hermann j. hendrich / horst lothar renner

 

 

 

 

hermannsschlacht

2014 n. chr.

 

texttheater


hälig hälig

sullekum

wade

hälig hälig

sagte er

machte eine kurze pause

erster akt

erste reihe

erster rang

erste vorstellung

erster schauspieler

sagte er nebenbei

doch keiner bringt es besser

dieses

hälig hälig

sullekum

wade

nein

der hintergrund ist nicht die unendlichkeit

grundlage

untergrund

nicht grundlos

sagt er

grund

los

und tritt dabei in den vordergrund

vorhang auf


1958 (bergsommer)

das zauberhafte in der philosophie ermöglicht die sprache. die variation des unterbewußten. das diktat der kritischen vernunft, unterbewerten sie nichts. die auflösung erfolgt nach den ebengenannten gesichtspunkten. anweisungen bestätigen die regel. was wir verlieren. das denken als kollektiver apparat. die unbelehrbaren. alle trugschlüsse und sophismata sind noch nicht einmal psychologisch. der retter,. der pol und das beispiel. das beispiel. das bild. das.


vorhang auf oder zu

bleibt so

bleibt immer so

ja

bleibt immer so

ansichtssache

die periphere sicht

ist am besten

bei geschlossenen augen

augen zu

auch beim durchforsten

der vergangenheit

vergangenheit

gegenwart

zukunft

ein schwer entwirrbares gefüge

doch erzählgeeignet

nicht hier

und nicht jetzt

leben ist nicht theater

aber theater

ist leben

wenn es theater sein soll

wenn es theater sein will

es muss

wenn es will

jetzt


1962 (oh verschiedenes)

der wachen sucht

der überwindung worte

doppelt verbucht

in neuer bindung sorte

gewählt das ungewisse

in gemeinsamen horte

die hindernisse

die gesellschaftsrahmen verbohrte


das ereignis war

ist

jetzt

das ereignis war

ist

hier

bühnenreif

merkwürdig

diskussionswürdig

und

ein poetischer akt

ein vorlauf

aller nachkommenden bilder

jugendbilder

der junge mann

das mädchen

die frau

die wiese

die decke

das weisse tuch

frühstück im grünen

berührung im grünen

im wasser

was noch nicht zu sehen war

was noch nicht zu sehen ist

ist

dahinter


1972

jenseits der auslösenden signale

in reizwelten unbefangen eingleitend

sehe ich dich meiner begrenzung

mehr bewusst als sie sagend ohnmächtig

drücke ich mich vor entscheidungen

eingesaugt das helle flimmern in deinen augen

sehe ich auf deinen mund fürchtend für eine zeit

mehrmals die stummen hände mir vors gesicht

presste


unmöglichkeiten

flossen aus den kulissen

stürzten über die rampe

und erstarrten

langsam

zähflüssig

gummiartig

biegsam

ein elastischer umgang

mit den zeiten

vergangenheit

gegenwart

hatten keine wichtigkeit mehr

die frage

war keine frage

und die antwort

ist keine antwort

eine form löst sich auf

eine andere bildet sich

mäandert träge

einer lösung zu

oder quirlt

über sandigen boden

oder stürzt

in ein loch

es ist

der fünfzehnte buchstabe im alphabet


1980

blau

klang

einfang

einblau

farbenblos

nachtklang

abendanfang

blaunacht

nachfahren

blaueinfang

abendklang

einabend

einnachtblau


sinnsucht

streitlust

zwischen

anfang und ende

zwischen

geburt und tod

projiziert

auf

mitte und leben

ein zwischenspiel

unterschiedlichster erfahrungen

von lust

bis

schmerzvoll

ohne luft

ohne wasser

ohne brot

wolkengebilde

weiss blau

und blitzzeichnungen

in gelb

in rot

hälig hälig

sullekum

wade

was heisst das

was heisst das


1997 (fünfzehn versatzzeilen)

fernliegendes unter manchen umständen denken wir halt in einiger vergesslichkeit deren hilfe bereitet zu dem zeitpunkt den man als das ich imaginieren wird da die entscheidung fällt ohne dass das wissen anderer in ihrem persönlichkeitsfenster für etwas zu haben als handlungs-schwerpunkt für unsere absicht zur bedeutung anpassend an die situation geglaubt zu haben und dieser wirklichkeit ohne das gefühl einer sicherheit andere unsicherheiten geschehen im verleihen einer mehr oder weniger verhaltensweisen einer gesellschaft die dem soldaten erleben in berührtem gefühl erlaubt dessen gesichtsausdruck im kargen feld eines kriegsfotos samt der eingefügten weit späteren mitteilung für uns bist du wer dich vergessen hat du darfst: auf einem pappschild tragen bist du nicht der der vergessen hat wer er ist: heisst?


erfassbar

machen

soviel wie möglich

fassbar machen

was sagt schon

viel

etwas erfassbar

ist genug

genügt für diese reise

der nebel

hat den start verwischt

und auch das ziel ist unsichtbar

die krümmung lässt den blick

dagegen stossen

was den zurückgelegten weg

betrifft

ist manches aufgezeichnet

und für die sicht nach vorn

wird nun die bühne ausgeleuchtet

es treten auf

die sänger

und die schwätzer

die sprecher

und die schreier

die weisen

und die dummen

und nur das publikum bleibt stumm


2000 (1)

Die versuchte Beendigung der poststrukturalen Diskussion schließt mit einem Misston, jeder geht seine Wege und achtet nun nicht mehr auf die Argumente des anderen, die gegebenenfalls unglaublich verspätet eingetroffen sind. Wir im dunkeln Sack von Europa bekommen diese Auseinandersetzungen ohnehin erst mit dem Neudruck von Geschichten über die Philosophie in zwanzig oder dreißig Jahren zu Gesicht. So unterhalten wir einander mit vergangenen Positionen, gehen öfters zu Begräbnissen wunderbarer Dichter und hören uns Erzählungen aus der Vergangenheit an, die schlechter gefasst als Märchen sind.


den schlaf aus den augen gewischt

das trübe durchdrungen

und in die realität getreten

soviel

zur aufnahmefähigkeit

am morgen

den tagesablauf

durchgeplant

und die zeiten der lust

eingeordnet

in körperlust

in geisteslust

in grenzenlos

und festgestellt

wie sich die zeiten gleichen

im zweifel

das tagebuch durchgeblättert

und nach erfolgen

gesucht

fern sind die gipfelsiege

und auch die tauchgänge

haben sich ins seichte

verlagert

bleibt nur der gang

an der oberfläche

dieses weitergehen

immer weitergehen


2003 (nach Die sonne sinkt von F. Nietzsche)

Lass mich dein letztes zögern als glücklichsein verstehen. Lass mich an deine liebe glauben, auch wenn schon weisse schleier wie nebel über das meer ziehen , und vergiss jede trauer, denn weinen ist nur der ausdruck einer glühenden hoffnung, den abend ungeteilt zu beschliessen.

Tag meines Lebens!

Unter der braunen brunnentiefe lockt noch ein glück in grünen lichtern, ruhte es einmal (kann es schlafen?) irgendwo am warmen fels.? Am see bricht sich die sinkende sonne mit goldenen strahlen in den tag eines lebens.


die kulturlandschaft

durchwandert

die noten

das buch

die leinwand

benützt und gelöscht

den konzertsaal

die bibliothek

das museum

besucht und gegangen

immer

ja und nein

drinnen und draussen

gefangen

entlassen

kein bleiben

im geschlossenen system

nur ein bleiben

in sich

die kleidung abgelegt

und durch die träume

geritten

ohne sattel

ohne gerte

ohne sporen

nur die zügel

lagen fest in der hand


2012 (laufen lassen)

So ist es mir begreiflich geworden, dass die sehnsucht nach dem verlorenen, dem unwiederbringlich dahingegangenen, der verstorbenen geliebten, nicht dem gegenstand selbst, dem verlorenen, der toten gilt, sondern den eindrücken beim lesen des buches, den szenen, die man mit dem menschen auf reisen, beim betrachten von kunst oder im bett in größter harmonie erlebt hatte. Darum wird das gesicht des geliebten menschen im traum nie klar gezeigt, der träumer weiss, es ist diese person, mit der er sprechen darf, aber er kann sie nicht berühren, sie ist da und gleichzeitig unendlich weit weg.


den versuch unternommen

wahrheit zu definieren

welche wahrheit

meine

deine

ihre

unsere

da ist die wahrheit der farben

oder die einfache wahrheit

schwarz weiss

in der einsamkeit

eingeschlossen

ausgeschlossen

einer bestimmung nahegekommen

und wahrheit erfahren

die dazugehörende lüge

programmiert

gegenübergestellt

oder eingebaut

vielleicht ist auch

eins

ins andere

übergeflossen

und wurde so zum informellen gemälde

aller interpretationen

zum versuch

freiheit zu definieren


2013

Sag es mit leiser stimme

Die zeit rinnt vorbei

Mir ist nun als ob

Mir mehr gegeben wird

Als ich geben konnte

Nur im vagesten flüchtig

Wie zuneigung, verständigung,

Erklärung, begreifen

Was anders ist an dem gegenüber

Das doch immer wieder

Meine haltung bestimmt?

Manchmal ein schritt im gleichklang

Selten ein blick

In die vermuteten tiefen

Hinter den augen


letztes bild

letzter akt

letzte reihe

letzte vorstellung

sagte er

in seiner stimme lag keine resignation

und als er sich verbeugte

stach grelles licht auf die szene

ein glitzern

ein gleissen

liess alles unwirklich erscheinen

das gespielte leben

hat keinen platz mehr auf der bühne

und die wirklichkeit

ist die summe der unterschiedlichsten realitäten

einschliesslich der noch nicht bekannten

das sagte er auch

hälig hälig

sullekum

wade

alles alles

weniger

nichts

und bevor der vorhang fällt

sagt er noch

hälig hälig

alles alles