© Edyta Brixa
Heutzutage gelten bereits 500.000 Menschen laut der "Statistik Austria" als akut arm und über eine Million werden in Österreich, paradoxerweise eines der reichsten Staaten Europas als armutsgefährdet bezeichnet. Die Armut ist wegen der drastischen Einkommensschere zwischen Männern und Frauen überwiegend weiblich und hausgemacht, weil die Arbeitnehmerinnen für dieselbe Leistung wesentlich geringere Gehälter als ihre männlichen Kollegen einstreifen. Männer verdienen im Durchschnitt 1300 Euro brutto und die weiblichen Arbeitskräfte, von denen über 40 Prozent nur Teilzeit beschäftigt ist, kommen summa summarum auf läppische 800 Euro im Monat, deshalb rutschen Frauen so leicht in eine hoffnungslose Armutssituation, ohne Aussichten auf eine menschengerechte Existenz. Mit einem Einkommen von höchstens 600 Euro und explodierenden Lebenserhaltungskosten gehen sich eher keine größeren Investitionen wie beispielsweise eine Eigentumswohnung oder ein PKW aus, manchmal reicht das schwerverdiente Geld nicht einmal für einen vernünftigen Urlaub. Statt sich etwas auf die Seite legen zu können, gerät man schnell in die finanzielle Misere. Der Schuldenberg wird von Tag zu Tag wegen nicht bezahlten Gas- und Stromrechnungen immer größer.
Das absolute Schlusslicht am Arbeitslosenmarkt bilden Jugendliche ohne Lehreabschluss und Ausländerinnen, die entweder vom Arbeitslosengeld oder von der notdürftigen Sozialhilfe leben müssen. Zu wenig um zu überleben, aber zu viel um zu sterben. Zahlreiche Ostfrauen im besten erwerbsfähigen Alter aber ohne gültige Arbeitsbewilligung schaffen es gerade noch, mit Schwarzarbeit in den Reinigungs- und Pflegebereichen über die Runden zu kommen und werden vom sozialen Netz nicht einmal aufgefangen und sich selbst überlassen. Die meisten "Fremden" ohne Arbeitspapiere gehen in typischen und von Gehalt her unattraktiven Frauenberufen als Putzfrauen, Pflegerinnen, Köchinnen oder Kindermädchen arbeiten, um sich irgendwie über Wasser halten zu können. Einige besonders jüngere Ausländerinnen versuchen im Rötlichtmilieu Fuß zu fassen. Als Prostituierte werden sie weder unfallversichert noch medizinisch betreut, sondern schlicht als illegale Randgruppen kriminalisiert.
In der heutigen Arbeitswelt ist der Weg zu einer legalen Vollzeitbeschäftigung mit allen Privilegien, mit einer sozialen Absicherung, einem leistungsgerechten Gehalt, einer gesicherten Zukunftsvorsorge wie eine ausreichende Pension, sowohl für InländerInnen als auch speziell für AusländerInnen wortwörtlich steinig, besonders wenn man als weibliche Führungskraft die Berufskarriere mit einem erfüllten Familienleben kombiniert verwirklichen will. Kein Wunder, dass in den letzten zehn Jahren atypische so genannte "prekäre Jobs" wie Schwammerl aus dem Boden schießen. Solche Jobs gewährleisten gar keine sozialen Leistungen, weder Weihnachts- noch Urlaubsgeld, geschweige denn Entgeltfortzahlung bei Krankheit. Die freien Dienstnehmer oder die Angestellten auf Werkvertragsbasis schließen mit der Unterzeichnung des Dienstvertrages quasi einen Pakt mit dem Teufel. Sie werden durch das Finanzamt im Nachhinein zur Kasse gebeten, weil auch sie ihre mageren Einkünfte Jahr für Jahr deklarieren und versteuern müssen. Im Falle des Falles - also bei einer grundlosen Entlassung erhalten sie keine Abfertigung, kein Arbeitslosengeld, nicht einmal eine minimale Notstandshilfe vom Arbeitsamt. Von diesen "prekären Arbeitsverhältnissen" sind diverse Branchen betroffen, wie beispielsweise: Call Center Angestellte, Unterrichtende, Kellner, Medienmitarbeiter, Museumsaufpasser, Flugblätterverteiler, Projektleiter, Webdesigner, Programmier, Datenbankeingabekräfte, Fitnesstrainer, etc. Tendenz steigend. Dieses bedenkliche Phänomen führt zur Entstehung einer neuen verarmten Arbeitnehmerschicht der "Working Poor Class".
Die SPÖ schlägt in ihrem Wahlprogramm vor, eine Grundsicherung im Rahmen der Armutsbekämpfung in Höhe von 800 Euro zwölf mal pro Jahr einzuführen, um den verarmten Bevölkerungsschichten eine menschenwürdige Existenz statt eines entwürdigenden "Almosendaseins" zu ermöglichen. Von solchem Grundeinkommen würden vor allem Mindestpensionisten, Arbeitslose mit niedrigen Bezügen, geringfügig Beschäftigte sowie Alleinerzieherinnen profitieren, deren Einkünfte durchschnittlich dürftige 700 Euro brutto im Monat betragen. Die "Caritas", der "Dachverband der Sozialarbeiterinnen" und andere humanitäre Organisationen begrüßen diesen Vorstoß der Roten. Vehement fordern diese sozialen Einrichtungen von den Politikern konkrete Maßnahmen gegen die unaufhaltsam wachsende Armut, wie die Einführung einer Grundsicherung von 1000 - 1200 Euro. Die Gegner betrachten dieses Modell mit einer gewissen Skepsis, sie befürchten; dass es zu einem Lohndumping von niedrig bezahlter Arbeit kommen wird und die Erwerbstätigkeit in unattraktiven Arbeitsbereichen nicht mehr lukrativ wäre.
Rund 800.000 Österreicher könnten von der Einführung einer Grundsicherung profitieren, so die Statistik Austria heute gegenüber der APA. Im Jahr 2004 hatte jeder zehnte Österreicher, der in einem Privathaushalt lebt, weniger als 9.400 Euro im Jahr zur Verfügung. Der Vorschlag einer Grundsicherung sieht 800 Euro monatlich und damit 9.600 Euro im Jahr vor." ("Der Standard", 23. Oktober 2006, 13:15).
Die Alleinerzieherinnen mit zwei oder mehr Kindern müssen jahrelang von zwei Euro am Tag auskommen und werden tagein tagaus von schlimmsten Existenzängsten geplagt. Was passiert, wenn die Waschmaschine oder Therme ihren Geist aufgibt oder wenn eine neue Lesebrille vonnöten ist? Die wahren Horrorszenarien, die vielleicht für die reichen Bevölkerungsschichten trivial klingen oder gar unvorstellbar sind, setzen die Schlechtverdiener unter enormem Alltagsstress und bereiten ihnen schlaflose Nächte. Jede/Jeder von uns kann im Laufe des Lebens in eine finanzielle Misere geraten. Durch eine unerwartete Kündigung, eine Trennung und deren Nachwirkungen, eine chronische oder psychische Krankheit, einen Autounfall, die Arbeitsunfähigkeit verursachen können, wird man schnell zu einem verarmten Notstandshilfeempfänger, einem unbeliebten auf Kosten des Staates lebenden Schmarotzers. So empfindet das zumindest ein Haufen verkrampfter Spießer. Im Discount Supermarkt wird man einen Euro zehn mal umdrehen, bevor man ihn für die billigsten Grundnahrungsmittel ausgibt. Es spielt keine Rolle, ob das Essen gesund oder mit giftigen Konservierungsstoffen verseucht ist. Hauptsache, man ist halbwegs satt.
Kinder aus sozial runtergekommenen, häufig zerrüttelten Familien haben so gut wie keine Aufstiegchancen. Die meisten von ihnen können von einer Topausbildung an einer Universität oder in privaten Fachhochschulen höchstens träumen, weil sie durch ihr desolates Umfeld nicht genug gefördert, geschweige denn materiell unterstützt werden können. Es ist ein verdammter Teufelskreis, wie in einer Alkoholikerfamilie, wo die Sucht von Generation zu Generation weiter vererbt wird. Die Probleme der neuen bitterarmen "Unterschicht" von Langzeitarbeitslosen, Mindestrentner, Geringfügig Angestellten und Menschen ohne fixes Einkommen scheinen sehr tief - in den Familienstrukturen - zu liegen:
"Aber es geht nicht nur um materielle Transfers. Die Probleme liegen tiefer. Sie liegen in Bildungsarmut und in Bindungsarmut. Sie liegen darin, dass traditionelle Familienstrukturen und Netzwerke, die Halt und Orientierung geben könnten, zerfallen. Wo Bindungsfähigkeit nicht aufgebaut wird, fehlt auch die Kompetenz, Bildungs- und Lebenschancen aufzubauen. Ohne sie drohen Vererbung von Armut, Abhängigkeit und Isolation." ("Die Welt", 25. Oktober, 2006).