© Helmut Eisendle
Franz Krahberger bemüht sich seit mehreren Jahren, das, was in aller Munde ist, nämlich die neuen Medien internet, world wide web und pc als Mittel für Literatur und Literaturkritik, also auch als Feuilleton zu verwenden. In seinem neuen Buch: Das Babylon-Projekt zeigt er die komplizierte Entwicklung auf und versucht auch das komplexe Vorhaben, dessen Ziel nicht näher zu definieren ist, darzustellen.
Mit seinem electronic journal literatur primär gelingt es ihm, meine ich, eine Verbindungsachse zwischen den Möglichkeiten der neuen Wunderwelt www mit vornehmlich orthodoxen Mitteln: Texte, Gedichte, Tonaufnahmen herzustellen. Das heisst, das Neue ist streng gekoppelt an das Alteinhergebrachte und nichts wird nach der Parole gelöst, die heisst: Schaffen wir alles ab und ersetzen es durch eine virtuelle Welt. Den modischen Strömungen, die in einer aftermodernen Virtualität alles Konventionelle beseitigen wollen, stellt er sich vehement entgegen. Was aber das neue Medium www auch bei ihm verlangt, ist nicht mehr und nicht weniger als ein kreatives Vorgehen, eine neue Form der Intelligenz, die man Selektionsintelligenz nennen könnte. Das heisst, es ist alles da, nur Du musst es auch finden.
Die Computerisierung der Information beruht auf einem formalen Prinzip, die jener symmetrischen Übung und Durchführung einfacher Substitutionen von Ramon Lull oder Willhelm Leibniz ähnelt, die meinten damit alle Kenntnisse zu umfassen und zugleich zu übertreffen. Trotzdem griffen die Vorfahren als auch jene, die den Computer füttern zu kurz - wegen der Sprache, durch die jede Methode angeregt wird, die sie aber nicht trägt. Denn die Sprache, selbst wenn sie ausgewählt und bereinigt ist, bleibt unzulänglich. Erst in der umfassendsten Kenntnis der unabhängigen Funktionen, die überhaupt möglich ist, würde diese Problematik gelöst werden.
Die unmittelbare Beziehung zwischen Medien & Wirklichkeit besteht in der Vervielfältigung & Maximierung der Medien selbst.
Die unzähligen Einstiegsmöglichkeiten in die neue weltweitewunderwelt wwww erschliessen neue Publikumsschichten, die sich der Quantität fügen & jede mögliche Eigenheit als Masse verlieren.
Man spricht zwar von einer Demokratisierung des Lesens und Bildens, bedenkt aber nicht, dass dieses Medium ein neues Repertoire von Wahrnehmungstechniken benötigt, damit eine Hinleitung zu spezifischen Themenbereichen ermöglicht wird.
Wie die Erfindung des Schiesspulvers den Einzelnen wehrloser und unfreier gemacht hat, so hat sich nicht nur aus den Medien selbst, sondern auch aus den Konflikten der Medieninhaber und ihren Interessen die Wirklichkeit des Publikums und damit die Würde und Selbständigkeit des Einzelnen zu- rückgezogen. Das bedeutet, dass auch im Medium www der Einzelne im gleichen Masse gefordert wird wie bei der Auswahl und beim Lesen eines Buches.
Das, was der Computer kann, seine Techniken, seine Organisation und Verwendbarkeit von Datenmengen, seine Möglichkeiten über software und hypertext Neues zu produzieren, erinnert an Wissenschaft und Kunst, die sich zwar in der äusserlichen Entwicklung und ihren Bedingungen unterscheiden, die aber, je weiter man von der Wissenschaft zum Wissenschaftler und vom Werk zum Künstler zurückgeht, die Unterschiede immer mehr verfliessen lassen. Die Anziehung von Strohfasern durch eine geriebenes Stück Bernstein hat die gesamte Erforschung der Elektrizität erzeugt und heute können wir uns die Welt gar nicht mehr anders als eine Art von elektrischem Feld vorstellen.
Die durch die Medien vermittelte Wirklichkeit kann zwar als ein Teil von ihnen gesehen werden oder als etwas, das sich gegen die äussere und persönliche Wirklichkeit und Freiheit richtet. Die mediale Realität dient einer globalen Einflussnahme oder sie dient der Rechtfertigung spezieller Handlungen im Zuge politischer Konflikte.
Die Regeln, nach welchen mediale Wirklichkeiten erzeugt werden, folgen verschwiegenen Gesetzmässigkeiten, die keiner kennt, doch aber befolgt.
Man könnte denken, dass die medialen Regeln ein Charakteristikum zum Erlernen der Welt-Wirklichkeit sind. Das ist aber so falsch wie die Annahme, dass Wissen Macht vermittle.
Die Geschichte der Wissenschaft ist alles in allem die Geschichte von Ideen, die man sich von der Macht der Menschen über die Dinge und von der Verwirklichung der Ideen gemacht hat. Diese Geschichte hat in ihren Anfängen zwei Zugänge: einerseits die Magie und andererseits praktische gewinnorientierte Erwägungen. Der Computer als Maschine hat ähnliche Bedeutungen: einerseits praktische Erwägungen, wenn er die Steuererklärung einer Grossfirma errechnet, andererseits die Magie der Kunst, die zum Beispiel über Hypertexte Kreativität und Information, Autorenschaft und Originalität ermöglicht und austauschbar macht.
Das Begreifen von Wirklichkeit ist kein Begriff, der genau feststeht. Die Wirklichkeit ist und bleibt etwas äusserst persönliches. Durch mediale Regeln wird die Wirklichkeit entpersonalisiert, dem Einzelnen wird Charakter und Freiheit genommen, indem er gezwungen wird, sich zu fügen. Über Monitore wird eine, und nur eine Wirklichkeit hergestellt, die jener, welche meine Umwelt erzeugt, widerspricht.
Paul Valéry schrieb im Aufsatz: Lob der Virtuosität um die Jahrhundertwende folgendes: Texte und Partituren sind in der Tat nur Systeme von konventionellen Zeichen; jedes einzelne davon soll einen Akt, dem es entspricht, auslösen. Die Qualität jedes einzelnen dieser Akte, die Qualität ihrer Verkettung und ihrer geheimnisvollen sukzessiven Abhängigkeit hängen von demjenigen ab, der handelt und die Verwandlung des virtuellen Werkes in ein wirkliches durchführt.
Dagegen wäre es Unsinn zu sagen: Die Regelhaftigkeit der Medien wird befolgt und stellt Wirklichkeit her, weil sie Bedürfnisse deckt.
Das Dilemma der persönlichen Eigenart des Menschen liegt in der Frage: Wird die Sicht der Wirklichkeit des Einzelnen durch die Medien provoziert und in Regelhaftigkeit und Regelmässigkeit der Medien verifiziert, auch wenn der Einzelne nur konsumiert, das Konsumierte aber nur auf- nicht aber annimmt ?
Man muss nur bedenken, dass es Wirklichkeiten gibt, die keinerlei Verifikation in sich ermöglichen. Hinter der Unmöglichkeit dieser Definition verbergen sich Begriffe wie politisches, kulturelles Bewusstsein, Eigenwelt, Freiheit, Persönlichkeit.
Die Aftermodernität derer, die den Begriff virtuality zu schnell in den Mund genommen haben, leidet an folgendem Dilemma: Was sie gemacht haben, war: 1. Eine Konvention in Frage zu stellen, ohne eine andere zu liefern. 2. Die Konventionen im allgemeinen in Frage zu stellen, wo doch jede Sprache, auch eine Maschinensprache selbst eine solche ist. 3. Aus der Form selbst Scheinresultate zu produzieren, die der Qualität der alteinhergebrachten Konventionalität nichts voraus haben.
Krahberger versucht in seinen Arbeiten, vor allem im electronic journal literatur primär und über den Begriff hypertexte, zumindest darauf hinzuweisen., dass auch diese Möglichkeit ohne das Medium Computer bereits vorhanden war (Okopenkos Lexikonroman oder Queneaus unendliche Gedichte sind Beispiele davon)
Die medialen Regeln der Konsumzwänge beschreiben eine, und nur die Wirklichkeit. Diese Beschreibung findet in einer Regelmässigkeit statt und ist nie die Beschreibung der eigenen Wirklichkeit, die zu einer bestimmten Zeit gemacht wird, sondern sie ist eine zur Lüge avancierte allgemeine, politische oder zivilisatorische Wirklichkeit. Um sie also solche zu verstehen, muss man zwar die mediale Wirklichkeit über sich kommen lassen, doch aber die eigene in einen Vergleich zu dieser stellen.
Konsumiere ich eine Wirklichkeit einer bestimmten, geregelten, regelmässigen Selektion, ist meine ausgeklammert und meine Zeit, mein Raum, meine Realität der anderen unterworfen. Die Medien sagen in Regelmässigkeit nicht, was ist, sondern was in meinem Hirn sein soll, sie beschreiben niemals meine Wirklichkeit. Sie verkörpern alles, was in einer Art und Form von Modellen von Macht und Welt-Realität an der der Benützer interessiert ist.
Die tatsächlichen Möglichkeiten die ein hypertext liefert, folgt einer Forderung, die Brecht in den Dreissigerjahren aufgestellt hat:
Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar grossartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heisst, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung setzen.
Dasselbe kann man für den Computer beanspruchen, im speziellen, wenn man an den Begriff hypertext denkt. Der Benützer wird in bestimmten Fällen zum Co-Autor des Herstellers des Textes.
Zwei Kapitel des Buches sind einem speziellen hypertext gewidmet, an dem Krahberger seit mehreren Jahren arbeitet: Das Admonter Programm.
Seine Untersuchungen der Admonter Stiftsbibliothek war auf das programmatische Gesamtkunstwerk Bibliothekssaal gerichtet. Dieser entfaltet im ersten Eindruck Pomp, Pracht und Prunk, alle Eigenschaften des Barocks, jener Kunstrichtung also, welche die österreichische Kulturlandschaft nachhaltig geprägt hat. Man kann es als Gesamtkunstwerk sehen, dass die bildenden Künste, die Architektur und die Welt des Buches, die Entwicklung der Schrift und der Drucktechniken zusammenzieht und dadurch ein multimediales Ensemble darstellt. Die Fresken des Raumes, die Konsolbüsten und das Skulpturprogramm bilden einen umfassenden Kosmos religiöser, mythologischer, humanwissenschaftlicher und naturwissenschaftlicher Inhalte. Durch den Computer ergibt sich eine Lesart in der Art eines hypertextes.
Krahbergers Textsammlung: Das Babylon-Projekt ist ein sehr aufschlussreiches Buch über die Möglichkeiten des Computers als Informationsmedium und zugleich als Produktionsmittel. Auch der ausführliche historische Hinweis, dass ohne die Kombinatoriker und Systematiker Ramon Lull, Athanasius Kirchner, Gottfried Wilhelm Leibniz der heutige Stand der Computerisierung nicht möglich wäre, die Entwicklung zum Hypertext und Hyperraum, die Mythen der Kommunikation, virtuelle Kriege, mediale Kriege und die geschichtslose Welt, und drohender Technofaschismus werden in diesem Buch behandelt, das sowohl den Konsumenten als auch den Produzenten des Computers interessieren sollte.
Ein Textkompendium zur Computerkultur
Franz Krahberger
Tritonverlag Wien1997
ISBN 3-901310-64-9
Preis öS 220,- / DM 31,- / sfr 30,-
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