© Franz Krahberger
Wenn er titelt Mit mir, ohne mich, fragt man sich folgerichtig,
ob es denn ohne Gauss auch ginge. Tatsächlich hat er in seinem bei
Zsolnay im Frühjahr des Jahres erschienenen Buch, entgegen der
euphorischen Ankündigungen, kein besonders Gewicht auf die essayistisch,
literarische Waage gebracht.
Vergessen bereits jetzt im Oktober, dass er von Luc Bondy anlässlich einer Lesung
das eigene Buch an den Kopf geworfen bekam.
Gauss hat das Aussehen des Luc Bondy nicht gefallen, und so hat er ihn
metaphorisch in einen sich aufplusternden Vogel verwandelt, ausgestattet mit einem
veritablen Kropf der Selbstzufriedenheit. In einer Zeit,
in der es vor allem auf Telegenität und weniger auf Intelligenz und schon
gar nicht auf Genialität ankommt, wirkt das irgendwie geschäftsschädigend.
Offensichtlich ist der Bondy ein eitler Mann, sonst hätte er sich
zu seinem gelungenen Bücherwurf nicht hinreissen lassen. Muss ihn sehr
gewurmt haben, da er ja persönlich, um das Buch Gauss nachwerfen zu können, zum Gaussischen
Vortrag anreisen musste.
Ich habe mir dann kurz eine metaphorische Verwandlung des Karl
Markus Gauss überlegt, und bin naturgemäss auf die salzbübische Form
des wiederkäuenden Stierwoschas gekommen. Aber bitte das nur als
Einfall zu betrachten und nicht als definitive Feststellung gaussischen
Aussehens zu werten. Wie lässt schon Friedrich Torberg seine Krautfleckerln
servierende Tante sagen: Was ein Mann schöner ist als ein Aff, ist reiner Luxus..
Eine weibliche Weisheit, die Bondy übersehen hat. Denn so hätt er sich die völlig
unnötige Erregung ersparen können. Andererseits leben wir in Zeiten, in
denen das Aussehen die Hauptrolle in der Komödie der telegenen
Eitelkeiten spielt. Alles muss News-und RTL gerecht sein. Sonst schaut man
blöd aus der Röhre, beziehungsweise aus der Wäsche.
Da eröffnet sich
ein neuer Zweig der Literaturkritik. Künftighin wird beachtet werden müssen,
ob Herr und Frau Autor(in) auch Armani Wear traegt, oder ob es bloss ein
Wegwerf Sakko von H&M ist, die ich so gerne im Zeitraum eines Jahres
austrage.
Gauss hat ein besonderes Talent darin, seine Produkte bekannt zu machen, in dem er sich an
den zwangsläufigen Grössen und Akteuren des Kulturbetriebs reibt. Letztere gehört an sich zum
Handwerk des Kultur- wie Literaturkritikers.
So klagten ihn vor geraumer Zeit sechzehn Ö3 Mitarbeiter(inn)en vor dem
Landgericht St.Pölten wegen Beschimpfung, Verspottung und Beleidigung
ob der Gaussischen Behauptung, dass bei Ö3 die Mitarbeiter ausschliesslich
aus den grössten Deppen jedes Maturajahrganges rekrutiert werden, und
der am schnellsten seine eigene Sendung moderieren darf, dessen sprachliche
Fähigkeiten am eingeschränktesten sind. (siehe Didi Neidhart Schluß mit lustig!
auf Kunst/Fehler On-Line Okt. 1998).
Was der Andre Franzi Heller schon lange darf, ist dem Gauss offensichtlich
verwehrt. So muss er halt mit Klagen und aktiv geworfenen Kopfstücken rechnen.
Aber nun zum Buch des bondyschen Anstosses. Nachdem Karl Markus Gauss genau
weiss, dass Tagebücher erst nach dem Ableben eines Autors vermarktet werden
können, abgesehen davon, dass heutzutage bereits staatliche Bibliotheken den Vorlass
ankaufen, hat er eine neue Form erfunden.
Das Monatsbuch !
So folgen wir ihm vom August eines nicht näher definierten Jahres, das können wir
uns auf Grund der bezogenen Ereignisse selbst erarbeiten, bis in den Juli des Nachjahres.
Die Methode ergibt konkrete wie schlichte Kapitelüberschriften: September, Oktober,
November, Dezember, Jänner... und so weiter. Toll, das nenne ich absolute
Versachlichung.
Wie die durch Salzburg taumelnden Tausenden Touristen hangelt
sich Gauss von einem medialen Ereignis, von einer Erinnerung zur anderen.
Er folgt dem Fluss der Bilder, diesem merkwürdigen weissen Rauschen der
Medien, die in Lethe, dem Trunk des Vergessens enden. Schreibt Botschaften
aus Grado. Sitzt im trautem Freundeskreis im Salzburger Künstlerolymp, in
der Pension Wartenberg, oder war es der Krempelstetter.
Diese Chronik der laufenden Ereignisse gerät zu einem Mix Mix aus Kraut und Rüben, nicht weit entfernt von der Iglo Frost Verwertung des Marchfeldgemüses, zur Gaussischen regelmässigen Monatsschreibererei. Ich kann mir eine nicht enden wollende Serie bei Zsolnay vorstellen. Der Jahres-Gauss in Monaten gegliedert. 2002, 2003, 2004, 2005.........who is who in 2010. Das ist schon eine gute Perspektive im Hinblick auf die in nicht mehr allzuferner Zukunft anstehende Altersversorgung.
Das ganze hat aber einen grundlegenden Webfehler. Schaut ein Gauss in die Zeitung,
oder eben in die ORF-ische Röhre, schaut kein Karl Kraus, so wär der Gauss halt gern, heraus.
Aus vermeintlicher Zeitkritik wird beliebiges Geplausche behäbiger Salzbürger
Strickart. Von einem aufgehobenen Schnitzer zum anderen ergibt es eben das, was es ist. Geschnetzel.
Gauss, der den Medien immer schon Beliebigkeit und fundamentale Dummheit (siehe
oben ) vorgeworfen hat, fällt selbst in die Grube, in dem er den Fluss der medialen
Information zum Gegenstand seiner Betrachtung in chronologischer Folge macht.
So können tatsächlich weder Einsichten noch strukturelle Erkenntnisse zustande
kommen, abgesehen einmal vom mängelhaften wie disloziertem Hintergrundwissen über lang anhaltende gesellschaftliche Prozesse, also genau jenem Mangel, der so charakteristisch ist für den
noch immer aktuell erscheinenden Life- und Politstylejournalismus etwa des NEWs.
Der Zsolnay Verlag nennt die Gaussische Ansammlung ein Logbuch eines skpetischen
Europäers und eine Dokumentation geistiger Unabhängigkeit.
Das
könnte mich zu weiteren Sotissen hinreissen. Ich verbleibe aber bei der Feststellung,
dass es bloss das Logbuch einer seichten Wasserreise zwischen Salzburger Schnürlregen,
Wolfgangsee und nordadriatischer Küste geworden ist. Ja, da im Covertext steht auch der Zeitraum der Gaussischen Jahresmüh. 2000 - 2001....
Über eine seiner Sequenzen empfehle ich Gauss jedoch nachzudenken:
Die rohe Formlosigkeit. Vor mehr als dreissig Jahren war ich bei den ersten, die
in Salzburg ohne Krawatte in die Schülervorstellungen des Landestheaters gingen,
von den Lehrern gescholten, von den Theaterabbonenten mt zischernder Feindseligkeit
empfangen, bei den ersten, die mit schulterlangen Haaren im Café Bazar Platz nahmen
und sich stolz der rüppelhaften Behandlung seitens der Kaffeehausobrigkeit aussetzten,
die den bestellten Espresso mit verächtlicher Gebärde auf das Tischchen knallte. Heute
bin ich in derselben Stadt von dünnbeinigen Greisen umgeben, die tagsüber in kurzen
Hosen und Ruderleibchen durchs Kaffeehaus tappen, und jungen Leuten, die
abends im Kino so viel Bier trinken, daß sie die Vorstellung zweimal lärmend
verlassen müssen, um sich zu erleichtern.
Es war meine Generation, die dem Alltag die Zügel abgenommen hat. Jetzt
ärgern wir uns, dass das wilde Tier, aus dem Geschirr gespannt, sein Revier
ungeschlacht in Besitz nimmt. Zum wiederholten Male bricht die Zivilisation
zusammen, nur bin peinlicherweise diesmal ich, der es beklagt.
Das, Markus Gauss, wäre wirklich ein ernst zunehmendes Thema, auf dessen
weitere Reflexion ich im Zug der Jahresschrift vergebens gehofft habe.
Da könnte man was draus machen, ohne bei Houellebecq abschreiben zu müssen.
Vielleicht sollte Gauss weniger oft fassungslos bei McDonalds einen BigMac
verzehren und weniger ORF-TV schauen und die dabei gewonnene Zeit für eine
ernsthafte Analyse und Reflexion dieser uns allen gemeinsamen Geschichte
aufwenden.
Eins frage ich mich noch. Gauss hat sein Buch einer Maresi gewidmet. Ist das
seine Frau oder seine Geliebte, eine Gönnerin oder gar die Milchmarke Maresi ?
Sollte letzteres der Fall sein, wäre die Nennung der leichten Kaffeemilchmarke
Die leichte Muh angebrachter gewesen.
Na klar. Das ichs nicht vergesse. Die Elisabeth Fallenberg und ihr Starfotograf
Pedro Kramreiter durften mehr oder minder abschliessend in den Gaussischen Aufzeichnungen nicht fehlen, hätte aber genauso
gut Mamarazza Sayn Wittgenstein, oder Lisl und Elliette mit Pi Pa Po im Tross sein können. Gleich in textlicher Nähe zu einem kurzen Bericht über Tuvalo, einem Inselstaat im südlichen Pazifik. Damit hats der Gauss geschafft,
dem Zsolnay einen Jahres-Adabei anzudrehen. Das soll ihm der kronenzeitliche Jeanne, alias Baron Krone, einmal nachmachen.
Ebenso wenig aufschlussreiches, also wenig mehr als in den Medien berichtet, bzw. in anderen Büchern schon gestanden hat, abgesehen von den so gscheit wirken wollenden Schnoddrigkeiten, die immer schon für den feuilletonistischen Stil charakteristisch
gewesen sind, erfahren wir in willkürlicher Aufzählung folgender Nennungen und Formulierungen: Der Untergang eines russischen U-Bootes in der Barentsee; Salzburger Festspiele; Reinhold Messner; Grado und die In-Line Skater; Furien des Schwachsinns; ist der Gebildete eine Lachnummer der Unterhaltungsbranche; Bruno Kreisky; Die Presse; die FPÖ; die siegreiche Kulturindustrie; Milosevic; Kameradschaft IV; Flora und Kubin; Liberation; Flower Power; Franz Grillparzer; 70.Geburtstag von Thomas Bernhard; Irgit Schynybajoglu Dsurukuwaa; Stalin; Herzl; die seichten Novitäten eines Bernard Henry Lévy; Alain Finkelkraut;
der Weg der osteuropäischen Intellektuellen;Volkspartei; Ulivo; die Verbrechen der Modernisierung; McVeigh;
österreichisches Standard Hochdeutsch.....
Dieser zusätzlich zur Lektüre willkürlich vorgenommene Cut Up aus zufällig aufgeschlagenen Buchseiten im Zuge des Buchverlaufes schafft einen Eindruck, den man auch bei genauerer Lektüre des Buches nicht wirklich anders erhält. So entsteht die Beliebigkeit des Herausgebers von Literatur und Kritik.
Und ich verspreche ihm, das Buch an einem trüben Wintertag fertig zu lesen, auf der mühseligen Suche nach wirklich beeindruckenden Zeilen. Irgendwie habe ich aus Zeitknappheit ein paar Monate überschlagen müssen.
Mit mir, ohne mich
Ein Journal
Paul Zsolnay Verlag Wien 2002
ISBN 3-552-05181-3