Eine Buchbesprechung von Hermann J. Hendrich
Es ist wohl merkwürdig wenn ein Schriftsteller zu Beginn seines Druckwerkes vom Schweigen schreibt, und zuerst dem Schweigen Energie zuweist, und dies dann zu einem Häufchen Restenergie reduziert. Sogar dieses Häufchen wird durch das Schweigen des Schweigens, wie ich meine des VERschweigens, ausgelöscht. Die Idee eines Satzes der Erhaltung der Sprachenergie. Ja, wenn es ihn gäbe sind die etwaigen Folgen anders zu erfahren als die entsprechenden Anmerkungen in den Überlegungen in der Startposition von Walter Kreuz. Zu dem Begriff Lauf (Seite 11) wäre noch auf die Verwendung eben dieses in den Schriften und Vorträgen von Oswald Wiener hinzuweisen. Freilich läuft Karla, das Mädchen oder die junge Frau, als Titelheldin durch das Buch bis zum Schluss, an dem sie ihren wohlverdienten Pfefferminztee trinken kann.
Lassen wir uns aber nicht durch die theoretischen Überlegungen des Autors soweit beirren, dass wir den Sprech des „Extraktes“ als etwas, was Schweigen beinhalten könnte, auffassen, es gibt darin nichts Verschwiegenes, außer wir Leser verschweigen uns selbst etwas, wenn uns aus dem Text etwas anspringt, was wir nicht so gerne in unser Bewusstsein bringen.
Mir erscheinen diese 179 Seiten als ein vielleicht nicht nur von mir ersehnter Lichtblick in der Österreichischen Literatur des Anfangs des 21. Jhdts. Kreuz hat eine lange Beschäftigung mit Sprache und Sprech-performance in der Öffentlichkeit seit sehr vielen Jahren vollzogen und sich mit den entsprechenden internationalen Strömungen ausgezeichnet vertraut gemacht. Mir scheint, dass hier ein Autor die wesentlichen Traditionen der modernen Poesie und Prosa in einer gänzlich neuen und unbefangenen Weise weiterführt, wir haben in der deutschen Sprache ohnehin wenig hergebrachtes, angefangen von Jean Paul, DADA, Arno Schmidt, der konkreten Dichtung nach 1945, Ernst Jandl, Marc Adrian, Teile der Arbeiten der sogenannten Wiener Dichtergruppe, oder auch des Rezensenten.
Ich will auch Marianne Fritz in diesem Zusammenhang erwähnen.
In der englischen Literatur gibt es dafür einen wesentlich stärkeren Strom, angefangen von Laurence Sterne, Lewis Carroll, Gertrude Stein zu James Joyce, Samuel Beckett, Kenneth Patchen, und einigen der zeitgenössischen Schriftsteller.
Die Zusammenhänge zwischen der Schmidtschen Methode, Geschichten im Dialog zu erzählen und dem Kreuz-Extrakt wären noch ins Detail nachzuvollziehen, als Hinweis für manche Seminararbeit an einem entsprechenden Universitätsinstitut. Der Haupttext des Extraktes besteht doch aus Mono- und Dialogen.
Kreuz gliedert sein Extrakt in diverse „Ereignis-koordinaten“, die zeitlich und räumlich festgelegt werden. In diesen Kapiteln, die von der Sprache, von der internen Bewegung und auch vom Lay-Out jeweils ganz speziell geprägt werden, führt uns Kreuz in die Fluchtwelt der Karla, deren persönliche Geschichte sich allerdings nur ganz langsam in den 16 Ereignis-koordinaten entfaltet und deren Verschränkung mit einer Reihe von anderen Personen, die auch Bäume oder Möven sein könnten oder können. Eine Hauptrolle spielt die Straßenbahnlinie 21 mit ihrer Umgebung im Nordosten der Stadt Wien. Es ist aber nicht diese Fluchtgeschichte aus einer eher entsetzlichen familiären Situation, die uns dabei so interessieren könnte, sondern die große Fülle der Sprachspiele, der Worterfindungen, der teilweise gereimten Sprechmusiken, des ständigen Changierens von Subjekt zu Objekt usw., oder knalltrockener oder tief ironischer Feststellungen. Ein Beispiel: „Jeder zweite Winkel ist das Denkmal einer stillen Verzweiflung. Jeder erste ein Überlebenswille.“
Es gab in den 70er bis 80er Jahren österreichische Literaten wie Wimmer, Herbst, Czernin, Hell, Steinbacher, Jaschke oder Schmatz, aber ich kann mich in den letzten 10 Jahren an keine Arbeit der genannten erinnern, die mich in ähnlicher Weise angesprochen hätte. Wünschen wir dem Autor die Möglichkeit, diesen Extrakt mal mit allen anderen bereits erarbeiteten Textteilen in einer wesentlich umfänglicheren Auflage zu bündeln.
Walter Kreuz: Karlas Lauf gegen die Raumzeit Extrakt Edition Roesner artesLiteratur 2008 Maria Enzersdorf € 19,80