Häuser unter Beobachtung
František Lesák legt im De Gruyter Verlag eine inhaltsreiche Sammlung von Notizen, Beobachtungen und Kurzessays vor, die sich verschiedenen Themen widmen, aber doch durch die außerordentlich hohe Präzision des sprachlichen Ausdruckes und der ungewöhnlichen Formgebung eine Einheit bilden. Auf jeden einzelnen Beitrag kann ich hier nicht eingehen, und so erlaube ich mir, einige ausgewählte Texte näher zu betrachten.
Wenn Lesák in seinem künstlerischen (plastischen) Werk die Heuhaufen von Monet mit Bronzeskulpturen nachempfunden hat, benützt er in seiner sprachlichen Darstellung Überlegungen, was Sehen eigentlich bedeutet. Dazu sagt er: „Diese elementare Erfahrung des Unterschieds zwischen Wirklichkeit und der abgebildeten Wirklichkeit wird Monet wie jeder andere gemacht haben. Er wird gewusst haben, dass er nur einen Bericht über das von ihm Wahrgenommene verfasst hat.“ Und eine halbe Seit später: „Ein Abbild herzustellen, bedeutet eine neue Wirklichkeit zu konstruieren.“
Im Beitrag Textreue. Notizen zum Thema Beobachtung und Beschreibung eines Hauses in einem Roman Es geht hier um den Roman von Alain Robbet-Grillet Die Jalousie oder die Eifersucht. Lesák verschärft mit seiner Darstellung die Präzision der sprachlichen Fixierung der Beobachtungen. Auch die Möglichkeit, aus dem beschreibenden Text des Robbet-Grillet einen Bauplan des unter Beobachtung stehenden Hauses abzuleiten, sieht Lesák als Aufgabe, die von der Präzision des Ausdruckes unterstützt wird: „Ein Roman als Bauplan“.
Im etwas längeren Beitrag Beobachten und berichten. En plein air mit Grünem Heinrich setzt sich Lesák ausführlich mit dem Entwicklungsroman von Gottfried Keller auseinander, soweit es eben um Beobachtung geht. Es ist der Anlass, um im Allgemeinen über Künstler, deren Werkzeuge und Motivwahl zu philosophieren, wie das folgende Zitat (Seite 142) zeigt: „Der Künstler ist in seiner Motivwahl alles andere als frei. Sollte er seiner Lage nicht bewusst sein und wie Claude Monet proklamieren, er würde nur das malen, was er sieht, und das womöglich mit dem berühmten „unschuldigen Auge“, das jeden Tag die Welt neu sehen würde, dann muss ihm erklärt werden, dass er nicht alles was er sieht, auch malen kann. Dass er aus dem visuellen Angebot solche Auswahl treffen muss, die sich auch medial umsetzen lässt, und er daher nur das zu sehen hat, was er malen kann und nicht umgekehrt.“
In der Folge der kurzen Kapitel unter dem Obertitel Räume und Räumchen beschäftigt sich Lesák anhand konkreter Beispiele und auch persönlicher Erfahrungen mit dem Problem zweier Wirklichkeiten, in denen wir hin- und herwandern? Die knappen Untersuchungen reichen von der Durchdringung zweier Epochen bis zur Diskussion von Ähnlichkeit, Identität, was auch das Vergleichen mit relativierenden Maßstäben bedeutet.
In Nahverkehr und Fernverkehr stellt sich Lesák den Eindrücken, die er aus seiner äußerst selektiven Buchauswahl gewonnen hat, deren Autoren Beckett, Leibniz, Piaget und Sartre sind. Freilich wird eine besondere Entdeckung präsentiert, Xavier de Maistre: Reise durch mein Zimmer (1794 !), die das Thema Lesáks ganz besonders befördert.
Im drittvorletzten Kapitel kommt der Autor unter dem Titel des gesamten Buches nochmals auf den Roman Jalousie oder die Eifersucht von Alain Robbet-Grillet zurück. In der Verfolgung der Texttreue geht es um die präzise Raumvorstellung über eben dieses Haus, ob es eben nur ein Objekt durch Sprache dargestellt ist oder ein Architekturmodell in einem beliebigen Maßstab sein könnte?
Die Parforcetour in Befehlsräume. Über die Einsamkeit eines Massenturners lässt den Leser kaum zu Atmen kommen, denn unweigerlich zieht uns diese Selbstbeobachtung in ihren Bann als ob in unserem Bewusstsein körperliche Bewegung und detaillierteste Beobachtung der unmittelbaren Umgebung ständig ineinanderfließen.
Der Rezensent empfiehlt das Buch insbesondere angehenden Schriftstellern zur Aneignung einer präzisen Art der Beobachtung und deren sprachlicher Fixierung. (Schwafelnde Philosophen werden sich da leider fernhalten.)
František Lesák:
Häuser unter Beobachtung
247 Seiten
© 2017 Walter de Gruyter Gmh, Berlin/Boston
ISBN 978-3-11-054667-5
© 2018 Hermann J. Hendrich