© by FRANZ KRAHBERGER
Zulange stand die McLuhansche Formel "Das Medium ist die Botschaft", die jedoch vor einem komplexen Zusammenhang sozialer und kommunikativer Komponenten gedacht werden muss, oberflächlich interpretiert im Vordergrund. Nicht das Medium, und die damit verbundene EDV- Wissenschaft und Wirtschaft, darf die Entwicklung diktieren. Das Medium muss vor dem Hintergrund künstlerischer, kultureller und sozialer Anforderungen ausgelotet werden. Dieser Leitgedanken liegt ebenso dem von mir herausgegebenen "Electronic Journal Literatur Primär" seit seiner Gründung zugrunde.
War es bislang so, dass die Neuen Medien und die elektronische
Datenverarbeitung eine Herausforderung für die traditionellen Kulturformen
und die geisteswissenschaftlichen Disziplinen war, muss sich nun umgekehrt
die EDV-basierte Kommunikation auf ihren tatsächlichen Nutzen aus der Perspektive
der Geisteswissenschaften und der Kunst untersuchen lassen.
Die künstlerische Auseinandersetzung dürfte noch etwas schwieriger
ausfallen, da es unerlässlich ist, zusätzlich zur Beherrschung der "Sprachen der
Kunst" technische und progammtechnische Kenntnisse zu erwerben, die nicht nur den Umgang
mit dem Computer als Medium sondern auch als Werkzeug zulassen.
Ansonsten würde die formale und ästhetische Entwicklung allein von den
Software- und Hardwareentwicklern, beziehungsweise von deren Marketing-
und Designs Offices bestimmt.
Es gilt vor allem zu unterscheiden zwischen Arbeitserleichterungen und
Verknüpfungstechniken, die aus der Funktionalität der Programme entsteht, und
den tatsächlich kreativen Anspruch an neue Formen der Darstellung.
Die, vor allem von Peter Weibel immer wieder getroffene Argumentation, dass mit
den Neuen Medien alle vorhergehenden künstlerischen Gestaltungs - Möglichkeiten obsolet
geworden wären, zeigt sich in diesem Zusammenhang als ungerechtfertigt birgt
doch die Entwicklungsgeschichte von Kunst und Text eine Reihe von Formen,
die durchaus als analog zu den neu gegebenen Möglichkeiten anzusehen sind und
uns wertvolle Inspirationen bieten können.
Weibels Argumentation kann jedoch auch taktisch verstanden werden, da neue
technische und formale Möglichkeiten nur schwer in das österreichische
kulturelle Bewusstsein sowohl von der Produktionsseite und noch schwerer
in das Rezeptionsverhalten einzubringen sind. Die Bauhausforderung nach
der Akzeptanz von Technologien als künstlerische Mittel konnte hierzulande erst mit
einer jahrzehntelangen Zeitverzögerung umgesetzt. Das hat sicher auch mit
den verheerenden Folgen, die der Nationalsozialismus mit sich brachte, zu tun.
Erst im letzten Jahrzehnt, in Anfängen in den 70er Jahren, wurde die Kunst
der Emigranten, die weitgehend der Moderne zuzurechnen ist, ins Bewusstsein
des heimischen Kulturbetriebs gerückt. Auch hier hat Weibel einiges
geleistet.
Einer der zentralen Begriffe der Textgestaltung mittels Computer und die damit verbundene
Verknüpfung unterschiedlicher Datenbestände in Netzwerken ist der Hyper Text.
Das Wort hyper bezeichnet im allgemeinen eine Steigerung eines Zustandes, eine
Übertreibung, eine über den Normzustand hinausgehende Entwicklung. So
gesehen wären Hyper Texte Textwucherungen, Rhizome, Konglomerate.
Ted Nelson definiert in seinem 1981 erschienenen Buch "Literary Machines"
den Hyper Text als eine Negation des linearen Schreibens, als Aufhebung
der sequentiellen Ordnung. Diese Thema nimmt bereits im Text "Die Gutenberggalaxis"
von Marshall McLuhan eine zentrale Stellung ein.
Das Ergebnis ist die gleichberechtigte Existenz von Textblöcken in einem Hyper
Text Rahmen. Im zweiten Teil seines Textes kennzeichnet Ted Nelson den Link,
die aktive Sprungadresse, als wesentliche Qualität des computergestützten Hyper
Textes. Der Link, der Schnittpunkt der Vernetzung, erlaubt dem Text eine
quasi-räumliche Ausdehnung.
Dieses Ausscheren aus dem Text, aus dem Dokument kommt dem lateinischen Begriff
des transgressio, des Überschreitens, des Übergehens zu einem anderen Gegenstand, nahe.
Das Wesen des Hypertextes, wie in Nelson erdacht, kommt am besten in der
Funktionalität des Internets zum Ausdruck, dessen entscheidendes Übertragungsprotokoll konsequenterweise http: hypertexttransferprotokoll heisst.
Mittels der hyperlinks kann sowohl in einem zusammengefassten Dokument wie
auch im gesamten Netz navigiert werden.
Die Vernetzung unterschiedlicher Datenbestände auf unterschiedlichen Servern
passiert jedoch in den seltensten Fällen wirklich strukturiert oder in Absprache.
Man rekurriert schlicht und einfach auf ähnliches, entdeckt die eine oder
andere Assoziationsmöglichkeit und verknüpft sie mittels einer aktiven
Sprungadresse und baut damit virtuelle Datencluster, die je nach
Phantasie und Witz des Gestalters Interesse und Bedeutung ausstrahlen.
Der Hyper Linker bietet sozusagen mit seiner gestalteten Oberfläche seine
Sehweise bzw. seine Kenntnis des Netzes ab und stellt diese Einsicht
zu nachvollziehbarer Ansicht vor. Viele derartige Cluster glänzen eher durch
die Vielfalt ihrer Link Verbindungen als durch eigene Kreativität.
Das Surfen in bestehenden Datenbeständen des Internets ist wohl eher
eine assoziative Tätigkeit, die sehr viel dem Zufall überlässt.
Dieses Surfen, das gerne als Entdeckungsreise hingestellt wird, war lange
Zeit von den bereits genannten Link Clustern oder Web Indices abhängig,
oder gar von gedruckten Adressbüchern, den Yellow Pages oder Internet
Benutzeranleitungen. Einer der ersten Webindices und digitalen
Registraturen heisst Magellan und bietet sich als Vehikel zur Erforschung
des "unbekannten Kontinents" Internet an. Voraussetzung für die
Funktionalität derartiger Server ist und war jedoch die Anmeldung der
eignen Web Site.
Erst mit der Einführung komplexer automatisierter Suchmaschinen wie
etwa Altavista oder HotBot, die den gesamten Internet Bestand mittels Robotern
durchsuchen, die den Zugriff auf den Volltext erlauben, ist ein umfassenderes
Abbild der im gesamten Internet gespeicherten Information möglich geworden,
sowohl vom Autoren- wie auch Inhaltsangebot, so man die richtigen Suchbegriffe
eingibt und die ausgewiesenen Counts richtig zu deuten weiss.
Es werden damit auch jene Sites erfasst, deren Eigner sich die Eintragung
in die unterschiedlichen Web Register erspart haben.
Derartige Fragen betreffen jedoch mehr die Datenorganisation und das
Wiederauffinden von Information, und nicht die inhaltliche Gestaltung
und die Herstellung von Gestaltungszusammenhängen, die den Anspruch
auf Kreativität und individueller Eigenleistungen entsprechen.
Hypertexte erinnern oft an jene bekannte Lesart in der Rezeption von
Lexikas. Durch Querverweise wird man zum Nachlesen eines weiteren
Begriffs verführt, und so weiter bis man eigentlich nicht mehr weiss,
aus welchem Grund man das Lexikon zur Hand genommen hat.
So war auch einer der ersten programmatischen Versuche eines Hypertextes,
der mir in Österreich begegnet ist, die Umsetzung des "Lexikonromans" von
Andreas Okopenko in Hyper Card Gestalt durch "Libraries of the Minds"...
Die Verwendung der enzyklopädischen Form und des Querverweises durch
Okopenko als Gestaltungsmittel legte die Umsetzung als Hyper Text nahe.
Oswald Wieners "Verbesserung von Mitteleuropa", die eher ein Ansammlung von Aphorismen, textuellen Splittern und kurz gehaltenen Situationsbeschreibungen ist, und nicht der bis dahin bekannten Form eines Roman entspricht, obwohl er als solcher ausgegeben wurde, würde sich für eine Hyper Text Version durchaus eignen. Wiener war es , der als erster in Österreich Anfang der 70 er Jahre das Arbeiten an literarischen Texten in Beziehung zur elektronischen Datenverarbeitung gebracht hat.
Hypertext kann als Organisationsform von kurzen Texten, von Textfragmenten,
Begriffsbestimmungen etc. eingesetzt werden.
Entsprechend wurde der Colibri Text von Helmut Eisendle im Electronic
Journal Literatur Primär organisiert. Colibri: flatternde Textpartitions, die
in einer Hyper Text Oberfläche organisiert und zugänglich gemacht wurden.
Mit der Linkstruktur selbst, mit dem Informationsdesign der Datenoberfläche kann natürlich sinngebend durch die Gestaltung des die Dateien
verknüpfenden Pfades und dessen Verzweigungen eingegriffen werden.
Ich möchte die Beschreibung eines klassischen Textwerkes durch Ernst
Beutler (erschienen 1943 im Dieterisch Verlag, einmal abgesehen von den
zeitbedingten Färbungen) anführen.
Dieser stellt die Gedichtsammlung Goethes "Der westöstliche Divan" folgend vor:
Divan heisst Versammlung. Und wie in einer Versammlung die Menschen
sich zueinander wenden, so verstehen auch diese Gedichte sich gegenseitig.
Die zwölf Bücher sind aufeinander abgestimmt; und in jedem Buch sind es
wiederum die einzelnen Lieder. Abgestimmt, so wie man Saiten im Klang
aufeinander einrichtet, - damit ist das Bild angedeutet, was für das Verständnis
dieses Werkes so wichtig ist: der Divan ist ein Konzert....
Die einzelnen Gedichte konzertieren untereinander. Motive tauchen auf, verschwinden
und wiederholen sich, eine blühende Thematik durchzieht das Ganze und verbindet
den Anfang und das Ende. Was locker hingestreut zu sein scheint, ist überlegen
komponiert. Oder, um ein anderes Bild zu brauchen: an persische Teppichkunst
könnte man denken.
Und Goethe selbst:
"Jedes einzelne Glied ist so durchdrungen von dem Sinn des Ganzen, ist so
inniglich orientalisch, bezieht sich auf Sitten, Gebräuche, Religion und muß von
einem vorgehenden Gedicht erst exponiert sein, wenn es auf Einbildungskraft
und Gefühl wirken soll. Ich habe selbst noch nicht gewußt, welches wunderliche
Ganze ich daraus vorbereitet."
Beutler weiter:
So ergibt sich für den, der diese Gedichte deuten will, die besondere Aufgabe,
die Gedichte nicht einzeln, sondern in ihrer gegenseitigen Bedingtheit auszulegen.
Eine neue Art von Kommentar entsteht.
Diese Form zeigt bereits eine Abweichung von der linearen Darstellung. Das
Nebeneinander und Zueinander von Texteinheiten, der Lieder, bestimmen den
Eindruck des Ganzen.
Doch ist der "Diwan" ein geordnetes Werk , eine hermeneutisch in sich geschlossene
Sammlung, deren einzelne Teile in ihrer Wirkung interagieren.
Der Entwurf der Struktur, die interagierenden Bezüge der einzelnen Liedtexte
auf das Gesamte und auf das Andere erzeugen die Wirkung der Dichtung, deren
virtuelle Ausbildung.
Der unbegrenzt sich ausdehnende Hypertext des WorldWideWebs entbehrt zwar dieser hermeneutischen Geschlossenheit. Es ist jedoch durchaus denkbar eine Hyper Text aus dieser Perspektive, aus dieser Absicht heraus zu entwickeln.
Jay Bolter, ein Medien- und Kommunikationswissenschafter der an der University
of North Carolina lehrt, definiert das Web als Patchwork, in dem individuell und lokal
organsierte Sites sich zu einem assoziativen Ganzen fügen. Eine virtuelle Stadt,
die aus heterogenen Einzelbeiträgen gebildet wird. Die Erscheinung dieser
Stadt ist einer andauernden Wandlung unterzogen. Neue Sites kommen hinzu,
neue Verknüpfungen und Trends entstehen. Sites veralten oder ihr Inhalt
wird einfach nicht mehr erneuert und sie geraten in Vergessenheit, werden
niemals zitiert oder niemals in Web Indices aufgenommen.
In diesem Zusammenhang haben allerdings die Volltextsuchmaschinen eine
Neuerung gebracht. Sie erlauben nicht nur das zielgenaue Aufsuchen von
Informationen. Sie spiegeln eine Unmenge von Adressen wieder, die ohne
sie eigentlich nie oder nur in einem bestimmten Umfeld aufgegriffen werden
würden, so man sich den Spass und die Qual des Surfens erlaubt. Nach Bolter sind
Einheitlichkeit, Einstimmigkeit und Reinheit kulturell suspekt geworden.
Das Gegenteil dieser klassischen und klaren Ordnung spiegle eben das Internet wieder.
Die Entwicklung des offenen Kunstwerkes war immer mit der Forderung nach demokratischer Beteiligung aller verbunden, das interaktive Eingreifen in das Geschehen war erwünscht, die Strukturen wurden so angelegt, daß dieses Eingreifen auch möglich wird. So stellt Heiko Idensen in seinem Text über literarische Hypertexte und über die virtuellen Schreibräume der Netzwerkkultur die Forderung auf, das die Poesie von allen gemacht werden soll. Dieses "von allen gemacht werden" endet jedoch allzuoft in chaotisch und hypertroph angesammelten Texturen und Bilddateien, die jeglichen sinnfälligen Kontextes und jeglicher Referenz entbehren. Der Primat der Gleichheit über die künstlerische Gestaltung und kreative Organisation lässt sich nur schwer durchsetzen, da das Gestaltungs- und Ausdrucksvermögen eben qualitativ verschieden ist und unterschiedlich ernst genommen wird.. Das ist eine Tatsache, an der man nicht vorbei kann. Daraus sollte umgekehrt jedoch auch kein elitärer Anspruch abgeleitet werden.
McLuhan hat in der rein visuellen Quantität und Präsenz wiederum die
Rückkehr in die magische Resonanz der Stammeshorde gesehen, die
die individuelle Ausarbeitung und Differenzierung entbehrlich mache.
Eines der besten Bestätigungen für dieses Phänomen bietet der
Musikantenstadel und die Talkshow. Im Musikantenstadl ist die
Interaktivität dann wieder aufs Klatschen und aufs begeisterte Tele Schauen
und Hören beschränkt. Das entspricht wohl am besten dem Bild der
”magischen Resonanz der Stammeshorde”. Die Formulierung lässt sich
jedoch ebenso auf die Erscheinungsformen der zeitgenössischen Musikvermittlung,
insbesondere des Multi Events Rockkonzert anwenden.
Eine gefährliche Elektrifizierung der "Stammeshorde", eine Stimme, alles Hörer,
wurde von den Nationalsozialisten mit ihren öffentlichen Lautsprecher-
und Verstärkeranlagen und vor allem mit dem Konzept des Volksempfänger
Rundfunks umgesetzt.
Dem gegenüber steht die Radiotheorie Bertolt Brechts, die auf interaktive
Zweiwegkommunikation, und damit auf demokratisches Kommunikationsverhalten,
abzielte.
Alle versprechen sich von dieser interaktiven Öffnung, vom Aufbrechen
der geordneten, strikt vorgegebenen Information eine neue Qualität, die
bis zum Auftreten des Internets mit seinen Dia- und Multilogfunktionen
jedoch nur selten entfaltet werden konnte.
Jetzt wo technisches Vermögen und technische Funktionalität gegeben sind,
müssen wir eine bestimmte Gehemmtheit, eine gewisse Unfertigkeit
im interaktiven Umgang seitens der User aber auch der Web Site Gestalter
zur Kenntnis nehmen.
Bolter zitiert in seinem Text einen Vergleich des Webs mit dem nebeldüsternen
Venedig in dem plötzlich nach undurchschaubaren Verwirrungen
ein wunderbarer Platz auftauche, der die Mühen des ziellosen Wanderns im
Nebel wieder gutmache.
Wahrscheinlich meint er damit gut strukturierte Websites, die mit intelligent
angeordneter Information Interesse erwecken und zum Verweilen einladen.
Bolter deutet damit auch jene Unzulänglichkeiten an, die von anderen
lapidar mit dem Wort "Datenschrott" bezeichnet werden.
Interessant ist, dass Bolter ein Bild subjektiver und romantischer Empfindung
verwendet. Dass dürfte tiefere Wurzeln haben und eine bestimmte
Sehnsucht ausdrücken. Denn die Hervorbringungen im kalten kathodischen
Licht des Monitors entbehren jeglicher Romantik.
Ich selbst habe eine Zuschrift erhalten, in der das Electronic Journal Literatur
Primär als Oase in der Datenwüste bezeichnet wird.
Aus der bildernischen Perspektive unterscheidet sich das elektronische
Medium von den tradierten Künsten mehr als auf der Bedeutungs- und
Sinnebene. Kommt es doch mit völlig anderen Gestaltungsmitteln und "Materialien"
zu gestalteten Formen.
So heterogen das Web selbst angelegt sein mag, so heterogen die Welt, die
Wirklichkeit, in der wir leben müssen, auch ist, so sehr gefällt doch der
Ort geordneten Wissens, der Ort der nach bestimmten ästhetischen Kriterien
gestaltet ist, die unser Interesse wecken und der mit Botschaften erfüllt
ist, die uns ansprechen und zur Anteilnahme auffordern.
Robert Cailliau, einer der wesentlichen Entwickler des Webs, bekennt
sich dazu, dass Information nicht zwangsläufig Bildung bedeute. Hinzuzu-
fügen ist, dass durch massenhafte Konsumtion von Information der Zustand
der Bildung noch weniger erreicht wird. Das ist der grosse Irrtum aller
Massenmedien, insklusive des Internets, das sich in der Zwischenzeit
zum Massenmedium entwickelt.
Wir dürfen dabei jedoch die unglaubliche Reichweite und die damit
verbundene Macht des Fernsehens nicht unterschätzen.
Derzeit werden die Anzahl der Web User auf etwa 60 Millionen geschätzt.
Die Ausstrahlung des Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker hingegen erreicht
etwa eine Milliarde Seher.
Ich habe in der Darstellung des Divans eine hypertextähnliche Struktur
gesehen, die jedoch mit einer durchdachten inhaltlichen Tendenz und
Konzeption und deren hermeneutischen Konsequenzen ausgestattet ist .
Und tatsächlich ist das barocke Denken, die barocke Wissenschaft,
die Goethe noch entscheidend geprägt hat, vor allem die Informationssysteme
des Barocks, mit hypertextuellen Strukturen ausgestattet, die
jedoch nicht auf Assoziation und beliebige Zuordnung sondern auf
universelle Sinn- und Zusammenhangsgestaltung aus sind.
Diesen Einsicht habe ich in den Texten Admontinisches Universum und
Admonter Programm dargestellt, die damit auch ihren berechtigten Platz
in diesem Sammelband, der im wesentlichen vom Cyber Space handelt,
haben.
Noch mühen wir uns um das Erfassen des Cyberspaces, dessen Überschaubarkeit,
wir mühen uns um unsere Authentizität, um unsere
Präsenz und um unsere Reichweite.
Die tatsächliche Qualität für den einzelnen Gestalter wird sich entfalten,
wenn er das computorische Instrumentarium und dessen Verknüpfungsmöglichkeiten
auf seine Verwendbarkeit in Sinnkonstrukten, in der
Umsetzung konzeptueller Ansätze überprüft. Das hat wenig mit der
gegenwärtigen Reichweitenjagd im Internet zu tun. Ich bin mir jedoch
sicher, das derartige Konstrukte und Kompositionen, so sie ins Netz
geschleust werden, so sie bereits vorhanden sind, grosse Aufmerksamkeit
erregen und erregen werden.
Hypertext ähnliche Qualitäten finden wir auch im Ullysses von James Joyce.
C.Giedon Welcker beschreibt die Joyce’sche Konstruktion so:
Joyce erreicht durch die Komposition, die von kleinen und kleinsten
Punkten ausgeht und sich schliesslich zu weiterster Konstellation
ausspannt, straffgegliederte Zusammenfassung und geistige Ordnung eines Stoffes,
der an sich immens und chaotisch ist. Den scheinbar zufälligen
Hin- und Her, den Kreuz- und Quer Bewegungen seiner Haupt und
Nebenfiguren an jenem 16.Juni 1904 entspricht eine exakte unterirdische
Konstruktion und Grundrissregelung, die nicht nur einer gegebenen Zahl
von Stunden in einem festgelegten Raum sukzessive Abwicklung gewährt,
sondern bis zum Schluss - von immer neuer Sicht und Schicht her - Diagonalverbindungen herstellt,
um auch wesentliche Gedankengänge rhytmisch mit einzugliedern und
zu stützen.......
und weiter
Joyce schafft ein allseitiges Beziehungsspiel. Er errichtet einen universalen
Geistesraum, der dem vieldimensionalen optischen der heutigen Malerei
durchaus entspricht: nicht mehr statisch, von einem Blickpunkt her
orientiert, sondern sich nach allen Seiten ausgreifend bewegend.
Der Hypertext kann ebenso als allseitiges Beziehungsspiel, nach allen Seiten hin ausgreifend, Beziehungen und Kontext herstellend, angesehen werden. Die unterirdische Konstruktion wird zur Link-Struktur.
Eine weiteres Beispiel für einen variabel strukturierten Hypertext stellt
das Buch der Wandlungen, das I Ging, dar.
Liegt dem Joycschen Ullysses das pulsierende Leben einer Metropole,
parallel angeordnet in einem einheitlichen Zeit-Raum Gefüge als
dynamische Struktur zugrunde, wird der universale Darstellungsanspruch
im chinesischen Buch der Wandlungen, dem I Ging auf
die gesamte Gesellschaft, auf die gesamte Kultur, eingebettet in
die Kosmische Ordnung, ausgeweitet.
Auch hier wird als Darstellungsmethode einer die Wandlungen
des Zustandes und der Verhältnisse einbeziehenden Struktur
eine Hyper Text Artige Methode angewandt. Aus acht Urzeichen
lassen sich 64 Seinszustände ableiten, die referentiell zueinander
in Beziehung treten, die in sich weiter differenziert werden und
die einen kybernetischen Komplex bilden.
Die von mir angeführten Beispiele stammen allesamt aus der klassischen Literatur, abgesehen von Zitation des Mediums selbst. Sie sind jedoch so ausgewählt, das sie Vorstellungen in Richtung des elektronischen Hypertextes zulassen. Der Begriff Hypertext ist jedoch nicht zureichend, kommen doch noch Bild, statisch und bewegt, Ton und Computer- Animation hinzu. Aus diesen Gründen wird gegenwärtig der Begriff Multimedia häufiger verwendet. Er zielt jedoch auf ähnliches ab. Die Begriff Multi Media sagte ursprünglich nichts anderes, als das eine Performance unterschiedliche Kunst-Medien vereint. Also die theatralische Gestik, der Habitus des Vortragenden, der musikalische Beitrag, die Integration von Video, Film und Computern. So gesehen kann man auch das Metier der Oper als multimediale Form ansehen, wie sie von Josef Weizenbaum anlässlich einer der Computer Kultur Tage in Linz den medialen Konstrukten gegenüber gestellt wurde. Computer generierter Hyper Text bzw. Computer generierte Multi Media ist jedoch in Wahrheit nicht multimedial. Die Ergebnisse unterschiedlicher Aufzeichnungs- und Gestaltungsmethoden werden zu "einem" Monitorbild verschmolzen. Der Computer ist also keine multimediales, sondern ein integratives Medium.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch immer von Abbild, von Konstruktion
sprechen und nicht von einer virtuellen Realität, und schon gar nicht von
Wirklichkeit. Im Gegensatz zum Kreis um den Konstruktivisten Heinz von
Förster schliesse ich die Möglichkeit, das Wirklichkeit etwa ernstzunehmendes ist,
nicht aus.
Die Bilder selbst, die Abbilder, aus denen sich die virtuelle Realität zusammensetzt,
werden zum Teil aus der "Wirklichkeit" gewonnen und digital umgewandelt in
unterschiedliche Speicher des Netzes eingespielt und damit jederfrau(mann) zugänglich
gemacht.
Dazu sind auch mathematische Methoden zu zählen. Ebenso ist die Statistik der Versuch
der Abbildung von Realität, von Wirklichkeit.
Ein merkwürdiges Phänomen dieser medialen Integration ist die Schrumpfung des
Raumes, des Maßstabes auf Monitorgrösse.
Galaktische Räume, die nur in Lichtjahren erfassbar sind, erscheinen neben Globalansichten,
Erdaufsichten und eben dem gewohnen Wohn- bzw. Arbeitsraum, neben Detaildarstellungen
verkürzt auf Monitorgrösse, bzw. Mikroabbilder werden wieder auf Monitorformat
vergrössert. Dies ist allerdings eine Eigenheit, die ebenso für das Abbilden in Print- und
film-sowie fototechnischen Medien zutrifft.
Es bleibt nach wie vor dem menschlichen Abstraktionsvermögen überlassen, den tatsächlichen
Sachverhalt einzuschätzen bzw. eine Ahnung von den tatsächlichen Verhältnissen
zu erarbeiten.
Die integrativen Fähigkeiten des Computers greifen aus auf Raum Dimensionen, die uns
anders in der (fast) Einheit von Raum nicht zugänglich wären. Man kann von einer Fast
Realzeit Präsenz des dem Menschen bekannten Raumspektrums sprechen.
Im Electronic Journal Literatur Primär führe ich diese Hyperstruktur in Form eines
Link Clusters vor.
Das Tele-Bild aus dem Thing Büro entspricht zumindest minütlich der Realzeit Übertragung.
Das Meteo Sat Bild, das den europäischen und Teile des nordafrikanischen Kontinents zeigt,
wird alle sechs Stunden erneuert und bei astronomischen Bildern, die vom Rande des Universums
zu uns gelangen , ist es fast schon gleichgültig ob sie einen Tag , zehn oder zehntausend Jahre alt sind. Astronomische Bilder sind nie Realzeitbilder, sondern immer Bilder aus der Vergangenheit,
obwohl sie "wirkliche" Bilder sind.
Der Link des SMIS, des russischen Space Monitoring Information Support Laboratory vermittelt
Erdaufsichten vor allem des eurasischen und des asiatischen Kontinents. Orts-, Welt- und
kosmische Bilder werden so in ein simuliertes einheitliches Zeit - Raum Gefüge gebracht, das jedoch
immer noch bloss in einem quasi liniearen ”Lesevorgang” erfasst werden kann.
Hypertext und Hyperstrukturen sind Konstrukte und virtuelle Realitäten sind Ergebnisse
von Konstruktionen. Sie sind Artefakte. Diese Gedankengänge sind nicht neu. Die Einsicht,
das Wirklichkeit das Ergebnis menschlicher Übereinkunft ist, wie es etwa Paul Watzlawick formuliert,
finden wir bereits bei dem von Joyce verehrten Giambattista Vico in dessen Neuer
Wissenschaft.
Auch Jacob Burckhardt spricht in seiner Kultur der Renaissance in Italien vom Staat als einem
Kunstwerk. Realität als Ergebnis sozialer Konstruktion liegt ebenso den utopischen Weltentwürfen zugrunde.
Hypertext, Hyperstruktur und Cyberspace bilden einen vernetzten Erlebnis- und Informationsraum, der
alles und jedes in Verbindung zueinander setzt. Diese virtuelle Realität wird von Medienkünstlern,
Theoretikern und Propagandisten der Medienkultur bereits wichtiger genommen, als die sogenannte
reale Wirklichkeit.
Allein die Überlegung, wieviel Stunden pro Tag wir heute vor Monitoren, Computer- und TV-Monitoren
zubringen, wie mir mittels Videokameras im öffentlichen Raum überwacht werden, erlaubt allerdings die Berechtigung dieses Postulats.
Die technische Schnittstelle wird zum Zugang zu einem artifizellen Raum, in den die Wirklichkeit
bloss abbildhaft und simuliert wiederum über technische Schnittstellen eingespielt wird. Man könnte sagen, Wirklichkeit wird durch Darstellung ausgeblendet.
Wie können wir diesen flüchtigen virtuellen technischen Raum gestalten, ohne das die Intensität des
Wirklichen verloren geht., uns als wesentliche Substanz existenzieller Erfahrung verloren geht ?
Wenn Information nur mehr Stoff ist, wie gelangen wir zu Formen, die nach Aristoteles erst die
Grundlage der Substanz schaffen. Substanz gleicht etwa dem, das im I Ging unter Sinn verstanden
wird.
Wie machen wir etwas unverwechselbar, so das es tatsächlich als Träger eigener Qualitäten erkannt
wird ?
Müssen wir Substanz heute als strukturierte Information ansehen, die sich der Flüchtigkeit des
virtuellen Raums widersetzt und in diesem zu bestehen hat ?
Den referentiellen Kontext zum chinesischen, ”kybernetischen” Denken habe ich an anderer Stelle
im Zusammenhang Leibnitzscher Kombinatorik und Übernahme der binären Struktur bereits
angeführt.
Eine weiteren interessante "informationspraktische" Einsicht, die auch Auswirkung auf
Gestaltungsformen in Hyper Strukturen haben kann, entnehme ich ebenso dem I Ging.
"Die Schrift kann die Worte nicht restlos ausdrücken. Die Worte können die Gedanken
nicht restlos ausdrücken" und weiter "Die Heiligen und Weisen stellten die Bilder auf,
um ihre Gedanken restlos auszudrücken, sie stellten Zeichen dar um Wahr und Falsch
restlos auszudrücken. Sie fügten dann noch Urteile bei und konnten so ihre Worte restlos
ausdrücken."
(Sie schufen Veränderung und Zusammenhang, um den Nutzen restlos darzustellen:
sie trieben an, sie setzten in Bewegung, um den Geist restlos darzustellen.)
Und: "Was oberhalb der Form ist, heißt der SINN, was innerhalb der Form ist, heißt das
Ding."
Sinn, Nutzen, Substanz, Ausdruck, Essenz könnten heute ebenso Grundlage strukturierter
Information sein und den an sich inhaltsleeren Begriff der Information mit Bedeutungen
aufladen.
Um so etwas wie den Anschein von Wirklichkeit herzustellen, und nicht virtuelle Realität zu
konstruieren, muss also ein Konstrukt von Zeichen und Bedeutungen hergestellt werden, die
unsere Wahrnehmung, unsere Auffassung so steuern, dass der zu erzielende Sinn, der
Zusammenhang auch tatsächlich erzeugt wird, und dieser Sinn soll einen Bezug zu einer
bestimmten aus der Wirklichkeit gewonnenen Erfahrung herstellen.
Das Konstrukt bildet also keine eigenständige virtuelle Realität, sondern kann auch als eine
Seh-, eine Erfassungshilfe angesehen werden. Das widerspricht allerdings einer der gängigen
Konventionen, das ein Bild nur für sich selbst und für nichts andere stünde.
Die literarische Montagetechnik, die Walter Benjamin als Arbeitsmethode anerkannte, lässt
ebenso Analogien zur oben beschriebenen chinesischen Methode und zum Hypertext zu.
Die "Konstellationenerstellung", wie Benjamin diese Methode in Bezug auf Charles Baudelaire nennt,
ermöglicht unterschiedliche Sehweisen des vorhandenen Stoffes, des Materials und damit
neue Erkenntnisse.
Einfache "Konstellationenerstellung" betreibe ich im Electronic Journal Literatur Primär, in dem ich
Link Cluster zusammenstelle, die eine inhaltliche Tendenz ausdrücken sollen. Das meint
nicht anderes, als das ich Zugriffsraster auf das im Netz vorhandene Informationsmaterial
herstelle, die eine bestimmte Tendenz erzeugen und darstellen. Anstelle der Datenverbeitung
tritt die strukturierte Informationsverarbeitung, das Herstellen von Sinnzusammenhängen.
Das Sinn- Konstrukt ist die eigentliche Botschaft. Die Erschaffung einer virtuellen
Realität ist dem künstlerischen Projekt vergleichbar, ist selbst eine Artefakt, ein Kunstwerk,
ist die Herstellung eines artifiziellen Zusammenhangs, der für sich selbst steht.
Das Netzwerk als Informationsmedium ist anders zu betrachten und mit anderen Auflagen
zu verbinden als etwa das Netzwerk, das einen Artefakt für sich darstellt.
Ersteres unterliegt den Kriterien der "Wahrheit", der authentischen Abbildung, zweiteres
einer medienadäquaten Darstellungsästhetik. Selbstverständlich sind auch hier
Wechselwirkungen vorhanden und noch zu erzielen.
Dem scheinbar chaotischen, ungeordneten, dieser extremen Erfahrung der modernen Polis
und deren Spiegel, der Picturopolis, eingebettet in die elektronischen Medien und den
weltweiten digitalen Datenverband, liegt also eine Konstruktion zugrunde, die die Zufälligkeit
erst sichtbar macht, die aber auch die Zufälligkeit als kreatives Element handhabbar macht.
Letzteres dürfte für jene Einschätzung mitverantwortlich sein, in der das Netz als chaotisch
und als anarchisch bezeichnete wird. Wir wissen jedoch aus Erfahrung, dass zur Aufrechter-
haltung des Internets und dessen weiteren Entfaltung grosse Disziplin und nicht geringe
formale Kenntnisse nötig sind.
Diese Entwicklung steht in einer bestimmten kunst- und kulturhistorischen Tradition, die
sowohl kulturgeschichtlich wie auch in der Moderne verankert ist.
Es lässt sich zum Beispiel eine klare Entwicklungslinie aus dem Bauhaus in Dessau heraus,
über die Geschichte der Emigration hinweg zur Gründung der Chicago School of Design bis
hin zum Media Lab des MIT ziehen.
Personen wie Laszlo Maholy Nagy , Gyórgy Kepes, Buckminster Fuller u.a. spielen da eine
wesentliche Rolle.
Die elektronischen Medien versammeln eine Reihe von Konzepten und Erfindungen der
künstlerischen Avantgarde unseres Jahrhunderts in einer Art synoptischen Funktionalität.
Über die elektronischen Medien werden diese neuen Funktionalitäten jetzt den Massen
zugänglich. So gesehen liesse sich von einem erneuten Triumph der Moderne,
der sich in der erweiterteten Funktionalität der Neuen Medien und des Internets spiegelt, reden.
Bert Brechts Vision von Interaktivität habe ich bereits angeführt und in der umfassenden
Durchsicht der Visonen, Konzepte der Moderne ist sicher eine Vielfalt von Manifestationen
zu finden, die in der technischen Integrität der neuen Medien einem neuen qualtitativen
Zusammenhang zugeführt wurden.
Erinnern wir uns abschliessend an jene Definitionen, in denen der Direktor des Museum
of Modern Art, Alfred H.Barr, die Bedeutung des Bauhauses für die Kunst des 20. Jahrhunderts festgehalten hat.
Ich zitiere sinngemäss die wesentlichsten Punkte:
Das Bauhaus akzeptierte couragiert den Wert der Maschine ( und damit der modernen
Technologien) für die künstlerische Arbeit. Es hat mehr bedeutende Künstler unterschiedlichster
Gattungen als jede andere Kunstschule dieses Jahrhunderts in sich vereint.
Es übte also eine integrative Funktion aus.
Es überbrückte die Kluft zwischen Künstler und industriellem System und ebenete
jene Hierarchie ein, die die schönen Künste von den angewandten trennte.
Wir wissen, dass wir das industrielle System nicht mehr verlassen können und dass sich die dritte Welle (Alvin und Heidi Toffler) der ökonomisch technischen Entwicklungsformen, die Informationgesellschaft mit ihren zusätzlichen Steuerungs- Erfassungs- und Interaktionsfunktionalitäten , längst global ausgebreitet hat und müssen lernen, damit sinn- sowie gestaltungskritisch ebenso wie unbefangen umzugehen.