Besprochen und praesentiert von Franz Krahberger
Die Begegnung mit Rosseaus malerischen Werk ist zeitlos erfrischend. Sein magischer Realismus, der zwischen der Wirklichkeit des Alltags und der traumhaften Exotik, die dem Surrealismus vorausgegangen ist, changiert, erweckt in erneuter Betrachtung ungebrochenes Interesse wie Gefallen.
Rosseau, der Autodidakt, zu Lebzeiten unerhoert von akademisch strukturierter Einfallslosigkeit und zeitgeistigen Schwaetzern verhoehnt und verspottet, damals bloss verstanden und verehrt
von den kuenftigen Groessen der Malerei, von Appolinaire und von Jary hoch geschaetzt, von Paul Gauguin bewundert, zaehlt heute zweifellos und unumstritten zurecht zu den Begruendern und fruehen Wegweisern der Moderne. Die mindere Einschaetzung von Naivitaet und
Primitivitaet ist laengst nicht mehr haltbar.
Durch die schlichten Staedte Rosseaus, in denen er keineswegs den technischen Fortschritt in Form von von Fluggeraeten, Ozeandampfern und einer fernen Ansicht des Eiffelturms
ausspart, schleichen die Dschungeltraeume des Unbewussten, in denen auch Sexus, Eros und Thanatos nicht zur kurz kommen, tiefere Einsichten, denen etwa zur selben Zeit Sigmund Freund in Wien zu
hoeherer Deutbarkeit und Bewusstsein im wissenschaftlichen Weg verholfen hat. Der Zoellner Rosseau weiss auch ueber die Zeichen Bescheid, wie die Signalflaggen des Schiffes in seinem Selbstportrait zeigen.
Ueber die Methode der Montage von Bildelementen, wie Rosseau sie geuebt hat, schreibt Philippe Buetnner in seinem Beitrag Durch den Park und in die Waelder:
Anhand des Spiels mit den Dimensionen des Zivilisierten und des Wilden gelingt es
Rosseau, den Uebergang von einem zum anderen bildlich zu entwickeln und das Imaginaere
auf diese Weise visuell zugaenglich zu machen.
Wichtig dabei ist: Rosseaus Arbeitsweise bleiben in beiden Bereichen im Wesentlichen dieselbe. Schon seine Ansichten der Banlieue beruhen auf additivem
Zusammenbauen der einzelnen Motive und Ingredienzien des Bildes. Dabei entstehen
Kompositionen, die das Sichtbare nachbilden, statt es abzubilden. Diese Arbeitsweise
uebertraegt Rosseau in der Folge auch auf den Bau seiner imaginaeren Motive.
So basieren Rosseaus visionaere Landschaften nicht auf einer schwebenden Aesthetik des Traeumerischen, sondern werden aus einer neuen Logik und Mechanik des Bildbaues entwickelt.
Genau diese aber erlangte fuer die auf Rosseau folgenden Kuenstler bis hin zu den Surrealisten grosse Bedeutung. Rosseau lehrte die Moderne, das Unbekannte aus formalen Bausteinen des Bekannten zu errichten. Dabei verzichtete er auf die Gestaltung eines
gemalten Raums durch Anwendung der klassischen Perspektive. Vielmehr reuessierten
seine Collagen des Unbekannten >unbewussten<, weil er in ihnen raeumliche
Einzelelemente zu Raumgebilden stapelte, die mit der fuer die Moderne charakteristischen
Autonomie der Bildflaeche kompatibel waren. Ueber die Arbeit an der sichtbaren Wirklichkeit entwickelte Rosseau also Methoden, die es ihm ermoeglichten, analog auch das noch nie Gesehene sichtbar zu machen.
Henri Rousseau bei HatjeCantz
Hrsg. Fondation Beyeler, Text von Philippe Büttner, Christopher Green, Franz Hohler, Nancy Ireson, Daniel Kramer, Simone Küng, Gestaltung von Heinz Hiltbrunner. Berlin
Deutsch 2010. 120 Seiten, 87 Abb., davon 82 farbig ISBN 978-3-7757-2536-1
Fondation Beyeler Riehen / Basel