin bringen, dass der Elephant König würde. Dieser der nicht glauben konnte, dass Renart, selbst Fleischfresser, je ein ehrliches Bündnis mit den Pflanzenfressern gegen seinesgleichen eingehen würde, sprach folgende Worte:
9.
In einem Lande geschah es, dass eine Weihe eine Ratte davontrug und ein Eremit zu Gott
betete, er möge die Ratte in seinen Schoss fallen lassen, was Gott auf die Bitte des heiligen Mannes hin
geschehen liess. Nun bat der Eremit den Herrn , er möge ein schönes Fräulein aus aus ihr machen.
Auch diese Bitte erhörte unser Herr. Liebe Tochter, sprach der Eremit, willst du die Sonne zum Manne? Nein, den die Sonne verdunkelt die Wolke. Den Mond ? Nein, denn er hat kein eigenes Licht, sondern muss es von der Sonne leihen. Die Wolke? Nein, denn der Wind fährt sie hin, wo er will. Den Wind? Nein, denn der Berg hemmt ihn in seiner Bewegung. Den Berg ? Nein, den die Ratten löchern den Berg.
Zuletzt bat das Fräulein den Erimiten, er möge zu Gott beten, das er sie wieder zu einer Ratte mache und
ihr einen schönen Ratzen zum Manne gebe.
10.
Als Renart diess gehört, merkte er wohl, dass der Elephant Verdacht gegen ihn hege und Verrat von ihm fürchte. Da hätte er sich gerne an den Eber gewandt, dass der König würde, wie er es zuvor dem Elephanten vorgeschlagen hatte. Damit aber sein Anschlag nicht weiter bekannt würde, wollte er unter allen Umständen den Plan mit dem Elephanten durchsetzen und erzählte daher Folgendes:
In einem Lande geschah es, dass ein Ritter von einer Dame einen schönen Sohn hatte. Seine Frau starb und er nahm eine andere, die den Junker gar nicht leiden mochte, den ihr Gemahl so sehr liebte. So wurde er zwanzig Jahre alt und da sinn die Stiefmutter darauf, wie sie ihren Mann dahin brächte, ihn aus seinem Hause zu verbannen und sagte zu ihrem Manne, der junge Herr habe Unzucht mit ihr zu treiben begehrt. Der Ritter war so in seine Dame vernarrt, dass er ihr gleich aufs Wort glaubte, seinen Sohn aus dem Hause trieb und ihm verbot, jemals wieder vor seinen Augen zu erscheinen. In tiefster Verbitterung über so schmähliches Unrecht schied der Jüngling. Durch diese Erzählung Renarts wurde der Elephant zum Teil getröstet und fasste wieder Hoffnung, mit seiner Hülfe König zu werden, fragte auch, wie es anzufangen, dass der Löwe ums Leben käme und er an seiner Statt zu König gewählt wurde, da der König so stark von Person sei und einen so weisen Rath habe, während er der Fachs ein so kleines Thier sei und von so schwachem Vermögen, worauf Renart mit folgendem Beispiel erwiderte:
11.
In einem Lande geschahs, dass alle Thiere überein kamen, de Löwen täglich ein Thier zu geben, damit er sie übrigens in Friede liesse. So losten sie denn täglich und das Thier, auf welches das Los fiel, ging zum Köni und liess sich fressen. Eines Tages fiel das Los nun auf den Hasen und der zögerte bis Mittag hinaus, ehe er zum König gieng, weil er sich sehr vor dem Sterben fürchtete. Der Löwe war höchst ergrimmt, weil sein Essen so lange ausgeblieben und fragt wo er denn geblieben, denn er habe grossen Hunger. Der Hase entschuldigte sich, es sei ganz in der Nähe ein Löwe, der behaupte, Herr dieses Landes zu sein und der habe ihn fangen wollen. Der Löwe grimmte darüber und sagte zum Hasen, er solle ihm gleich den Löwe zeigen. Der Hase lief voraus, der Löwe folgte und so kamen sie an einen grossen Wassertümpfel in einem Teiche, der von allen Seiten in einer grossen Mauer umgeben war. Als das Bild des Hasen und des Löwen aus dem Wasser schien, sagte der Hase: da drunten ist der Löwe, der gerade einen Hasen fressen will. Der Löwe stürzte sich hinein, um seinen vermeintlichen Nebenbuhler zu bekämpfen und kam nicht mehr heraus. Als der Elephant diess Beispiel gehört, erzählte er dem Fuchs ein anderes.
12.
Ein König hatte zwei Pagen, die seine Person bedienten. Ein Tages geschah es, dass der
König auf seinem Thronsitz sass und um ihn herum eine Menge Barone und Ritter. Da erblickte einer der
Pagen auf dem weissen Sammtmantel des Königs einen Floh und bat den König, er möge ihm zu erlauben
geruhen, dass er näher trete und eine Floh von dem königlichen Mantel entferne. Der König gab die
Erlaubnis und wollte den Floh sehen, zeigte ihn seinen Rittern und sagte, es wäre doch sehr merkwürdig, wie ein so kleines Thierchen es wagen könne, sich dem König zu nahen. Dem Knappen liess er 100
Goldstücke geben. Der andere Page war darüber neidisch und setzte am anderen Tag eine grosse Laus
in den Mantel des Königs und sagte dieselben Worte wie sein Kamerad den Tag vorher. Er gab dem
König die Laus, der sich arg davor ekelte und ihm sagte, er habe den Tod verdient, weil er seine Kleider
nicht von Läusen rein halte und ihm 100 Hiebe geben liess.
Renart merkte, dass der Elephant sich fürchte König zu werden und konnte nicht begreifen, wie in einem so gewaltigen Körper so viel Furcht vorhanden sein könne. Darauf sagte er folgendes Beispiel:
12a.
Man erzählt, dass die Schlange und Frau Eva, die doch nur ein einziges Weib war , über Adam und seine ganze Nachkommenschaft Gottes Zorn gebracht haben. Wenn also die Schlange und Eva allein so viel Uebel anstiften konnten, so kann es ja auch geschehen, dass ich mit meiner List es dahin bringe, dass der König bei seinem Volke verhasst wird. Zur Stunde, wo Renart dem Elephanten das Beispiel von der Frau Eva gesagt hatte, fasste dieser den Plan, den König zu verrathen und sagte zu Renart, er wolle gern König werden, sobald er Renart es dahin brächte, dass der Löwe getödtet würde, was er ihm versprach und dafür vom Elephanten grosse Geschenke und Ehren in Aussicht erhielt.
In welcher Weise Renart Thürhüter des Königs wurde
13.
Am Hofe des Königs war die Anordnung getroffen, dass der Kater Kammerherr des Königs war und der Hund Thürhüter. Der Kater war Kammerherr um die Ratten zu fressen,
welche die Tücher des Königs zerstörten und weil er dem König von Gestalt ähnlich war.
Der Hund war Thürhüter, weil er eine feine Witterung hatte und bellte und dem Könige die Nahenden meldete.
Während nun Kater und Hund in ihrem Amte waren, suchte Renart den Stier und das Ross auf, die den Hof des Königs verlassen hatten und begegnete dem Stier bei seiner Rückkehr in das Thierreich mitten auf einer schönen Ebene. Der Stier erzählte, wie es ihm bei den Menschen
gegangen, Renart dagegen, wie die Sachen bei Hof stunden. Auf die Frage des Fuchses, was er nun nach
seiner Flucht vom Menschen weiter zu thun gedenke, antwortete der Stier, er wolle wieder an den Hof des
Löwen gehen. Der Fuchs erzaehlte:
14.
In einem Reiche war ein schlimmer König mit bösen Rathgebern und die thaten dem Volk so viel Uebels an an, dass es zuletzt nicht mehr zu ertragen war, und die Leute dem König und seine
Rathgebern den Tod wünschten. Der Stier ersah daraus, dass unter den Löwen ein schlimmes Regiment
geführt werde und fürchtete sich zu Hofe zu gehen. Dem Fuchs erzählte er folgende Geschichte:
15.
In einer Stadt war ein Bischof, der sehr schlecht für sein Amt passte und wegen seiner
Unwürdigkeit und ob des schlimmen Beispiels, welches er dem Capitel und der Gemeinde gab,
grosses Unheil verursachte und viel Gutes verhinderte. Eines Tages geschah es, dass der Bischof wieder
ein grosses Unrecht verübt hatte und gleich darauf hingieng und die Messe sang. Einen solchen
Abscheu fasste nun da ein Kleriker vor der Sünde des Bischofs, dass er die Stadt verliess, um unter den
Hirten in den Wäldern zu leben, denn besser sei, sagte er, unter den Hirten zu sein, die ihre Schafe
gegen die Wölfe hüten, als unter einem Hirten, der seine Herde morde und den Wölfen überliefere.
Darauf sagte der Stier, er wolle sich ganz aus dem Lande verbannen und mit dem König und seinem
Rathe in Berührung kommen.
16.
Herr Stier, sagte Renart, habt ihr die Frage gehört, die ein Eremit an einen König stellte? Was für eine
Frage war das? sagte jener. Renart sprach:
Auf einem hohen Berge lebte ein heiliger Einsiedler, dem täglich üble Gerüchte über den König des
Landes zu Ohren kamen. Da stieg er von seinem Berge herunter, kam in die Residenz, trat vor
den König, und fragte ihn:
Welches Leben, meint ihr, Herr ist wohlgefälliger, das eines Einsiedler oder eines Königs, der sein
Volk gut regiert? Lange besann sich der König und sagte endlich, ein König habe mehr Gelegenheit
zu guten Werken, als ein Einsiedler. Herr, antwortete der Eremit, ich bin sehr erfreut über eure
Antwort; denn aus ihr ersehe ich, dass ein schlimmer König mehr Böses thut, als ein Eremit in
seiner Einsamkeit. Gutes thun kann und darum bin ich auch von meiner Einsiedelei heruntergekommen
und habe mir vorgesetzt, so lange bei euch zu bleiben, bis ihr und euer Reich wieder im rechten Stande
seid.
17.
Als der Fuchs diess Beispiel erzählt hatte, sagte er zum Ochsen:
Ihr gleicht sehr dem Eremiten, darum will ich euch einen Rath geben, der für den König und für euch
sehr gute Folgen haben wird. Geht auf eine hübsche Wiese in der Nähe des Ortes, wo der König
mit seinen Baronen sich aufhält und fresst euch da dick und stark. Wenn ihr völlig zu Kräften
gekommen seid, so brüllt dreimal des Tages und dreimal des Nachts so laut ihr nur immer könnt.
Inzwischen spreche ich wegen eurer Angelegenheit mit dem König. Der Ochs gieng zur Wiese,
der Fuchs zu Hof.
Alles geschah, wie der Fuchs gerathen hatte. Alls nun der Fuchs den Stier so gewaltig brüllen hörte, eilte er zum König, der über das Brüllen so in Angst geriet, dass er zu zittern anfing und sich vor seinen Baronen schämte, sie möchten ihn für einen Feigling (wörtlich Füchslein volpell) halten. Während der König nun so in Angst war und keiner seiner Barone seine Furcht wahrnehmen konnte, trat Renart an ihn heran, worüber der Hahn krälite und der Hund bellte. Der König war froh, ihn nah bei sich zu haben und fragte ihn, ob er nicht wisse, von welchem grossen und gewaltigen Thiere diese schreckliche Stimme komme.
18.
Herr, sagte der Fuchs, in einem Thale hatte ein Spielmann sein Tamburin an einen Hand gehängt. Der Wind bewegte das Tamburin hin und her und schlug es an die Zweige des Baumes. Den Ton hörte ein Affe, lief herbei und sah das Tamburin, und meinte, es müsse inwendig voll Butter oder sonstwas
Gutes sein, weil es einen so grossen Lärm mache, sprengte es also auf und fand es ganz leer.
So könnt ihr auch denken, Herr, dass diese gewaltige Stimme von einem Thiere herrührt, welches leer ist und nicht die Kraft besitzt, welche die Stimme andeutet. Fürchtet euch also nicht vor der unbekannten Stimme. Während Renart so sprach, brüllte der Stier so fürchterlich, dass alles ringsum erzitterte und der König nicht umhin konnte, sich seinen Schrecken merken zu lassen. Neues Brüllen, neuer Schreck. Nur Renart zeigte gar keine Angst, was dem König höchlich Wunder nahm. Wie ist es möglich, fragte er ihn, dass du dich nicht vor dieser Stimme fürchtest? Reinart sagte:
19.
Ein Rabe baute sein Nest auf einen Felsen und jedes Jahr frass ihm eine grosse Schlange seine Jungen. Der Rabe hatte darüber grossen Zorn, wagte aber nicht, die Schlange anzugreifen, weil er nicht stark genug war, um sie mit Waffengwaalt zu besiegen. Da sann er darauf, sie durch List zu bemeistern, da ihm die Kraft gebrach. Eines Tages spielte eine Königstochter mit ihren Fräulein in einem nahen Baumgarten und hatte ihr Schapel (Kranz) von Gold, Silber und Edel-
stein an einen Baumzweig gehängt. Das nahm der Rabe und flog lange damit hin und her, so dass recht viele Menschen ihm nachliefen und wohl sehen konnten, wo er es zuletzt fallen liess, nämlich über dem Nest der grossen Schlange. Als die Leute herbeikamen um das Schapel zu nehmen, sahen sie auch die Schlange und tödteten sie und so wurde ihrer der Rabe durch List Meister.
20.
So habe auch ich, fuhr Renart, so viel List und Meistersinn, dass ich diesem fremden Thiere mit der furchtbaren Stimme, auch wenn ich es nicht in offenem Kampfe bestehen könnte, dennoch Herr zu werden und ihr ein schlimmes Ende zu bereiten mich getraue.
Die Schlange, die einer von den Räthen war, sprach darauf folgendes Beispiel:
21.
In einem Teiche hatte ein Reiher lange Zeit gefischt, bis er alt wurde und oft nichts mehr er erjagte. Da besann er sich auf eine List, die schliesslich zu seinem Verderben ausschlug. Eines Tages stellte er sich ganz traurig, ohne zu fischen ans Ufer bis zur Nachtzeit. Ein Krebs bemerkte diess und fragte, warum er denn nicht fische, wie alle Tage sonst. Der Reiher versetzte, weil ihm die Fische im Teiche gar so sehr leid thäten, bei denen er so lange gelebt habe, denn nun hätten sich zwei Fischer aus der Nachbarschaft vorgenommen, nächtens hieher zu kommen und den ganzen Teich auszufischen und sie seien solche Fischmeister, das ihnen nichts entkommen würde. Der Krebs erschrack und theilte die schlimme Kunde den Fischen mit, die sodann in Masse zum Reiher kamen und ihn um Rath in dieser äussersten Gefahr baten. Es bleibt nichts anders übrig, sagte der, als dass ich euch einen um den andern in einen Teich, eine Meile von hier, trage. In diesem Teiche ist viel Röhricht und Schlamm, weshalb euch da die Fischer wenig schaden können. Den Fischen leuchtete das ein und jeden Tag trug der Reiher so viele von ihnen fort als er wollte, die er dann auf einem nahen Hügel in
aller Ruhe verzehrte. So war das schon lange fortgegangen, als ihn auch eines Tages der Krebs bat, er möge ihn in jenen sicheren Teich tragen. Der Reiher steckte seinen Hals aus, an den sich der Krebs mit
beiden Händen anklammerte. Während des Fliegens wunderte sich der Krebs, dass er noch immer den Teich nicht erblickte, in den er nach seinem Glauben gebracht werden sollte. Als sie dem Orte nahe kamen
wo der Reiher die Fische zu verzehren pflegte, erblickte der Krebs den Grätenhaufen und merkte die
Verrätherei des Reihers, dem er nun den Hals so zusammenkneippte, dass er todt zur Erde sank, worauf der Krebs zurueck kroch und seinen Gefährten im Teich alles erzählte.
22.
Herr, sprach darauf Renart, zur Zeit, wo Gott Adam aus dem Paradiese jagte, verfluchte er die Schlange, weil sie Eva gerathen hatte, von der verbotenen Frucht zu essen und seitdem sind die Schlangen gräulich anzusehen und giftig und alle Uebel in der Welt sind durch
die Schlange gekommen, und darum liess ein weiser Mann eine Schlange aus dem Rathe des Königs treiben, welche dieser sehr liebte. Der Löwe sagte dem Fuchs, er möge das Beispiel erzählen.
23.
Herr , sprach der Fuchs, ein König hatte von einem heiligen Manne gehört, der sehr weise sei und schickte nach ihm. Der heilige Mann kam zum König, der ihn bat, bei ihm zu bleiben und ihm mit seinem Rathe in der Regierung zu helfen. Der Heilige that diess und blieb. Eines Tages war grosse Rathsversammlung über eine wichtige Staatsaffaire. Da war neben dem König eine grosse Schlange, mit der er mehr Rath pflog, als mit allen anderen. Als der heilige Mann die Schlange erblickte, fragte er den König , was König in dieser Welt bedeute. Dieser antwortete: Der König ist in dieser Welt ein Sinnbild Gottes, d.h. er soll Gerechtigkeit halten und das Volk, das Gott ihm anvertraut bat, gut regieren. Welches Thier war nun Gott am feindlichsten, seitdem er die Welt erschaffen hat? Die Schlange, sprach der König. Aus eurer eigenen Rede, fuhr der Heilige fort, geht ja nun hervor, dass ihr die Schlange tödten sollt und grosse Sünde thiut, sie an eurem Hofe zu halten, denn wenn ihr ein Ebenbild Gottes seid, so müsst ihr alles hassen, was Gott hasst, besonders aber, was Gott am meisten hasst. Wegen dieser Worte des heiligen Mannes tödtete der König die Schlange, ohne dass sie sich durch ihre List und Meisterschaft zu helfen wusste.
24.
Als Renart dieses Beispiel erzählte, schrie und brüllte der Stier so stark, dass der König und seine Barone
abermals zitterten und der Fuchs sagte, er wolle gehen, wenn es der König wünsche und nachsehen, von
welchem Thiere die, von welchem Tiere die schreckliche Stimme komme und das Thier so möglich
herbeibringen, damit es dem Löwen Gesellschaft leiste. Der Vorschlag fand allgemeinen Beifall und der
Fuchs stellte dem König nur die Bedingung des freien Geleits und Aufenthaltes am Hoflager für das Thier,
falls er es brächte, was der König auch bewilligte. Renart kam auf die Wiese, wo sich der Stier aufhielt,
der grosse Freude über seine Ankunft hatte.
Nachdem Renart was inzwischen geschehen, berichtet, rieth er ihm:
Geht mit mir zum König und gebärdet euch bescheiden und anständig, und ich werde sagen, ihr habet
tiefe Zerknirschung darob empfunden, dass ihr so lange der Herrschaft des Königss euch entzogen und dann bittet ihr öffentlich und vor Allen um Verzeihung, dass ihr so lang beim Menschen geblieben. Sprecht und benehmt euch so, dass der König und sein Hof Respect vor euch bekommen und dann gebt ihm den Rath, mit dem Menschenkönige Freundschaft zu machen. So kamen also der Stier und Renart zu Hofe und als Alle den Stier erblickten, schämten sie sich, dass sie vor ihm solche Furcht empfunden hatten
und der König wunderte sich, woher er denn eine so laute und fürchterliche Stimme habe. Der Stier
machte gebührende Reverenz und erzählte auf Befragen Alles was ihm in der Sklaverei des Menschen
geschehen. Seine Stimme aber, sagte er, habe sich so verändert, weil er in Furcht und Zerknirschung aus
Besorgniss vor der königlichen Ungnade wegen seiner langen Entfernigung gebrüllt habe. Mit zitterndem
Herzen habe er also gebrüllt und darum haben seine Stimme so schrecklich geklungen.
Der Stier bat den König nun vor dem ganzen Hofe um Verzeihung, und erhielt sie. Auf die fernere
Frage des Königs nach dem Menschen sagte er, mit Recht erkläre die Schlange für das allerschlimmste und falscheste Thier auf dieser Welt. Warum fragte der König, hat die Schlange das gesagt? Der Stier sprach:
25.
Einmal geschah es, dass ein Bär und ein Rabe und ein Mensch und eine Schlange in
einen Silo geriethen (unterirdischen Kornbehälter) geriethen. Da gieng ein heiliger Mann vorüber und
erblickte sie alle vier, die nicht herauskonnten und ihn um Retteung baten unter Versprechung guter
Belohnung. Der Heilige zog zuerst die drei Tiere heraus und als er auch den Menschen herausziehen
wollte, warnte ihn die Schlange, denn er würde schlechten Dank dafür haben. Der Einsiedler wollte
das nicht glauben und zog den Menschen doch heraus. Der Bär brachte ihm darauf zum Danke einen
Bienenstock voll Honigwaben, und nachdem er sich daran nach Herzenslust satt gegessen, gieng er in
die nächste Stadt um zu predigen. Bei seinem Eintritte brachte ihm der Rabe einen kostbaren Kranz,
den er der Königstochter vom Haupte geraubt hatte. Der Einsiedler hatte grosse Freude an dem
Geschmeide. Inzwischen ging in der Stadt ein Ausrufer umher, der im Namen des Königs dem
Überbringer des Kranzes reiche Belohnung verhiess, dem Hehler schwere Strafe androhte. Davon wusste
aber der heilige Mann nichts. Als er nun durch die Strasse gieng, wo er jenen von ihm aus der Grube
gezogenen Menschen, der seines Zeichens ein Silberarbeiter war, erblickte, bat er diesen, er möge
ihm den Kranz aufheben. Der aber trug ihn zu Hofe und verklagte den Mann, der nun gefangen, geschlagen und eingekerkert wurde. Da gieng die von ihm gerettete Schlange zur Königstochter und
biss sie im Schlafe in die Hand. Diese weinte und schrie, und der König liess nun durch die ganze Stadt
eine grosse Belohnung ausrufen, der die Prinzessin heilen könnte. Da kam die Schlange zum König,
während er schlief und flüsterte ihm ins Ohr, in seinem Kerker liege ein Mann, der ein Kraut besitze,
mit dem er seine Tochter heilen könne. Dieses Kraut hatte die Schlange dem heiligen Mann gebracht
und ihn angewiesen, wie er es auf die Hand der Prinzessin zu legen habe und wie er den König bitten
solle Gerechtigkeit an dem Menschen zu üben, der ihm seine Rettung so schlimm gedankt habe. So
geschah es auch. Die Prinzessin wurde heil, der Heilige frei und der Silberschmied gerichtet.
Das Beispiel gefiel dem König und dem Hofe sehr wohl und der König fragte den Stier, ob er glaube,
dass er, der Löwe sich vor dem Menschen fürchte habe. Jawohl, sprach der Stier, es ist sehr
gefährlich, in der Feindschaft des Menschenkönigs zu sein, denn vor seiner Übermacht und Meisterschaft kann kein Thier bestehen. De König wurde drüber sehr nachdenklich und Renart, der wohl merkte, dass er sich vor dem Menschenkönige fürchtete, sprach diese Worte:
Herr, das hochmüthigste und habsüchtigste Thier ist der Mensch und darum möchte ich euch wohl rathen, dem Menschenkönig Gesandte und Kostbarkeiten zu schicken, um ihn euch und eurem Volke günstig zu stimmen. Der Vorschlag gefiel dem König, aber der Hahn widersprach und erzählte folgende Geschichte.
26.
ln einem Lande geschah es, dass Kraft und Meisterschaft vor einem Könige in Streit geriethen. Kraft sagte, ihr gebühre die Herrschaft von Natur über die Meisterschaft, und das gleiche behauptete diese von sich. Der König, wünschte, dass der Streit durch einen Kampf entschieden werde und da ward Kraft von Meisterschaft überwunden.
Darum, sagte der Hahn, wenn ihr Freundschaft mit dem Menschenkönig habt und ihr euch gegenseitig
Gesandte schickt, so werden die seinigen herausbringen, dass ihr und eure Barone der Kunst und der
List der Menschen nicht zu widerstehen vermögt. Dagegen machte Renart den Einwurf, Gott mache, was er mache, durch seine Macht, ohne Kunst und List und darum müssten folgerichtig diejenigen im Kampfe
stärker stärker sein die mit Waffen ähnlich denen Gottes kämpften, als die anderen die mit unähnlichen
kämpften. Dem Löwen gefiel Renarts Beispiel und er wollte unter allen Umständen dem Menschenkönige
Gesandte und Kostbarkeiten schicken, und fragte nun, was für welche er schicken sollte. Das, meinte
Renart, müsste der Stier am besten verstehen, da er die Sitten und Liebhabereien der Menschen durch
seinen langen Aufenthalt unter ihnen erforscht habe. Der Stier sagte:
Wenn die Menschen Gesandte schicken, so nehmen sie dazu die edelsten und angesehensten im Rathe.
Also müsst auch ihr thun. Eure edelsten Rathgeber sind, wie mir scheint, die Unze und der Leopard, auf der anderen Seite ist euer Ebenbild der Kater, und wenn ihr diese drei und dazu noch den Hund dem Menschenkönige schickt, denn die Menschen halten sehr viel auf die Jagd so werdet ihr die vornehmsten Boten und angenehmsten Geschenke gesandt haben. Dem Rathe wurde entsprochen, der Stier wurde zur königlicher Kämmerer, Renart aber behielt seine vorige Stelle.
Von den Gesandten, welche der Löwe an den Menschenkönig schickte
27.
Der König gab der Unze und dem Leoparden politische Instructionen und sprach: Die Weisheit des Herrschers zeigt sich durch kluge wohlberedte, wohlberathende und einmüthige Botschafter
und seine Adlichlichkeit im vornehmen und feinen Auftreten seiner Abgesandten und ihrer gesammten Umgebung,. Das Alles und noch manches andere ist erforderlich, damit die Gesandtschaft, dem fremden Herrn willkommen sei. Nachdem also der Löwe seine Gesandten instruirt hatte , wie sie sich beim Menschenkönig- zu benehmen und wie zu sprechen hätten, zogen sie fort durch viele und manche Länder und kamen endlich dahin, wo der Menschenkönig grosses Parlament hielt. Bei ihrem Eintritte in die Stadt gewahrten sie , dass öffentliche Freudenmädchen vor ihren Augen ihr Unwesen mit den Männern trieben, darüber waren sie sehr erstaunt und der Leopard gab bei dieser Gelegenheit folgende Erzählung zum Besten:
28.
Ein Bürger hatte eine Frau. welche er sehr liebte. Er mietete eine Wohnung in der Nähe eines öffentlichen Hauses. Die Dame sah die Liebhaber der Buhlerin oft ein- und ausgehen und bekam dadurch böse Gelüste, denen sie sich lange Zeit hingab bis sie ihr Mann eines Tages mit einem Fremden auf der That überraschte. Er war darob höchlich empört, seine Frau erzählte ihm aber folgendes Beispiel:
29.
Zwei wilde Böcke kämpften einmal auf einer Wiese miteinander so grimmig. dass ihnen das Blut von den Stirnen auf das grüne Gras rann. Ein Fuchs leckte es auf, aber die Stösse der ergrimmten Böcke trafen ihn von beiden Seiten so ,dass er davon starb und sterbend sagte, er sei selbst Schuld an seinem Tode.
Herr Leopard, sagte der Hund, sehr wunderlich ist es, dass die Menschen, welche an Gott glauben, sieh kein Gewissen daraus machen, diese tollen Weiber vor den Augen aller, die in die Stadt hinein und hinausgehen, sündigen zu lassen. Es scheint darum, dass der Herr und die Bewohner dieser Stadt schamloser Sinnlichkeit fröhnen. Viele Tage, waren sie nun in der Stadt, ohne den König sprechen zu können; denn das war so seine Gewohnheit. Als sie nun einmal wieder umsonst antichambrirt hatten, vernahmen sie von einem Manne, dem ein Unrecht Geschehen war, und der in langer Zeit es nicht hatte dahinbringen können, beim König, Rechte zu erhalten. folgende Rede:
Herablassend ist Gott, der Herr Himmels und der Erde und alles Geschaffenen. denn so oft der Mensch ihn sehen und mit ihm sprechen will, so kann er es thun und ihm sein Anliegen vortragen. Dieser König hat keine Thürsteher, denen man Geld geben muss und keine Räthe, die um Bestechung Bosheit und Trug, üben, er glaubt Niemands falschen Worten und ernennt nicht eitle, hochfahrende , habsüchtige und unzüchtige Richter und Pfleger und Amtleute. Gesegnet sei ein solcher Herr und alle, die ihm dienen. An dieser Rede des gekränkten Mannes merkten sie, was der König für ein Herr sei und die Unze sprach zum Leoparden:
30.
Ein König, wollte seine Tochter einem andern König zur Frau geben und schickte heimlich einen Ritter in dessen Land, um Erkundigungen über ihn einzuziehen. Der Ritter fragte die Bauern und das gemeine Volk und alle sprachen übel vorn König. Eines Taues begegnete er zwei Spielleuten (jutglars) die vom Hofe des Königs kamen und von diesem mit verschiedenen Gewändern beschenkt waren. Auch diese fragte er nach den Sitten des Königs und sie sagten, er sei freigebig und ein Liebhaber der Jagd und schöner Damen und sonst noch viele Lobsprüche mehr. Tadel und Lob hinterbrachte der Ritter seinem König, der daraus entnahm, dass der Schwiegersohn üble Art habe und es nicht über sein Gewissen bringen konnte, ihm die Tochter zu geben.
31.
Endlich kamen die Gesandten vor den König und übergaben die Geschenke des Löwen und einen Brief von ihm, in welchem Folgendes stand:
Ein König war in einer Provinz, der viele vornehme und mächtige Barone hatte. Um sie in Respect und
Friede und Ordnung im Lande zu erhalten , sorgte er dafür, dass er beim Kaiser in grosser Freundschaft
stund. Der Kaiser liebte ihn , die Barone fürchteten ihn deshalb, und so war Friede im Lande. Als der
König den Brief des Löwen gelesen und seine Gaben empfangen hatte, gab er den Kater einem
Tuchhändler der eben da war, den Hund einem Ritter, der gerne jagte. Dass der König, den Kater, den ihm der Löwe als Conterfei seiner eigenen Person geschickt hatte, dem Tuchhändler zum Präsent machte, der nicht einmal von Adel war, missfiel den Gesandten aufs höchste. Als sie nach langer Unterredung mit dem
Könige in ihr Hotel zurückgekehrt waren, kam dahin auch der Hund und äusserte sich missvergnügt
darüber, dass ihn der König jenem Ritter geschenkt habe, der den Vorsatz hege, ihn zur Jagd auf die
kleinen Leute und Unterthanen des Löwen zu gebrauchen, was von seiner Seite Majestätsverbrechen
wäre.
Eines Tages wurden die Gesandten zu einer grossen Hoftafel eingeladen. Während des Essens giengen
Spielleute auf und ab und sangen zu ihren Instrumenten unanständige und wohlerzogenen Ohren
widerwärtige Lieder.
Sie tadelten was zu loben und lobten, was zu tadeln war, worüber König, Königin und Hofleute
sich köstlich amüsierten. Da trat ein ärmlich gekleideter Mann mit einem grossen Barte mitten in
das Bankett und sprach:
Nicht vergessen möget ihr Alle, dass Gott alle Kreaturen geschaffen und so manche aus fernen
Landen zum Dienst und zur Freude der Menschen hierher hat kommen lassen. Nicht mögen König
und Königin die Unsitte vergessen und die Unordnung, die in diesem Saale herrscht, wodurch
Gott beschimpft wird, sintemal Niemand hier ist, der lobt, was zu loben und tadelt, was zu tadeln, noch
der Gott dankt fuer die Ehre, die er dem König und der Königin und allen Baronen in dieser
Welt geschenkt hat. Auf diese Rede trat ein weiser Schildknappe vor, fiel vor dem König auf die
Kniee und um das Amt eines Lobers dessen, was am Hofe zu loben sei, erhielt es aber nicht, weil
der König nicht die Absicht hatte, bei sich und seinem Hofe irgendein eine Unform abzuthun. Dazwischen
kam ein Landrichter (veguer) und brachte einen Mann, der so eben mit grossem Unrechte einen
Ritter getödtet hatte. Der Mann sprach zum König:
Herr König, es ist die Weise Gottes, demjenigen, der ihn um Gnade bittet, zu vergeben. Von euch, der
ihr auf Erden Stellvertreter Gottes seid, erbitte ich Verzeihung. Der König versetzte:
Gott ist gerecht und barmherzig. Weil du aber den Richter in der Voraussicht getödtet, dass ich dir
verzeihen würde, soll dir nur Recht und keine Gnade werden. Als das Banket zu Ende war, und die
Botschafter nach Hause kehrten, während des Weges sich von Adlichkeit, Macht und Reichthum des
Königs und Hofes und dazu ihren Mangel an Gottesfurcht unterhaltend, da fanden sie ihren Wirt
jammernd und klagend. Um die Ursache befragt, sagte er:
Unser König hat dieser Stadt ein grosses Parlament gehalten, viele Gesandtschaften herrlich
empfangen und nun hat er ein grosses Fest befohlen, welches mich allein auf 1000 Pfennige zu stehen kommen wird, die ich von den Juden zu leihen nehmen muss. Herr Wirth, fragte die Gesandten, hat denn der König keinen Schatz ? Nein. sagte der Wirth, er borgt von seinen Leuten und giebt bei jedem Hoftage zweimal im Jahre grosse Feste und so richtet er das Volk durch Verschwendung zu Grunde und macht es zu Bettlerln. Was für einen Nutzen, fragte die Unze, haben denn diese Hoftage? Keinen, sagte der Wirth, vielmehr grossen Schaden, weil dadurch das Volk verarmtt und verdorben wird. Als am andern Tage die Botschafter durch Bestechung des Portiers wieder zur Audienz gelangt waren, erwies der König dem Leopard mehr Ehre, als der Unze, indem er ihn gnädig anblickte und ihn mehr in seiner Nähe sitzen liess.
Darüber hatte dass Panterthier -rossen Verdruss, weil es ebenso Rücksicht zu verdienen glaubte, wie der Leopard. Inzwischen kamne von 4 Städten 8 angesehen Bürger als Bevollmächtigte, um sich über die königlichen Beamten zu beklagen , die schlechte Menschen seien und das ganze Land zu Grunde richteten, und um bessere Beamte zu bitten.
Der König, verwies sie an seinen Rath. der ihre Beschwerden untersuchen und verbescheiden würde. Als die 8 Herren hier ihre Sache vorgebracht hatten, bekamen sie scharfe Rügen, denn die Beamten hatten in
diesem Rathe Freunde, denen sie einen Theil ihres unredlichen Gewinnes zukommen liessen und so kehrten die Biedermänner unverrichteter Dinge heim. Ihr Herren, fragte sie der Leopard, meint ihr dass der
König selbst Schuld tra,-e an dem Uebel. welches unter seiner Regierung
geschieht? Darauf. erwiderte einer von den achten:
32.
In einer Stadt starb ein sehr reicher Bürger und hinterliess
sein ganzes Vermögen seinem Sohne, der nun von allen Seiten bestürmt
wurde. Die einen wollten ihm eine Frau zubrinen, die andern ihn zum Mönch machen, der junge Mann selbst aber war Willens, Alles zu verkaufen, was er hatte, und damit eine Brücke und ein Hospital zu bauen, das Hospital für die Pilger aus dem heiligen Lande, welche durch die Stadt kamen, die Brücke, damit keine Pilger mehr im Angesichte der Stadt in dem reissenden Flusse ertrinken sollten, wie es vorher vielen Jerusalemfahrern geschehen war. Als beides fertig, war, träumte der Bürgerssohn eines Nachts, dass von allem Guten. was durch das Hospital und die Brücke gestiftet wurde, er das Verdienst vor Gott haben sollte. An diesen Worten des Philosophen (philosof) erkannte der Leopard, dass der König für allen Schaden. den sein schlechter Rath auf Erden anstiftete, einst in der Hölle büssen werde. Damit schieden sie und nahmen Abschied von einander, indem der Leopard die Herrn auf Gott vertröstete, der ihnen wohl bald einen besseren König, bescheeren würde.
33.
Zur Zeit, wo derLöwe eben seine Botschafter an denMenschenkönig geschickt hatte, lag ihm der Fuchs, sein Portier beständig in den Ohren, der Leopard habe die schönste Frau von der ganzen Welt, bis sich der König endlich in die Leopardin verliebte und sie der Königin und seinem Rathe zum Trutze mit Gewalt zu seinem Weibe machte. Der Rath hatte grossen Zorn auf Renart, weil er es dahin gebracht, dass dass König sich gegen seine gute Gemahlin und gegen seinen treuergebenen Diener den Leopard so schwer vergangen. Lieber Freund, sagte der Stier zum Fuchs, ich fürchte sehr, dass der Leopard euch tödtet, wenn er erfährt, wie die Sache zugegangen ist. Der Fuchs erzählte darauf folgende Geschichte: Einmal geschahs, dass ein Hoffräulein eine grosse Falschheit gegen ihre Königin sich zu Schulden kommen liess. Aber das Hoffräulein war beim Könige sehr gut angeschrieben und darum wagte die Königin nicht gegen sie einzuschreiten und sie gieng straflos aus.
34.
Als nun die Gesandten zurückgekehrt waren und ihre Botschaft beim Löwen ausgerichtet hatten, eilte der Leopard nach Hause zu seiner geliebten Gattin. Das Wiesel und alle seine Hausgenossen wären in grosser Betrübniss als sie ihren Herrn erblickten und erzählten ihm alle Schmach, die ihm der König, angethan , indem er sein Weib vergewaltigte. Rasend wurde der Leopard gegen den König und fragte das Wiesel, ob seine Frau ihm willig gefolgt sei, und da er hörte, dass sie sich lange gesträubt und geweint hatte, ehe sie mit Gewalt fortgeführt wurde, da wurde er noch rasender. Wäre seine Frau willig gegangen, so hätte sich sein Zorn vielleicht besänftigt, so sann er nur auf Rache gegen den König.
Von dem gerichtlichen Zweikampfe zwischen Leopard und Unze
35.
Der Leopard kam zu Hofe und Renart, der ihn zuerst erblickte, sagte heimlich zum König: Herr, durch euer Verhältniss mit der Leopardin bin ich mit dem Leoparden überworfen und wenn
ihr mich nicht öffentlich anerkennt und zu Ehren bringt, so dass ich eurer Person näher stehe, als
jeder Andere, wird mich der Leopard augenblicklich ermorden. Zur Stunde ernannte der König Renart zum Mitglied des Rathes und zog ihn in seine nächste Umgebung so dass der Leopard sich nicht an ihm zu vergreifen wagte. Den Pfau aber, der einen sehr feinen Geruch hat, machte er zum Thorwarte. Dem ganzen königlichen Rathe und allen zur Stelle anwesenden Baronen iiiissfiel diese Bevorzugung Renarts aufs Entschiedenste , besonders aber dem Leopard, der nun vor den König trat und ihn vor dem ganzen Rathe und versammelten Hofe offen des Verrathes beschuldigte , indem er in falscher Weise seine Gattin sich zu eigen gemacht habe. Am ganzen Hofe war kein Baron, der den Handschuh für den König, aufgenommen hätte. Also erbot sich der Leopard zum Gottesgerichtskampfe und überantwortet dem König sein Pfand.
36.
Der war gar erzürnt, als er sich so öffentlich als Verräther bezüchtigt und herausgefordert sah und schämte sich vor seinem ganzen Volke. Wer will den Kampf für mich aufnehmen? Alle Barone schwiegen. Da sprach Renart: Verrath ist ein Ding, welches Gott sehr missfällig ist, und eine grosse Schmach ist es für ein ganzes Volk, wenn sein König des Verrathes beschuldigt wird, wie hier der Leopard thut und um so grössere Ehre und Dank des Königs wird sich darum der Baron verdienen, der seine Sache zur seinigen macht und den Kampf aufnimmt. Da die Unze ohnehin auf den Leopard übel zu sprechen war, weil ihm der Menschenkönig mehr Auszeichnung erwiesen hatte, als ihr, so nahm sie nun den Kampf auf und vertheidigte die Unschuld des Königs, aber nicht ohne Gewissensbisse, weil sie wohl wusste, dass der König Betrug und einen schlimmen Handel gegen den Leopard angerichtet hatte, der ihm Zeit seines Lebens ein treuer Diener gewesen war.
Auf dem Kampfplatze stunden sich also Leopard und Unze gegenüber und alles Volk rief:
Nun wird es sich zeigen, wer siegen wird, Wahrheit oder Falschheit. Da fragte der Hahn die Schlange, wer nach ihrer Ansicht den Kampf gewinnen sollte und sie versetzte: der Gottesgerichskampf ist aufgekommen, damit die Wahrheit die Falschheit zu Schanden und zu nichte mache, und die Wahrheit ist Gott. Darum kämpft Jeder, der eine Falschheit vertheidigt, gegen Gott selbst. Diese heimlich zum Hahn gesprochenen Worte der Schlange hörten der Leopard und das Panterthier. Der Leopard schöpfte daraus Trost und Muth, die Unze Gewissensbisse und Traurigkeit und die Angst, dass die Schuld des Königs ihr zu Schmach und Verderben gereichen würde. Diesen ganzen Tag bis zur Stunde der Complet (Sonnenuntergang) dauerte nun dieser Zweikampf. Die Unze vertheidigte sich furchtbar gegen den Leoparden, würde ihn auch wohl besiegt oder getödtet haben, wenn sie ein besseres Gewissen gehabt hätte. Den Leoparden aber erquickte das Bewustsein seines guten Rechtes und der Unbill des Königs jedesmal die Kraft, wenn er schon zu unterliegen vermeinte Und mit diesem felsenfesten Gewissen besiegte schliesslich der Leopard die Unze und zwang sie zu bekennen, dass der König ein falscher Verräther sei. Der kam darüber ausser sich vor Verwirrung und Beschämung. Der Leopard aber tödtete die Unze nach Kampfrecht. Das Volk schämte sich so seines Königs und dieser sich über sich selbst, dass er es nicht länger ertragen konnte, sondern über den Leoparden, der vom tagelangen Kampf todtmatt war. herstürzte und ihn erwürgte. Alle Anwesenden entsetzten sich über diese Gräuelthat des Löwen und jeder wünschte in seinem Herzen unter einer anderen Regierurng zu stehen, denn eine gar gefährliche Sache ist Unterjochung des Volkes unter einen König, der ungerecht, zornig, und verrätherisch ist.
37.
Diese ganze Nacht blieb der König zornig und übler Laune, am anderen Morgen versammelte er seinen Ratli und liess darüber verhandeln, was er dem Menschenkönige für eine Antwort geben solle. Dieser hatte ihm nämlich entboten, er möge ihm einen Wolf und einen Bären schicken. Herr, sprach die Schlange, der weiseste Rathgeber, Bären und Wölfe habt ihr zur Genüge in eurem Lande, aus denen ihr je einen auswählen möcht, der zur Sendung taugt. Darauf versetzte Renart, der Menschenkönig sei der mächtigste und vornehmste Herr auf der ganzen Erde, und desswegen dürfe man ihm nicht den nächsten besten Bären oder Wolf schicken, sondern je den weisesten und stärkste, sonst käme Tadel und Gefahr davon. Vom König befraut, wer die seien, antwortete Renart, der Bär und Wolf die in seinem eigenen Rat sässen , seien sicher die klügstem und stärksten von allen Bären und Wölfen des ganzen Reiches. Das fand der König gut, und die zwei Räthe, der Bär und Wolf weigerten sich auch nicht zu gehen, damit es ihnen nicht als Feigheit ausgelegt würde. Als Botschafter zur Begleitung wurde dann noch die Schlange als das klügste Thier mitgeschickt. Ehe sie von Hofe gieng sagte sie:
38.
Eines Tages geschah es, dass der Fuchs auf einer schönen Wiese einen Köder mit einem Widerhacken fand, den ein Jäger darin verborgen hatte, um den Fuchs damit zu fangen. Der sagte aber, als er den Köder erblickte: der ist nicht umsonst daher gelegt, dahinter steckt Unheil und Gefahr. Der König hatte, seitdem er schwere Schuld auf sich geladen und den Leoparden ermordet hatte, keinen so subtilen Kopf mehr, wie zuvor und verstund die Meinung der Schlange nicht ,sondern verlangte von ihr eine Erklärung. Seit der Stier und Fuchs am Hofe sind, hört das Unheil und die Gefahr nicht auf, sagte sie und das kommt daher, dass der König die beiden zu so hoben Ehre gebracht hat. Der Stier entschuldigte sich darob sehr angelegegentlich und es kam bei dieser Gelegenheit heraus, dass Renart ihm damals gerathen hatte, dreimal täglich so furchtbar zu brüllen, um dadurch an
den Hof zu kommen und da viel Gutes zu stiften. Der Stier gieng in seiner Entschuldigung so weit, dass Renart desshalb üblen Willen gegen ihn fasste und ihn zu verderben beschloss.
Eines Tages nun hatte es stark geschneit und war sehr kalt g worden und der Löwe und die vom Hofe hatten nichts zu essen und dazu grossen Hunger. Der König fragte Renart, der sagte, er wisse keinen Rath, aber er wolle zum Pfau und fragen , ob er in der Nähe ein Thier rieche, welches dem König zur Nahruiig dienen könne. Der Pfau sah ihn mit Angst nahen und erwiderte auf seine Anfrage, er rieche kein solches Thier. Darauf lehrte ihn.Renart an, wenn ihn der König frage, zu sagen er rieche am Athem des Stieres, dass er in kurzer Zeit sterben
werde und zwar an einer Krankheit. Der Pfau, einerseits aus Furcht vor Renart, andererseits, weil der Stier das Getreide frass, welches für ihn bestimmt war, ging darauf ein, den Tod des Stiers zu planen und sagte dem König, was ihm der Fuchs eingegeben. Als der König das hörte, hatte er Lust, den Stier zu verzehren, trug aber Bedenken. weil er ihm Treue gelobt und weil ihm der Stier lange gedient und auf ihn vertraut hatte. Als Renart diess Bedenken hörte, suclite er es ihm auszureden, denn einmal müsse der Stier ohnehin nächstens sterben und hauptsächlich aber sei es ja Gottes Wille, dass der König seine Nothdurft an seinen Unterthanen befriedige so oft er dazu gezwungen sei. Der König antwortete, gleichwohl werde er am Stier seine Treue nicht brechen. Herr, sprach der Fuchs, werdet ihr den Stier dann essen, wenn er euch selbst dazu auffordert und euch selbst eures ihm gegebenen Wortes los und ledig sagt? Dann ja, sagte der König, Darauf gierig Renart zu einem Raben, der grossen Hunger hatte und sagte zu ihm: der Köni, hungert und ich will trachten dass er den Stier frisst, der sehr feist ist und für uns alle reichen wird. W en n nun der König, in deiner Gegenwart sagt, er habe Hunger, so biete du dich ihm an und sage er solle dich essen. Er wird es ohnehin nicht thun, denn ich werde es ihm ausreden und er richtet sich in allein nach meinem Rathe.
Wenn dann ich mich ihm anbiete, so sagst du, ich sei nicht gut zum Essen, denn mein Fleisch sei ungesund. Als Renart den Raben so eingelehrt hatte, gieng er zum Stier und sagte, der König wolle ihn essen, weil der Pfau an seinem Athem gerochen habe, dass er bald sterben müsse. Der Stier bekam grosse Angst und sagte, wahr ist das Wort des Bauern zum Ritter. Wie war, das? fragte Renart:
39.
Ein reicher Bauer, sagte der Stier, strebte hoch hinaus und gab seine Tochter einem Ritter zur Frau, dem der Reichthum des Bauern sehr in die Auen stach. Aber die Vornehmheit des Ritters war mächtiger, als der Besitz des Bauern und während der Ritter Alles vergeudete und doch ein vornehmer Herr blieb, wurde der Bauer am Ende ein armer Mann und blieb dabei doch nur ein Bauer. Gerade so. sagte der Stier, verhält es sich mit meinem Tod und mit der Sättigung des Löwen. Renart beschwichtigte ihn, der König habe ihm sein Wort gegeben und werde ihn gar nicht fressen, er solle sich ihm also nur guten Muthes anbieteb. Im entscheidenden Auoenblicke werde er Renart auch ein Wort drein reden und so könne es nicht fehlen, dass er sich beim Löwen in Gnaden setze. Nach allen diesen Verabredungen kamen sie vor den König, der Stier, der Rabe und der Fuchs. Der Rabe fing an, er merke wohl, dass der König Hunger habe und er solle ihn essen. Renart entschuldigte ihn, er habe kein Fleisch, welches für den königlichen Gaumen passe. Darauf bot sich der Fuchs an, und der Rabe sagte, sein Fleisch sei ungesund. Zuletzt bot sich zum Scheine auch der Stier an und der Löwe tödtete ihn und alle drei assen von seinem Fleische nach Herzenslust.
40.
Nach dem Tode des Stiers fragte der Löwe den Hahn und den Fuchs, wer sein Kammerherr sein solle. Der Hahn wollte zuerst sprechen, aber Renart warf ihm einen grimmigen Blick zu , der ihn verstummen machte. Der Fuchs schlug nun das Kaninchen zu der Stelle vor, was der Hahn aus Furcht auch nicht zu bestreitet wagte. So waren denn die Hofstellen mit dein Pfau, dein Hahn und dem Kaninchen besetzt, die sich alle aus Furcht vor Renart nichts zu sagen getrauten, so dass sein Wille überall massgebend war.
41.
Eines Tages geschah es nun, dass eine wichtige Staatsberathung vorzunehmen war, und der Köni- sich mit dem Hahn und Fuchs allein berieth. Der Hahn erklärte sich in einer so wictigen Angelegenheit für incompetent und stellte dem Löwen vor, er möge seinen Rath verstärken, aus dem nach und nach fast alle Mitglieder ausgeschieden oder todt seien. Der König genehmigte den Vorschlag, aber Renairt erzählte:
42.
In einem Lande lebte ein Mann, dem Gott soviel Wissenschaft gegeben hatte, dass er alles verstund, was die vierfüssigen Thiere und die Vögel sagten. Diese Wissenschaft aber hatte Gott dem Manne unter der Bedingung gegeben, dass er keinem lebenden Menschen je etwas mittheile, was er von
den Reden der Thiere. An dem Tage, wo er es thäte, müsse er sterben. Dieser Mann nun hatte einen Garten, in welchem ein Ochs Wasser aus dem Ziehbrunnen zog und ein Esel den Mist trug, wenn gedüngt
wurde. Eines Abends war der Ochs sehr müde und der Esel rieth ihm, er solle seinen Haber nicht fressen
und sich krank stellen, so brauchte er morgen nicht am Ziehbrunnen zu sein und könne sich ausruhen. Das that der Ochs. Der Gärtner meinte des folgenden Tags der Ochs sei krank und stellte den Esel für ihn an den Ziehbrunnen, der nun den ganzen Tag, mit grosser Beschwer den Eimer ziehen musste. Als er Abends in den Stall kam, lag da der Ochs und ruhte sich aus. Der Esel fing an zu weinen und sagte zum Ochsen:
Denke nur, unser Herr ist Willens dich an einen Fleischer zu verkaufen, weil er meint, du seist krank. Darum ist es besser, dass du wieder an deinen Dienst gehst, ehe sie dich umbringen. Der Ochs erschrack und aus Todesangst frass er diese Nacht seinen Haber und stellte sich gesund. Der Herr des Ochsen und Esels hatte das Alles gehört und lachte in Gegenwart seiner Frau darüber. Diese wollte wissen, worüber er lache und er wollte es ihr nicht sagen , weil er fürchtete, dass er dann sterben müsse. Sie aber quälte ihn fort und fort und sagte zuletzt, sie würde nicht mehr essen und trinken, und sterben, wenn er es ihr nicht sagte. Diesen ganzen einen Tag hielt es das böse Weib ohne Essen und Trinken aus. Da sagte der Mann, der sie sehr liebte, er wolle es ihr sagen, und gieng vorher hin, und machte sein Testament und als er damit fertig war, wollte er ihr sagen, warum er gelacht. Da hörte er, was der Hund zum Hahn sagte und was dieser darauf erwiderte. Der Hund verwies dem Hahn, dass er singe, während sein Herr sterben müsse. Der Hahn verwunderte sich höchlich darüber und der Hund erzählte ihm nun den ganzen Hergang, Als er fertig war, sagte der Hahn, es geschehe ihm recht, dass er sterben müsse, denn er sei ein Jämmerling, wenn er einer einigen Frau nicht Herr zu werden verstehe. Daraufhin rief der Hahn seine zehn Hennen, und die
kamen flugs herbei und mussten sich alle vor ihm aufstellen und er that mit ihnen, was ihm beliebte.
Das that der Hahn zum Zeichen, dass sich der Hund über den Tod seines Herren trösten solle, was sie nun auch beide thaten und der Hahn sang und der Hund war lustig. Freund, fragte der Hund den Hahn, wenn du so ein arges Weib hättest, wie unser Herr, was würdest denn du in diesem seinem Falle tun? Ich würde fünf Ruthen von einem Granatbaum (inagraner) im Garten abschneiden und sie so lange hauen, bis alle fünf entzwei wären, und wenn sie dann noch nicht essen und trinken wollte, liesse ich sie verhungern und verdursten. Sobald der Mann das gehört hatte, stund er vom Bett auf und that, was der Hahn gesagt, und daraufhin ass und trank seine Frau und that Alles was er wollte.
43.
Nachdem Renart obiges erzählt, sagte er, der Hahn sei gescheit, dass er in allen Angelegenheiten Rath wisse und der König nicht nöthig habe, sich um andere Räthe umzusehen, besonders da durch die vielen Köpfe und Meinungen nur Trubel im königlichen Rathe entstehen pflegten. Darauf erzählte der Hahn Folgendes:
44.
Ein Papagei war mit einem Raben auf einem Baume in ein Garten. Unter dem Baume war ein Affe, der Brennholz auf eine Laterne gelegt hatte, welche er für Feuer hielt und in das Holz hineinblies um es anzufachen. Der Papagei rief ihm zu, es sei kein Feuer, sondern eine Laterne. Der Rabe sagte , er solle doch Niemand belehren, der keinen Rath annehmen wolle. Der Papagei rief aber dem Affen im wieder zu und der Rabe verwies es ihm eben so oft. Zuletzt flog der Papagaei vom Baume herab und kam dem Affen, um ihm seine Meinung deutlich zu machen, immer ernäher, bisihn dieser zuletzt erwischte und
zerriss .
45.
Als der Hahn diese Geschichte erzählt hatte, meinte der Köil sie sei auf ihn gemünzt und machte dem Hahn ein zorniges Gesicht zum Zeichen seines Unwillens. Als Renart das sah, tödtete er den Hahn vor den Augen des Königs und frass ihn, Da war er nun alleiniger Rath und der Pfau war Portier und das Kaninchen Kämmerling, und gieng Alles nach seinem Wunsche und der König that, was der Fuchs
nur immer begehrte. Mitten in diesem Wohlergehen fiel Renart der Verrath wieder ein, den er gegen den König angezettelt und wie er zum Elephanten gesagt hatte, er wolle dahin trachten, dass der Löwe ums Leben käme und er an seiner Statt König würde. Gern wäre der Fuchs in seiner jetzigen Stellung geblieben , aber er fürchtete, der Elephant möchte seine früheren Anschläge einmal dem König verrathen und dem wollte er zuvorkommen, indem er Königsmord plante.
Von Renarts Tode
46.
Eines Tages sagte Renart, uneingedenk aller Ehren und Gnaden die ihm der König vor vor allen Baronen seines Hofes erwiesen, zum Elephanten es sei nun Zeit, dass der König sterbe, und zwar besonders darum. weil die Sache so günstig liege, dass ausser ihm kein Rath am Hofe vorhanden sei. Der Elephant überlegte lange, was ihm Renart sagte und machte sich zwar ein Gewissen daraus auf den Mord des Königs einzugeben, war aber auch auf der anderen Seite besorgt, wenn er Renart nicht folgte, dass ihn dieser dann selbst dem König verrathen und seinen Tod veranlassen möchte. Zuletzt siegte doch das bessere Gewissen in ihm, zugleich mit der Erwägung, dass wenn er durch Renart König würde, dieser ihn dann eben so gut verraten könne, wie jetzt den Löwen. So wollte er denn lieber in Todesgefahr schweben, als seinen angeebornen Herren verrathen. Dabei dachte er darüber nach, wie er es dahin brächte, dass der Löwe den Fuchs tödtete, denn, rechnete er, wenn in diesem kleinen Fuchs so viel Schlauheit und Verrath stecken, warum sollten denn in seinem Riesenleibe nicht noch mehr Meisterschaft und Loyalität Platz haben. Herr Elephant, sprach Renart, worüber sinnt ihr nach und warum beeilt ihr euch nicht König zu werden , ehe die Schlange die gar kluge und meisterhafte zurückkehrt? Da fasste der Elephant den Entschluss, diese ihre Rückkehr abzuwarten. ehe er etwas unternähme.
47.
Als Renart merkte, dass der Elephant die Sache so lässig nahm fürchtete er, die Schlange möchte zurückkommen und der Elephant ihn verrathen, und sagte daher zu dieser er solle sich beeilen, sonst würde er die Sache in einer Weise in die Hand nehmen, die er sich nicht träumen liesze. Das versetzte den Elephanten in grosse Angst und er fragte den Fuchs, welche Stelle er bei ihm einnehmen wolle, wenn er einmal König sei. Der Fuchs sagte, seine jetzig als alleiniger Rath genüge ihm, auch Pfau und Kaninchen sollten in ihren Aemtern verbleiben. Wie er sich aber den Tod des Königs ausersonnen habe, das theilte er in folgendem mit.
48.
Zwischen dem Löwen und dem Eber herrscht Uebelwillen, denn der Eber glaubt an Person und Kraft dem Löwen gleichzustehen. Ich will also zum Eber sagen, er möge sich vor
dem König hüten, weil er ihn tödten wolle und dem Löwen werde ich sagen, er solle sich vor dem Eber in Acht nehmen, weil dieser Köni zu werden strebe. So werde ich es dahin bringen, dass der Löwe den
Eber tödtet und wenn er dann vom Kämpfe ermattet ist, könnt ihr ihn ohne grosse Mühe umbringen und selber König werden. Auf dieselbe Weise, die Renart angegeben hatte, beschloss nun der Elephant, ihn zu betrügen und sagte demnach:
Eitel ist jede Versprechung ohne Zeugen, deshalb müssen wir vor Allem unsern Vertrag vor Zeugen aufrichten. Renart, besann sich hin und her, denn die Zeugen konnten ja den Verrath verrrathen. Der Elephant meinte, die passendsten Zeugen seien Pfau und Kaninchen, die sie gewiss nicht verrathen würden. Darauf ging Renart ein und so wurde denn in Gegenwart des Pfaus und des Kaninchens der Bund geschlossen und Heimlichkeit gelobt. Nun sollte Renart zuerst dem Schweine sagen, der König wolle es tödten und dann dem Löwen das gleiche. Während Renart mit dem Eber sprach, gieng der Elephant zum König entdeckte ihm die ganze Verschwörung und bat um Pardon für seinen Verrath, indem er lieber ein getreuer Unterthan, als ein verrätherischer König sein wolle. Wie, sagte der Löwe, kann ich mir Gewissheit verschaffen, dass das, was ihr mir gesagt habt, die Wahrheit ist? Dadurch, dass Renart, alle anderen Thiere aus eurem Rathe verdrängt hat und euer alleiniger Rathgeber worden ist, und dass er Niemand am Hofe geduldet hat, als das Kaninchen und den Pfau, die aus Furcht ganz von ihm abhängen. Noch aber, Herr, kann ich euch eine andere Gewissheit geben. Renart ist zum Eber gegangen und hat ihm gesagt, dass ihr ihn tödten wollt und ebenso wird er zu euch sagen, der Eber wolle euch tödten, endlich sind Mitwisser und Begünstiger des Verraths der Pfau und das Kaninchen. Der König, erstaunt, über so viel Trug und Verrath, sagte:
49.
Ich habe meinen Vater eine Geschichte erzählen hören, wie mein Ahne, der König eines grossen Landes war die mächtigen Barone, denen Ehre und Vorrang zusteht, erniedrigen und das gemeine Volk dafür erhöhen wollte. Unter diesem war der Affe, dem mein Ahne viel Ehren anthat. Da er nun dem Planschen ähnlich sah, wollte er König werden und sann auf Verrath gegen meinen Grossvater.
50.
Herr, sprach der Elephant, in einen kleinen Becher geht nicht viel Wein und in eine Person niederer Herkunft nicht viel Ehre und Treue, und darum ist es gut, dass ihr Renart tödtet und einen guten Rath habt und frei in eurer Herrschergewalt (senyoratge) seid und die Adlichkeit die Gott euch von Art und von Amt gegeben hat, keiner schlechten Person untergebt. Nach diesen Worten gieng der Elephant zum Eber und sagte ihm, er wisse Alles, was Renart zu ihm gesprochen und wiederholte es ihm Wort für Wort und theilte dem erstaunten den ganzen Anschlag mit. Während dessen besandte der König seinen Hof, viele Barone, darunter auch den Elephanten, Eber, Renart, Kaninchen und Pfau. Diese zwei befragte er in Aller Gegenwart um ihr Zeuniss. Gross war ihr Schreck, aber noch grösser der Renarts, der nichts weiter vorzubringen wusste, als er habe die Treue der Barone gegen den König auf die Probe stellen wollen. Der Löwe befahl mit einem donnernden Brüllen dem Pfau und Kaninchen die Wahrheit zu sagen. die sie nicht zu verhehlen vermochten, worauf der König in eigener Person Renart tödtete. Nach seinem Tode kam der Hof in Aufnehmen und guten Stand, der Elephant und Eber und andere vornehme Barone wurden Räthe und stiessen den Pfau und das Kaninchen aus ihrer Mitte.
Hiermit ist das Buch von den Thieren beendigt , welches Felix einem König, brachte, damit er aus der Art, wie die Thiere handeln, abnehmen möchte, in welcher Weise ein König regieren und sich vor bösem Rathe und falschen Menschen hüten solle.