Die Idee umkreist mich wie ein wildes Tier


Über die neue Prosa von Ingram Hartinger

© Helmut Eisendle


Hartinger erfindet in den drei Prosastücken: Blutbeeren - Atmen - Die Idee umkreist mich wie ein wildes Tier - Figuren, um sich, wie ich glaube, existentiell mit einem, seinem, unserem Leben zu befassen.
Dieses mit dem Leben befassen ist weniger bedenklich, wenn man es genauer zu verstehen versucht. Und das gelingt Hartinger unerbittlich.
Was heißt das, eine Existenz liefere das, was sie vielleicht nicht ist und sei sie auch, was sie ist?
Es geht ganz einfach darum, dass eine Existenz oder ein Leben im Gegensatz zu etwas Vergangenem auf sein unablässiges Bewusst-Sein hin beschrieben wird. Etwas Totes ist mit sich selbst identisch, es ist, wie es ist. Das Wesen eines Lebens dagegen ist, auch wenn es erfunden ist und erzählt wird, eine dauernde Veränderung bewusster und unbewusster Vorgänge. Ein Leben wird jeden Augenblick anders. Das bestimmt das erzählte Leben. Auch wenn es bis zum Tod beschrieben wird.
Hartinger versucht etwas zu erzählen, indem er an jemanden denkt. Aber dieses Erzählen, indem er an jemanden denkt, berichtet nicht von echten Erlebnissen, weil die Menschen, an die er denkt, ihm noch immer unbekannt erscheinen. Rätselhafte Wesen. Der Leser weiß also nicht genau, von wem die Rede ist. Von Vermutungen, von Erinnerungen, spricht Hartinger von sich selbst? Er sucht etwas. Er findet und erfindet Menschen, indem er sie zu erkennen glaubt, indem er versucht, von ihnen zu reden und zu erzählen wie ein Mathematiker von seinen Dingen redet, unablässig an sie denkend, weil sie nur denkend wahrnehmbar sind. Ob sie der Wahrheit entsprechen ist eine müßige Frage, die der Literatur nicht gehört. Es ist zum Beispiel schwer Gedanken und Stimmungen zu verstehen, die aus einer anderen Welt kommen. Dort herrscht eine unzugängliche Einsamkeit. Wenn man sich dieses Zustandes nicht bewusst ist und man nicht entschlossen ist, das Rätsel zu lösen, bleibt man auch als Leser draußen.
Die Idee umkreist ihn wie ein wildes Tier. Gerade noch hat er geschlafen – die Zeit des Horrors, die Zeit, welche nur Geräusche von sich gibt, macht es schwer, noch gute Ideen zu haben. z.B., mitten in flauschig urchristlicher Zeit und inmitten der Wunder einen Menschen zu finden, der das andere Kostüm trägt, die andere Hose gar, nicht Sonnenbrille oder jene rostenden Hacken für die bessere Gegenwart – ein Frühlingsgesicht. Jemand, der einen Blick auf den Körper des Alten wirft, der seine eigenen Gesten hat, die das Herz dem weiten, der nicht mehr auf dich, Frühlings-gesicht, hofft. Idee der letzten Wende im Rest von Schmerz und Müdigkeit, Idee des ernsten Wollens, der wahren Kraft zum Tod. Sind das gute Ideen? Wenn man erfahren will wie es im Menschen zugeht, sicher.
Aus einer Schachtel einer beklemmenden Hinterlassenschaft klaubt er ein Konvolut von zusammengeschnürten Zetteln hervor. Satzanfänge, schiere Wortkristalle. Er liebt es, sich und die Beschriebenen mit Worten zu umstellen. Der Alte, das Mädchen, er, Hartinger und all die anderen.
Entworfen ist das, was es nicht gibt oder nicht mehr gibt. Eine Flut von Daten wölbt sich auf, doch im Hintergrund immer nur Mond. Mond in der Lagunenstadt, Mond im fernen All, im Überall der Monde. Das große Weiß, rührend leicht für den Abschied bestens geeignet. Das gegenständliche Weiß, in dem die Flüchtlinge des Lichts sich tummeln. Und wer sind wohl die kleinen schwarzen Punkte, dir dort unten immer noch übrig bleiben?
Erst wenn kein Wort auf das andere Bezug nimmt im vulkanischen Quartier, dann ein Zögern mitten im Epischen. Die Erdkruste – ein noch nicht abgekühlter Prototyp – überzieht den eingeschmutzten, zerquetschten, den penetranten und kaputtgemachten Text.
Die Idee umkreist ihn wie ein wildes Tier. Dieser Satz von Witold Gombrowicz, der Hartinger als Titel des dritten Prosastücks dient, drückt auch sein Verfahren aus:
In der Tat, schreibt Gombrowicz in Ferdydurke, in der Tat – das Wort möge entweder Werkzeug des realen Interesses des einzelnen sein, oder es diene geradewegs und selbstlos der reinen Kontemplation und höheren, objektiven Erkenntnis; wenn aber jemand etwas denkt, ohne irgendeinen realen Nutzen aus den Gedanken zu ziehen, drängt sich die Frage auf, wozu er denkt? Schaut man die Menschen an, so könnte man meinen, dass sie die Wirklichkeit wie einen Todfeind fürchten und dazu berufen sind, sie zu misshandeln und nach ihrem Gutdünken aufzubauschen, dass es Aufgabe des schreibenden Menschen nicht sei, nach Realität zu streben, sondern die ganze Welt bis zum Gehtnichtmehr, bis zum Übermaß zu entstellen.

Ingram Hartinger, Die Idee umkreist mich wie ein wildes Tier, Kitab, Klagenfurt, Euro 19.-


 


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