wir wollten raus aus der stadt, ohne uns allerdings gänzlich von ihr
zu lösen.
das lag wohl auch im wesen der zeit. eine breite skepis gegenüber
dem technischen fortschritt griff um sich. das bedürfnis nach mehr natur
entstand und so wurde das waldviertel zum ziel derer, die mit der industriellen gesellschaft nichts mehr zu tun haben wollten.
das waldviertel wurde zu einem der refugien der vorläufer der ökobewegung,
und zum sammelpunkt esoterischer spinner. man konnte sie hier alle
finden, die an naturmagie glaubten und sie auch selbst auszuüben
suchten. hier gab es lange bevor es modisch wurde new age anhänger
in all ihren liebenswürdigen und abstrusen spielformen.
die landschaft des tieferen oder oberen waldviertels, seine athmosphärischen erscheinungen, der wechsel der jahreszeiten, der tag und nachtwechsel waren hier noch deutlich verspürbar und merkbar war
auch, dass die menschen noch in diesen natürlichen rythmus eingebunden waren. oberflächlich gesehen war es wohl auch nichts anderes,
als eine kultivierte agrarlandschaft. doch hatte sie sich etwas magisches,
urtümliches, archaisches bewahrt. das waldviertel war ein idealer ort
für all die, die etwa der arte povera anhingen. es war von direkter
einfachheit, in der die dinge selbst zur wirkung kamen und ausdrucksvolle gestalt annahmen.
1980 habe ich dann auch mein erstes grosses symposion in litschau veranstaltet. aber davon später.
die esoteriker betonten, dass es besonders starke energetische plätze
und stellen gäbe, und man musste aufpassen, um nicht selbst der
wünschelrute zu verfallen.
die einheimischen verhielten sich gegenüber diesen städtischen exilanten und spinnern eigentlich freundlich. die waldviertler haben wenig vorurteile und so erwarteten sie sich von neuankömmlingen nichts
schlechtes und wurden in den meisten fällen auch nicht enttäuscht.
für mich zählte die landschaft , die natur zum wichtigsten, das war
die entscheidende kraft, die mich dahin zog. das waldviertel wurde
teil meiner, damals noch, romantischen naturvorstellung. und zwar
einer naturvorstellung, wie sie etwa durch adalbert stifter vermittelt wurde. romantisch darf nicht dem idyllischen gleichgesetzt
werden. die romantik überwand die klassisch bukolische schäferdylle, wie wir sie aus der antike, aus poetischen und
künstlerischen vorstellungen der renaissance kennen. das war kein arkadien.
die natur erscheint da in all ihren unterschiedlichen facetten, in
ihrer pracht und in ihrer düsternis. ihre schönheit ist ebenso zu
verspüren wie die ihr innewohnende fährnis. und sie bietet einsame landschaften, die zu einer spielfläche für die phantasie
werden können, in die der betrachter seine eigene psyche,
seine seele, seine ängste, seine energien, seine lüste projezieren kann. das waldviertviertel zählt zu jenen landstrichen,
die ich seelenlandschaften nenne.
und nirgend anderswo konnte ich den sternenhimmel so klar und deutlich schauen, wie in dieser gegend. an manchen tagen lag die ganze galaxie vor augen, manchmal ging der nacht ein sonnenuntergang voraus, mit dem die sonne als riesiger, rötlich leuchtender feuerball am horizont verschwand. die athmosphäre wirkt hier wie eine verstärkende linse, die die sonne über das bekannte mass hinaus vergrössert. möglicherweise ist dies auch der grund für die überdeutliche präsenz der milchstrasse. in solchen sternstunden begann ich meine unruhe völlig zu verlieren, um in dieser natürlichen einheit völlig heimisch zu werden und aufzugehen. das waldviertel, eine seelenlandschaft, das naturtheater als projektionsfläche der phantasie.
ich habe später auch die bekanntschaft von arnulf neuwirth
und seiner frau helena gemacht und sie mehrmals in radschin
aufgesucht. ich habe diese seltenen, doch intensiven gespräche sehr geschätzt. neuwirth ist ein tiefgebildeter humanist.
auch er hat in seinen bildern das waldviertel als spielfläche benutzt und es mit mythologischen figuren und allegorien
der antike verknüpft, verwoben, collagiert, verschmolzen.
neuwirth hat hier sein arkadien geschaffen und spielerisch in
seinem malerischen werk umgesetzt.
der ort radschin lag völlig an der grenze, abgeschieden knapp vor
dem eisernen vorhang, der damals noch eine militärisch streng
bewachte unüberwindliche trennline war, die die welt in zwei
hälften schnitt.
der natur kam dieser abgeschiedene winkel entgegen. hier
konnte man flora und fauna noch in ihrer vollen blüte und vielfalt begegnen.
eine entscheidende politische und letztendlich gravierende politische lehre konnte ich aus der begegnung mit dem waldviertel ziehen. anfangs der siebziger fuhr ich mit dem auto über gmünd nach brünn. der jahreszeit entsprechend standen die getreidefelder in vollem wuchs. die landschaft erschien fruchtbar und geordnet. dieses bild änderte sich schlagartig mit dem übergang in die damalige cssr. hier war nichts gepflanzt und die landschaft wirkte trüb, vernachlässigt, depressiv. und das lag nicht nur daran, dass hier nach der grenze ein militärischer sperrgürtel eingezogen war. dieser eindruck veränderte sich nicht sonderlich auf der fahrt ins landesinnere. der abrupte szenen- und bilderwechsel hinterliess in mir einen tiefen eindruck, der letztendlich zum nachdenken über die unterschiedlichen gesellschaftsordnungen führte. ich begriff im ersten moment nicht wie es sein konnte, daß bei ähnlicher landschaft und ähnlichen witterungsverhältnissen derart unterschiedliche ergebnisse in der landwirtschaft erzielt werden konnten. auf der einen seite war fülle und da war nicht viel mehr als brachland. fünfzehn jahre später brach der reale sozialismus in sich zusammen. dieser grenzübertritt wurde damals für mich zum sinnbild einer gesellschaft , die nicht imstande ist, ihre welt für den menschen lebbar zu gestalten. die weitere nähere kenntnis eines anderen sozialistischen nachbarlandes hat diese erste einsicht nur verstärkt und so kam der niedergang des kommunistischen systems für mich nicht überraschend.
diese nähe zur abgeschirmten und undurchdringlichen grenze
verstärkte damals die waldviertler abgeschiedenheit, die zu den
charakteristischen eigenheiten dieses landstriches dazu gehörte.
diese abgeschiedenheit trug wesentlich bei zur eigentümlichen
stimmung, die ich nur hier und nirgend sonst fand.
man kann natürlich nicht sagen, dass das waldviertel ein völlig
abgeschlossenes gebiet gewesen wäre. auch hier machten sich
die raiffeisensilos, die längst die kirchtürme überragen, breit.
auch hier sind die hochspannungsmasten höher als die rathäuser. und doch war etwas stehen geblieben, wurde bewahrt,
war nicht völlig von der technischen infrastruktur verdrängt
oder überlagert worden. es herrschte ein anderes zeitgefühl.
“er dachte daran, daß nun die langen nächte kommen würden, die nächte des wartens nach dem wiederaufleben der natur, und er spürte, daß er ein jahr älter geworden war. der wechsel der jahreszeiten läßt das altern verspüren.
wie wenig die technologische welt auf diese bewegungen eingeht. der asynchrone takt der zivilisation zur natur
läßt die natur als fremd und störend erscheinen.
der kultkalender der bauern ist zu fragwürdigen symbolen,
deren bedeutung niemand mehr nutzt, verkommen.
über das Leben wacht die digitalisierte zeit, die uns glauben machen soll, daß es kontinuität und dauer gäbe.
über diese asynchronität, dem fehlen von übereinstimmung,
von chronologischer zeit und sinnlicher naturwahrnehmung soll nicht nachgedacht werden. dieses nachdenken
gefährdet die künstliche ordnung der zivilisation.
die künstliche ordnung der selbstkonstruierten maschinen,
das spinnennetz aus technologie und verwaltung, das uns
zur realen welt geworden ist.
sie hatten die welt der natur verlassen und waren zur
technischen ordnung übergegangen.”
auszug aus >humbolts reise<
genau dieser übergang war es, der mich reizte. diese zwischenzone, die noch die alte kultur erkennen liess und die anbindung an die neue sichtbar machte. in dieser gegend wurde dies deswegen so deutlich, weil der tourismusmarkt hier noch nicht fuss gefasst hatte, eben die touristik, die andere österreichische landstriche längst zu merkantilen erlebnislandschaften und sportlichen nutzflächen umfunktioniert hatte.die anlage eines golfplatzes im waldviertel wäre mir damals absurd erschienen. ich bin mir jedoch sicher, dass es heute derartige anlagen in dem einen oder anderen ort bereits gibt.
das verhältnis von natur und artefakt, die beziehung kunst, techne,
mensch, natur wurde mir zum fortdauernden thema.
1980 inszenierte ich erstmals den event & symposion "Grenzzeichen"
in litschau. diese veranstaltung fand dann ihre fortsetzung in anderen
gegenden, anderen bundesländern.
ausgangspunkt des konzeptes war es, ausserhalb des gängigen ausstellungs und veranstaltungsbetriebs zeitgemässe kunst zum thema
natur & artefakt zu präsentieren und ein interdisziplinäres gespräch
zwischen unterschiedlichen kunstgattungen anzuregen.
in allen fällen wurde dann auch die jeweilige grenzsituation berücksichtigt. "Grenzzeichen" war nicht als grenzwall zu verstehen, sondern sollte grenzsituationen in unterschiedlichen bereichen der kunst,
der kultur, in den realen gegebenheiten verdeutlichen und nach
übergängen, nach kontext und neuen konstellationen ausschau
halten. im waldviertelsymposion wurden vor allem projekte zum
naturthema verwirklicht. das war auch durch die freie verfügbarkeit des
brauhauses und dessen umgebung in hörmanns möglich. in späteren
veranstaltungen kam dann doch wieder die klassische präsentationsweise zum zug. ein weiteres ziel war es, den widerspruch von
stadt und land zumindest für kurze dauer ausser kraft zu setzen, das
heisst mehr oder minder radikale künstlerische konzepte mit dem
regional eher tradierten kunst- und kulturverständnis zu konfrontieren.
damals war das noch knochenarbeit. heute sind diese differenzen
durch den elektronischen medialen raum und durch eine fülle von
kunstfestivals, die im regionalen raum stattfinden, weitgehend
aufgehoben.
im waldviertel war ich oft auf der suche nach menschlichen und natürlichen hervorbringungen, die meinem formalästhetischen empfinden entgegenkamen, die ich dann entweder fotografisch
oder in literarischen bildern verarbeitete.
so habe ich mir einen interessanten formenkanon erarbeitet,
den ich auch heute noch in fotografischen arbeiten, in videoarbeiten
nutzen, einsetzen und ausbauen kann.
als beispiel möchte ich den aalfanger steinbruch anführen, den
man auch als in die tiefe, in den erdgrund gestülpte steinskulptur
lesen kann, die mehr oder minder zufällig durch den anfallenden
steinabbruch verändert, erweitert, umgestaltet wird. ein durch
minderung wachsender artefakt, der einen zugang zur skulptur
schafft, zum stein, herstellen eines gegenstandes durch spalten,
entnehmen. ein vorgang, wie wir ihn etwa auch bei ulrich rückriem
finden.
solche und andere plätze, die für mich dann kreativ verwertbar
waren, habe ich im waldviertel zur genüge vorgefunden.
steine, das besondere waldviertler merkmal. und so habe ich für
mich das waldviertel auch sternsteinwald genannt, und damit
ein kürzel von der licht sichtbaren milchstrasse hin zum kargen
und archaisch anmutenden steinboden gebildet.
auch alte kultstätten liessen sich da noch finden oder zumindest erahnen, die an jene dunklen bereiche rührten, die etwa hermann broch in seinem demeterroman zu beschreiben versucht hat.
heute weiss ich, dass es fast ein ding der unmöglichkeit ist, jene stimmungen, die die natur in uns erzeugt, einzufangen, festzuhalten, wiederzugeben. immer stellt sich da die apparatur, die techne, die beschreibung dazwischen. die vorstellung der unberührten natur ist jedoch nach wie vor ein mächtiger quell der inspiration, der in der übersetzung, in prozesshafter umsetzung zu neuen reizen führen kann.
dieser einsicht folgt auch wolfgang böhm, der sich so konsequent zum waldviertel bekannt hat, dass er hier in seiner dauerhaften wohnsitz genommen hat. böhms arbeiten kann man etwa mit dem begriff des abstrakten expressionismus deuten. seine inspirationen holt er sich, abgesehen von der eigendynamik des künstlerischen vorgangs, aus der natur und er hat sich auch entschlossen, in der einschicht des joachimstals zu leben.
ich komme nun mehr nur mehr äusserst selten ins waldviertel. das letzte mal war ich da, um die akustische entwicklung eines tages von der frühe an bis in den hohen mittag hinein auf tonband aufzuzeichnen. doch schon um vier uhr in der früh hatte ich motoren und fahrgeräusche auf dem band. wir können unserer technoiden welt nicht mehr entkommen, auch nicht im sternsteinwald der phantasie.