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Das Babylonprojekt


© by FRANZ KRAHBERGER


MYTHOS KOMMUNIKATION - MYTHOS NETZWERK



Jeden Abend erzählt uns IBM mit seinem neuesten Werbespot, daß der Planet kleiner wird, daß wir einander näher kommen, und daß das alles uns gehört und wir es uns nur zu nehmen brauchen. Wie in jeder wirksamen Werbung operiert IBM mit Wunschvorstellungen. Mit Brüderlichkeit, Schwesterlichkeit, Aufhebung der ethnischen Unterschiede, Gemeinsamkeit und Überschaubarkeit. Die bemühte Nächstenliebe täuscht jedoch nicht darüber hinweg, daß der Zweck des Werbespots die Anregung zum Kauf eines IBM Gerätes und den damit verbundenen Telekommunikationseinrichtungen für das Internet ist. Wer in den neuesten Tempel der Kommunikation gelangen will, muß vorher seinen Obulus in Form eines Gerätekaufes entrichten.

Gerade in der Auseinandersetzung mit dem Internet ist mir klar geworden, daß wir bereit sind, für die Verwirklichung guter Ideen und hoher Ideale eine Menge Geld auszugeben. Wir werden durch die Nutzung des Netzes natürlich nicht brüderlicher, nicht schwesterlicher und schon gar nicht kommunikativer. Wir surfen zwischen Treibgütern des endzeitlichen Rohstoffes Information und sind selbst Teil des Treibgutes. Treibgut, das jetzt als neuer Rohstoff für wirtschaftliche Interessen entdeckt wird.

Das Internet selbst kann im jetzigen Stand der Entwicklung auch als Teil einer Strategie terrestrischer Vermarktung gesehen werden. Das latent vorhandene Bedürfnis nach Kommunikation, nach Aussprache und Mitteilung ist der eigentliche Quell des erhofften kommerziellen Internet Booms. Nach einer langen Zeit der Abhängigkeit von den Massenmedien besteht das Bedürfnis, selbst interaktiv einzugreifen, selbst Gestalter der eigenen Botschaft zu sein und der passiven Rolle des Konsumenten zu entrinnen.

So ist das Internet bislang ein gutes Beispiel dafür, wie der Mensch versucht Defizite zu überwinden, wenn es ihm nur erlaubt und ermöglicht wird. Doch mit wem sollen wir reden, wenn wir nicht einmal imstande sind, mit unseren Nachbarn zu reden. Die globale Suche nach Dialogpartnern könnte ebenso den Mangel an direktem Austausch im nächsten und näheren Umfeld offenlegen.

Die Technik hat in unserem Jahrhundert gefrässig nach allem gegriffen. Die Entwicklung der Massenmedien war der erste Schritt zur Eroberung des öffentlichen Raumes der Meinungen und Informationen. Massenmedien waren weitgehend für ihren Benutzer anonym. Der Internetuser greift aktiv ein. Diese aktive Präsenz macht ihn kenntlich, nachvollzieh- und berechenbar. Die Intellektuellen, Künstler und Wissenschafter, die sich bislang des Internets bedienten, waren überzeugt davon, eine neue Kulturtechnik zu entwickeln.

Heute müssen wir darüber nachdenken, ob wir uns nicht einer neuen Kontrolltechnik ausliefern. Die in den letzten Jahren forcierten Versuche, das Internet kommerziell nutzbar zu machen, projezieren schlagartig die Gesetzmässigkeiten der bestehenden Gesellschaftsordnung auf das bislang anarchisch betriebene Internet, das niemand gehört und an dem jeder Anteil haben kann, so sie oder er sich den nötigen Zugang verschafft.

Die Kommerzialisierung des Internets bewirkt einerseits eine enorme Ausweitung der Benutzer, andererseits werde alle Kontrollmechanismen, die mit der Geschäftswelt verknüpft sind, mit eingeführt. Neue Abhängigkeiten werden geschaffen. So haben sich fünf der weltweit größten Hard- und Softwarefirmen zu einer Allianz zur Entwicklung von Richtlinien für Internet-Nutzer Geräte zusammen geschlossen. Diese Geräte werden abgemagerte PC mit einfachsten Betriebssystemen, wenig Speicherkapazität und eingebauten Modems sein. Sie werden kein Diskettenlaufwerk haben. Ihre Leistungsfähigkeit wird sich aus der in Netzwerkservern zugreifbaren Software und Rechenkapazität ergeben. Mit dem neuen NC-Standard wird auch aller Voraussicht ein entsprechender Verrechnungsmodus und eine umfassende Datenzugriffskontrolle möglich werden. Noch bessere, noch konkretere Verbraucherprofile können erarbeitet werden. Abe Lincolns öffentlichem Meinungsverständnis wird noch enger auf den Pelz gerückt. Doch der Durchschittsverbraucher, der Teil dieses globalen Mainframe-Modells sein soll, wird sich kaum Informationen speichern können. Sein memory liegt also nicht im eigenen PC, sondern im Netz.

Die Auslagerung des Gedächtnisses ist eine der strategischen Schlüsselstellen der neuen Abhängigkeit.

Das könnte natürlich die ideale Telearbeitsmaschinerie sein. Der Externe kann zwar den firmeneigenen Speicherbereich, für den er die Zugriffserlaubnis hat, bearbeiten, er kann sich aber keine Dateien zur eigenen Aufbewahrung speichern. Damit wären die Besitzverhältnisse von Information eindeutig geklärt und festgelegt. Begründet wird das ganze, wie sichs im Geschäft gehört, mit einem ökonomischen Vorteil. So bräuchte man kein Geld für interne Hochleistungschips, grosse Speicherkapazitäten und andere teure PC-Komponenten auszugeben.

Sei im Netz und on line. Nun ist allerdings nicht mehr so klar, an welchem Ende der Angel man sich befindet.

Am Anfang stand der Begriff der Vernetzung, der eigenartigerweise auch von Vergesellschaftern andauernd bemüht wurde, dann ging man ins Netz und nun kommt die Verrechnung und im weiteren die soziale Kontrolle. Das umfassende technologische Zusammenspiel vieler technischer Komponenten, unabhängig von räumlicher Ausdehnung, globale und doch individuelle Erreichbarkeit, das Zusammenwirken vieler unabhängiger Anbieter, die durchaus auf freiwilliger Basis und in Eigeninitiative gesetzten Aktivitäten, also die scheinbare Autonomie, machte das Internet auch für die Linke attraktiv. Man glaubte endlich etwas in der Hand zu haben, mit dem die Medienmomopole unterlaufen, umgangen und durchbrochen werden. Daß es auch noch Kontrolltechnologie beinhaltete, das konnte ja nicht schaden. Kommunismus, das war für Lenin Sozialismus und Elektrizität. Die amerikanische Apple-Werbung spielte noch in der Mitte der 80 er mit diesem Gedanken und wollte eine mediale Revolution verkaufen. Man sampelte Mao Tse Tung Zitate, erweiterte die Bücherreihe der marxistischen Klassiker und Gründerväter mit einem Mc Plus usf.

Diese Formel könnte auch für das Internet gelten und wird wohl von einigen auch so aufgefasst worden sein. Ich habe Sysops kennengelernt, die Zugriffsberechtigungen wie Orden vergaben. Der Umgang mit dem Internet, mit Netzwerken und Information im Allgemeinen, beinhaltet eigenartig privilegiertes Selbstverständnis. Je mehr Zugriff, um so besser, um so höher sieht man sich in der Hierarchie. Dieses Phänomen finden wir ebenso in firmeninternen Netzwerken, in der die Menge der auf der Berechtigungskarte eingetragenen Zugriffsschlüssel letztendlich auch die Stellung im Betrieb widerspiegelt. Die Zugriffshierarchie schafft eine neue Nomenklatura.

Der anarchische Charakter des Netzwerkes, das niemand gehört, im wesentlichen jedoch bislang von der öffentlichen Hand über den Wissenschaftbetrieb finanziert wird, ist eigentlich ein Mythos. Die euphorische Propaganda für das Internet kam zuerst aus dem Wissenschaftsbereich. Sie ist funktional gesehen völlig berechtigt. Nur muss da noch hinzugefügt werden, das Leitungskosten und Betriebskosten institutionell getragen wurden. Im Mutterland des Internets, den USA, werden im Ortsbereich nur einmal eine geringfügige Gebühr für die Leitungskosten verrechnet

Erst das Auftreten grosser Provider in den letzten Jahre bewirkte ein aus privat erwirtschafteten Mitteln finanziertes Backbone, das heute möglicherweise doch grössten Teils durch den Endverbraucher bezahlt wird. Damit entsteht Wettbewerbsdruck. Jeder will seine Investition wieder hereinbekommen. Jeder will etwas für ihn nützliches geboten bekommen, vor allem dann, wenn im Hintergrund die Uhr beziehungsweise der Zähler läuft. Information- und Unterhaltung sind in unserer Gesellschaft beinharte Geschäftssegmente, in denen mit aller Härte um Geschäftsanteile gestritten wird. Die tatsächlichen ökonomischen Bedingungen sind jedoch nach wie vor schwer, wenn überhaupt, durchschaubar.

Plötzlich bricht die Debatte über die Besitzverhältnisse und die Sittlichkeit von gespeicherter Information los. Einschränkungen aus sittlichen und politischen Gründen werden gefordert, so als ob jeder Internet User anfällig für Kinderpornographie und rechtsradikale Propaganda wäre. Das Internet hat eine Zeitlang die Illusion erzeugt, daß da ein wertfreier Raum entstanden wäre, in dem sowohl die Gesetze der Schwerkraft wie auch die Besitzverhältnisse ein für allemal aufgehoben wären. Es ist in diesem Zusammenhang auch relativ früh die Forderung aufgetaucht, die Urheberrechte abzuschaffen. Wie wir aus Erfahrung wissen, kann es in einem Rechtssystem nicht zwei unterschiedliche Rechtsräume geben. Man kann also nicht im Print- und Mediensektor das Urheberrecht beibehalten und für das Internet generell aufheben.

Das Urheberrecht ist nicht nur ein ökonomisches Schutzrecht, es garantiert auch die Authentizität der Arbeit des Urhebers, bzw. der Meinung, die eine oder einer von sich gibt. Das Urheberrecht ist derart stark mit unseren persönlichen Individualrechten verbunden, daß eine Aufgabe dieses Rechtes zu extrem nachteiligen Veränderung unserer Gesellschaftsordnung führen würde.

Die Forderung nach Aufhebung des Urheberrechts kommt unter anderem aus Künstlerkreisen, die sich vor allem dem "sampling" verschrieben haben. Sampling ist eine Art Collage Technik, die aus vorgefundenem beziehungsweise ausgewähltem Material neue Formationen schafft. Das Material wird aus dem ursprünglichem Kontext gelöst und neue Zusammenhänge hergestellt, die dann als künstlerische Eigenleistung ausgegeben werden. Die leichte und beliebige Kopierbarkeit im gegenwärtigen Zustand der digitalen Medien kommt natürlich dieser Auffassung entgegen und entzündet erneut die Debatte um Original und Kopie, um öffentliches Gut und indivduelles Besitzrecht bzw. über kommerziell orientierte Vermarktungsstrategien und Null Tarif Kultur und Kunst. Letztere erweist sich so oder so als Illusion. Irgendwer bezahlt immer die offene Rechnung.

Aus dieser urheberrechtslosen Perspektive erscheint das Inter Net als kollektive Schöpfung und es wäre möglicherweise auch das Medium einer idealen Gesellschaftsvorstellung.

Die Information im Netz ist derzeit nur deswegen frei verfügbar, weil sie aus freiem Entscheid angeboten wird. Erinnern wir uns an das eingangs erwähnte Mitteilungs- und Präsentationsbedürfnis. Menschen und von ihnen geschaffene Institutionen wollen sich zeigen und sie wollen dies möglichst ohne Auflagen von anderer Seite tun. So gesehen ist das Internet auch ein Jahrmarkt der elektronischen Eitelkeit. Zudem verbinden sich mit der Struktur des Netzes einige Fähigkeiten, die wir bislang der göttlichen Allmacht zugeschrieben haben, etwa die Telepräsenz, die weltumspannende Verfügbarkeit, die Vorspiegelung des Zugriffs auf allumfassendes Wissen. Alles das dem Benutzer schmeichelt und ihn fasziniert. In Wahrheit schlagen wir uns doch wieder nur mit Sequenzen, Ausschnitten und Stückwerk herum. Der zeitgemässen Stückelung des Wissens und der Information, das nur mehr durch das Trägermedium zusammengehalten wird, steht der Wunsch nach gesamtheitlicher Schau gegenüber, der letztendlich auch zu einer Überschätzung des Internets als universelles Forum führt.

Wir wissen natürlich, das wir nicht imstande sind und nie sein werden alles zu erfassen und zu wissen. Es scheint jedoch von grosser Faszination zu sein, Zugang zu einer Struktur zu haben, die vorgeblich alles Wissen zu vermitteln imstande zu sein scheint. Allwissenheit und allumfassende Präsenz sind zwei entscheidende göttliche Eigenschaften, die auf viele eine ungeheure Faszination ausüben können. Jene, die die elektronische Barierre noch nicht überschritten haben, könnten annehmen, daß da Beherrscher ungeheurer Maschinen und Möglichkeiten sich entfalten und Einfluss gewinnen. Jene, die im Internet "heimisch” geworden sind, wissen längst, daß sie nicht mehr als Teilnehmer an einem elektronischen Grossversuch der Telekommunikation sind, in dem letztendlich wieder die finanzkräftigen Mediengiganten das entscheidende Gewicht haben werden. Es kommt nicht von ungefähr, daß führende Softwareentwickler und Hersteller sich in die Medienindustrie einkaufen und so an wesentliche Schaltzentralen des künftigen Kommunikations-, Informations- und Unterhaltungswesens gelangen.

Kulturtechnik, Kontrolltechnik oder weltweit präsenter Unterhaltungsautomat ?

Die Internet Gemeinde verfügt auch hier nicht über die Wahl- und Entscheidungsfreiheit. Entscheider ist letztendlich hier, wer über mehr Kapital und die besser vermarktbare Technologie verfügt. Wir können davon ausgehen, daß die begeisterten Benutzer der ersten Stunden, die Pioniere in der Entwicklung der freien Netze, die unbezahlten und unbedankten Werbeträger der EDV-Industrie, Hard & Soft, der Telefongesellschaften und schlussendlich der Medienkonzerne sind. Die Medienkonzerne verfügen nämlich über etwas, über das kaum ein kleinerer oder mittlerer Provider verfügen kann. Sie besitzen aus ihrer jahrzehntelangen Geschäftstätigkeit die Rechte an Bild- und Tonwerken, die sie über eine neue Technologie vermarkten werden.

Noch hat sich der Gesetzgeber keine endgültige Meinung gebildet. Doch es ist kein Zufall, daß der wesentliche Berater der US-Regierung in digitalen Urheberrechts- und Distributionsfragen, Bruce Lehman, aus der Medien-Wirtschaft kommt.

Der künftige Daten-Highway wird zwar die selbe bzw. darauf aufbauende Technologie verwenden, mit den bestehenden, auf Freizügigkeit beruhenden, und damit leider auch unverbindlichen Strukturen allerdings nur mehr wenig zu tun haben. Es wird immer wieder davon gesprochen, daß virtuelle Gemeinden entstehen. Doch die sind auf Beliebigkeit gegründet. Viele Internet User haben den Verkündigungs- und Ankündigungsdrang der Computerbranche übernommen und verbreiten meistens unbedacht die von klugen Vermarktern entwickelten Kommunikationsstrategien. Jeder wird als Teil des Ganzen angesprochen und damit eingebunden. Kritische Zungen behaupten jedoch, das nirgends soviel gelogen wird und Illusionen erzeugt werden wie in der Computerbranche.

Das Netz selbst entwickelt sich rasant. Jeder und jede, ob privat oder ob Unternehmen, alle wollen an der neuen Kommunikationstechnologie teilhaben, das Netz in den Griff bekommen. Noch nie in der Geschichte der Menschheit wurden Sinn und Unsinn menschlicher Kommunikation so sehr auf den Prüftstand gestellt, wie im Internet. Wie ich bereits erwähnt habe, legt der Umgang mit dem Netz auch die Defizite bloss. Die Mitteilung eröffnet auch die Möglichkeit der Bewertung der Mitteilung. Missverständnisse im Netz sind nicht ausgeschlossen, sie sind eher die Regel. Jeder und jede sagt seine Meinung, ohne sie in ein relationales Gespräch zu bringen. Wir verfügen zwar über lichtwellenschnelle e-mails, doch die Übung des alten Briefstils ist uns längst verloren gegangen. Die sprichwörtlich gewordenen flames in der Netzwerkkommunikation, die Hass- und Wutausbrüche, der Rückgriff auf primitives Vokabular, weisen hin auf dieses Defizit, sich verständlich auszudrücken. Wir müssen uns fragen, wieviel Fähigkeiten zur Kommunikation uns bereits verloren gegangen sind und wie weit wir nur mehr Spieler eines Mediums sind, daß sich selbst genügt. Genügt es dem Wesen des Menschen?

Maschinen haben das Aussehen unseres Planeten verändert. Manche sagen, sie hätten es entstellt und das gefrässige Vernichtungswerk der Maschinen hätte noch längst nicht seinen Höhepunkt erreicht. Maschinen beginnen das Wesen unserer Kommunikation wesentlich und einschneidend zu verändern und wir können ebensowenig wie im Fall der mechanischen Maschinen sagen, wohin die Entwicklung führt, ob sie positiv oder negativ sein wird. Grosszügige und humane Visionen erscheinen ebenso möglich wie repressive und unüberwindliche Kontrolldigitalismen. Zum Mechanismus tritt der Digitalismus. Der mechanische zerstörte den natürlichen ökologischen Zusammenhang. Bereitet der andere der Verstümmelung der humanen Kommunikation den Weg? Es wird von humanen Mensch/Maschine Schnittstellen gesprochen. Menschliche Benutzeroberflächen werden eingefordert und propagiert. Ich habe bis jetzt allerdings die Erfahrung gemacht, daß ich sehr viel Zeit aufwenden muss, um die Spielregeln der Maschine zu erlernen, einzuhalten, mit unverhofft auftretenden Fehlern fertig zu werden, um meine Mitteilung abzusetzen.

Und daran wird sich auch künftighin nicht allzuviel ändern.


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