© Franz Krahberger
Eine Katalog Betrachung und ein vergleichendes Spiel mit Formen
Die Schirnhalle Frankfurt / Main zeigt die von Boris Groys kuratierte Ausstellung Moskauer Konzeptkunst / Die totalitaere Aufklaerung vom 21.6 bis 14.9.2008.
Dazu ist ein umfangreicher Katalog bei Hatje Cantz erschienen, in dem Boris Groys, Ekatarina Bobrinskaya, Martina Weinhart, Dorothea Zwirner u.a. und andere ueber dieses dissidente Phaenomen sowjetischer Zeitkunst, die voellig im Hinterhof des Kommunismus entstanden ist, berichten, die mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion weitgehend verschwunden ist und nun im Westen in der Kunstwelt prominent rezipiert wird. Ilia Kabakov ist ihr bekanntester Repraesentant.
Auf die Definition Moskauer Konzeptualismus legt der Wegbegleiter und Exeget Groys besonderen Wert. Fuer ihn drueckt die oertliche Beziehung die besonderen Qualitaeten dieser Erscheinungsform des Konzeptualismus aus, der sich durchaus vom Westen inspirieren hat lassen, sich aber nichts vorschreiben liess und systembedingt einen eigenen Weg hinter sich gebracht hat.
Vergleichbare Bewegungen sind in Ost Europa bereits frueher aufgefallen. So zbsp. die von Branko Andric in den 60 er Jahren mitbegruendete Gruppe KOD (Code) in Novi Sad.
Diese radikale theoretische wie angewandte Kunstbewegung bezog sich u.a. auf Duchamp, Malevich, Art&Language, Wittgenstein, Bloch, Marcuse, Dada, Marshall McLuhan, Jean Luc Godard, Amerikanische, britische wie Wiener Versionen dessen finden sich in den 70ern und 80ern des 20.Jhdts. zbsp. in Greta Insams ArtGalery in Wien in der Kölnerhofgasse und ebenso in vergleichbarer Zeit in Budapests Dissidenten Kulturszene mit dem heraussragenden Art Pool der Galantais. Es gab Ueberschneidungen zur Fluxus Bewegung, zum Situationismus und die Postmoderne der Westkunst ist in ihrer radikalen puristischen Ausformung ebenfalls von dieses Stroemungen durchpulst.
Andererseits hat die Westkunst ueber lange Zeit fruehe Formen der vorstalinistischen russischen Avantgarden rezipiert und in eigene Spielformen verwandelt. Definitiv erbringt fuer mich die Kenntnis des Moskauer Konzeptualismus keine neuen Erfahrungswerte. Das ambivalente Spiel mit Symbolen der Macht kennen wir zum Beispiel von der slowenischen Gruppe Laibach.
Auffaellig ist der geringe Umfang dieser voellig im privaten sich abspielenden Szene, gemessen an der damaligen Groesse der UdSSR. Peter Weibels Biennale Katalog zur Wiener Gruppe, die ebenfalls als dissidente Spielform angesehen werden kann, ist um einiges umfangreicher, vor allem wenn man die viel geringere Groesse Oesterreichs in Betracht zieht.
Tatsaechlich muss die selbstgewaehlte Isolation der KuenstlerInnen Juri Albert, Sergei Anufriev, Grisha Bruskin, Erik Bulatov, Ivan Chuikov, Elena Elagina, Andrei Filippov, Ilya Kabakov, Georgy Kizevalter, Kollektive Aktionen, Komar & Melamid, Alexander Kosolapov, Juri Leiderman, Igor Makarevich, Medizinische Hermeneutik, Boris Mikhailov, Andrei Monastyrski, Nikolai Panitkov, Pavel Pepperstein, Viktor Pivovarov, Dmitri Prigov, Lew Rubinstein, Leonid Sokov, Vadim Zakharov u.a. bedrueckend gewesen sein. Der Moskauer Konzeptualismus fand unter voelligem Ausschluss der der total vom Kommunismus kontrollierten Oeffentlichkeit statt. Es gab keinerlei Ausstellungs- und Publikationsmoeglichkeiten. Es gab keinen vom Staat ausgesparten Bereich. In gewisser Weise entsprach diese konspirative Nische dem Samisdat. Allerdings mit einer weiteren Einschraenkung. Es gab keine Texte, die anonym und illegal unabhaengig von ihren Verfassern im Untergrund kuriserten.
Die Kenntnis des Moskauer Konzeptualismus war eng gebunden an die persoenlich Einbindung in die Gruppe, die allein schon aus Gruenden der Konspiration, des Schutzes im Verborgenen, nicht wachsen sollte und konnte. Man war unter sich. Kultursoziologisch gesehen kann man auf keinen Fall von einer Subkultur sprechen, wie sie dissidente Stroemungen im Westen immer wieder heraus bilden konnten, man steht schlicht vor dem Phaenomen einer geschlossenen hermeneutischen Kunstsekte, die innerhalb einer totalitaeren Oeffentlichkeit in einem Paralleluniversum existiert und ueberdauert hat und keineswegs irgendwelche Bedeutung in der Aushoehlung des Kommunismus hatte. Der scheiterte an seiner eigenen fehl geschlagenen Statik und Unbeweglichkeit. Die Moskauer Konzeptualisten war eben nicht subversiv. Das waren auch die verwandten Richtungen in anderen Laendern des Ostblock nicht, die zbsp. in Ungarn vom staatlichen Kulturmanagement benutzt wurden, um zu zeigen, dass es im realen Kommunismus auch Freiraeume geben kann, die man gerne den westlichen Besuchern in einer ueberschaubaren und kontrollierbaren Szene vorgefuehrt hat.
Ich verstehe die Definiton von Boris Groys der Moskauer Konzeptkunst als Totale Aufklaerung nicht. Das Wesen der Aufklaerung ist, moeglichst viele Menschen zu erreichen und zu motivieren. Und genau das ist der Moskauer Konzeptualisten erst im Umweg und begrenzt ueber westliche Museen gelungen. Ich kann die Wirkungsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus nur so verstehen, dass unter totalitaeren Umstaenden Aufklaerung nicht moeglich ist. Und tatsaechlich hat der Kommunismus mit Aufklaerung nichts zu tun, er unterbindet sie und erstickt sie in jeder Form. Aktuell erleben wir die massive Einschraenkung der Internet Zugaenge fuer westliche JournalistInnen in China, die uber die Olympiade in Peking berichten sollen.
Nachdem das Spiel mit der Dissens in totalitaeren System lebensbedrohlich sein konnte, duerfen die Moskauer Konzeptualisten einen gewissen Heroismus in Anspruch nehmen, der sie nun im Westen als Helden dastehen laesst. Im Westen wirkt Dissens bloss kokett und kalkuliert aufdringlich. Auch im Osten ist nachzufragen, wieviel diese Dissidenten tatsaechlich riskiert haben. Sicher weniger als ihre literarischen KollegInnen, die meist mit Zuchthaus und Gulag zu rechnen hatten. So auch der eben verstorbene Alexander Solschenizyn, der die schreckliche Wahrheit ueber den Gulag in der kommunistischen Albtraumfabrik fuer alle Zeiten oeffentlich gemacht hat.
Der Moskauer Konzeptualismus adressiert ebenso an die Pop Art. So die Arbeit von Alexander Kosolapov Malevich , die die Kunst - Marke Malewitsch im Marlboro Design zeigt. Das koennte man als Adresse an Andy Warhol verstehen, der Marlboro zwar keine eigene Arbeit gewidmet hat, aber immerhin einen Werbevertrag mit der Zigarettenfirma hatte und die Marke in Form von Product Placement zbsp. in seinen filmischen Arbeit unterbrachte.
Ebenso die Trademark CCCP von Eric Bulatov die dem Logo eines japanischen Autokonzerns gleicht, die man heute dem Markenzeichen von Gazprom gleichsetzen koennte.
Beliebig banal wirkt das Nebeneinander von Kosolapovs Saschok ! Moechtest Du einen Tee?, in dem eine verzopfte Komsomolzin Tee anbietet, mit einer der en masse kursierenden American Nudes, per Google aus de Netz gefischt, die fuer einen Bikini in den amerikanischen Nationalfarben wirbt.
Der gesetzte Bildvergleich macht deutlich, dass der Konzeptualismus sowohl in der westlichen wie der oestlichen Erscheinungsform spielerischer Natur ist und sich als Formenspiel gesellschaftlicher Analyse entzieht. Eben verstaendlich unverstaendlich ist. Es ist das schicke Spiel mit den Signaturen der Macht oder des Kapitals. Davon lebte auch Herbert Marcuses Versuch ueber die Befreiung, der nicht mehr im sexuellen die Obszoenitaet erkennen wollte, sondern in den Ordensspangen eines hochdekorierten Generals. Das ist vergleichbar dem Spin der Situationisten, die sich die Aufregungen der 68-er Aufruhren zunutze machten bzw. zuspitzten. Allerdings war dies ein Spiel, das nur unter Mithilfe der Massenmedien wirken konnte. Dieser Support fehlte in der Sowjetunion voellig.
Erinnern wir uns an die Erregung, die Tanja Ostojic, die ebenso ins Feld passt, mit ihrem EURO Slip hervorgerufen hat. Die Aufregung und Aufmerksamkeit war groesser als jene, die das unueberlegte und trotzige NEIN der Iren zur Lissaboner Verfassung hervorgerufen hat. Mit solch unberechenbaren Bedeutungslagen laesst sich leicht mit kalkulierter Provokation Bekanntheit erringen. Wahrscheinlich wird man den Euro Slip in ein paar Jahren in jedem Ramschladen kaufen koennen.
Tatsaechlich gilt in den USA laut eines juengst in Iowa ergangenen Urteils eines Bezirksgerichtes Striptease als Kunstform. Striptease Clubs heissen da Kulturzentren. Da konnten natuerlich die sowjetischen Kulturzentren nicht mithalten. Kabakov hat so eine doerfliche Einrichtung vor Jahren in der Schirnhalle nachgebaut, die ueber den Eindruck einer muffigen Baracke, die gerade Raum fuer ein Leninposter geboten hat, nicht hinaus geraten ist.
Im US-Staat Iowa gibt es auch weiterhin keine Striptease-Clubs, sondern "Kulturzentren", in denen Frauen nackt auf der Bühne tanzen. Ein Bezirksgericht entschied am Freitag, Striptease falle unter den Begriff Kunst.
Merkwuerdig, dass mir kein einziger Satz von Joseph Kossuth, von Ben Vautier oder von Jenny Holzer im Gedaechtnis haengen geblieben ist. Das mag an der Alltaeglichkeit des Sprach-Materials liegen, dass sie zum Ausgangspunkt ihrer Reflexionen genommen haben. Aehnliches liegt in der Sprachverwendung des Moskauer Konzeptualismus vor.
Vergleichbar etwa mit dem Projekt zur Konstruktion einer Brille fuer jeden Sowjetbuerger, ein aus Holz gefertigtes, rot bemaltes Brillengestell, anstelle der Glaeser zwei ausgeschnittene Sowjetsterne aus dem Jahr 1976 von Leonid Sokov. Was steht als Idee dahinter: die (rosa)rote Brille, die Scheuklappe, schlicht und einfach die Beeintraechtigung des Wahrnehmungsvermoegens durch ideologische Beschraenkungen. Die Konzeptkunst beschaeftigt sich mit der Banalitaet, deren Verfremdung ist die Grundlage ihrer Irritation. Ihre Aufregungen und Erregungen bezieht sie aus der Aufladung der verfremdeten und damit umstrittenen Symbole in direkter Konfrontation.
Betrachet man die Objekte der Erregung bzw. die Relikte von aktionistischen Events Jahre danach, wirken sie meist undramatisch, unspektakulaer, verstaubt und ohne eine in der Zeit weiterreichende Botschaft. Sie sind Relikte von Vorfaellen, die ihre Spannung aus der jeweils realen Gegenwart gezogen haben .
Dass die Gruppe der Moskauer extrem klein gewesen ist, zeigt sich im Nachhinein als Vorteil. Die raren Objekte erzielen auf den internationalen Kunstmaerkten Top Preise.
Die totale Aufklärung
Moskauer Konzeptkunst 1960-1990
Hrsg. Boris Groys, Max Hollein, Manuel Fontan del Junco, Text von Ekaterina Bobrinskaja, Manuel Fontán del Junco, Boris Groys, Martina Weinhart, Dorothea Zwirner, Künstlertexte von Ilya Kabakov, Andrei Monastyrski
Deutsch/Englisch
2008. 424 Seiten, 226 Abb., davon 145 farbig
16,80 x 23,60 cm
Halbleinen
ISBN 978-3-7757-2124-0
Die umfassende Publikation widmet sich der im Westen immer noch wenig bekannten konzeptuellen Strömung in der Kunst des spät- und postsowjetischen Russlands. Sie verdankt ihren Namen einem Essay von Boris Groys aus dem Jahr 1974, in dem er das besondere Verhältnis einiger Moskauer Künstler zur russischen Tradition als Unterscheidungsmerkmal zu westlichen Vorbildern kennzeichnet. Beginnend Ende der 1960er-Jahre, operiert die Moskauer Konzeptkunst parallel zur westlichen und spiegelt dabei die existenzielle Erfahrung wider, Teil eines politischen Konzeptes zu sein. In radikaler Abkehr vom romantischen Bild des autonom agierenden Künstlergenies wird der Betrachter mit einbezogen, werden Prozesse der Herstellung und Bedingungen der Rezeption sichtbar gemacht. Der Band zeigt Schlüsselwerke und die bedeutendsten künstlerischen Positionen anhand von Malerei, Zeichnung, Fotografie und Installation.
Ausstellungen: Schirn Kunsthalle Frankfurt 21.6.–14.9.2008
Fundacion Juan March, Madrid 10.10.2008–11.1.2009