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Zusammenhang, Dunkelheit und Licht, romantisch.


© Franz Josef Czernin

Jedes Wort kann als dunkel angesehen werden und also auch das Wort Zusammenhang: In diesem Zusammenhang bedeutet Zusammenhang..., und dann fällt man ihm und sich ins Wort und nennt andere Wörter; und die sind nicht weniger dunkel und scheinen zu verlangen, dass man entweder sich und ihnen mit weiteren Wörtern ins Wort falle, oder sie auf eine Handlung beziehe, die sie zu erklären scheint.

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Wie Gott für manche Gläubigen alles enthält und um alle Orte und Zeiten von allem, auch des winzigsten Staubkorns weiss und deshalb um den Zusammenhang aller Dinge, so soll jede Dichtung alles Sprachliche so enthalten, dass sie auch alle anderen Dinge und ihre Zusammenhänge enthält, auf dass auch sie den Ort und die Zeit des geringsten unter ihnen wisse.
Doch was ist nicht dunkel an diesem Satz, was ist - so wie sie hier gebraucht werden - hell an Wörtern wie Enthalten oder Wissen, was könnte einleuchten an dieser romantischen Vision, die tatsächlich etwa Novalis oder die Brüder Schlegel verfolgt haben, aber wohl auch Shelley, wenn er die Dichter als die unerkannten Gesetzgeber der Welt bezeichnet? Wie, wenn überhaupt, wäre jene Vision, die, ihres poetischen Enthusiasmus beraubt, vor allem als maßlos oder gar als unsinnig erscheint und jedenfalls als unzeitgemäss, er-fahrbar zu machen, wie wäre sie in eine Erkenntnis zu verwandeln, in jenes von Robert Musil so bezeichnete Helldunkle, das auch Poesie genannt wird? Jener romantischen Vision gemäss kann jede Dichtung (und jede Poetik) sowohl als eine (mehr oder weniger bedeutungsvolle) Darstellung dieser Frage als auch als eine (mehr oder weniger weitreichende) Antwort auf sie angesehen werden. Im Licht oder im Dunkel jener Vision erscheint jede Dichtung als etwas, das darauf aus ist, alle Dinge und Zusammenhänge bis zum letzten Staubkorn in der ihnen und in der ihr, der Poesie, gemäßen Weise zu erfahren und sie erfahrend zu erkennen.

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Wenn nun eine Dichtung alles enthalten soll und von allem wissen und wenn es überhaupt nichts gibt, als was sie nicht erscheinen oder betrachtet werden kann, dann bestimmt jede einzelne Dichtung (und damit auch jede Poetik), welche Dinge oder Zusammenhänge für sie welches Gewicht haben oder zu welchem Grad massgeblich sein sollen. Jede Dichtung scheint zu zeigen - und eine ihr entsprechende Poetik versucht, das Gezeigte in Aussagen oder Vorschriften zu fassen -, dass sie vor allem dieses oder jenes sei und viel weniger dieses oder jenes andere: Für manche Dadaisten mag sie vor allem Schrift und Laut gewesen sein, für den frühen Pound des Imagism und für den Surrealismus, wenn auch in sehr verschiedenem Sinn, vor allem Bild; für einen Dichter wie Paul Valéry und (auf andere Weise) für Henri Michaux Darstellung geistiger Zustände; für Bertold Brecht etwa war sie wohl zu Zeiten vor allem Darstellung sozialer Zusammenhänge und zugleich selbst sozialer Zusammenhang; ja, für manche Dichter mag sie auch Ausdruck einer bestimmten Nationalität oder einer bestimmten Region oder gar des männlichen oder weiblichen Geschlechts sein.
So erscheint jede Dichtung als etwas oder verlangt, als etwas gesehen oder verstanden zu werden, doch - um jener romantischen Vision willen, zugleich alles zu enthalten, erfahrbar und erkennbar zu machen - soll das dennoch bedeuten, dass sie auch als eine unabsehbare Reihe von anderen Dingen gesehen werden kann. (Es verhält sich mit ihr eben nicht so einfach wie mit Wittgensteins berühmtem Beispiel für eine Figur, die entweder als Hasen- oder als Entenkopf gesehen werden kann und als nichts anderes.)

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Jene romantische Vision im Sinn kann man nicht daran glauben, dass eine Dichtung ausschliesslich dieses oder jenes sei, aber dieses oder jenes andere ganz und gar nicht. Und so kann man keine poetologische Aussage, die der Dichtung bestimmte Möglichkeiten als etwas zu erscheinen zuspricht, ihr aber andere dazu abspricht, ausschliesslich wörtlich nehmen. Solche poetologischen Festsetzungen sind dann nur als zu Behauptungen verselbständigte Momente einer Erfahrung zu verstehen: als etwas, das sich aus seinen Zusammenhängen gerissen hat und wörtliche Wahrheit für die ganze Poesie beansprucht, während es doch nur eine - häufig auch für sie selbst missverständliche - Darstellung eines Moments oder des Abschnitts eines Weges ist. Diese Betrachtungsweise enthält, dass Dichtungen (und mit ihr ihre Poetiken) verschiedene Ausgangspunkte haben können, von denen ausgehend alles erfassbar werden soll oder aufgehellt. Was für die eine Dichtung (oder ihre Poetik) am Anfang jenes Wegs liegt oder im Vordergrund und im Hellen, ist für andere irgendwo unterwegs oder gar an seinem Ende oder im Hintergrund, im fernen Dunklen; was für eine Dichtung (oder ihre Poetik) irgendwo unterwegs liegt oder gar am Ende ihres Wegs oder im dunklen Hintergrund, ist für andere ein Ausgangspunkt, das Vordergründige und Helle.

Wenn nun eine Dichtung dieses oder jenes in den Vordergrund, anderes aber in den Hintergrund rückt, wenn sie somit näherliegende Ausgangspunkte schafft, die zu ferner Liegendem führen, dann schafft sie eine Gestalt, und damit etwas, das zeitliche und räumliche Eigenschaften besitzt und dessen Er- fahrung eine zeit-räumliche Bewegung enthält, also bestimmte räumliche und zeitliche Folgen von Ereignissen. Wäre somit jener romantischen Vision entsprechend nicht jede Dichtung (und die ihr gemässe Poetik) auch der Ausdruck oder die Darstellung dessen, was für sie der beste Weg, der Königsweg zur Er-fahrung und zur Erkenntnis der Ordnung aller Dinge und Zusammenhänge ist, oder wenigstens der Ausdruck oder die Darstellung des Versuchs, jenen als als besten oder Königs-Weg angesehenen Zusammenhang von Dingen so weit wie möglich zu verfolgen, wenn möglich bis zu seinem Ende, gleichsam bis zu seinem winzigsten Staubkorn?

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Verändern sich jene Ausgangspunkte und damit der räumliche und zeitliche Weg von Ding zu Ding beziehungsweise von Zusammenhang zu Zusammenhang in einer Reihe von Dichtungen auf ähnliche Weise, dann entsteht das, was wir Literaturgeschichte nennen (der zeitliche Aspekt) oder eine Geographie der Literatur (der räumliche Aspekt); bestimmte Phasen oder Epochen beziehungsweise bestimmte Regionen können dann durch eine Reihe von Ähnlichkeiten bestimmt werden und von anderen Phasen, Epochen oder Regionen abgegrenzt.
Wenn etwa für die barocke Dichtung der Eigenwert des Begriffs, aber auch manchmal Laut und Schrift und zugleich klassisch- rhetorische Artifizialität im Vordergrund standen oder Ausgangspunkte waren, so wurden diese Ausgangspunkte in der frühen Lyrik Goethes zugunsten bestimmter mimetischer und expressiver, aber auch alltgagssprachlicher Möglichkeiten in den Hintergrund gerückt, nur um in der Dichtung (und der Poetik) der Frühromantik von Novalis, Ludwig Tieck und den Brüdern Schlegel durch eine Auffassung des sprachlichen Symbols ersetzt zu werden, die in manchen Hinsichten wieder an den barocken Begriff des Begriffs anschloss. -
Da man nun - jener romantischen Vision gemäss - von jedem der genannten Ausgangspunkte nach und nach zu allen Dingen und Zusammenhängen gelangen soll, enthält dieses Bild der Dichtung, dass jede poetische Epoche beziehungsweise jede poetische Region - wie fern andere Ausgangspunkte für sie selbst auch liegen oder wie undurchdringlich dunkel sie für sie auch erscheinen mögen - jede andere enthält oder den besten, den Königs-Weg zu jeder anderen Epoche oder Region darstellt.
Doch wie schwer fällt es, daran zu glauben! Ist es da nicht viel plausibler, oder fällt es da nicht auch viel leichter, die Geschichte der Literatur (und nicht nur die sogenannte Realgeschichte) als Joyceschen Alptraum zu betrachten, aus dem man nicht erwachen kann? Wenn aber keine einzige literarische Epoche oder Region jenen Königsweg zur Erfahrung und zur Erkenntnis von allem bieten kann, dann gibt es auch keine einzelne Dichtung, die das tun kann; dann kann nur ein Labyrinth aus untauglichen Versuchen existieren, eine Reihe partieller Lösungen, die nicht nur jener romantischen Vision spotteten, sondern auch dem meisten Zusammenhängen und Dingen - und das heisst nicht zuletzt auch so gut wie jedem einzelnen Staubkorn.

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Jedes Wort kann als hell angesehen werden und also auch das Wort Zusammenhang...In diesem Zusammenhang bedeutet Zusammenhang..., und dann begnügt man sich mit einer strahlenden Einsicht (Kafka) oder vermehrt das Licht dieses Wortes durch das Nennen anderer Wörter; und diese sind nicht weniger hell als das erste und scheinen genauso zu erlauben, sich mit ihrem Strahlen zu begnügen, wie sie mit weiteren Wörtern zu erhellen; nichts aber scheint dann danach zu verlangen, die Wörter auf eine Handlung beziehen, die sie zu erklären hätte.


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