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Die Regel, das Spiel und das Andere.


Zum Werk Oskar Pastiors.

© Franz Josef Czernin

Bei aller Wertschätzung für Oskar Pastiors Werk, dessen verspielter Charm, dessen Witz und Leichtigkeit, aber auch selbstvergessene Sprachbesessenheit es so vorteilhaft von dem unterscheiden, was in der deutschsprachigen Lyrik seit 1945 üblich ist, enthält dieser Aufsatz auch Einwände. Ich setze dabei aber nicht nur voraus, dass dieses Werk kritischer Auseinandersetzung wert ist, sondern auch, dass gerade eine solche Auseinandersetzung dem, was Dichtung auch für Pastior selbst bedeutet, gerecht werden kann.
Sollte ich mit meinen Einwänden unrecht haben, hoffe ich, dass sie - wie das in der Geschichte der Kritik manchmal der Fall war - dennoch ein Licht auf Pastiors Werk werfen, zu seinem Verständnis beitragen. Und kommt man zu dem Schluss, dass ich hier nur selbstzugefügte Wunden lecke (immerhin ist daran etwas Wahres), so halte man mir meine Verwicklung in die Fragen der Poesie zugute: Weil ich selbst Gedichte schreibe, stellen sie sich mir auch am Beispiel dieses Werks; es brennt mir als dasjenige unter den Nägeln, das auch meine eigene Arbeit angeht.

1

Sässe man auf einer der sprichwörtlichen Wolken, nähme man in Anspruch, gleichsam sub specie aeternitatis über die Entwicklung und den Stand der Dichtung im deutschsprachigen Raum zu spekulieren, und entwürfe man also eine Metaphysik ihrer Geschichte, dann könnte diese Metaphysik, in der ihr notwendigen idealtypischen Vereinfachung, einen Kampf zwischen zwei antagonistischen Kräften oder Tendenzen beschreiben. Die eine Kraft oder Tendenz ist analytisch in dem Sinn, dass sie die Poesie vor allem als Spiel gemäss bestimmten sprachlichen Regeln versteht und deshalb unterstellt, die Regeln, nach welchen dieses Spiel gespielt wird, machten die Poesie wesentlich aus beziehungsweise sagten Wesentliches über sie aus. Zugleich behauptet diese Kraft oder Tendenz, dass - gibt es in der Poesie auch Momente, die nicht auf jene Spielregeln zurückgeführt werden können - diese entweder die Poesie nicht wesentlich ausmachen beziehungsweise Wesentliches über sie aussagen oder sich aller Beschreibung als Regelhaftes entziehen. In allen Fällen behauptet diese Kraft oder Tendenz, zwischen dem in einer Dichtung, was jenen Spielregeln folgt, und dem in ihr, was ihnen nicht folgt, könne deutlich unterschieden werden. Die andere Tendenz oder Kraft, der ersten entgegengesetzt, ist synthetisch in dem Sinn, dass sie die Poesie als etwas versteht, das durch sprachliche Spielregeln nicht wesentlich bestimmt wird, das heisst nur in ihren unwesentlichen oder oberflächlichen Aspekten. Für diese Tendenz oder Kraft ist das, was die Poesie ausmacht oder Wesentliches über sie aussagt, das, was über alles Regelhafte oder über alles Sprachliche hinausgeht. Wenn sprachliche Spielregeln für eine Dichtung behauptet werden können, dann werden sie einem Verstehen untergeordnet, das sich auf Dinge oder Zusammenhänge bezieht, die nicht sprachlich sind oder nicht sinnvoll als sprachlich- regelhaft beschreibbar.

Jegliche Analyse ist auf einfache Bestandteile aus und auf Regeln für deren Verknüpfung. Eben diese Regeln der Verknüpfung können als Spielregeln verstanden werden. Versteht ein Dichter oder ein Leser die Poesie vor allem als Spiel gemäss bestimmten sprachlichen Regeln und sucht er nach ihren einfachen Bestandteilen und ihren Verknüpfungsregeln, folgt er also der als analytisch bezeichneten Tendenz oder Kraft, dann kommt ihm die Tradition der Dichtung insoferne auf halbem Weg entgegen, als diese selbst etwas in den Vordergrund treten lässt, das sich einer solchen Suche wie selbstverständlich anbietet. Es sind die sinnlich wahrnehmbaren Aspekte der Sprache: das, was an ihr hörbar ist, und das, was an ihr sichtbar ist. Buchstabe und Laut oder Buchstaben- und Lautfolgen, aber auch Metrik beziehungsweise Rhythmik scheinen sich für das Aufstellen solcher Spielregeln anzubieten.
Leugnet ein Dichter oder ein Leser, dass die Regeln, welche die analysierten einfachen Bestandteile verknüpfen, eine Dichtung wesentlich ausmachen oder Wesentliches über sie aussagen, folgt er also der als synthetisch bezeichneten Tendenz oder Kraft, dann kommt ihm die Tradition der Dichtung insoferne (mindestens) auf halbem Weg entgegen, als die meiste Dichtung Aspekte hat, die eine solche Analyse und eine solche Suche nach sprachlichen Spielregeln selbstverständlich zu verbieten scheinen: es sind diejenigen, die nicht sinnlich wahrgenommen werden können: die Grammatik, die Semantik, vor allem aber alles, was als im Zusammenhang mit Sprachlichem stehend und doch als nicht- sprachlich gedacht wird: Gegenstände oder Ereignisse, auf die man sich durch eine poetische Sprache beziehen kann; ob sie nun, wie bildhafte Vorstellungen oder Gedanken, innerhalb des Sprechenden gedacht werden oder, wie zumeist die Gegenstände sinnlicher Wahrnehmung, ausserhalb.

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Es liegt nahe, die analytische Kraft oder Tendenz in der Dichtung mit jener in der Musik zu vergleichen, speziell mit der Form des Analytischen, die sich in der sogenannten seriellen Musik zeigt.
Wenn man unter dem Begriff der seriellen Musik alle musikalischen Werke versteht, die auf prädeterminierenden Verknüpfungsregeln mehrerer (möglichst aller) musikalisch relevanter Eigenschaften - der sogenannten musikalischen Parameter (wie Tonhöhe, Tondauer, Lautstärke, Klangfarbe) - der einzelnen Töne respektive des Tonsatzes beruhen, dann kann man in Analogie dazu unter serieller Poesie alle Dichtungen verstehen, deren Komposition auf der Prädetermination mehrerer (möglichst aller) für die Dichtung relevanter Eigenschaften von Elementen der Sprache oder auch von bestimmten ihrer Verknüpfungen beruht.
Das Material der Dichtung würde so als ein Ensemble von Parametern gesehen; von sprachlichen wie Klang oder Schrift, Rhythmus, Grammatik und Semantik, aber auch von nicht- sprachlichen, als welche äussere oder innere Gegenstände und Ereignisse verstanden werden können. Die Konstruktion eines poetischen Texts wäre dann der Versuch, jene Parameter systematisch aufeinander zu beziehen.

Serielle Musik ist das Ergebnis einer Analyse des musikalischen Materials und seiner Komposition gemäss vorab aufgestellen Regeln, die auf dieser Analyse beruhen und sich auf alle wesentlichen musikalischen Qualitäten beziehen. Sie will also auf umfassende Weise ordnen, alle jeweils wesentlichen musikalischen Qualitäten innerhalb der Komposition organisieren. Gerade weil in der seriellen Musik dieser Versuch auf die Spitze getrieben wird, ist sie dazu geeignet, die Möglichkeiten und Grenzen einer solchen Prädeterminierung zu zeigen. Nicht nur in Bezug auf die Musik selbst - hier bietet sich das Historische beziehungsweise Zeitgebundene serieller Werke als Ausgangspunkt für eine Antwort an -, sondern auch in Bezug auf die Poesie. Das Bezeichnende für die Poesie ist: es gibt keine im definierten Sinn seriellen Dichtungen, wenn es auch, und nicht nur in der modernistischen oder experimentellen Literatur, Bemühungen gibt, die Sprache der Dichtung auch dort zu analysieren und prädeterminierenden Regeln auszusetzen, wo sie sich einer solchen Analyse zu entziehen scheint.
Denn immerhin kann man auch versuchen - wie es in den Poetiken der Renaissance und des Barock geschehen ist -, sich der grammatikalischen und der semantischen Seite der Sprache, ja auch nicht-sprachlicher Gegenstände systematisch anzunehmen. Man kann auch diese Aspekte der Dichtung analysieren und dann festlegen, welche Kombinationen als erlaubt oder erfolgversprechend oder, im Gegenteil, als verboten oder unbrauchbar gelten sollen. Und so ist auch ein gegenwärtiges Schreiben vorstellbar, das vorab bestimmte begriffliche, grammatikalische, aber auch gegenständliche Einschränkungen macht, etwa festlegt, dass in einem Gedicht diese oder jene Begriffe oder Begriffsfelder, aber auch Gegenstände oder Ereignisse und diese oder jene Relationen zwischen ihnen in dieser oder jener Reihenfolge vorkommen und zugleich diesen oder jenen klanglichen oder auch rhythmischen Beziehungen entsprechen sollen.
Doch so weit man in seinen Versuchen in diese Richtung gehen mag, so ist ihr Ergebnis nicht in dem Sinn serielle Poesie, wie Musik serielle Musik ist, wenn alle musikalischen Parameter systematisch aufeinander bezogen werden. Der Grund dafür ist einfach: anders als in der Musik können in der Dichtung nicht alle für sie wesentlichen Parameter unmittelbar sinnlich wahrgenommen werden und insofern auch nicht auf evidente Elemente zurückgeführt. - Eine Analyse von Grammatik oder Semantik oder gar von nicht-sprachlichen Gegenständen oder Ereignissen, die aber sprachlich dargestellt werden, ist nicht eine, deren Elemente sinnlich wahrgenommen werden können. Sie ist deshalb in einem anderen und viel stärkeren Sinn theorie- oder durch ein vorgefasstes Weltbild bestimmt als eine Analyse musikalischer Parameter.
Jegliche etwa für die Parameter Grammatik oder Semantik und mehr noch jede für sprachlich dargestellte nicht-sprachliche Dinge oder Ereignisse behauptete Ordnung ist entweder wissenschaftlich - und insofern für den Umgang mit Dichtung nicht ohne weiteres brauchbar -, oder aber selbst schon dichterische Anwendung und somit in einem viel stärkeren Sinn Poesie beziehungsweise Deutung des Schreibens oder Lesens von Dichtung als jene Analysen und jene Spielregeln, die sich auf das sinnlich Wahrnehmbare der Sprache beziehen. Während die Musik sich, eben weil alle ihre wesentlichen musikalischen Parameter plausibel als sinnlich wahrnehmbar behauptet werden können, einem diesbezüglichen Positivismus vergleichsweise unvermittelt anbietet, scheint sich ihm die Sprache zu entziehen. (Dieser Positivismus kann in der Dichtung nur partiell sein.)

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Der Kampf zwischen zwei antagonistischen Tendenzen oder Kräften in der Dichtung, zwischen einer analytischen und einer synthetischen, der von jener sprichwörtlichen Wolke aus behauptet werden kann, zeigt sich darin, dass diese Kräfte oder Tendenzen in Bezug auf jenen Positivismus dazu neigen, das Kind der Poesie auf verschiedene Weisen mit dem Bad auszuschütten. Die analytische Tendenz oder Kraft schüttet das Kind mit dem Bad aus, indem sie die Analyse auf das sinnlich Wahrnehmbare beschränkt, und zugleich das sinnlich Wahrnehmbare beziehungsweise die darauf beruhenden Spielregeln zum Angelpunkt ihrer Poetik macht und damit zum Zentrum ihrer dichterischen oder lesenden Aufmerksamkeit. Das aber, was an Dichtung nicht sinnlich wahrnehmbar ist und einer gleichartigen Analyse nicht unterworfen werden kann, lässt sie vergleichsweise ungeordnet beziehungsweise stellt es hintan.
Die synthetische Tendenz oder Kraft dagegen behauptet die mit den Sinnen wahrnehmbaren und also ohne weiteres analysierbaren Seiten der Sprache als oberflächlich und will deshalb von auf eine solche Analyse bezogenen Spielregeln wenig wissen. Sie, für die jede Dichtung über alles Geregelte hinausgeht, unterzieht aber auch keineswegs die grammatikalische oder die semantische Seite der Sprache oder gar nicht-sprachliche Gegenstände oder Ereignisse einer Analyse. Sie schüttet das Kind insoferne mit dem Bad aus, als sie sich - gleichsam über die Sprache hinweg - gerade von selbstverständlich als so und so vorhanden gedachten Dingen oder Ereignissen leiten lässt, die (jedenfalls zufolge der üblichen Begriffe) nicht zur Sprache selbst gehören.

2

Der (lyrischen) Dichtung bieten sich - im Unterschied zur Musik, da alle musikalisch relevanten Parameter als sinnlich wahrnehmbar behauptet werden können - nur die sinnlich wahrnehmbaren Aspekte der Sprache wie selbstverständlich als Gegenstand einer Analyse an und als Ausgangspunkt für das Aufstellen von Spielregeln.
Fussend auf einer solchen Analyse liegen bestimmte prädeterminierende Regeln auf der Hand: etwa jene, die zu Reimen, Anagrammen, Palindromen, Vers- und Strophenformen führen, aber auch zu Metren beziehungsweise Rhythmen.

Ein guter Teil von Oskar Pastiors Werk stellt solche Regeln und das ihnen gemässe Spiel ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Nicht zufällig hat Pastior ein Buch aus Sestinen (Die kleine Kunstmaschine), ein Buch aus Sonetten (Sonetburger), eines aus Palindromen (Kopfnuß/Januskopf) und eines aus Anagrammen (Anagrammgedichte) veröffentlicht. In Vokalisen und Gimpelstifte gibt es eine Reihe von Gedichten, in denen jeweils nur ein einziger Vokal oder Diphtong vorkommt (zum Beispiel: ABAKADABRA, NACHMALS / tartar, nachmals kandahar- / kardan...). Und vergleichbar rigorose Spielregeln kann man auch noch in anderen seiner Werke finden.
Es ist aber nicht nur so, dass solche Regeln und das ihnen gemässe Spiel im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, sondern sie sind auch, was diese Dichtungen wesentlich ausmacht und damit auch das, wodurch wesentliche Aspekte ihrer Bedeutung beschrieben werden könnten. Von meiner metaphysischen Wolke aus gesehen, von der idealtypischen Beschreibung zweier antagonistischer Tendenzen oder Kräfte aus, folgt Pastiors Werk diesbezüglich der analytischen Tendenz. Da die Spielregel Palindrom jene ist, die am stärksten determiniert, wird das in Kopfnuß/Januskopf am deutlichsten. Hier dominiert die Regel so sehr, dass in den meisten Gedichten alle anderen Aspekte oder Parameter vergleichsweise unwichtig werden; insbesonders Grammatik und Semantik und damit auch alles, was als Gegenstand oder Ereignis behauptet werden kann, müssen sich in hohem Maß dieser strengen Regel fügen.
Doch auch dort, wo es schwerer fallen mag oder nicht sinnvoll möglich ist, solche Spielregeln anzugeben, ist es vor allem die sinnlich wahrnehmbare Seite der Sprache, von der Pastior ausgeht. Besonders deutlich wird das in Der Krimgotische Fächer, in einem Buch, das aus zu Neologismen zusammengeballten Reminiszensen an verschiedene Sprachen besteht, alle, wie Pastior schreibt, vor einem mittleren indo-europäischen Ohr. Aber auch in Wechselbalg, den Bänden Vokalisen & Gimpelstifte und Lesungen mit Tinnitus - beide kündigen nicht von ungefähr ihre Klang-Bestimmtheit schon im Titel an - ist vor allem das Ohr der Ausgangspunkt der Gedichte.
So sind es oft "falsche" Etymologien, Kalauer, Versprecher oder Ver-leser, die von einem Wort zum nächsten führen (ich gräne mir die augen aus dem zopf, aus Lesungen mit Tinnitus); es sind auch metrische oder rhythmische Muster, und überhaupt bekannte Tonfälle - von Abzählreimen, Kinderliedern bis zu mehr oder weniger geläufigen literarischen Vorlagen, die den Text bestimmen; und besonders häufig sind es auch verballhornte Redewendungen (Werden die Scheren im Himmel geschlossen, handelt es sich um Sandsturm, aus Wechselbalg), welche erst alles andere, insbesonders aber die Bedeutungen, den sprachlichen Sinn, nach sich ziehen. Also wuchert dieser Sinn, schiesst an jedem Punkt eines Pastiorschen Texts in so gut wie alles mögliche Kraut.

Ob Regeln, die auf dem sinnlich Wahrnehmbaren der Sprache beruhen, vorgegeben sind, ob man sie leicht aus seinen Texten extrahieren kann oder nicht: in Pastiors Werk herrscht etwas vor, das man Sinn-Freiheit oder Sinn-Anarchie nennen kann. Und das nicht nur, wenn man die Kriterien des üblichen Sprachgebrauchs anwendet, sondern auch dann, wenn man die semantischen Freiheiten zum Maßstab macht, die sich die lyrische Dichtung normalerweise nimmt.
In dieser Hinsicht erfüllt sein Werk auch ein zweites Moment dessen, was ich als analytische Tendenz oder Kraft bezeichnet habe: Wenn man annimmt, es gibt in Pastiors Dichtung auch Momente, die diese wesentlich ausmachen beziehungsweise Wesentliches über sie aussagen, aber nicht auf die Analyse der sinnlich wahrnehmbaren Seiten der Sprache zurückgeführt werden können, dann entziehen sie sich ihrer Beschreibung als Regelhaftes.

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Jene Sinn-Freiheit oder Sinn-Anarchie zeigt sich in Pastiors Werk darin, dass es die Gewohnheiten des Sinnbildens zitiert, persifliert oder parodiert, bis zu dem Punkt, da das Sinnbilden, das Bedeutung-Zusprechen selbst das wird, was als leere Konvention nicht mehr ernstgenommen werden kann, sondern nur mehr imitiert.
Pastior selbst drückt das einmal so aus: "Diese Schwierigkeit, drüber zu reden, ist vielleicht der gleiche Motor, der mich getrieben hat, die Lieder & Balladen [das ist der Krimgotische Fächer] zu schreiben. Nicht "über" etwas reden, sondern einfach reden. Tun als ob man rede. Das Reden imitieren. Darum auch die bewußte Intonation, wenn ich laut vorlese: Staunen, Frage, Antwort, Zögern, Zweifel, Einverständnis - die ganze Regie, die es dann "tiefsinnig" erscheinen lässt..."
Dieses Unterlaufen des Sinnbildens kann verschiedene Formen annehmen.
So wird in Pastiors Texten häufig ostentativ gegen die Logik und/oder Grammatik und/oder Semantik verstossen: Ich bin ein Gegenteil von Bin. Bin ist/ ein Gegenteil von ist. Ein Gegenteil ist/ ein Teehaus von mir... (Aus dem Band Wechselbalg, dem Gedicht Frescobaldi).
Die Verstösse gegen Logik, Grammatik, Semantik können sowohl horizontal ausfallen - widersinnige Schlüsse; falsche Definitionen; ein wiederkehrendes Muster, zentral etwa für das Buch Höricht - als auch vertikal - Durcheinanderwürfeln der verschiedenen Ebenen der Bezugnahme: Sprache über die Dinge, Sprache über die Sprache, Sprache über die Sprache über die Sprache usw. (besonders deutlich in Gedichtgedichte). Die Verstösse gegen das semantisch Gewohnte zeigen sich auch in den häufigen Kombinationen von Konkreta und Abstrakta, zum Beispiel: zieht aus hosenträger klausel, oder: deut schlottert überposition (beides aus Vokalisen & Gimpelstifte).
Auch die in Pastiors Werk häufigen Listen von einander fernliegenden, ja normalerweise ausschliessenden Dingen, Listen aus Kraut und Rüben sozusagen (es paart/ eilbrief, epheu, maillot, wetzlar, mai, mief, theseus, scheintod, festmahl, aus Vokalisen & Gimpelstifte) können als Verstösse gegen semantische Plausibilität verstanden werden, nähren sich jedenfalls von dem Kontrast zu dem, was normalerweise zusammen aufgelistet wird, weil es unter bestimmte Kategorien von Dingen oder Beziehungen fallen soll.
Allen Formen des Unterlaufens des Sinnbildens ist so etwas wie ein Humor des Absurden oder Widersinnigen gemeinsam. Mutwillig werden da die Gesetze des Denkens auf die Schaufel genommen, aber auch das Gewicht der Welt, das auf jenen Gesetzen deshalb wie selbstverständlich lastet, weil sie auf die Welt (erfolgreich) angewendet werden. Es ist eine poetische Atmosphäre, die manchmal an Arp, dann wieder an Morgenstern erinnert.

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Ein Moment dessen, was ich als analytische Tendenz oder Kraft charakterisiert habe, lautet: In einer Dichtung kann zwischen dem, was Spielregeln folgt, und dem, was ihnen nicht folgt, deutlich unterschieden werden. Dieses Moment zeigt sich nicht nur in Pastiors poetischem Werk selbst, sondern auch in seinen Reflexionen zu diesem Werk; in der Art und Weise, wie er über jene Aspekte der Sprache spricht, die nicht durch Spielregeln geordnet werden können, die auf dem sinnlich Wahrnehmbarem der Sprache beruhen.
In seinen Frankfurter Vorlesungen kommentiert Pastior eine Sestine, die Lichtenberg-Wörter gebraucht: "Fragen Sie jetzt aber nicht, nach welchen Kriterien ich meine Lieblingswörter und -Wendungen in Lichtenbergs Auktionstext fand und zusammenklaubte; Sympathie braucht keine Begründung. Jedenfalls "brauchte" ich 6 für die sich wiederholenden Reimwörter, alle übrigen für das gesamte Fleisch der Strophen und den dreizeiligen Abgesang."
So wird eine Dichotomie zwischen Geregeltem und Ungeregeltem deutlich, die auf der einen Seite die strenge Regelung zur Erzeugung von sprachlichen Oberflächenstrukturen finden lässt (in diesem Fall jene zur Erzeugung von Sestinen), auf der anderen Seite aber nur die Sympathie, die man nicht zu begründen oder zu ergründen braucht, die das Ungeregelte schlechthin ist. Und wohl auch deshalb dominiert in Pastiors Werk ein Geist, der alles, was über Poesie spricht und zugleich nicht über handhabbare Regeln, selbst für unwillkürliche Dichtung in seinem Sinn hält. Es ist ein Geist, der sich vor allem darin zeigt, dass Pastior auch dann, wenn er dazu ansetzt, etwas zu erklären, etwas zu beschreiben oder einen Gedanken auszudrücken (etwa in Das Unding an sich, seinen Frankfurter Vorlesungen), über kurz oder lang über den Klang oder das Bild eines Wortes stolpert, so als ob alles Erklären oder Denken immer in der Demonstration seiner sprachlichen Bedingungen enden müsste, oder so, als ob die Wahrheit dieser Erklärungen oder Gedanken in ihrer klanglichen und schriftlichen Gestalt zu finden wäre.

Wo Pastiors Werke diese Kritik verdienen, da, wo allzu sehr das sinnlich Wahrnehmbare der Sprache zum Zentrum der dichterischen Aufmerksamkeit wird, während die anderen Parameter des Poetischen entsprechend hintangestellt werden, da schüttet er auch das Kind der Poesie mit dem Bad aus. Dort folgt er der einen, der analytischen, der beiden Tendenzen und Kräfte allzu selbstverständlich, dort passt meine idealtypische Beschreibung dieser Tendenz oder Kraft allzu gut.
Gemessen an der seriellen Musik, in der alle wesentlichen musikalischen Parameter systematisch aufeinander bezogen werden, ist eine Dichtung wie die Pastiors eine, die sich, wenn sie sich überhaupt Regeln unterwirft, auf die Regelung jener sprachlichen Parameter beschränkt, die sinnlich wahrnehmbar sind (Klang, Buchstabe, Metrik beziehungsweise Rhythmus), während es andere, für die Dichtung wesentlichen Parameter (Grammatik, Semantik, und vor allem das, was als nicht-sprachlicher und gegenständlicher Bezug jeweils denkbar ist) in hohem Maß entweder der augenblicklichen Sympathie, dem Zufall und seiner Laune überantwortet oder, wie Pastior selbst es auch manchmal sieht, dem Wirken, dem Genie der Sprache selbst. So treffen das prädeterminierend Geregelte und das, was sich so klarer Regelung entzieht, häufig unmittelbar und unvermittelt aufeinander.

3

Dass in Pastiors Dichtung einerseits grosses Gewicht auf Regeln gelegt wird, die auf dem sinnlich Wahrnehmbaren von Sprache beruhen, andererseits aber das vergleichsweise Regellose beziehungsweise Unregelbare dominiert, hat mehrere voneinander abhängige Hintergründe, die in die philosophischen und ästhetischen, poetologischen und literaturhistorischen Bereiche führen, aus denen sich Pastiors Poesie speist.

Einer dieser Hintergründe entspricht einer bestimmten ästhetischen Haltung, die sich so umschreiben lässt: Die Form, die zum Beispiel durch Laut oder Buchstabe, beziehungsweise durch Reim, Anagramm, Palindrom, Sestine, Sonett usw. gegeben ist, aber auch durch Metrik beziehungsweise Rhythmik, bestimmt den Sinn nicht nur wesentlich, sondern ist selbst eine Art von Sinn, der auch ein sinnvolles Verhältnis zwischen ihm und anderem Sinn (etwa grammatikalischem, semantischem, gegenständlichem) garantiert.
In manchen von Pastiors Arbeiten (insbesonders den Palindromen und Anagrammen) zeigt sich für mich etwas von der Gefahr, die darin besteht, das konstruktive Teilhaben von Form an Sinn und Sinn an Form einfach als gegeben anzunehmen. Weil die Form selbst eine Art von Sinn sein und zugleich Sinn garantieren soll, wird die Dominanz von Spielregeln wie Palindrom oder Anagramm nicht hinreichend eingeschränkt. Und gerade insofern können die anderen Parameter oder Aspekte der Poesie nicht als eigenständige Kräfte behandelt werden. Der Spielraum jenes Sinns, der nicht auf Laut oder Buchstabe beruht, geht gegen unendlich, und ein differenziertes Zusammenspiel aller Parameter, die für die Poesie wesentlich sind, kann nicht stattfinden.
So ist - was die nicht sinnlich wahrnehmbaren Aspekte der Sprache angeht - alles (oder jedenfalls zu vieles) gleichermaßen möglich, und das nimmt den einzelnen, tatsächlich verwirklichten Sinnbildungen zu viel von ihrem Gewicht. Die Sinn-Hintergründe und -Vordergründe, die Hierarchien des Sinns (nicht dass die unabhängig vom einzelnen Text vorgegeben sein müssten!) tendieren dazu, in ein undifferenziertes oder beliebig differenzierbares Einerlei überzugehen. Es ist ein Einerlei, vor dessen Hintergrund etwa die buchstäblichen oder lautlichen Spielregeln oder überhaupt die sprachlichen Oberflächen hervortreten und mit ihnen auch die Kluft zwischen Geregeltem und Ungeregeltem.
Geschieht das aber, dann wird auch der vorab angenommene Zusammenhang von Form (als Sinn) und (anderem) Sinn beliebig. Er wird zu einer Selbstverständlichkeit oder auch Trivialität, während er doch, wie ich glaube, etwas ist, das in jedem literarischen Text erst gewonnen werden sollte, geradezu hervorgebracht. Eine notwendige oder als notwendig erscheinende Beziehung zwischen diesen Momenten wäre nicht einfach vorauszusetzen, sondern erst das Ziel jeder Dichtung. Wenn dem so ist, muss man dann aber nicht annehmen, dass der Sinn der Form und anderer Sinn sehr wohl keinen Zusammenhang haben können? Oder, anders: Wenn man den Zusammenhang zwischen dem Sinn der Form und anderem Sinn als von vornherein gegeben annimmt, muss man dann nicht auch annehmen, dass es sowohl äusserliche oder zufällige Zusammenhänge gibt als auch notwendige, innere sozusagen, und dass die Literatur, eben um sie selbst zu sein, auf diese notwendigen Zusammenhänge aus sein muss? Und wenn der notwendige Zusammenhang von Form (als Sinn) und (anderem) Sinn erst das Ziel jedes literarischen Texts ist, das Ergebnis eines Prozesses, sind dann wirklich alle Form- Inhalt-Diskussionen fruchtlos beziehungsweise alle Dichotomien unsinnig, wie Oskar Pastior in seinen Frankfurter Vorlesungen schreibt?
Mag auch jeder Anfang eines poetischen Texts einem Würfelwurf gleichen und insoferne zufällig sein, so wäre aus einem solchen Mallarméschen Würfelwurf des zufälligen Anfangs im Verlauf des Texts doch eine Notwendigkeit zu machen oder wenigstens ihr Anschein (so wie es eben zum Beispiel in Mallarmés Werken geschieht). Manche von Pastiors Texten jedoch bestehen vor allem darin, dass sie jenen Würfelwurf ständig nur wiederholen; sie bestehen aus einer Reihe von Anfängen oder Zufällen. Nicht von ungefähr ist der Kalauer, der Sinn-Zusammenhang allein auf Grund einer zufälligen klanglichen Übereinstimmung stiftet einer seiner bevorzugten poetischen Mittel. Aber reicht es denn, sich mit einem solchen Zusammenhang zufrieden zu geben, der eine vielleicht selten bedachte Verbindung schafft? Ist ein Zusammenhang, der der Dichtung wert ist, zwischen dem Philosophen Leibniz und den Leibniz-Keksen - Pastior in seinen Frankfurter Vorlesungen - damit gestiftet, dass sie beide denselben Namen tragen? (Dieser Zusammenhang wäre, paradoxerweise, nur dann nicht zufällig, sondern notwendig, wenn sich mit ihm gerade die Zufälligkeit oder Äusslichkeit eines Zusammenhangs zwischen Klang und Sinn zeigen sollte; doch diese Zufälligkeit selbst ist vielleicht ein Thema der Arbeiten Pastiors, keineswegs aber das einzige oder wichtigste; es kann nicht alles Beliebige und Zufällige in seinem Werk rechtfertigen.)

*

Um zu erklären, warum in Pastiors Werk jener Prozess häufig nicht hinreichend stattfindet, dessen Ergebnis erst eine notwendige Beziehung zwischen Form - verstanden als Sinn der sinnlich wahrnehmbaren Seiten der Sprache - und den anderen Aspekten von Dichtung wäre, sei versucht, einen weiteren Hintergrund von Pastiors Schreiben zu erhellen (und dabei auch wiederum die Entwicklung der Literatur von jener sprichwörtlichen Wolke aus betrachtet).
Die moderne oder modernistische Literatur enthält bekanntlich eine starke Tradition von Sprachkritik. Beispiele für sie sind Hugo von Hofmannsthals Lord-Chandos-Brief, die dadaistischen Frontalangriffe auf den Sinn, Helmut Heissenbüttels Darstellung der Subjekt-Objekt-Grammatik als klassenspezifisches Herrschaftssymptom und die verschiedenen und verschiedenartigen Zweifel an tragenden literarischen Konventionen wie an jenen der literarischen Gattungen, aber auch an Figur, Handlung, Ich oder - vor allem, was die lyrische Dichtung angeht - an rhetorischen Figuren wie der Metapher. Häufig also regte sich, natürlich im Zusammenklang mit vielen anderen kulturellen Erscheinungen, Widerstand gegen den überbrachten Sinn, ja häufig wurde der Versuch unternommen, die als dem Tod geweiht empfundenen Sinn- Traditionen zu stürmen. (Manchmal so, als wäre Tradition per definitionem tote, zum Klischee verkommene Konvention.) Diese Sprachkritik ging und geht Hand in Hand mit der entsprechenden Philosophie (von Mauthner bis Wittgenstein), einer Philosophie, die sich gegen jeglichen philosophischen Idealismus wendet und zum guten Teil positivistisch inspiriert ist.
In einer Bemerkung, die sowohl nominalistischen als auch positivistischen Hintergrund hat, drückt das Pastior selbst so aus: "Nein, es gibt keine allgemeine Grammatik - jeder Text schafft sich seine eigene."
Den Zusammenhang seiner Arbeit mit jener sprachkritischen Tradition macht Pastior auch in einigen Bemerkungen explizit, in denen er seine Poesie als Widerstand gegen den für ihn in der Sprache inhärenten Idealismus oder Platonismus bezeichnet, während er zugleich doch auch den Aspekt der Sprache erkennt, der diesen Widerstand in einem Dilemma münden lässt: "Meine Verzweiflung: ich durchschaue das Unwesen abstrakter Begriffe, messe mich aber, indem ich denke, an ihnen; die Sprache, nicht der Sprecher, entwickelt ständig, spontan, in einem fort philosophischen Idealismus - es gibt kein materialistisches Denken."
Eine ähnliche Haltung bezeugt Pastior auch in einer Bemerkung in dem (von Klaus Ramm herausgegebenen) Lesebuch Jalousien aufgemacht: "Das sind nun wieder Bilder, heillose Literatur aus dem Bild von der Sprache als Über- und Unterordnung, mit den Hierarchien und Nebensätzen und ihrem vermeintlichen Realismus. In den Registern finde ich mich noch unversehrt, also parataktisch, beigeordnet vor. Die Chancen, ohne Unter- bzw. Überordnung in dieser Sprache, die es ja gibt, auszukommen, sind zwar gering, aber, solange es Personen-listen gibt, irgendwie offen." In diesem antiplatonistischen Zusammenhang folgerichtig, spricht sich Pastior auch einmal gegen alle Gattungstrennungen aus.
So sind im Sinn eines solchen Positivismus und Anti-Idealismus nicht nur die nicht-hierarchische Form der Liste für Pastior so wichtig, sondern eben auch die sinnlich wahrnehmbaren Aspekte von Sprache, die, um ihrer Vor- oder Nachbegrifflichkeit willen, gegen den Sinn, dieses ideale und notwendig hierarchisierende Phänomen, ins Treffen geführt werden können.
Und dieser Zusammenhang von Sprachkritik beziehungsweise Positivismus oder Anti-Idealismus mit Pastiors Werk kann auch durch einen weiteren philosophischen und literaturästhetischen Hintergrund erhellt werden.
Rudolf Carnap, einer der Philosophen des Wiener Kreises, hat ein empiristisches Sinnkriterium formuliert, dem zufolge alle metaphysischen Sätze, insoferne sie nicht verifizierbar sind, sinnlos sind. Diesem Kriterium nach werden ihm alle metaphysischen Philosophen zu unfreiwilligen Künstlern, die einen falschen Begriff davon haben, was sie tun, wenn sie Metaphysik treiben, und denen die Begabung dazu fehlt, tatsächlich Kunstwerke herzustellen.
Wie seltsam, aber auch wie folgerichtig, dass ungefähr zur gleichen Zeit in der Poesie selbst Bewegungen entstanden, die man durchaus in engem Zusammenhang mit jenem rigiden Carnapschen Sinnkriterium lesen kann. Es sind Bewegungen - wie der Dadaismus, aber auch, etwas verspätet, die modernistische oder experimentelle Literatur der fünfziger und sechziger Jahre -, die jegliche sprachliche Form als sinnvoll unterstellen und damit die Möglichkeiten literarischer Sinnbildung auf die Spitze treiben, so als könnte auch die Literatur selbst - wie nach Carnap jede Metaphysik - das Bilden von Sinn nur imitieren, parodieren. Als ob diese Literatur die Mechanismen der Sinnbildung, denen sie sich genauso wie jede Metaphysik verdankt, damit blosstellen wollte (und die von Pastior selbst einbekannte diesbezügliche Neigung wurde schon erwähnt), dass sie das Sinnbilden im doppelten Sinne des Wortes vorführte, etwa dadurch, dass sie gerade solche Sätze wie Cäsar ist eine Primzahl bildet, die für den Positivismus des Wiener Kreises als Beispiele für zweifellos unsinnige Sätze herangezogen wurden. Es ist, als ob ein Zusammenhang zwischen unkonventioneller Sinnbildung, Metaphysikkritik und der Frage nach dem Verifizierbaren diese Literatur mitformte: Wenn alle Metaphysik nicht verifizierbar ist und insofern Unsinn, Metaphysik aber auch unbeabsichtigte Kunst, dann sind die Künste, insbesonders die Literatur, auch eine Art von Metaphysik (die höchste Form von Metaphysik, wie noch Nietzsche behauptet) und damit aber nicht nur nicht verifizierbar, sondern auch - wenigstens als Form von Erkenntnis - Unsinn, welche Weisen des Sinnbildens die Literatur auch wählen mag, seien sie nun konventioneller oder weniger konventionell. Und also macht es nur dann einen Unterschied, der zählt, welche Formen der Sinnbildung man wählt, wenn man tatsächlich Wissenschaft treibt, also auf Verifizierbares aus ist.
Wenn ich mich nun wiederum frage, warum in Pastiors Werk der Prozess zwischen den Momenten Form (als Sinn) und (anderem) Sinn manchmal nicht hinreichend ausgetragen wird, dann lautet eine Antwort hier: Vor dem Hintergrund jener Sinnkritik des Positivismus, der Sinn von Verifizierbarkeit abhängig macht, steht es nicht dafür, das notwendig metaphysische Sinnbilden in der Literatur ernstzunehmen. Und dieses notwendig metaphysische Sinnbilden wird vor allem mit der grammatikalischen und der semantischen Seite der Sprache identifiziert. Um also das ständige spontane Entwickeln von philosophischem Idealismus und damit auch von Metaphysik zu unterlaufen, ordnet man dieses Sinnbilden gleich dem unter, was - jenem Positivismus entgegenkommend - an der Sprache sinnlich wahrnehmbar ist. Und gerade deshalb begreift man die Einheit von Form und Sinn formal, nämlich als im Begriff der Literatur enthalten, und stellt das spezifische Gewicht der jeweils einzelnen Sinnbildungen im Namen dieser vorgegebenen Einheit hintan.

Dass Pastiors Dichtung im Horizont von Metaphysikkritik und Positivismus beziehungsweise Anti-Idealismus stattfindet, zeigt sich auch in seinem seltsamen Versuch, sein eigenes Schreiben im Gegenzug (und im Handstreich) als eine Art von Naturwissenschaft zu begreifen: Wenn für den Positivismus die Dichtung sinnlose Metaphysik ist, da an ihr nichts verifizierbar sei, dann dreht Pastior den Spiess um und behauptet: das Dichten selbst ist Wissenschaft, nämlich Experimentalphysik, oder aber: die Experimentalphysik ist sprachlich (was immer das bedeuten mag), ja, eine Art Poesie.
Wiederholt jedenfalls vergleicht Pastior physikalische Experimente mit seiner sprachlichen Arbeit. Zum Beispiel in seinen Frankfurter Vorlesungen: "[...] immer mehr klärt sich, daß die gesamte Experimentalphysik grundsätzlich eine sprachliche ist. Allein der Konjunktiv - welche Versuchsanordnung." Ein anderes Mal spricht Pastior von der Hoffnung, dass die guten poetischen Texte der naturwissenschaftlichen Erkenntnis immer eine Nasenlänge voraus sind. Wenn ich ihn hier richtig verstehe, dann bezieht sich diese "Physik" und dieses "wissenschaftliche Experimentieren" innerhalb des Dichtens darauf, dass zum Beispiel Anagramme und Palindrome Funde zu Tage fördern, etwa einen wie Kopfnuß/Januskopf (der Titel des Palindrombandes selbst). Doch ist Pastior klar, wie wenig sein Schütteln des anagrammatischen oder palindromischen Siebs, wie wenig das, was als Fund in ihm hängen bleibt, mit den Ergebnissen naturwissenschaftlicher Experimente zu tun hat, mit den Funden, den Entdeckungen, die dort gemacht werden? Der Unterschied besteht nicht nur darin, dass der Begriff des Experiments in den Naturwissenschaften ganz anders gefasst wird, sondern auch darin, dass jegliche Funde oder Entdeckungen in einer Naturwissenschaft nur im Hinblick auf eine bestimme Theorie interessant sind; dass sie selbst, als einzelne, überhaupt keinen Wert oder Sinn haben. - Welche Theorie aber soll sich mit den palindromischen oder anagrammatischen Sinn-Funden, die doch selbst das Ziel der Pastiorschen "Wissenschaft" zu sein scheinen, verbinden lassen?
In diesen Horizont eines Positivismus passen übrigens auch die wissenschaftlichen Metaphern, mit denen Pastior seine eigenen Arbeiten reflektierend umkreist: Es sind Termini aus der Neurologie (Synapse) aus der Mathematik (Fraktal), der Medizin (Bifurkation), der Biologie (Rhizom; Myzel) und der Physik (Entropie), also auch solche, die häufig in populärwissenschaftlichen Zusammenhängen vorkommen.

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Jene Aufwertung der sinnlich wahrnehmbaren Aspekte der Sprache fällt mit Blick auf die literarische Moderne um so leichter, als sie in Übereinstimmung mit ihr geschieht: Zum einen erscheint in dieser Tradition das sinnlich Wahrnehmbare als das positiv Gegebene und insofern Verlässliche, zum anderen, und manchmal im Widerspruch dazu, auch als ein Ort der Freiheit, der Unschuld; dann wird es, in einer Art von Sprach-Rousseauismus, als wilder, paradiesischer Ort dargestellt. Für Raoul Hausmann etwa ist es ein Ort, von dem eine alles regenerierende gesellschaftliche Revolution ausgehen soll, für Hugo Ball ein mystischer Ort, ein schöpferischer Ursprung der Welt. Jedenfalls lässt jene Aufwertung den semantischen Sinn zum Schein werden, zum Uneigentlichen oder Täuschenden der Sprache. Der Sinn wird bestensfalls zur angemessenen Metapher für das tatsächlich Präsente, eben für das sinnlich Wahrnehmbare selbst. (Das ist einfach die Umkehrung des Gewohnten, das auch allzu selbstverständlich für angemessen gehalten wird.) Wenn in Pastiors Werk das Gesellschaftsrevolutionäre auch fernliegt, so ist in ihm doch etwas von der Vision eines paradiesischen (Sprach)Zustands zu spüren. Und aus dieser Quelle speist sich wohl das manchmal übersprudelnd Fröhliche, der leichtsinnige semantische Weltuntergang, das leichtfertige und heitere Vorführen der Metaphysik im Augenblick ihres Sturzes (Adorno), das seine besten Texte auszeichnet. Und in seinen Frankfurter Vorlesungen sagt es Pastior selbst (auch wenn sich der positivistische Zug mit der Metapher von der hymenoplastischen Operation in das zweifelnd anvisierte Paradies mischt): "[...] ein naives Modell, womöglich, einer ursprünglichen Unschuld, dem ich da anhänge, zweifelnd anhänge; als sei eine Paradiesessprache doch noch machbar, wiederherstellbar durch hymenoplastische Operationen am Sprachleib der Erkenntnis, am Erkenntnisleib der Sprache."

Nein, ich übersehe und überhöre nicht das, was die Konzentration auf Buchstaben oder Laut, aber auch die semantische Freiheit oder gar Anarchie auslösen können; ich will nicht leugnen, dass damit Vergügen, Lust und eine Art von Befreiung von den üblichen Wahrnehmungszwängen, auch von Sinn-Wahrnehmungszwängen verbunden sein kann (wie es, ein allerdings zum Klischee verkommener, modernistischer Rezeptionstopos will). Und auch für meine Begriffe gibt es einige Arbeiten Pastiors, vor denen meine Einwände, wenn überhaupt etwas, dann sehr wenig zählen: Fleischeslust etwa, aber auch die Petrarca-Übertragungen und auch manche der Gedicht-Gedichte.)
Und dennoch ist es die selbstverständlich positive Bewertung des sinnlich Wahrnehmbaren und jener semantischen Anarchie oder Freiheit, die zu meiner Kritik an Teilen von Pastiors Werk führt. Ist diese Kritik gerechtfertigt, dann zeigt sie vielleicht, dass auch die literaturgeschichtliche Zeit vergeht. Denn dann ist es auch diese Vergänglichkeit, die in Pastiors Werk aus dem einst genuinen kunstrevolutionären oder mystischen Impuls ein manchmal allzu harmloses Vergügen macht, das Vergügen, in einem sprachlichen Schlaraffenland die Lust am Sprachoralen zu befriedigen, ein Vergnügen, das nicht selten regressive Züge hat und manchen seiner Texte auch so etwas wie humorige Munterkeit verleiht, eine etwas forcierte Lustigkeit, einen Zug von schmunzelnder Blödelei oder gar von verbosem Leerlauf.

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Allerdings - und damit schränke ich meine Kritik an dieser oberflächlichen Lust oder Lust an der (Sprach)Oberfläche ein und berühre einen weiteren literaturhistorischen Hintergrund der Texte Pastiors - diese Art von Umgang mit dem Material der Dichtung, also mit der Sprache, ist heute nicht nur unüblich, sondern das Gewicht eines solchen Umgangs ist von der meisten Literatur nach 1945 nie angemessen empfunden und literarisch fruchtbar gemacht worden. Im Zusammenhang mit einer durchaus mangelhaften und provinziellen Rezeption des Modernismus und mit der entsprechenden Literaturgeschichtsschreibung - vielleicht sind deshalb grosse Teile der gegenwärtigen Literatur und ihrer Rezeption nicht nur "postmodern", sondern zugleich auch prämodern - ist das, was an Sprache diese Lust bereiten kann, hintangehalten worden. So herrschte und herrscht eine einseitige Ablehnung der sprachlichen Oberfläche; Klang und Schrift wurden und werden nicht hinreichend als eigenständige sinnformende Parameter wahrgenommen. Die Analyse des sinnlich Wahrnehmbaren der Sprache und das Aufstellen von Spielregeln, die auf einer solchen Analyse fussen, wird kaum betrieben, im Gegenteil mit Misstrauen betrachtet, ja als Labordichtung und (falscher) Avantgardismus denunziert. Im Sinn jener Tendenz oder Kraft, die ich der analytischen gegenüberstelle und synthetisch nenne, wurde und wird die sinnlich wahrnehmbare Seite der Sprache und die Regeln, die auf deren Analyse beruhen, als etwas empfunden, das die Poesie nicht wesentlich ausmacht beziehungsweise nichts Wesentliches über sie aussagt. Man beruft sich dafür auf alles an der Sprache, was nicht sinnlich wahrgenommen werden kann, vor allem auf das, was als jenseits der Sprache angenommen wird: nämlich auf deren - zumeist philosophisch bewusstlos unterstellte - Gegenstände oder Zusammenhänge. Und damit nimmt man zugleich selbstverständlich an, dass die Spielregeln, die auf einer Analyse des sinnlich Wahrnehmbaren an der Sprache beruhen, einem Verstehen unterzuordnen sind, das sich in erster Linie auf solche jenseitigen Dinge oder Zusammenhänge bezieht.

Sehr bezeichnend - und auch Stoff für eine Einsicht von meiner metaphysischen Wolke aus - sind hier Auseinandersetzungen, die schon in den fünfziger und sechziger Jahren zwischen häufig als avantgardistisch oder experimentell klassifizierten Schriftstellern und anderen, gemässigt modernen, stattgefunden haben. Eine dieser Auseinandersetzungen ist in den Akzenten 1/1961 dokumentiert. Dort findet sich ein Aufsatz von Günter Grass, in dem er schreibt: "Jedes gute Gedicht ist ein Gelegenheitsgedicht. Jedes schlechte Gedicht ist ein Gelegenheitsgedicht; nur den sogenannten Laborgedichten ist die gesunde Mittellage vorbehalten: nie sind sie ganz gut, nie ganz und gar schlecht, aber immer begabt und interessant." Die dann folgende Beschreibung seiner eigenen dichterischen Methoden ist bezeichnenderweise nichts anderes als eine ins Alltägliche und Selbst-Ironische heruntergestimmte Variante des Glaubens an das Genie und den Einfall: "Sobald ich das Gefühl habe, es liegt wieder mal ein Gedicht in der Luft, vermeide ich es streng, Hülsenfrüchte zu essen und fahre oft, obgleich mich das teuer zu stehen kommt, sinnlos sinnvoll mit dem Taxi, damit sich jenes in der Luft liegende Gedicht löst..."
In derselben Nummer der Akzente ist eine Diskussion aufgezeichnet (zwischen Günter Grass, Walter Höllerer, Franz Mon, Helmut Heissenbüttel, Peter Rühmkorf, Harald Hartung und dem Publikum). In ihr wendet sich Grass gegen das, was er als serielle Dichtung bezeichnet. Gemeint ist damit nicht unmittelbar ein Gegenstück zur seriellen Musik, denn die Rede ist nicht davon, dass die einzelnen Parameter in einer solchen Dichtung analysiert und dann determinierende Regeln aufgestellt werden, welche die Elemente der Analyse verknüpfen sollen und dann auch die Parameter selbst, sondern die Rede ist von Dichtung, die in Serien hergestellt wird, so dass in einer Reihe von Texten jeder für jeden anderen stehen kann. Aber zwischen dem Seriellen im Sinne der seriellen Musik und diesem Seriellen im Sinne einer Serie besteht doch ein Zusammenhang. Denn gerade die Analyse von sprachlichen Parametern und das Aufstellen von Verknüpfungsregeln innerhalb der Parameter und zwischen ihnen erlaubt, in einem klar abgegrenzten Spielraum verschiedene Lösungen zu suchen, Lösungen, die alle immerhin gemeinsam haben, denselben Regeln zu folgen und insofern als Serie betrachtet werden können. Mit anderen Worten: diese Analyse, dieses Aufstellen von Verknüpfungsregeln ermöglicht systematisches Arbeiten.
Auch wenn jene Diskussion diesbezüglich nicht explizit wird, so ist es doch auch dieses Systematische als Folge des Geregelten, das Grass' (und, wie sich in der Diskussion zeigt, auch Rühmkorfs und Hartungs) Misstrauen erregt und die Metapher vom Laborgedicht provoziert
. Der Einfall dagegen (als säkularisierte Variante der Inspiration), der dem Labordichten entgegengesetzt und positiv bewertet wird, ist weder analysierbar noch wiederholbar, ist er doch etwas, das einem zustösst, etwas, dem man unterworfen ist. Zugleich soll diese Unanalysierbarkeit und Nichtwiederholbarkeit bezeugen, dass die Poesie, die auf Einfällen beruht, über alles Regelhafte hinausgeht. Und so soll auch der auf solchen Einfällen beruhende Text ein Einzelstück sein, gewissermaßen ein Individuelles (also ein im Wortsinn Unteilbares oder Unanalysierbares; gleichsam das geniale Objekt als Gegenstück zu seinem genialen Erzeuger). Ganz gut oder ganz und gar schlecht kann für Grass wohl auch deshalb nur ein nicht-serielles Gedicht sein, weil ihm entweder Individuation gelingt oder eben nicht. (Tertium non datur. - In diesem Bild gibt es nichts mehr oder weniger Individuelles; hier mag auch die romantische Gleichsetzung von poetischem Text und Organismus untergründig mitsprechen.)
Doch in jener Diskussion wird deutlich, dass Grass, Rühmkorf und Hartung, die Advokaten der synthetisch genannten Kraft oder Tendenz, jeglichem Seriellen beziehungsweise Systematischen noch aus einem anderen Grund misstrauen: Das Systematische wird unmittelbar mit Materialbegriff und Analyse im positivistischen Sinn zusammengedacht, während zugleich unterstellt wird, ein solcher Materialbegriff und eine solche Analyse verhindere, dass der Text sich "konkret" auf aussersprachliche Realität bezieht. (So als ob die Buchstaben vor Augen die tausend Stäbe sein müssten, hinter denen es keine Welt gibt! Hier spielt die von mir synthetisch genannte Kraft oder Tendenz, die sich auf Dinge oder Ereignisse jenseits des Sprachlichen zu beziehen beansprucht, mit einem bestimmten Realismusbegriff zusammen, der das Konkrete=Wirkliche immer nur dort sieht, wo die Sprache nicht ist.)

Wenn auch Helmut Heissenbüttel und Franz Mon in jener Diskussion für meine Begriffe klarer argumentieren, wenn ihr theoretisches Niveau auch höher sein mag als das ihrer Kontrahenten, so ist deren Misstrauen gegen das prädeterminierende Regeln beziehungsweise gegen das Serielle oder Systematische dennoch nicht völlig sinnlos oder völlig verfehlt. Einmal abgesehen von dem auch für mich vorhandenen Zusammenhang mit dem Positivismus (aus dem ich aber andere Schlüsse ziehe) und abgesehen auch von dem einschüchternd totalitären und häufig szientifischen Gestus, mit dem bestimmte Vertreter der Avantgarde beziehungsweise der experimentellen Literatur aufzutreten beliebten (ein Gestus, der missverständlich ist und zur Polemik herausfordern musste): das Korn Wahrheit, das jenes Misstrauen enthält, besteht darin, dass ein Regelbegriff, der zu eng gefasst wird (und dazu verleiten gerade Regeln, die auf dem sinnlich Wahrnehmbaren der Sprache fussen), nicht tief genug greift. Man kann mit gewissem Recht unterstellen, dass dagegen Einfälle, Intuitionen gerade wegen ihrer Unanalysierbarkeit (und damit auch Nicht-Wiederholbarkeit) Hinweis dafür sein können, dass ein gleichsam tieferliegendes System von Beziehungen in einem Text wirksam wird. Was als Systematik explizierbar ist (und sich deshalb als Serie gleichartiger Einzelstücke zeigen kann), ist nicht nur immer gefährdet, zu oberflächlich zu regeln, sondern es zeitigt tatsächlich sehr häufig das Resultat allzu oberflächlicher Regelung.
Wenn es um Dichtung geht, dann ist eine Systematik, die sich explizieren und auf Regeln bringen lässt und zugleich die jeweilige Dichtung wesentlich ausmachen oder Wesentliches über sie aussagen soll, eben mit hoher Wahrscheinlichkeit eine, die nicht der ästhetischen Mühe wert ist. Eine solche explizierbare Systematik macht aus der Dichtung, um mit Kafka zu sprechen, eine künstliche Aufgabe, die lösbar ist, aber deren Lösung gerade wegen der Künstlichkeit der Aufgabe nicht dafürsteht; eine solche Systematik macht, könnte man auch sagen, ein Spiel aus der Dichtung, aber eines auf dem nicht mehr genug steht. Die andere Seite aber besteht - in Kafkas ausweglos-paradoxaler Zuspitzung - darin, dass, wenn auch die Lösung natürlicher Aufgaben dafürstünde, diese aber unlösbar sind, eben insofern sie natürlich sind. - Da sie gar nicht mehr sinnvoll als Spiel gemäß bestimmen Regeln begriffen werden können, können sie keinerlei Erkenntnis hervorrufen.

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Man kann aber Kafkas ausweglosem Paradoxon die Spitze abbrechen, indem man es als negative Formel einer ästhetischen Utopie für das Hervorbringen von Kunstwerken begreift, in denen das Verhältnis zwischen natürlichen und künstlichen Aufgaben erst durch die Kunstwerke selbst bestimmt wird.
Nimmt man ausserdem an, eine gleichgewichtige Entfaltung aller für sie wesentlichen Parameter sei ein Ziel der Poesie, genauso wie es ein Ziel der seriellen Musik ist - ein Ziel, das so formuliert, selbst nur ein Gleichnis ist; ein mögliches Bild für etwas; denn was gleichgewichtig wäre, das lässt sich nicht allgemein festlegen, das ist, zum Beispiel, von historischen Umständen abhängig -, und gibt man zugleich zu, dass Analyse und prädeterminiernde Verknüpfungsregeln für wesentliche Parameter einer Dichtung (wie Grammatik, Semantik und nicht-sprachliche Gegenstände) nicht gleichermaßen, ja nur in sehr verschiedenem Sinn möglich sind, dann erfahren die Begriffe der Analyse, der Prädetermination oder der Spielregel eine bezeichnende Veränderung: sie werden selbst übertragbar, enthalten alle denkbaren Möglichkeiten, sie zu begreifen. - In Kafkas Termini: sie können den ganzen Raum zwischen natürlichen und künstlichen Aufgaben enthalten.
Jene Übertragbarkeit erlaubt, den Begriff der Spielregel beziehungsweise jenen der Prädetermination nicht allein von Analysen abhängig zu machen, die - eben insofern sie das sinnlich Wahrnehmbare an der Sprache zum Gegenstand haben - relativ deutungsunabängig sind. Vielmehr wird jener Begriff auch durch die Entfaltung der Parameter bestimmt, die nur in einem weiteren oder schwächeren Sinn, nämlich im Zusammenhang mit bestimmten Deutungen, als Geregeltes analysiert werden können. Und wird damit nicht jede Beschreibung von Spielregeln beziehungsweise von Prädeterminationen - auch die Beschreibung jener, die auf sinnlich Wahrnehmbarem beruhen - zu einem Bild für einen möglichen Umgang mit dem Text beziehungsweise für eine mögliche Deutung des Texts?
Mit anderen Worten: die Ordnung, die eine tatsächliche Dichtung entdeckt oder erfindet, liegt so tief, dass jene Spielregeln oder Prädeterminierungen, die (scheinbar) klar beschreibbar sind (die die sinnlich wahrnehmbare Seiten der Sprache betreffen), und jene Regeln, die es nicht sind, aufeinander bezogen werden, nämlich in einem Prozess, der ihre Abhängigkeit voneinander so entwickelt, dass ihr Zusammenhang als notwendig erscheint und zugleich den Begriff der Spielregel beziehungsweise der Prädetermination selbst weiter und weicher fassen lässt. Der Utopie eines durch den und in dem Text sich erst darstellenden Verhältnisses zwischen natürlichen und künstlichen Aufgaben folgend kann sich also erst während des Schreibens oder Lesens beziehungsweise innerhalb einer Deutung eines bestimmten einzelnen Texts herausstellen, was in welchem Sinn als geregelt oder determiniert erscheint. Als Paradoxon formuliert: die dem ganzen Gedicht, nämlich allen Parametern und ihrem Zusammenhang zugrunde liegenden Spielregeln beziehungsweise Prädeterminierungen würden sich erst am Ende, als Resultat seines Schreibens oder Lesens herausstellen; dieses Ende wird aber nur in einem pragmatischen Sinn des Wortes erreicht, nicht aber in dem umfassenden Sinn, der im Begriff der Literatur enthalten ist.
Es ist dieses Paradoxon, das wiederum den Ort der Intuition oder des Einfalls bezeichnet. Man kann sagen (und insofern Grass rechtgeben), der Einfall sei das, was den Mangel ausgleicht, der darin besteht, dass man nicht alles (oder besser: sehr wenig) voraussehen beziehungsweise prädeterminieren kann, wenn man auf die Regeln oder Prädeterminierungen aus ist, auf die es ankäme. Und das lässt wiederum den Schluss zu, dass man, wenn man allzu viel oder gar alles voraussieht, aller Wahrscheinlichkeit nach nichts mehr voraussieht, das der Mühe des Voraussehens wert wäre.

Was aber Grass in seiner betont hausbackenen und pragmatischen Darstellung nicht hinreichend zu bedenken oder zu erfahren scheint: zum einen die Frage, ob es in der Literatur nicht überhaupt, in einem wie weiten Sinn auch immer, um Systematisches geht; ob nicht wenigstens diese Möglichkeit verfolgt werden muss, um zu Recht der Literatur den Anspruch auf Erkenntnis zubilligen zu können; und ob also eine Poesie, die sich selbstverständlich damit zufrieden gibt oder sich gar noch etwas darauf zu gute hält, über alles Regelhafte hinauszugehen, also eine natürliche Aufgabe zu sein, nicht sich selbst, ihr Bestes, genauso verfehlt wie eine, die sich mit einem allzu engen oder oberflächlichem Regelbegriff zufrieden gibt, also damit, eine künstliche Aufgabe zu sein.
Und zum anderen übersieht Grass offenbar, dass die Sprache, als das missachtete Systematische oder Künstliche, gleichsam hinterrücks zuschlägt und die angeblich jenseits des Sprachlichen konkret vorhandene Gegenständlichkeit zu einer Konvention verkommen lässt, der man gerade deshalb verfällt, weil man sich des Systematischen oder Geregelten der Sprache, ihrer Eigenmacht, nicht hinreichend bewusst ist. Grass - diesbezüglich repräsentativ für die meiste deutschsprachige lyrische Dichtung seit 1945 - steht da womöglich für jene synthetische Kraft oder Tendenz, die, auf Grund mangelnder Analyse, determinierenden Regeln folgt, ohne hinreichend davon wissen zu können.
Dichter wie Grass (und das sind die meisten Dichter) scheinen die Möglichkeit nicht zu bedenken, dass das, was sie als Einfall empfinden, durch mehr oder weniger stark vorgegebene Regel- mässigkeiten bedingt sein könnte; dass hinter dem Einfall ein bestimmtes, wenn auch unreflektiertes, in seiner Systematik nicht in den Blick gebrachtes Welt- und Sprach-Bild stehen könnte, das aber doch in den Blick gebracht werden sollte. So als ob das, was Grass euphorisch Gelegenheit und Einfall nennt, nicht gerade der Dieb sein könnte, der die Poesie ihrer selbst genau so beraubt, wie die Gelegenheiten, die Umstände oder Zwänge alltäglicher Verständigung es doch beinahe überall und jederzeit tun.

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Wenn Günter Grass in jener Diskussion einer modernen, vorgeblich nüchternen Variante des Genieglaubens folgt und die ganze Poesie dem Einfall, den Gelegenheiten, dem Nicht-Determinierbaren unterordnet, so verhält sich das bei Pastior anders und komplizierter: In seinem Werk und in seinen Reflexionen zur Poesie zeigt sich häufig ein Widerspruch zwischen der nüchternen, analytischen, quasi-positivistischen und experimentellen Behandlung der sinnlich wahrnehmbaren Parameter der Sprache und dem Glauben daran, dass die konsequente Behandlung dieser Seite allein den Anspruch an poetischem Sinn erfülle oder schon für den (vor allem für den semantischen oder für den gegenständlichen) Sinn sorgen werde. Denn in diesem Punkt ist Pastior mindestens so geniegläubig wie Grass, wenn dieses Genie jetzt auch den Namen Sprache trägt, deren zum Beispiel durch Laut oder Buchstabe hervorgerufener Eigenbewegung, deren Schalten und Walten er in hohem Maß vertraut.
Meine Kritik an bestimmten Zügen von Pastiors Werk behauptet also nicht, dass er alles in der Poesie für regelhaft hält, sondern, dass seine Poesie allzu deutlich und einfach zwischen dem Regelhaften und dem Ungeregelten unterscheiden lässt; dass in seinem Werk häufig positivistisch verstandene Analyse beziehungsweise Systematik (das Künstliche) und das Resultat des Glaubens an das selbsttätige Genie der Sprache (das Natürliche) unvermittelt aufeinander treffen oder dass - wenn die sinnlich wahrnehmbaren Parameter von Sprache nicht strengen Regeln unterworfen werden (wie zum Beispiel im Krimgotischen Fächer) - das in allzu vielen Beziehungen Ungeregelte selbst dominiert.
Ich habe schon erwähnt: diese Haltung verengt den Begriff der Regel selbst allzu sehr. Ihm eignet dann eine Wörtlichkeit, die mit dem Materiellen der Sprache zusammenhängt, eben mit dem, was jenem Positivismus gemäss als unmittelbar gegeben vorausgesetzt wird. Bestimmte Aspekte von Dichtung, etwa die Grammatik oder das Semantische, aber auch der Bezug auf Gegenständliches, erscheinen dann ohne weiteres als vergleichsweise Ungeregeltes und Unregelbares. So als ob Dichtung nicht auch diesbezüglich aufs Ganze zu gehen und jene Aspekte in ihre Konstruktion einzubeziehen hätte; so als ob nicht auch jene Aspekte wesentliche poetische Parameter darstellen sollten, selbst auf die Gefahr hin, dass nicht mehr klar ist, was Begriffe wie Analyse, Regel oder Konstruktion unabhängig von einem bestimmten Umgang mit bestimmten Texten bedeuten.
Es ist dieser allzu eng gefasste Begriff der Regel, der in Pastiors Werk die wechselseitige Übertragung der verschiedenen und verschiedenartigen Regelhaftigkeiten, die mit den verschiedenen Parametern des Dichtens verbunden werden können, nicht hinreichend erlaubt; der verhindert, dass jene Regelhaftigkeiten in ein als notwendig erscheinendes Verhältnis zueinander treten können, und der sie einander allzu äusserlich bleiben lässt.

Dennoch kann man Pastiors Literatur auch als zur Poesie gewordene Polemik oder gar als konsequente Antithese gegen die Literatur lesen, die im Mittelpunkt von Produktion und Rezeption zu stehen scheint. Pastiors Schreiben, sein grosszügiges Verwerfen (und auch Verschleudern) bestimmter Möglichkeiten differenzierter Sinnbildung, erscheint dann als eine Art Einspruch gegen die selbstverständliche Dominanz des Sinns vor der Sinnlichkeit, der angeblich selbstverständlichen Ordnung vor der angeblichen Unordnung. (Ein Widerstand, der sich in einigen Auslassungen Pastiors gegen den Realismus zeigt.) Sie ist, spezieller, als Einspruch verständlich gegen die seit 1945 dominierende Gedanken-, Erlebnis-, Stimmungs- und Gelegenheits- Lyrik, mit ihren sentimentalen und moralistischen Tief- Sinnigkeiten und ihrer aphoristisch-beschaulichen Klugheit, mit ihrem blinden Glauben an so und so gegebene nicht-sprachliche Wirklichkeiten und damit an das ontologische Gewicht des Unterschieds zwischen wörtlicher und metaphorischer Rede. Doch wenn ich nun zu Recht behaupte, dass Pastiors Poesie als Polemik oder als Antithese gegen die Literatur lesen lässt, die wie selbstverständlich im Mittelpunkt der Rezeption steht, bezeichne ich dann nicht die Schwäche mancher seiner poetischen Texte auf eine andere Weise?
Ich stelle mir vor, es wäre der Alptraum für eine Literatur wie die Pastiors, wenn sie sich als die Kehrseite der Literatur herausstellte, die sie nicht ist, gegen die sie Einspruch erhebt und die sie um keinen Preis sein will. Doch vorausgesetzt, es gibt jene metaphysische Wolke, von der aus die Literaturgeschichte betrachtbar ist, und also angenommen, die Entwicklung von Literatur lässt sich überhaupt als irgendwie geordnet beschreiben: steht dann nicht zu befürchten, dass sich eine Literatur, deren Entwicklungs-Gesetze oder wenigstens -Tendenzen nicht hinreichend beachtet oder erfahren werden, listig und doch irgendwie vernünftig rächt, indem sie ihre unter- oder hintergründigen Wege geht, einen solchen Alptraum wirklich werden zu lassen?


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