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DIE FACKEL IM OHR


© Franz Josef Czernin

Eine Glosse, in einigen Zitaten auch Karl Kraus
herabbeschwörend. (Die Fackel Nr. 251-252, 28. April 1908, Seite 34 ff.)

Zehn Jahre sind vergangen, seit Ferdinand Schmatz und ich selbst und unter meinem Namen dem Residenz-Verlag Gedichte angeboten haben, die wir als schlechte verfertigt hatten (Die Reisen. In achtzig Gedichten um die ganze Welt, 1987). Aufdeckung und Darstellung unserer Absichten (Die Reise. In achtzig flachen Hunden in die ganze tiefe Grube, edition neue texte, 1987) und der kurzfristige Medienwirbel sind naturgemäß fast völlig folgenlos verschallt. Übriggeblieben ist ein hinters Licht geführter Verlagsleiter (Jochen Jung) und ein (ihm gegenüber) schlechtes Gewissen meinerseits. Das gute Verstehen zwischen mir und meiner Öffentlichkeit aber blieb unangetastet: nach wie vor hört sie kaum einmal, was ich sage, und ich sage kaum einmal, was sie hören möchte.
Hören will die Öffentlichkeit, insbesondere die journalistische - und immer leichter fällt unter diesen Begriff, wie mir scheint, auch die schriftstellernde, die literaturkritische und germanistische - das, was leicht ins Ohr geht. Davon, dass es auch das ist, was leicht hinausgeht, will sie schon wieder nichts hören, und hört sie es dennoch, so geht auch das leicht hinaus. Und so geht den meisten Schriftstellern wie den literaturdeutenden und -vermittelnden Instanzen auch die Einsicht, dass die schwerste Lektüre, die sogenannte leichte ist, wenn überhaupt, dann nur sehr schwer ins Ohr. Dass es ein Kompliment für einen Text sein könnte, dass man nicht gleich beim ersten, zweiten oder dritten Lesen auf seinen Geschmack kommt, stößt überhaupt so gut wie überall auf taube Sinne und geht also gar nicht erst ins Ohr, weder leicht noch schwer.
Denn nach wie vor wird die Schriftstellerei zumeist als die Fertigkeit angesehen, dem Publikum eine Meinung mit Worten einzupauken. So regiert (und verteilt die Pfründe) vorästhetisches Unbewusstsein, und auf der Jagd nach sogenannten aktuellen Stoffen, den grossen Themen und damit nach (kultur)politischer Verwertbarkeit - die sich glänzend mit einem verhohlenen Merkantilismus reimen - wird das Künstlerische günstigstenfalls in Kauf genommen. Als ob nicht auch eine kunstlose Wahrheit über ein Übel, über eine Gemeinheit, ein Übel und eine Gemeinheit wäre!
Doch nach wie vor oder erst neuerdings (wenn auch weniger häufig) wird die Schriftstellerei auch als die Fertigkeit angesehen, dem Publikum erhabenen Prunk, so hohe wie hohle Töne in die Ohren zu flöten. So regieren auch schon manchmal ästhetizistische Unbewusstheit, das heisst: Formhuberei, sinnentleerte, ornamentale Rhetorik in Gestalt klassizistischen Stucks, eine andere Art (kultur)politischer Verwertbarkeit, die sich kaum weniger gut mit jenem verhohlenen Merkantilismus reimt. Als ob nicht auch eine kunstvolle Leere ein Übel und eine Gemeinheit wäre!
Die Jagd aber nach den letzten Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache, nach jenem Ziel, wo die Grenze zwischen Was und Wie nicht mehr feststellbar ist, wird, so scheint es, von fast allen ständig abgeblasen. Vor unerhörten Klängen werden die Ohren verstopft, als ob das nötig wäre oder als ob es die Posaunen eines jüngsten Gerichts selbst wären! Als ob die ins Ohr hineingehen könnten, leicht oder schwer, wenn sie nicht schon drinnen wären, oder hinaus aus dem Ohr, wenn sie nicht schon draussen wären!



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