Eine Besprechung von Thomas Northoff
Eine Neuerscheinung ist zu preisen, deren zugrunde liegende Lebensweisheit ihres Autors manche sogenannte 68er über einstige Selbstgewissheiten zu nachdenklichem Lächeln hinreißen wird. Zugleich trübt ein großer Schatten die Freude über den langen Atem des Idealismus seines Autors.
Der Maler, Bildhauer, Kunsterzieher und Verfasser theoretischer Schriften zur Sexualität, Julius Mende, wählte wenige Wochen nach der Präsentation seines letzten Druckwerkes bei der Buchmesse in Leipzig den Freitod, um sich und seine Nächsten der Hilflosigkeit in seiner unheilbaren Krankheit zu entziehen. Dies war die Konsequenz eines Mannes, der sich ungeachtet zu berechnender Erfolge im künstlerischen und pädagogischen Schaffen zeitlebens an der Befreiung des Menschen, vor allem der Jugend, orientierte. Da die Diskussion über/zur Sexualität und ihre freie Praxis noch lange nötig sein wird, ist der theoretischen Position Julius Mende`s der Platz eines Basiswerks gesichert.
Sein Buch Die Sexwelle
Die RevoluzzerInnen-Köpfe der späten 60er Jahre hatten es hinsichtlich des sexuellen Befreiungsgezappels ziemlich schwer, egal ob sie, wie Mende, aus einem rechtskonservativen Haus stammten oder in linksliberalen Familien aufgewachsen waren. Sexualität war in ihrer Elterngeneration ein Tabuthema. Von der Masturbation bis zum ersten Sex mit PartnerIn erlebten die Jugendlichen nichts als Alleingelassensein, unorientiertes Ahnen, Fantasieren und nicht selten Ängste und Gewissensbisse, weil man ihnen von hinten rum die unglaublichsten Geschichten hinsichtlich Sexualität aufs Auge gedrückt hatte.
Als junger Lehrer inszenierte Mende mit Kinderladenkindern und SchülerInnen Malaktionen nach dem Vorbild des Wiener Aktionismus und befasste SchülerInnen sowie KunststudentInnen an der Hochschule mit dem Thema Sexualität. Er ließ die SchülerInnen an der katholischen Internatsschule, an der er tätig war, im Unterricht Pornographisches zeichnen. Mal-Aktionen wurden von Mende als Anal-Malaktionen verstanden. Sie waren gegen die übertriebene Reinlichkeitserziehung in Bürger- und Arbeiterhäusern gerichtet und wurden mit psychoanalytischen Theorien über den analen Charakter untermauert. Nach Mende sollten die Kinder möglichst selbstreguliert herausfinden, "welches Maß an Dreck sie wünschten".. 2007 resümmierte Mende, es würde der Wiener Aktionismus heute seine wahre Sprengkraft entfalten, wenn er statt als Relikt aus wilden Jahren in Museen ausgestellt mit dem Normalleben konfrontiert würde.
Unterdessen fielen eigene künstlerische Werke der Zensur anheim. Ein fünf Meter hohes Black-Power - Monument Mendes, aus dem u.a. zwei Busen den BesucherInnen schwarze Milch spendeten, wurde in Graz von unbekannten Tätern abgefackelt. Noch im schneereichen Winter 2005/06, gegen Ende von Mendes Karriere, musste eine von ihm organisierte Ausstellung schulbehördlich geschlossen werden, da StudentInnen einen großen Penis als Schneemann ertstehen ließen und ihm nackte Schneefrauen und einen Schneemann mit einem steifen Schwanz zugesellten.
In den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts wäre dieses Tun als diskutables pädagogisches Experiment zur Sexualerziehung durchgegangen.
Was heute einer konservativen Gesundheitsministerin als Fortschrittlichkeit Popularität einbringt, nämlich das Verteilen von Kondomen an SchülerInnen, übten Julius Mende und Künstlerkollegen bereits 1970 im Neuen Institutsgebäude der Uni Wien. Damals kannte man das Wort Sexshop noch nicht und Pornographie war strafbar. Zu ihrer Ausstellung von künstlerischen Sexmöbeln begrüßten die Künstler die EröffnungsbesucherInnen mit Handschlag, wobei jeder Handschlag auch die Übergabe eines Präservativs vollzog. Mende schreibt:
Damals schritt der Staatsanwalt ein und ließ den ganzen Ausstellungsbeitrag der Gruppe GUM beschlagnahmen und mit Lastwagen in das Polizeipräsidium führen.
Gemeint jedoch waren die Gummiobjekte als Parodien auf Beate-Uhse - Produkte, die man aus Prospekten kannte.
Hatten Mende und Mitdenker die pornographischen Zeichnungen aus dem katholischen Internat noch als Resultat einer repressiven Sexualerziehung verstanden, in der die fortwährender Kontrolle unterliegenden Schüler der Befriedigung ihrer Bedürfnisse nicht nachgehen konnten, so weiß man heute, dass die Sache mit der Sexualität weit komplizierter verläuft. Zum ersten Mal dämmerte dies dem Pädagogen, als seine eigenen Kinder am Nudistenstrand just nur in Badeklamotten herumspazieren wollten.
Die Diskussionen um eine befreitere Sexualität wurden schließlich auf alles, was verboten war ausgedehnt, wie beispielsweise auf Konsumfragen und das Konsumverhalten, auf Autoritäts- und Religionskritik und viele die Schüler im Alltag betreffende Bereiche. Tatsächlich nahm das Selbstbewusstsein der Schüler zu, stand aber ständig im belastenden Spannungsfeld der Moral eines katholischen Burscheninternats und den psychosexuellen Bedrängnissen von Pubertätlingen.
Das sogenannte obszöne Sprechen, als Schülersprache abgetan und abgelehnt, sah Mende als in einem Großteil der Bevölkerung praktizierten Akt. Doch nach außen müsse alles immer korrekt sein, als ob beispielsweise die Nennung der Genitalien mit dem lateinischen Namen schon etwas darüber aussage, was diese Genitalien alles können, außer Kinder zeugen und den Staat erhalten. Doch damit ist er bei PädagogInnen-Treffen nie so richtig durchgedrungen.
Julius Mende`s Sexuelle Welle ist ein ehrliches Buch, historisch informativ und kurzweilig zu lesen. Welche bessere Aussage kann man über ein Sachbuch auf diesem Gebiet treffen!
Julius Mende: Die Sexuelle Welle. Zwischen Sinnlichkeit und Vermarktung. Verlag ProMedia. Wien 2007. 207 Seiten, Euro 19.90.-