Durch GIER zieht sich ein grüner Faden von Pflanzenbildern
- von der gezähmten Natur im Vorgarten des Gendarmenhauses bis zur
Wildnis der Pflanzen im Baggersee, zu den Waldrändern und Bachsäumen
und Gebüschen. Dort misshandelt und tötet der Gendarm Kurt Janisch
und sucht schließlich nach seinen Lustspuren.
Mit den Pflanzenabkömmlinge(n) im Vorgarten, von denen man
nicht weiß, wo sie her sind, gekauft kann er die nicht haben!,
steht am Beginn des Textes eine Planzenmetapher für die titelgebende
Art Gier, die unmerklich kam, doch schließlich, sogar für
die Nachbarn merklich, den Gendarmen ganz beherrscht (Gier,
Seite 8).[2] Die Gendarmengattin rupft die Ableger
in der Baumschule heimlich aus den Töpfen (17) und pflanzt
sie in den schmalen Streifen, ihren ertrotzten Gartenfleck,
der verblieben ist, nachdem der Hausherr für sein Auto den Garten
zubetoniert hat (245 f). Hier ist dem dämonischen Ideal des Sauberen
entsprochen - kein Stäubchen Unkraut zwischen den Ritterspornen
und den Akeleien (247; das „Durchputzen“ wird immer wieder als Koitusbild
auftauchen). Dieser schmucke Garten zieht zwischen den Zaunlücken,
am massiven Tor vorbei, Blicke auf sich. Der Gendarm jedoch verträgt,
wie gesagt, fremde Blicke nicht gut (244), und so bleiben wohl auch
die Namensschilder der Pflanzen, die aus der Baumschule mitgekommen sind,
als Spuren des Gesetzesbruchs der Gendarmengattin unentdeckt:
Andre wären gern durchsichtig, um durch den Zaun sintern zu können und die Schilder in Ruhe zu lesen, welche zu den Pflanzen in den Boden gesteckt wurden, wo hat die Frau Janisch die bloß gekauft? (247)
Die frohbunten Geranien auf der Fensterbank sind jeder und jedem von uns vertraut, die wir durch Österreich gefahren sind und, wie uns Elfriede Jelinek versichert, zu Recht hinter dem properen Äußeren der Einfamilienhäuser Gewalt phantasiert haben. Dieser Blumenschmuck ist an der Grenze von Innen und Außen Camouflage einer gewalttätigen Privatsphäre.
Dass die Alte auch immer hinfallen muß! Komm noch einmal näher, du alter Scheißhaufen, dann zeigen wir dir, wie erbärmlich du bluten kannst hinter den frohbunten Geranien auf der Fensterbank, die nach außen zeigen, damit man nicht nach innen sehen kann. (21).
Noch neben dem düsteren Baggersee ist Das mit einer Geraniendirndlbluse
gezierte Gasthaus mit dem dazugehörigen Garten, so freundlich!
(82). Die Geranien blinken auch noch auf den Photos weiter, wenn ganze
Häuser – wie bei der Katastrophe in Lassing – in die Tiefe der Erde
gesogen werden (185).
Blüten, meinte Freud, sind die Geschlechtsorgane der Pflanzen
[3], und die Tradition nährte sich aus
der Assoziation Frau : Blume (vgl 225). Den Gendarmen drängt [es]
sofort hinaus in den Vorgarten, wo die Blumen blühn und etwas mehr
versprechen, nämlich eine Frau, die man mit Blumen abholen kann.
(73; vgl 182). Seine sadistische Apathie, seine Gefühllosigkeit, seine
dunkle Seele schreibt Elfriede Jelinek einem Bereich zu, der in
der Hierarchie des Lebenden noch unter den Pflanzen steht:
Sogar Pflanzen empfinden mehr als er, das schwöre ich Ihnen, sie hören z.B. auf Musik, wie in dieser Zeitschrift steht, welche die Frau dieses Mannes, eine Blumenzüchterin, gestern nach Hause gebracht hat, [...] (101).
Am menschengemachten Baggersee, als Leichenfundort einem wichtigen Ort
der Narration, kommen Pflanzen, Wasser und Berge zusammen. Die Tonnen
über Tonnen von Wasserpflanzen (78; 77 ff), die Schlingpflanzen, diese
Ludern (84) bedeuten, dass der Baggersee biologisch umgekippt ist (75).
Hier ist nur lebloses Leben gestattet. (87) Die Frage ist, wie
kann man eine solche Wasserlandschaft wie die des Sees schildern, ohne
wirklich ihre Sprache zu kennen? (81) In genauer Kenntnis nicht nur
der unheilvoll mit dem Nationalsozialismus verbundenen topoi [4]
der Naturbeschreibung und im Bewusstsein, dass uns das Erhabene unmöglich
geworden ist, nähert sich der Text den Grenzen der Wohlfahrtswälder
im Vorfrühling, den entwurzelten Bäumen, folgt dem Ausflug an
die Grenze zwischen Wald und Berg, dem gewaltsamen und schmerzhaften Sex
auf dem mit Kiefern- oder Lärchennadeln bedeckten Boden, der Suche
des Gendarmen im dunklen Erlengebüsch. Hier könnte die Lektüre
genauer fortschreiten zum ständig Katastrophischen in der Spiegelung
von Natur und Kultur: Muren, Lawinen, Endmoräne (199); Dekonstruktion
von Metaphern wie Erzählfluss; schließlich zum Verarbeiten rezenter
Eindrücke aus dem Diskurs der Medien. Die Bergwerkskatastrophen haben
uns bewusst gemacht: Das ganze Land ist ja innerlich hohl (183).
Ein gutaussehender und scheinbar leichtherziger Mann, der Gendarm, wie er uns Frauen eben gefällt. [...] Es ist ja verständlich, daß wir, vor allem die mit den älteren Geschlechtern, [...] uns trotzdem Fremde bleiben müssen! wir liebeshungrigen Damen, wir kennen diesen Gendarmen [...] leider nicht persönlich. (8)
Um dann als „ich“ mit den LeserInnen weiterzusprechen und eine Vorbehaltsklausel gegen die Identifikation mit ihrer Stimme und dem wörtlichen Sinn anzubringen:
Keine Sorge, ich mach das schon: Um Ihr kleines Liebesglück, das, wie jedes andre auch, auf Täuschung beruht, nicht zu gefährden, übernehme ich jetzt lieber allein das Erzählen. Fallen Sie mir nicht ins Wort hinein! (8)
Die Autorin erinnert die LeserInnen immer wieder an ihre Allmacht als Erzählerin, die über die Figuren oder die Zeitebene ihrer Erzählung bestimmt: Jetzt ist es endlich wieder heute, ich will es so (230). Dieses Erinnern lässt sich als Ironisierung des ungebrochen auktorialen Erzählens lesen. Ambivalenz wird entäußert, die Grenzen der Bedeutsamkeit des eigenen literarischen und des literarischen Tuns werden abgetastet und gezogen, zunächst im Verweis auf die Rezeption: Das wirft man mir oft vor, daß ich dumm dastehe und meine Figuren fallenlasse, bevor ich sie überhaupt habe, weil sie mir offengestanden rasch fade werden. (13) Aber auch im Verweis auf andere Diskurse, z.B. auf den juristischen, in denen Allmachtsphantasien im Spiel sind, beim richterlichen Sprechen etwa.
Doch ich fürchte, erst wenn im Namen der Republik zu ihm gesprochen [werden] würde, hätte es unsere Gemeinschaft der Lebenden zu beschäftigen [...] Ich fülle die Zwischenzeit mit meinem unergiebigen Gesang. (13)
Wir könnten der Erzählung – denn GIER ist ein narrativer Text
– im Shiften der Erzählerinnenstimme von Kontext zu Kontext, Konnotation
zu Konnotation nachgehen, durch die Einschübe und Auffächerungen
in Textfelder, in denen „ich“, „wir“, „die Frauen“ und
„die Frau“ einander umhüllen und ablösen. Eine Vielfalt und vielfache
Gebrochenheit,
die uns ein weites Feld der Analyse eröffnete, nicht zuletzt, da „wir“
oft direkt angesprochen zu sein scheinen: Aber ich bin trotzdem noch
fein raus, verglichen mit Ihnen. (241)
Die langen Passagen, die sich mit „der Frau“ im Umgang mit ihrem Aggressor
beschäftigen, erinnern mich an die polemisch-rhetorischen Mittel einer
Juristin aus Oberösterreich. Wenn sie ihren Kollegen sagen will, was
für elende Patriarchen sie sind, spricht sie mit flacher Stimme, ohne
ihren alltäglichen Gesprächston zu verlassen, in kurzen Sätzen
jenen Unterstelltes aus, das unheimlich, das heißt, allzu vertraut
nebensächlich und zugleich hyperbolisch klingt: „Ganz richtig. Die
Frau ist dumm und muss daher zu Hause bleiben.“ In dieser Strategie sind
viele Haken, in jedem Sinn. Es geht ja um eine Erzählung, in der „die
Frau“ sich in der Identifizierung mit ihrem Aggressor zum Verstummen bringt.
Na gut, steig ich halt mit meinen Füßen mitten hinein, weil ich sowieso nie aufpasse, wohin ich trete, ich süße Herrin der Sprache, wenigstens die hat mich lieb, wo ist sie denn jetzt wieder hin? Nicht einmal die kann ich bei mir behalten. Kotz. Würg. Hier ein paar Namen, mit denen ich das auch gern machen würde. Die Namen können Sie sich jetzt dazudenken, es könnte gut Ihrer darunter sein. (241)
Der typisierenden, expressionistischen Namenlosigkeit oder Nahezu-Namenlosigkeit
„der Frau“ - Gerti etwa - stehen in diesem Kontext Eigennamen gegenüber,
die GIER in Ort und Zeit einschreiben, historisch fest machen. Baron
Prinzhorn, ein Herr Erzbischof namens Krenn und die haltbaren Goiserer
[...], die wie der Name schon sagt, aus Bad Goisern stammen wie nur wenige
Auserwählte auf der Welt (249) stehen den Sparbüchern gegenüber,
deren Anonymität bereits zu Ende gegangen ist: Die müssen
jetzt bald alle Namen tragen, die lieben [Spar-] Bücher, anonym geht
gar nichts mehr. Gut gemacht. Auch das. (229)
Blieben die Schulden, das Zittern bei der Bank, der Raiffeisenkasse
mit ihrem sprechenden Firmenemblem, die Schäbigkeit jenes Strebens
nach Eigentum, das in den Arisierungen kollektiv sich ausgetobt hat. Es
bliebe auch die Erinnerung an das Epos über jenen korrupten Gendarmen
Kirbisch, der sich im Ausnahmezustand des Ersten Weltkrieges „gesund gestoßen“
hat, wie hierzulande gesagt wird: „Übelbach heißt die Gemeinde
am mächtigen Volland ... „. Ohne Überhöhung in Hexametern
allerdings schrieb Elfriede Jelinek über GIER in Mürzzuschlag.
[1] Literarisches Quartier – Alte Schmiede (Wien), 16.
März 2001:
Textportrait: Elfriede Jelinek „Gier“ (Rowohlt, 2000).
Interpretationen,
Detailanalysen von Neda Bei, Josef Dvorak, Alfred Noll
und Ferdinand
Schmatz; Beiträge zur Rezeption von Klaus Kastberger
und Richard
Reichensperger; Diskussionsleitung: Konstanze Fliedl.
[2] Zitate aus „Gier“ sind im Folgenden durch nicht weiter
bezeichnete
Seitenangaben in Klammer ausgewiesen.
[3] Sigmund Freud: Die Traumdeutung [1900] = Alexander
Mitscherlich/Angela
Richards/James Strachey (Hrsg): Freud-Studienausgabe
Band II (Fischer 1972),
369.
[4] Konstanze Fliedl wies mich in der informellen Diskussion
nach der
Alte-Schmiede-Veranstaltung auf die dichte Intertextualität
der
Naturbeschreibungen in GIER zur deutschen Romantik hin.
[5] Rezension von Sebastian Brose, Die josefinische Literatur
(Teil 2),
http://meome.de/
[6] Hans Höller (Hrsg): Der dunkle Schatten, dem
ich schon seit Anfang
folge. Ingeborg Bachmann - Vorschläge zu einer neuen
Lektüre des Werks. Mit
der Erstveröffentlichung des Erzählfragments
GIER. Aus dem literarischen
Nachlaß hrsg. von Robert Pichl. Löcker Verlag,
Wien, München 1982. Mit der
Charakterisierung als „Erzählfragment“ wollten die
Herausgeber offenbar die
klassifikatorische Differenzierung von Erzählung
und Romanentwurf
relativieren.
[7] So schreibt Adorno, dass über die Möglichkeit
des Pogroms in dem
Augenblick entschieden wird, „in dem das Auge eines tödlich
verwundeten
Tiers den Menschen trifft.“ (Minima Moralia II 68, Menschen
sehen dich an.
133f).
[8] Ich jagte Hannibal Lecter Robert K. Ressler. Heyne Verlag München 1994
[9] Sie wird ihre Umhüllung aus Sichtbarkeit und
Sinnlichkeit abstreifen,
durchstoßen wie die Raupe den letzten Kokon oder
wer das halt macht, bis der
Schmetterling fertig gebaut ist. Die Imago erscheint
dann leuchtend, mit den
Flügeln schlagend, das Vollbild des vollendeten
Tieres, über dem See, doch
für die junge Tote ist das kein Anreiz, sie kann
nicht von allein ihrer
Puppe, der Plastikfolie, entschlüpfen und herumschweben.
(404)