Neuerscheinungen im Innsbrucker Studienverlag
Prozesse der Erinnerung
Dokumentation eines Projektes von Franz Wassermann
Mir ist Franz Wassermann vor etwa 5 Jahren mit seinem Projekt Ken und Barbie sind HIV positiv, dass
er auf dem Thing Server in Wien plazierte, aufgefallen. Erschreckend fuer alle war die Reaktion des Herstellers
Martell. Der drohte nach dem Markenschutzrecht eine hohe Entschaedigungssumme einzuklagen, so das Projekt nicht umgehend vom Netz genommen wird.
Es haette keinen Sinn gehabt, dagegen anzugehen und so wurde die Arbeit von Wassermann im Einverstaendnis
mit dem Kuenstler vom Netz genommen.
In der Welt von Barbie, von Paris Hilton und vor allem im Selbstverstaendnis von Martell gibt es keine Krankheiten. Die werden schonungslos und markenrein ausgemerzt.
Nun hat Wassermann im Innsbrucker Studien Verlag eine Dokumentation seiner Prozesse der Erinnerung
herausgebracht. Es geht um die Selektion von psychisch Kranken und Menschen mit geistiger Behinderung und
deren Vernichtung im oberoesterreichischen Schloss Hartmann. Die Nazis sahen darin einen Akt der Volksgesundung
Was mich an der durchaus wichtigen Wassermannschen Aufarbeitung dieses inhumanen Schandfleckes deutscher
und oesterreichischer Geschichte leicht irritiert, dass er der buerokratischen Verwaltung des Todes seitens
der Nazis selbst eine buerokratische Vorgehensweise sowohl im Projekt wie in der Dokumentation des Procederes gegenueber setzt. Gemeinden werden angeschrieben, um anzuregen, Strassen nach den aus dem Leben und aus der Einnerung geloeschten zu benennen. Die Antworten der Gemeinden, die dem Projekt
nur in seltenen Faellen ablehnend gegenueber stehen, in der Dokumentation faksimiliert abgedruckt.
Wassermann nennt dieses Projekt ein temporaeres Denkmal, also von der Anlage her nicht auf Dauer geplant. Er bewegt sich nach den Kritererien der Kunst im oeffentlichen Raum in Form eines kuehl kalkulierten Situationismuses, in dem es jedoch keine Spontanitaet gibt oder geben darf.
Die Arbeit wirkt merkwuerdig kalt und vermittelt wenig von der wahren Tragik des Geschehens. Darueber kann
der oppulent geratene Bild- und Textband nicht hinweg spielen. Im Gegenteil, das Volumen verstaerkt
noch den Eindruck cooler Distanz.
Fuer die Nazis war diese Toetung psychisch Kranker eine technische, biomedizinische Selbstverstaendlichkeit, wie aus einem Text von Max Picard hervorgeht. Auch die von Wassermann gepflegten Erinnerungsrituale heben diesen voelligen Mangel an Zuneigung nicht auf. Die Toten sind und bleiben uns fern.
Sie haben bloss in den Seelen ihrer Naechsten unheilbare Wunden hinterlassen.
Aber sie sind Symbole fuer den voelligen moralischen Zerfall einer Gesellschaft, ihrer Inhumanitaet und ihrer bewusst herbei gefuehrten Vernichtung. Aber das kommt bei Wassermann nicht wirklich zum Tragen.
Der Konservative Picard nennt das Nazisystem die Weltvernichtungsmaschine.
Ein weiteres Buch ueber die allgemeine Selektion des Naziwesens, ueber die Menschenvernichtungsmaschine
bringt der Studienverlag mit Hanns Guenter Richardis Widerstand hinter dem Stacheldraht heraus.
Richardi beschreibt die Erfahrungen des Suedtiroler Friedl Volgger, der als Schutzgefangener Nr: 66166 das
Konzentrationslager Dachau, in dem vor allem politische Haeftlinge, Kommunisten, Sozialdemokraten, revolutionaere
Sozialisten und christliche Vaterlandsfrontisten wie andere dem System nicht genehme Personen diverser Weltanschauungen einsitzen mussten,
mit Gefahr auf Leib und Leben. Den Krieg fuehrten die Nazis allgemein gegen die Menschheit, im
Holocaust versuchen sie die Juden als Volks auszuloeschen, in der Euthanasie und in der Ausmerzung pflegten sie ihren pseudowissenschaftlich untermauerten Rassenwahn und Dachau steht symbolhaft fuer
die Aussonderung und Versperrung derer, die auf anderer Weltanschauung und auf eine andere Politik bestanden haben.
Dabei blieben aber Wiedergutmachung, Restitution, die wahre Wuerde der Opfer des Rassenwahns
der Nazis und der politisch wie weltanschaulichen Verfolgten auf der Strecke, waehrend die Akteure
und Mitlaeufer der Nazi Weltzerstoerungs Maschinerie naht und verfolgungslos in eine buergerliche
Existenz mit gesicherter Zukunft wechseln konnten.