© Franz Krahberger
Mitte der 70 er Jahre habe ich mit Herbert Painitz, Tassilo Blittersdorff, Tassilo Borbe, Helga Philipp,
Thomas Reinhold u.a. eine Plattform mitbegruendet, die wir Logische Kunst genannt haben.
In dieser Gruendung bin ich erstmals Karlheinz Koller und seinen eindrucksvollen Arbeiten begegnet. Diese Spielform der Kunst, die
wir die Logische bezeichneten, erscheint rueckblickend deswegen interessant, weil sie bewusst einen Kontext
zu den Wissenschaften, zu den Naturwissenschaften, zur Informatik und zur logischen Erkenntnistheorie
herstellen wollte. Ich beschaeftigte mich damals vor allem mit Theorie, entwarf das Concept einer
zufallsgebundenen Kunst, Random Art, die ich allerdings erst viel spaeter in Form der Scanoagen von
Fundgegenstaenden im Netz publizieren sollte, bzw. mir ist eben spaet eine der Theorie adäquate
Loesung eingefallen. Damals nannte ich es den programmierten Zufall, an sich und in sich eine
Paradoxie. Mein Interesse am Zufall hatte Jahre zuvor in der Lektuere von Jacques Monods
Hasard et nécessité begonnen.
Die Gruppierung Logische Kunst existierte etwa zwei Jahre in einer eher lockeren, informellen wie diskursiven
Struktur und ist im weiteren an diversen kulturpolitischen Kontroversen und internen Rivaliaeten gescheitert. Man loeste sich auf und jeder ging seiner Wege.
Vor kurzem habe ich Karlheinz Kollers Notebooks, 39 an der Zahl, die ich Manuals nenne, zu Gesicht
bekommen.
Kollers Notebooks, beginnend mit dem Jahr 1988, charakterisiert durch bewusst erzielte
Inhomogenitaet, orientieren sich mehr oder minder am Zufall. Inhaltliche wie visuelle Objet Trouves,
Zeichnungen und Collagen, Zitate, Auszuege aus wissenschaftlichen Schriften, Satzsplitter,
kurze Aphorismen, semiotisch wie semantisch fragmentierte Worte, einer Sammlung
von Stichworten, wie sie auch in seinem Textbuch Kompott im Phrasenspeicher aneinander gereiht
werden, Seite fuer Seite, manchmal eine Doppelseite in 10,5 x 15 cm Ringnotizbuechern
Tag fuer Tag aneinander gereiht. Der Zufall wird mitbestimmt durch die Tagesaktualitaet von
Nachrichten, die oft in nicht kausaler Weise wahrgenommen und konotiert werden.
In formaler Hinsicht erinnern mich Kollers Notebooks an Marshall McLuhans und Quentin Fiores
The Medium ist the Message, an Inventory of Effects, produced by Jerome Angel 1967,
printed in Singapore.
Koller erweiterte diese angewandte collagierende Semiotik zu Tagebuechern in Form reflektierender
Rueckstrahlfolien und erfand gleichzeitig das Hundertrinkwasser.
Er stellte Neonlogismen neben die Schizo Schickeria, verkaufte virtuelle
Computerburger und hochprozentige semiotische Plakate. Auf die orthodox verbohrte Linke muss er subversiv gewirkt haben, denn: Die DDR Grenzhunde - auch sie wollen weg vom sozialistischen Einheitsknochen.
McLuhan war damals absoluter Kult und auch ich bin ab den 70 er Jahren von
dessen Magischen Kanaelen beeinflusst worden. Hinzu kommt der psychedelische
Zeitgeist der Californian Hip Generation, deren Geist u.a. auch ueber das Silicicon Valley
bis in die Gegenwart spuerbar ist, der heute noch die treibende Kraft der Californian Ideology
ist, der wesentlich die Mediatiserung der Neuen Gegenwartswelt bestimmt.
Koller hat sich als semiotischer Generator empfunden, das rueckt ihn in die Sphaere des Zufalls und der
Zufaelligkeiten.. Zufall ist Voraussetzung fuer das Gesetz, schrieb er.
Fuer ihn galt in Abwandlung von Descartes cogito, ergo sum > cogito, ergo photo. Und tatsaechlich
ist die Fotografie seine grosse Staerke. Koller zaehlt zu den bedeutensten oesterreichischen
Experimentalfotografen des 20.Jahrhunderts. Leider ist ihm die grosse internationale Anerkennung
nicht gegoennt gewesen. Die steht noch aus.
Seine Mandala Configurationen, es gibt 1300 Stueck davon, sind Glanzstuecke multipler
Projektionen, fuer die er eigene Fotografiervorrichtungen in Form eines drehbaren Tisches, auf dem
das zu fotografierende Objekt der visuellen Begierde in Rotation (Marcel Duchamps Rotoreliefs)
gebracht worden ist, und durch ausgekluegelte Prismen und Vorblenden mit der Hasselblad 6x6 und punktuelle Beleuchtung erst so richtig zu brillieren und Form anzunehmen begonnen hat. Es waere interessant, ueber
alle moeglichen Kollerschen fotografischen Kuechentricks nachzusinnen. Man kann Karlheinz Koller
zweifellos als einer der ersten erfolgreichen Medienkuenstler Oesterreichs nennen, der bereits
1977 mit dem KODAK Award geehrt wurde, der von KODAK ausgewaehlt worden ist, einen
KODAK Jahresfirmenkalender zu gestalten.
Kollers Mandala Configurationen spiegeln sowohl kosmisches Bewusstsein wie naturwissenschaftlichen
Realitaetssinn wieder. Da geht Makro- und Mikrokosmos in merkwuerdige Uberschneidungen
und Symbiosen ueber. Da tauchen erste Mandelbrotmaennchen auf, wie auch kuenstliche
Realisationen von Galaxien wie auch die Simulation von Vordringungen in die Quarkebene.
Koller muss sich intensiv mit den Strukturen der Natur befasst haben. So fand ich in seinem Nachlass
die grafische Darstellung graziller Skelette mikroskopisch kleiner einzelliger Tiere aus dem
Werk des Zoologen Ernst Haeckel Die Kunstformen der Natur
Im Internet wurden von Anbeginn, also zumindest ab dem MOSAIC Browser grandiose kosmische
Aufnahmen astronomische Aufnahmen ferner Galaxien und Sternennebel gezeigt. Solche
Websites suche ich nach wie vor auf. Dabei faellt mir nun auf, wie sehr Koller mit der Aesthetik
der kosmischen Realfotografie vertraut gewesen sein muss.
Doch Karlheinz zeigt sich weiters als Kind der electropsychedelischen Zeit der spaeten 60er und fruehen
70er Jahre, in der auch der Zen eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hat. Er duerfte sich, ebenso wie ich, mit dem Zen
in seinen unterschiedlichen Spielformen auseinander gesetzt haben, auch war er sich der paradoxen
Wahrnehmunsphaenomene bewusst. Das erzaehlen seine kurzen Text und Sprechformeln.
Wie die meisten bildenden Kuenstler neigt er zur verbalen Verkuerzung und zur Verballhornung,
die aber mit grossen Witz und semantischer Sinngebung bzw. mit Verfremdungs-Effekt geschieht.
Koller war auch Teil jener Gegenkultur, die in entgrenzter Weise sich
gegen die Einfallslosigkeit der Industrie gestellt hat, gegen den eindimensionalen Menschen, wie ihn
Herbert Marcuse definiert hat, jene Gegenkultur, die wesentlich das mediale Zeitalter, in dessen
Entfaltung wir uns noch immer in hoechst dynamischer Weise befinden, gepraegt hat und in
der ambivalenten Dialektik der Californian Ideology wesentlich die durchdringende Mediatisierung
der Welt vorangetrieben hat, bis zur Herstellung der Sphaere bzw. des Punktes Omega, wie es
Teilhard de Chardin in seinen Visonen vorausgeschrieben hat.
Kollers Abenteuer laufen nicht allein im Kopf ab. Er hat sie mittels ausgekluegelter wie
technisch beherrschter Fotografier- und Filmtechnik visualisiert und fuer andere sichtbar gemacht.
Koller hatte auch Sinn fuer das anarchisch dadaistische. Besonders interessant ist die Body Artserie
die er in seriellen Sessions exzessiver Selbstdarstellungen des Malers Johann Jascha fotografiert hat , u.a.
aufgenommen in Jaschas voellig chaotisiertem Nach MAERZ Wohnungsbaus aus dem Jahre 1974. Jascha
musste seine extrem individuell gestaltete Behausung damals raeumen. Der humorlose Vermieter hielt sie fuer total
versudelt.
Ebenso gibt es eine Aufnahmeserie Kollers von Peter Weibel, der mit einem Fernsehmonitor anstelle
eines Rucksackes im Heustadelwasser fischt. Koller hat mit Valie Export in der Herstellung
ihrer Filme mitgearbeitet, u.a. wurden Teile des Films Unsichtbare Gegner beteiligt.
In den fruehen 70 ern hat Karl Heinz Koller alternative Kulturzentren quer durch Europa besucht,
und dort vor allem die Formen frueher alternativer Kinderbetreuungen und Jugendkulturen
dokumentiert. Koller war nicht formal ein grosser Kuenstler, ebenso wie er in erfrischend
querkoepfiger Weise ein universeller Wahrnehmer und Denker gewesen ist, engagierte er
sich in kritischer Weise in politischen Fragen, ohne sich von der Politik jemals vereinnahmen
zu lassen.
Als ich da kuerzlich vor seinem gesamten hinterlassenem Werk, also Dias, Abzuege,
Kopie und einigen aufgeblasenen, vergroesserten Arbeiten (die unter Beweis stellen, wie
brilliant und genau Koller fotografiert hat, bis hin zur Ausnutzung des Korns) gesessen habe,
ist mir durch den Kopf gegangen, was Karlheinz unter Ausnutzung neuester digitaler
multimediafaehiger Technologie zustande gebracht haette. Er ist schlicht und einfach
zu frueh gestorben. So ist er ein Mann des Uebergangs von analogen zu digitalen
Techniken, aber in dieser Phase zweifellos einer der faehigsten, kreativsten und
konsequentesten Kuenstler, die dieses Land aufzuweisen hat, der sich zusaetzlich auch
durch Kontinuaitaet und durch verlaessliche Entwicklungsfaehigkeit auszeichnet.
Ein Work in Progress - in expanded Art - dass sich zwar nicht wiederholen, aber
fortsetzen laesst.
Es bleibt zu hoffen, dass das Gesamtwerk von Karlheinz Koller, der 1995 verstorben ist, fuer die weitere Zukunft gesichert und bewahrt,
und ebenso wieder ins Gedaechtnis einer weiteren Oeffentlichkeit gerufen wird. Karlheinz Kollers Werk
verdient in jedem Fall erneute Beachtung wie Betrachtung.
Im On-Line Standard habe ich am 27.3.2007 ueber LIE Gruppen gelesen. Lie-Gruppen sind mathematische Strukturen, die zur Beschreibung von Symmetrien gebraucht werden. Die Komplizierteste, die so genannte E8-Gruppe, hat 248 Dimensionen (im Bild eine zweidimensionale Darstellung). Einem Team um Jeffrey Adams ist es nun gelungen, die 248-dimensionale Struktur zu kartieren - mit Hilfe eines Supercomputers in letztlich 77 Stunden reiner Rechenzeit. Die zu Papier gebrachte Kalkulation würde ganz Manhattan bedecken. Laut Adams "Mathematik auf höchster Stufe" - und für NichtmathematikerInnen schwer vermittelbar.
Diese Darstellung aehneln auf verblueffende Weise Kollers Mandala Figurationen.
Ernst Haeckel - Die Kunstformen der Natur
LIE Structure