Alles ist verfallen, alles ist verloren...


Franz Krahberger über Evelyn Adunka

Mit ihrem Buch Der Raub der Bücher - Plünderung in der NS-Zeit und Restitution, erschienen dieses Jahr im Wiener Czernin Verlag, legt Evelyn Adunka ihr Ergebnis mühevoller Recherchen nach dem Schicksal und Verbleib der von den Nazi geraubten und eingezogenen jüdischen Buchsammlungen im europäischen Masstab unter besonderer Berücksichtigung der österreichischen Verhältnisse vor.

So präsentiert der Czernin Verlag dieses wichtige Buch:
Im Mai 1945 stiessen Offiziere der britischen Besatzungsmacht im aufgehobenen Kärntner Kloster Tanzenberg auf eine Bibliothek mit mehr als 500.000 Bänden. Als Zentralbibliothek der so genannten Hohen Schule der NSDAP eingerichtet, war sie mit 1942 mit den beginnenden Bombardierungen Berlins nach Kärnten ausgelagert worden - und sie bestand grösstenteils aus den von den Nazis geraubten Büchern.
Seit 1940 war der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg ERR im besetzten Europa unterwegs, ums systematisch jüdisches Kunst- und Kulturgut „sicherzustellen.“
Mit anderen Worten: zu rauben. Im März 1942 hiess es in einem „Führererlass“:
„Sein Einsatzstab für die besetzten Gebiete hat das Recht, Bibliotheken, Archive, Logen und sonstige weltanschauliche und kulturelle Einrichtungen aller Art nach entsprechendem Material zu durchforsten und dieses für die weltanschaulichen Aufgaben der NSDAP und die späteren wissenschaftlichen Forschungsarbeiten der Hohen Schule beschlagnahmen zu lassen.“
„Der Raub der Bücher“ arbeitet erstmals systematisch auf, was bisher in der umfangreichen Literatur über den Kunst- und Kulturgutraub der Nationalsozialisten gefehlt hat: den Raub von Büchern und Bibliotheken sowie die komplexe und noch immer nicht abgeschlossene Geschichte der Restitution nach 1945.

und im weiteren die Autorin selbst.
Wenn hier versucht wird, die Wege der geraubten jüdischen Bücher in und nach Österreich während der NS-Zeit und nach 1945 nachzuzeichnen, so muss einschränkend gesagt sein, dass die Recherchen leider und wie so oft in der Zeitgeschichte zu spät gekommen sind. Viele Zeitzeugen leben nicht mehr. Und jene österreichischen Beamten der früheren Generation, die Vorgeschichte ihrer Institutionen kannten, wollten sich oft bewusst nicht erinnern und ihr Wissen mit anderen teilen.
Evely Adunka

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Das Wort und die Schrift, sowohl die mündliche wie auch die schriftliche Überlieferung, nehmen in der jüdischen Kultur und Identität zentrale Positionen ein. Das geht allein bereits aus der Schöpfungsgeschichte des Alten Testamentes hervor.
Am Anfang war das Wort, und das Wort ist bei Gott gewesen.
Man kann sogar soweit gehen, dass die jüdische Kultur bis in die Moderne vor allem eine Schrift-, eine Wort- und Denkkultur gewesen ist. Wer also die Juden des Wortes zu berauben versuchte, beraubte sie ihrer Kultur und ihrer Identität. Die Nazis wollten nicht allein jüdisches Leben auslöschen, sie wollten auch alle Spuren jüdischer Kultur aus der Geschichte der Menschheit löschen. Fürs erste sollten jedoch ihre Bücher und Schriften einer besonders ausgewählten NS-Elite zur Erforschung der Judenfrage im Rahmen der von Alfred Rosenberg im bayrischen Chiemsee geplanten Hohen Schule des Nationalsozialismus zur Verfügung gestellt werden. Zu diesem Zwecke wurden sie in brutaler Enteignung gesammelt. Rosenberg plante eine eigene Fakultät des Antisemitismus. Die geraubten Bücher sollten als Studienquellmaterial dienen.

Parallel zur Vernichtung von jüdischem Leben vollzog sich die Vernichtung jüdischer Kultur und Religion, eine Strategie, die sich bereits in den von Goebbels 1933 angeordneten Bücherverbrennungen, die fürs erste vor allem laizistische wie moderne jüdische Autoren getroffen hat, abzeichnete.

Der Leipziger Historiker Otto Seifert schreibt:
Im „Generalgouvernment“ (Tschechoslowakei, Polen) und in den besetzten Gebieten der UdSSR verbanden die Deutschen den Massenmord an den Juden mit der Vernichtung jüdischer Literatur und des gesamten jüdischen Geistes. Die Zahl der beim Holocaust umgekommenen Juden ist annähernd bekannt. Die Summe der vernichteten jüdischen Schriften und Zeugen jüdischen Geistes sind nicht erfassbar. Der Verlust an Kulturgütern der Welt durch mörderischen Rassismus wirkt bis heute fort.. Im weiteren ruft Seifert in seiner im Jahr 2000 publizierten Studie zur Bildung eines Arbeitskreises und Fonds auf, „um in der Deutschen Bücherei die jüdische Literatur, die „erfasste“, „geheime“ und vernichtete, den Juden und der Welt wieder zu erschliessen“. Wir wissen, dass hier, wenn überhaupt, bislang bloss karge Ergebnisse erzielt worden sind.
Interessant in diesem Kontext erscheint auch, dass sich die Israelische Kultusgemeinde Wien geweigert hat, den ihr wieder restituierten bzw. verbliebenen geringfügigen Bestand jüdischer, religiöser Schriften insgesamt wunschgemäss an den Staat Israel zu übergeben. Ihre Begründung:Was bei uns geblieben ist, ist nur ein kleiner Rest und dessen können wir uns nicht depossedieren, damit wir wenigstens symbolisch geistige Werte im Besitz halten.. Ein weiterer Beleg für die Bedeutung des Wortes, dessen Wurzel im göttlichen Urgrund angelegt ist, der Schrift und des Buches in der kulturellen Identität eines Volkes, inbesondere des Judentums, dass das Wort von Anbeginn an, wie auch das in Folge daraus hervorgegangene Christentum, als Instrument und Medium göttlicher Weisheit wie Verkündigung angesehen hat.
Anlässlich einer vorlaufenden Übergabe von restituierten „entbehrlichen“ Büchern an den Staat Israel 1949 sagte der damalige israelische Konsul in Wien, Kurt Lewin in einer Rede:
Von dem jüdischen Geistesgut ist in Europa so viel untergegangen, dass wahrscheinlich einige der geretteten Exemplare die einzigen ihrer Art sein werden. Natürlich ist dieses geistige Eigentum des gesamten jüdischen Volkes. Bücher die in Kisten liegen, vermodern und verfaulen wie Saatkörner, die man in einem Keller lässt, statt sie in den Boden zu säen. In Jerusalem werden diese Bücher ihren geistigen Boden finden und an der Frucht, die sie dort dem jüdischen Volke tragen werden, wird auch die Gemeinde in Wien teilhaben.
Das Wort muss also im Leben wirken, das Fleisch lebendig machen. Auch dies ein Gedankengang, der sowohl der jüdischen wie auch der christlichen Religion eigen ist und vielleicht generell der Anlass ist, warum totalitäre Regime welcher Provinienz immer, so eifersüchtig wie unerbittlich gegnerisches Denken wie Literatur verfolgen und nach deren Auslöschung trachten.

Entgegen dem Historiker Seifert kommt Bibliothekswissenschaftler Dov Schidorsky doch zu einer annähernden Zahl:
Die genaue Anzahl der konfiszierten Bücher ist unbekannt. Es wird geschätzt, dass es zirka vier Millionen Bände gewesen sind. Davon ist etwa die Hälfte verschwunden. Der größte Teil wurde wahrscheinlich vernichtet. Man vermutet aber noch immer einen bestimmten Anteil in unentdeckt gebliebenen Verstecken.

Die Schergen und die Bücherjäger sind uns auch in anderer Weise bekannt. So war etwa der berüchtigte wie prononcierte Antisemit und Professor der Hochschule für Welthandel, Taras Borodajkewycz, Ursache wie Anstoss der Studentenunruhen Ende der 60er Jahre in Wien, Mitarbeiter des Generalstaatsarchivars und Direktor des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchives Ludwig Bittner, der wegen seines langjährigen antisemitischen und und nationalen Engagements als Illegaler und Alter Kämpfer eingestuft, und wahrscheinlich auch von den Nazis mit dem germanischen Blutorden bedacht worden ist.

Adunka, Evelyn
Der Raub der Bücher
(Band IX der Bibliothek des Raubes)
Wien: Czernin Verlag 2002
ISBN 3 -7076 -0138 -2

Evelyn Adunka:
geboren, 1965, Mag.Dr.phil.
arbeitet als Historikern und Publizistin in Wien.
Zahlreiche Publikationen, vor allem zur jüdischen Zeit-und Geistesgeschichte:
Friedrich Heer. Eine intellektuelle Biografie, 1995; Die vierte Gemeinde. Die Wiener Juden in der Zeit von 1945 bis heute, 2000; Exil in der Heimat. Über die Österreicher in Israel.


 




 


 


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